Modeaktivismus und Corona: Wie wir unsere Wut nutzen können, um weiterzumachen

Am 24. April 2021 jährt sich der Einsturz von Rana Plaza und damit der Beginn der weltweiten Fashion Revolution bereits zum achten Mal. Wo führt unser Aktivismus, vor allem in Zeiten wie diesen, hin?

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Anm. d. Red.: Dieser Artikel erschien zuerst am 23.04.2020. Für die diesjährige Fashion Revolution wurde er leicht angepasst.

Frage: „Bitte stell dich und deine Arbeit vor.“ – Antwort: „Ich bin Nina. …“

Zwei Tage lang war das der einzige Satz, den ich in das Dokument für ein Interview tippen konnte. Die Nachrichten überschlugen sich und ich kam aus dem Scrollen gar nicht mehr raus. Und dann waren da noch diese zusammengesetzten Substantive, die in den nächsten Wochen Teil meines Vokabulars werden sollten, wie „Brücken-Lockdown“  oder „Abstandsregeln“. In Zeiten, in denen alles, was wir dachten zu wissen, auf einmal ungewiss ist, kann es schonmal sein, dass ich nur noch den eigenen Namen weiß. Und überhaupt: Interessiert sich da draußen noch jemand für meine Arbeit?

Das Leben hat manchmal andere Pläne

Zum 18. Geburtstag bekam ich einen Bilderrahmen geschenkt – um das Foto herum stand in Schnörkelschrift „Life is what happens to you when you’re busy making other plans“ geschrieben, diese berühmte Songzeile von John Lennon. Immer wenn seitdem irgendwas Unvorhergesehenes passiert, muss ich an diesen Spruch zurückdenken. Als es zu Beginn der Pandemie hieß, wir sollten jetzt alle lieber zu Hause bleiben, war ich auf jeden Fall schön busy am Planen und hatte überhaupt keinen Bock, mich dem Leben zu beugen. Damn you, John Lennon! Und ehe ich mich versah, mussten wir am Veröffentlichungstag des ersten eigenen Buchs die Buchpremiere absagen. Das passte mir gar nicht, hatte ich doch schließlich andere Pläne! Wenig später poppte die „Veranstaltung abgesagt“-Notification auf meinem Handybildschirm auf und die Lesungsplakate wurden wieder abgehängt. Am nächsten Tag räumte ich die Regalfächer im Büro aus und nahm alles mit, was ich in den nächsten Wochen im Home Office brauchen würde. Ein Jahr später lehnen unsere Demoschilder noch immer einsam an der Bürowand.

 

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Die Tage danach suhlte ich mich in Selbstmitleid und fand das eigentlich schwer in Ordnung. Bis die ersten Dankbarkeitsmantras in meinem Insta-Feed auftauchten: Sei dankbar, dass du gesund bist! Sei dankbar, dass du ein Dach überm Kopf hast! Sei dies, sei das, Ananas! Was mehr oder weniger bedeutet: Sei so, aber nicht so! Fürs Protokoll: Ich bin (meistens) dankbar für all diese Dinge, aber meine Privilegien ändern trotzdem nichts daran, dass auf einmal niemand mehr über den Klimawandel sprechen wollte und ein scheinbar zum Greifen nahes Lieferkettengesetz fast unbemerkt vom Tisch gefegt wurde. Okay, und wir unsere Buchpremiere absagen musste.

Modeaktivismus – who cares?

Diese Krise stellt alles infrage. Und alles abseits von Corona-News hat sich brav hinten anzustellen. Klar: Wir befinden uns inmitten einer Pandemie. Niemand weiß, wie das geht, und wir wollen hier alle nur durchkommen. Die einen fangen dann an zu rennen, die anderen zu flennen (das mit dem Reimen gebe ich nach diesem Satz wieder auf). Interessanterweise hat mein Selbstmitleid seinen Platz nach ein paar Tagen mit einem anderen Gefühl getauscht: Frust. Es geht jetzt nicht mehr um die eigene gekränkte Eitelkeit, sondern um die Themen, für die wir uns jahrelang starkgemacht haben. Who cares? Ähm, I do…!

Die Pandemie legt genau die Probleme in der Modeindustrie offen, die schon immer da waren: Die reichsten Unternehmen der Welt stornieren Aufträge im Wert von mehreren Milliarden Dollar im Globalen Süden, stellen Mietzahlungen für ihre Geschäfte ein und beantragen im selben Atemzug Kredite in schwindelerregender Höhe. Aber klar, we are all in this together. Nur die Solidarität hat dann auch mal – im wahrsten Sinne des Wortes – ihre Grenzen. Genau diese Doppelmoral ist es, die mich richtig frustriert und wütend macht. (Oh nein, jetzt ist sie auch noch wütend…) Zum Glück beflügelt Wut meine aktivistische Arbeit. Wenn ich die letzten Jahre nicht immer mal wieder wütend geworden wäre, dann wäre ich jetzt nicht Teil dieser Community.

Als ich 2013 zum ersten Mal über die nachhaltige Modemesse gelaufen bin, war da eine Hand voll anderer Medienschaffende, meistens aus dem Printbereich. Die Fragen kreisten hauptsächlich um Stilthemen, schließlich mussten wir uns alle erst mal daran gewöhnen, nicht mehr jeden Trend auf dem Silbertablett serviert zu bekommen. Und ich dachte mir ab und zu: Ist hier eigentlich niemand wütend?

Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich die Jahre danach den Kampagnen-Hashtag #whomademyclothes von Fashion Revolution in die Tastatur gehauen habe. Zum ersten Mal hatte ich als Konsumentin das Gefühl, einen Mini-Beitrag zur Sichtbarmachung von Missständen entlang der Wertschöpfungskette zu leisten. Sieh an, da geht ja doch noch mehr als dieses „Dein-Kassenzettel-ist-dein-Stimmzettel“-Mantra.

 

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Mode ist zutiefst politisch, egal wie wir sie drehen und wenden. Ja, Mode ist natürlich auch Lust, Ausdruck und (für einige) Exzess, aber Mode ist in erster Linie politisch. Wer sich dem Fakt gegenüber verwehrt, lebt in einer Utopie: Eine Welt, in der maßloser Konsum ein Grundbedürfnis ist und wir zu jeder Gelegenheit shoppen gehen sollen. Meine persönliche Version der Dystopie. Das mag zwar eine Weile lang ganz bequem sein, aber wenn uns diese Pandemie eine Sache zeigt, dann hoffentlich, dass eine Gesellschaft, die allen Menschen gleichermaßen Schutz bieten soll, von aktiver und grenzenloser Solidarität lebt. Das gilt für die geflüchteten Menschen in Griechenland genauso wie für die Erntehelfer*innen auf unseren Spargelfeldern und die Näher*innen im Globalen Süden.

Wie kann es also sein, dass Unternehmen keine Verantwortung für alle Menschen entlang ihrer Lieferketten übernehmen? Dass sie für erledigte Arbeit keinen einzigen Cent zahlen? Dass sie unternehmerische Verantwortung scheuen, weil diese angeblich wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt? Dass eine mögliche Rezession nun ein Schlupfloch für unethische und unökologische Geschäftspraktiken ist? Wie kann es sein, dass – obwohl der Schutz von Menschenleben in Corona-Zeiten offiziell an erster Stelle steht – Profit doch am Ende die Oberhand hat?

Frust und Wut in Aktivismus umwandeln

„Transparenz kann Leben retten“, habe ich mal bei Fashion Revolution gelesen. Seit der Corona-Krise habe ich das Gefühl, dass unsere Forderungen nach einer gerechteren Modeindustrie noch deutlicher werden müssen. Ich weiß, wir sind alle niedergeschlagen und müde, schließlich machen viele von uns das nicht erst seit gestern. (Reality-Check-Einschub: Es gibt Menschen da draußen, die schon seit Jahrzehnten aktivistisch unterwegs sind. Wie jung unsere Bewegung ist, müssen wir uns auch ab und zu vor Augen führen). Nur: Wenn wir uns jetzt nicht aufbäumen, dann werden sich die Klimaschutzmaßnahmen, auf die sich Politik und Wirtschaft geeinigt haben, im Wind zerschlagen. Genauso wie die sozialen Missstände, die die Corona-Krise verdeutlicht, in Vergessenheit geraten werden. Deswegen liegt es auch mal wieder an uns, jetzt gemeinsam aktiv zu werden. Als Bürger:innen müssen wir unseren Frust und unsere Wut so einsetzen, dass Solidarität mehr als eine bloße Worthülse ist. Das wird hart, aber lasst uns die Ärmel hochkrempeln, bevor das Leben wieder einen Strich durch unsere Pläne macht.

Diese Fashion-Revolutionen-Aktionen könnt ihr 2021 unterstützen
  1. FEMNET e.V., die sich seit Jahren insbesondere für Frauenrechte in der Textilbranche einsetzen, sammeln seit 2020 im Corona-Nothilfefonds für die Existenzsicherung der Textilarbeiter*innen und deren Familien. Sie ermitteln dafür mit ihren Partnerorganisationen in Indien und Bangladesch recht kurzfristig, wo aktuell der größte Bedarf besteht.
  2. Auch das Inkota-Netzwerk sammelt mit ihrem länderübergreifenden Corona-Hilfsfonds Spenden für Schutzkleidung über Lebensmittelhilfen bis hin zu Saatgut.
  3. Frage aktiv selbst nach und fordere Modelabels mit dem Hashtag #WHOMADEMYCLOTHES dazu auf, Stellung zu beziehen. Einfach Selfie posten und los geht’s!
  4. Mit dem Hashtag #WHOMADEMYFABRIC kannst du außerdem Unternehmen dazu auffordern, noch transparenter zu werden und nicht nur die Produktionsstätten der Näher:innen, sondern auch die der Materialproduzenten offenzulegen.
  5. Hör dir den Relaunch des Fashion Revolution Podcasts an.
  6. Schau, ob es (digitale) Veranstaltungen in deiner Nähe gibt, an denen du gerne teilnehmen möchtest.

Titelfoto: Emilie Elizabeth

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