Schnell wurde deutlich: Die Modebranche ist besonders stark von der Ausbreitung des Corona-Virus und den damit verbundenen Ausgangsbeschränkungen betroffen. Welche Probleme werden gerade deutlich und wie geht die (Fair) Fashion Branche damit um?
Und plötzlich waren die Lieferketten sichtbar
Von der Baumwollplantage, in die Textilfabrik, zum Modelabel, in den Einzelhandel – so könnte man die Lieferkette eines T-Shirt sehr vereinfacht beschreiben, die nun vom Einzelhandel ausgehend von der Krise betroffen ist. Vor knapp drei Wochen schlossen in Deutschland die meisten Läden. Das bedeutete Umsatzeinbußen für den Einzelhandel über Nacht – ausgerechnet in der Zeit, in der die Warenlager voll mit den neuen Frühjahrskollektionen waren. Natürlich nicht ohne Folgen: Rechnungen an Modelabels konnten und können aktuell nicht bezahlt werden, die wiederum ihre Aufträge in Textilfabriken zurückziehen, wo Textilarbeiter*innen massenhaft entlassen werden. Gleichzeitig sinkt die Nachfrage nach Baumwolle, damit natürlich auch der Baumwollpreis und das setzt Rohstoffproduzenten enorm unter Druck.
Eine Million Textilarbeiter*innen werden entlassen
Rund 50 Millionen Menschen sind schätzungsweise weltweit in der Textilindustrie angestellt. Viele davon sind Frauen, die mit ihrem Job das Haupteinkommen für ihre Familie verdienen. In Bangladesch wurden bereits Aufträge für Exportware im Wert von 2,9 Milliarden Dollar gecancelt, 58 Prozent der Textilfabriken geschlossen und in der Folge eine Million Textilarbeiter*innen entlassen oder beurlaubt. Auch andere Standorte wie Kambodscha, Tamil Nadu (Indien) oder Pakistan sind stark betroffen. Es werden zwar hier und da Hilfszahlungen auf den Weg gebracht. Ob die allerdings auch ihren Weg zu den Textilarbeiter*innen finden, bleibt fraglich.
Immerhin: Nachdem H&M erklärte keine bereits in Auftrag gegebenen Produktionen zu stornieren, folgten die Modekonzerne Inditex, Marks&Spencer, Kiabi, PVH und Target. Ob H&M und Target nun aber den öffentlichen Erklärungen auch wirklich nachkommen, ist derzeit noch unklar. Primark und C&A gaben bisher nicht bekannt, ob sie ihre Zulieferer in den Seilen hängen lassen.
Auf dem Laufenden kann man aktuell zum Beispiel über den Hashtag #PayUp bleiben. Die Fair Wear Foundation veröffentlicht außerdem ein Dossier mit aktuellen Entwicklungen und Empfehlungen für Produktionsländer und Brands.
Der Ruf nach mehr Verantwortung von globalen Modebrands
Die Pandemie zeigt uns aktuell also die Schwachstellen und die Fragilität der Modeindustrie besonders deutlich. Und leider auch, wie wenig die Interessen von Arbeiter*innen in Zeiten der Not priorisiert werden. Entlang der textilen Lieferkette sind alle betroffen und viele sehen ihre Existenz bedroht, am stärksten trifft es jedoch erneut die Schwächsten. Das Worker Rights Consortium fordert solidarisches Handeln von globalen Modebrands ein: kein Zurückziehen von Aufträgen, die eigentlich bereits besiegelt waren oder das Teilen von Finanzhilfen mit den Zulieferern. Es ist ein Ruf danach, dass global agierende Modebrands endlich mehr Verantwortung für ihre Lieferketten übernehmen.
Im Prinzip werden also nun genau die systemischen Probleme der Modeindustrie deutlich, für deren Sichtbarmachung Befürworter*innen eines Lieferkettengesetzes schon lange kämpfen. Auch das Inkota Netzwerk erinnert an die Wichtigkeit von gesetzlichen Regelungen, die die Verantwortung von Unternehmen gegenüber ihrer eigenen Lieferkette einfordern würden. Die Herausforderung: In Krisenzeiten kämpfen viele um ihre Existenz und sind nicht unbedingt bereit sich an einen Tisch zu setzen, um gleich die ganze Branche zu revolutionieren.
Fair Fashion in Zeiten von Corona
Und wie sieht es in der ökofairen Szene in Zeiten der Pandemie aus? Modelabels und Unternehmen mit ökologischem und sozialem Fokus übernehmen schon lange Verantwortung für das, was in ihren Lieferketten passiert und priorisieren die Rechte von Arbeiter*innen weitaus mehr als das im konventionellen Modebereich der Fall ist. So überrascht es zum Beispiel auch nicht, dass Armedangels – eines der größten deutschen Fair Fashion-Labels – sofort verkündet, keinerlei Aufträge zu kündigen. Die Fair Fashion-Branche trifft es deswegen allerdings nicht weniger stark im wirtschaftlichen Sinne, denn aufgrund der fairen Bezahlung entlang der Lieferketten fallen die Margen oft geringer aus als bei Fast Fashion-Unternehmen.
Dabei wäre es für die Modebranche besonders wichtig, dass faire und nachhaltige Unternehmen die Krise wirtschaftlich gut überstehen – sind sie es doch, die schon seit Jahren daran arbeiten, Wirtschaftsstrukturen positiv für Mensch und Umwelt zu verändern.
Bedrohte Existenzen
„Für uns ist die Krise existenzbedrohend. Wir haben bisher für alle Mitarbeiter*innen aus unseren Stores Kurzarbeit beantragt. Unser Antrag auf einen Kredit bei der IBB ist in Bearbeitung. Es wird eine sehr einschneidende Zeit für uns“, sagt Christina Wille von Loveco. Sie betreibt drei (nun vorübergehend geschlossene) Fair Fashion-Stores in Berlin. „Um unsere Umsatzeinbußen etwas abzufedern, pushen wir gerade mit aller Kraft unseren Onlineshop, der aktuell unsere einzige Einnahmequelle ist.“ Die Not macht kreativ: Christina bietet mit ihrem Team nun mittlerweile sogar eine Online-Beratung per Videochat an.
Andere größere Fair Fashion-Unternehmen wie beispielsweise Trigema und Wolford schwenken auf die Produktion von Schutzbedeckungen für Mund und Nase für Endkonsument*innen um. Der Wäschehersteller Mey produziert seit Kurzem Mundschutz, der auch für den medizinischen Bereich zugelassen ist.
Good to know:
- Vanessa Janneck (Gründerin der B-Lage, Hamburg) gründet die Plattform 2gather.jetzt für Zusammenhalt in Krisenzeiten. Die Plattform soll kleine Unternehmen und Freiberufler*innen unterstützen
- Sugartrends bietet eine Plattform für Einzelhändler*innen ohne eigenen Onlineshop
- Der Marktplatz Avocadostore erlässt allen nachhaltigen Läden ohne eigenen Onlineshop die Anmeldegebühr
Die Fair Fashion Szene rückt zusammen
Wieder andere Fair Fashion-Labels und Shops gewähren gerade großzügige Rabatte, um weiterhin Kund*innen zu erreichen. Christina Wille findet das kontraproduktiv: „Rabattschlachten wie im konventionellen Bereich können uns allen schaden. Das wollen wir verhindern und wir müssen mit allen Beteiligten (Stores, Labels, Produzent*innen, Vertrieb) eine Lösung finden, die verlorenen Verkaufsmonate nachzuholen.“ Wenn sich Shops und Labels in Rabattschlachten – also dem ständigen Überbieten der Rabatte des Anderen – verlieren, macht die gesamte Branche weniger Umsatz. In Zeiten einer Krise will das natürlich vermieden werden.
Im Zusammenschluss mit den Unternehmer*innen hinter Langerchen, Lanius und Avocadostore hat sie deshalb die Initiative #fairfashionsolidarity ins Leben gerufen: Mit einem Manifest und mit konkreten Handlungsempfehlungen soll es einen gemeinsamen Weg durch die Krise geben. Bereits über 150 Unterstützer*innen sind dabei.
Claudia Lanius beispielsweise setzt bei der Kreation der Sommerkollektion für 2021 jetzt schon auf Kombinier- und Integrierbarkeit zur aktuellen Saison. Das Fair Fashion Label möchte so vorbeugen und verhindern, dass der Einzelhandel in dieser prekären Situation zu schnell zu Sales und Preisnachlässen greift: „Unsere Ware ist wertvoll, langlebig und nachhaltig – und das auch noch im nächsten Jahr!“, so richtet sich das Label in einem Brief an seine Kund*innen und bestärkt die Händler*innen darin, Ruhe zu bewahren.
Die Empfehlungen von #fairfashionsolidarity für Shops:
- Mit den Brands in engen Austausch über die Begleichung von offenen Forderungen gehen, damit auch sie ihre Rechnungen begleichen können
- Die Termine für die Auslieferung der Herbst- und Winterware in Absprache mit den Brands koordinieren, so das alle ihre Verpflichtungen erfüllen können
- Sämtliche Kanäle dazu nutzen, diese solidarische Maßnahme zu kommunizieren und die gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten in den Vordergrund stellen
Die Empfehlungen von #fairfashionsolidarity für Labels:
- Den Shops beim Ausgleich der offenen Forderungen aus Frühjahr/Sommer 2020 durch Verlängerung der Zahlungsziele oder Ratenzahlungen entgegenkommen, soweit es die eigene Liquidität zulässt
- Den Zeitpunkt der Lieferungen für die Saison Herbst/Winter 2020 mit den Shops besprechen. Ein erster Liefertermin könnte ab Ende August erfolgen. Falls gewünscht, kann der Shop auch früher Ware beziehen
- Die Sommerkollektion 2021 so gestalten, das sie auf der aktuellen Kollektion aufbaut. So kann der Shop Warenüberhänge in die Saison Frühjahr/Sommer 2021 übernehmen. Dabei die Übernahmemöglichkeiten rechtzeitig an die Shops kommunizieren.
- Für eine Auswahl an Styles eine Nachordermöglichkeit schaffen, um fehlende Größen aufzufüllen.
- Die Vertriebsstrukturen auf eine spätere Orderrunde der Kollektion Frühjahr/Sommer 2021 vorbereiten. Z.B. im Zeitraum Mitte August bis Ende September 2020
- Sämtliche Kanäle dazu nutzen, diese solidarische Maßnahme zu kommunizieren und die gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten in den Vordergrund stellen.
„Die Fair Fashion Szene braucht jetzt Zusammenhalt, Mut für Innovationen und regelmäßigen Austausch“, findet auch Bloggerin Mia Marjanovic, die bereits seit sieben Jahren über faire Mode schreibt. Auch sie ist als Medienschaffende von der Krise betroffen, denn wenn Fair Fashion-Labels ums Überleben kämpfen, sind Budgets für Online-Marketing und Freiberufler*innen meist als Erstes eingefroren. „Es ist ein stetes Auf und Ab aus Kundenabsagen, Zukunftssorgen und gecancelten Events.“
Sorgen um das, was da noch kommt
Die große Frage, die bleibt: Wie soll das für die Modebranche weitergehen? Fachleute sagen: Wenn der Höhepunkt der Ausgangsbeschränkungen zu Ostern erreicht ist und es dann Lockerungen gibt, ist ein V-Verlauf das wahrscheinlichste Szenario. Das bedeutet, dass die Verkaufszahlen zum Ende des zweiten Quartals wieder ansteigen und die ausgebliebenen Konsumausgaben nachgeholt werden würden. Bei längerem Anhalten der Maßnahmen werden die Ausgaben für Kleidung voraussichtlich weiter sinken, da Konsument*innen sich eher auf das Wesentliche konzentrieren. Eine wirtschaftliche Erholung ist 2020 dann wahrscheinlich nicht mehr in Sicht. Doch auch das ist nur eine Prognose.
„Die größte Schwierigkeit liegt darin, dass niemand wirklich weiß, was passieren wird und worauf man sich einstellen muss – das hat einfach niemand schon einmal erlebt“, sagt Anna Yona, die Gründerin des Eco-Schuhherstellers Wildling. Mit ihrem Team hat sie inzwischen Wege gefunden, sich mit allen Lieferanten und Partnern auf eine erträgliche Kostenreduktion zu einigen.
Was es jetzt braucht
Ganz anders ist es im konventionellen Modebereich: Zu Beginn der Corona-Krise machte Adidas trotz Umsatzrekord in 2019 negative Schlagzeilen mit der Stundung von Mietzahlungen. Nach einer öffentlichen Entschuldigung will der Konzern nun doch Miete zahlen, aber angeblich auch einen Kredit in Milliardenhöhe beantragen.
Währenddessen fehlt die Unterstützung für kleine Unternehmen, wie man sie in der Fair Fashion-Branche fast ausschließlich findet. „Wir brauchen für den Moment finanzielle Unterstützung, die uns als kleines Unternehmen schützt. Derzeit werden nur Unternehmen bis 10 Mitarbeiter*innen oder Großunternehmen ab 250 Mitarbeiter*innen finanziell aufgefangen. Wir fallen mit unserer Größe von 16 Mitarbeiter*innen durchs Raster und können derzeit nicht genau absehen, was das langfristig für Folgen haben wird“, erklärt Christina Wille.
Anna Yona sieht auch bei verantwortungsbewussten Konsument*innen eine Chance für die Zukunft: „Ich glaube es braucht jetzt vor allen Dingen ein noch bewussteres Konsumverhalten als sowieso schon. Gerade in der Krise ist es unglaublich wichtig, die kleinen und unabhängigen Marken und Unternehmen zu unterstützen, damit die Diversität in der Modebranche erhalten bleibt und nicht nur die Großen überleben.“
Titelbild: Marco Bianchetti / Unsplash