Rettet Veganismus den Regenwald?

Seit Wochen steht der Amazonas-Regenwald in Flammen. Die Wälder können zwar jedes Jahr während der Trockenzeit brennen, doch dieses Mal sind die Brände besonders verheerend. Nach Angaben des National Institute for Space Research wurden allein allein zwischen Januar und August 72.843 Brände registriert. Die Gründe für die Waldbrände? Expert*innen nennen in erster Linie Landgewinnungsmaßnahmen. Flora und Fauna müssen für Tierhaltung, Nutz- und Futterpflanzen weichen. Forscher*innen befürchten sogar, dass sich die Lage noch verschlimmern wird.

Was können wir tun? Die vermeintlich simple Antwort vieler lautet lautet: „Go Vegan!“

Diesen Satz kann wahrscheinlich jede*r Veganer*in so unterschreiben – mich eingeschlossen. Es klingt einfach und die wissenschaftliche Forschung befürwortet eine pflanzliche Ernährungsweise. Zahlreiche Studien haben in den letzten Jahren ausführlich aufgeschlüsselt, wie die vegane Ernährung im Vergleich zu allen anderen Ernährungsformen den geringsten negativen Einfluss auf Waldrodung, Wasserverbrauch und -verschmutzung, Landnutzung, Biodiversität und unsere Gesundheit hat (Nature Article 1, Nature Article 2, Science, Nature Communications, PNAS).

Dennoch ist der bloße Ausruf „Go Vegan!“ eine Vereinfachung der Umstände und ignoriert viele andere Aspekte der Regenwaldzerstörung. Darüber hinaus ist es eine sehr kurzsichtige „Lösung“ für ein viel größeres Problem: Kapitalismus ohne Rücksicht auf Mensch, Tier und Planet.

Ein kleines Gedankenexperiment: Geld regiert leider die Welt und wenn die großen, mächtigen Unternehmen merken, dass sie am meisten Geld mit veganen Produkten machen, dann roden sie die Wälder ohne Rücksichtnahme auf unsere Umwelt… Was können wir also tun? Wir müssen die verantwortlichen Konzerne zur Rechenschaft ziehen. Wir können unsere Kaufkraft nutzen, um Unternehmen zu Veränderungen zu zwingen.

Ungeachtet dessen, ist es weiterhin wichtig, Veganismus als nachhaltige Alternative zu promoten. Auf Fleisch zu verzichten ist generell energie-effizienter, tierfreundlicher, benötigt weniger Fläche, sowie Ressourcen, da wir nicht zuerst Futterpflanzen z.B. für die Rinderzucht anbauen müssen, sondern sie direkt nutzen können. Diese Rechnung ist insbesondere dann wichtig, wenn wir daran denken, dass wir im Jahr 2050 neun bis zehn Milliarden Menschen zu ernähren haben.

Wir brauchen eine ganzheitlichere Betrachtungsweise von Veganismus

Im Zuge der Veganismus-Forderungen sollten wir folgende Problematiken nicht vergessen:

  • Herbizide und Pestizide können die Biodiversität stark gefährden
  • Unfaire Arbeitsbedingungen spielen nicht nur im Bereich Fair Fashion eine Rolle, sondern auch in der Landwirtschaft weltweit
  • Auch vegane Lebensmittel, insbesondere sogenannte Conflict Foods, wie Schokolade, Kaffee, Bananen und  Quinoa, aber eben auch Fleisch und Milch können sich negativ auf Umwelt, Tier und Mensch auswirken

Wie wir mit bewusstem Konsum unsere Wälder besser schützen können

Dementsprechend müssen wir uns immer vor Augen führen, dass wir auch bei der pflanzlich basierten Ernährung auf nachhaltige und fair produzierte Lebensmittel achten. Sich vegan zu ernähren, beziehungsweise entscheiden zu können wie man sich ernähren will, ist ein Privileg, das sich nicht jede*r leisten oder umsetzen kann. Wenn doch, dann sollten wir dies bewusst tun. Veganer*innen sollten deshalb so oft wie möglich auf folgende Punkte achten:

  • Fair Trade-Lebensmittel: Gerade bei den oben erwähnten Conflict Foods liefern Fair Trade-Siegel eine gute Orientierung. Zertifizierungen bieten nicht immer hundertprozentige Sicherheit, doch sie helfen faire Arbeitsbedingungen weltweit voran zu treiben.
  • Bio-Obst und -Gemüse: Die ökologische Landwirtschaft spielt für die Biodiversität eine sehr wichtige Rolle (siehe zum Beispiel das dramatische Insektensterben). Der Verzicht auf Pestizide, Fungizide, Herbizide und Minderaldünger schützt die Artenvielfalt der Natur sowie die Böden und unser Trinkwasser. Pauschalisierungen sind hier zwar schwierig und die Problematik der Flächennutzung wird oft als Gegenargument für die ökologische Landwirtschaft genannt. Jedoch sehen Forscher*innen eine Kombination aus veganer Ernährung, Bio-Landwirtschaft und geringere Lebensmittelverschwendung als nachhaltige Lösung für die Zukunft.
  • Saisonale und lokale Produkte: Wenn wir uns hauptsächlich für lokale und saisonale Produkte entscheiden, unterstützen wir regionale Betriebe, verzichten auf lange Transportwege und vermeiden Conflict Foods.
  • Weniger Lebensmittel verschwenden: Allein in Deutschland werden jährlich 18 Millionen Tonnen (!!!) genießbare Lebensmittel weggeworfen. 40 Prozent dieser Verluste entstehen bei uns Zuhause. Es liegt also hier direkt an uns, diese Zahl drastisch zu reduzieren.
  • Kampf gegen unfaire Arbeitsbedingungen, Diskriminierung und Rassismus: Wie auch im Bereich Fair Fashion müssen wir uns darüber informieren, welche Systeme hinter der Agrarwirtschaft stecken und uns dessen bewusst werden. Wie können wir Bio-Bauern aus Deutschland am besten unterstützen? Wann macht ein Produkt aus Übersee Sinn, wann nicht? Sollten wir auf Quinoa und Soja aus dem Regenwald verzichten, egal ob Bio oder nicht? Sieht es bei Kaffee und Schokolade aber nicht wieder anders aus und wie sollten hier spezifisch auf Bio und Fair Trade achten? Diese Thematik ist hoch komplex und benötigt einen eigenen Beitrag, aber kritisch bleiben, sich bilden und austauschen ist hier essenziell.
  • Unsere heimischen Wälder: Auch unsere Wälder in Deutschland und ganz Europa sind bedroht. Insbesondere unsere Fichten sind betroffen. Der Klimawandel macht Förster*innen große Sorgen, da zum Beispiel die immer stärker werdenden Dürreperioden die Fichte angreifbarer für Borkenkäfer macht. Die Lösung: Aufforstung mit neuen Baumarten und Mischwäldern. Umweltschutz heißt auch hier Klimaschutz.
  • Holz- und Papierverbrauch: Wir wollen weltweit unsere Wälder schützen, benutzen aber täglich Unmengen an Papier. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Papier in Deutschland steigt kontinuierlich und wird nur von wenigen Länder der Erde übertroffen. Und kaum ein Land sammelt mehr Altpapier als Deutschland (Quelle: WWF). Die Lösung: den Holz- und Papierverbrauch drastisch senken, papierlose Optionen nutzen, weniger ausdrucken, recyceltes oder Blauer Engel–zertifiziertes Papier verwenden.

Dein veganer Burger rettet nicht die Welt

Dieser Artikel soll keine „Ausrede“ sein, nicht auf die vegane Ernährung umzusteigen, um unsere Wälder weltweit zu schützen. Vielmehr soll er zu Diskussionen anregen, das Thema ganzheitlich zu betrachten und die vegane „Bubble“ für weitere wichtige Themen zu öffnen.

Wie oben bereits erwähnt haben renommierte Studienergebnisse gezeigt, dass eine nachhaltige und umweltfreundliche Ernährung von neun bis zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 nur durch eine Kombination aus einer vorwiegend pflanzlichen Ernährungsweise, weniger Lebensmittelverschwendungen, Bio-Landwirtschaft sowie neuen Technologien in der Agrarindustrie möglich ist. Um dies umzusetzen, sollten wir also nicht nur Steak gegen Vegan-Burger eintauschen, sondern uns auch täglich für faire Arbeitsbedingungen einsetzen, die Politik unter Druck setzen, lokale Produktion unterstützen und uns weiterhin für den Klimaschutz einsetzen.

Titelbild: (c) Simon Matzing via unsplash

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Eine Antwort auf „Rettet Veganismus den Regenwald?“

Vielen Dank für deinen sachlichen Artikel! Das Problem Regenwaldrodung ist so komplex, ein “Go vegan”-Ausruf kann definitiv nicht die Lösung sein. Zumindest nicht die einzige. Toll, dass du auch andere Punkte ansprichst, die von Veganern oft außer Acht gelassen werden.
Dir ein schönes Wochenende und viele liebe Grüße!
Andrea