Degrowth in der Fair-Fashion-Branche: To grow or not to grow? So wird die (De-)Growth-Debatte umgesetzt

Degrowth ist eine fundamental andere Sichtweise auf Wachstum und Wohlstand. Während sich die Welt mit dem Klimawandel und anderen Krisen auseinandersetzt, plädieren immer mehr Menschen für mehr Degrowth. Doch was bedeutet das Konzept für die deutschsprachige Fair-Fashion-Branche und wie können politische Maßnahmen beim wirtschaftlichen Wandel unterstützen? Wir haben nachgefragt.

“Degrowth” ist eine Gegenbewegung zur umweltbelastenden Fast-Fashion und betrifft sowohl Konsument*innen als auch Labels. Naturfasern aus regenerativer Landwirtschaft, existenzsichernde Löhne und Energie aus erneuerbaren Quellen – Nachhaltigkeit wird vor allem in der Fair-Fashion-Branche großgeschrieben und ganzheitlich angegangen. Doch wie sieht es darüber hinaus aus?

Wir haben unter anderem Brands wie Dariadéh, Lovjoi, Wildling, Hessnatur, Sabinna, erlich textil und Vaude befragt, wie sie das Thema (De-)Growth angehen. Außerdem sind Expert*innen in Sachen nachhaltige Geschäftsmodelle zu Wort gekommen, sowie die Co-Founder*innen der innovativen Tech-Tools Yoona.ai und Beawear.ai.

TAKE-AWAYS
  • Die Degrowth-Debatte wird Expert*innen zufolge noch zu nischig geführt.
  • Die meisten der befragten Brands setzen aktuell auf eine Balance zwischen Growth und Degrowth.
  • Innovative Tech-Tools können Degrowth unterstützen und die Ressourcenplanung gezielt verändern.
  • Die Politik muss einen gesetzlichen Rahmen schaffen, um die Degrowth-Debatte branchenweit voranzubringen.

Wissenschaftler*innen warnen davor, dass die bisherigen Bemühungen nicht länger ausreichen, um den Planeten zu retten. Prognosen zeigen: Bei der bisherigen Wachstumsrate sollen die Emissionen der Textil- und Bekleidungsindustrie bis 2030 auf rund 2,7 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr steigen. Um das Pariser Klimaziel von 1,5 Grad zu erreichen, dürfte die Branche allerdings nicht mehr als etwa 1,1 Milliarden Tonnen CO2 jährlich verbrauchen. Expert*innen meinen, dass dieses Ziel ohne Degrowth nicht erreicht werden kann. Bislang wird die Diskussion um das Thema aber noch zu nischig geführt, um eine wirkliche Veränderung zu bewirken. 

„Über Degrowth spricht kaum jemand”, meint Maren Ingrid Kropfeld, unabhängige Wissenschaftlerin im Bereich nachhaltiger Geschäftsmodelle. „Das Konzept scheint auch nach Jahren des akademischen Diskurses für die Praxis nicht anschlussfähig zu sein und das, obwohl wir inzwischen sicher wissen, dass wir unseren absoluten Ressourcenverbrauch drastisch senken müssen.”

Dass Degrowth bei den meisten Unternehmen keine große Rolle spielt, ist gleichzeitig kaum verwunderlich. Vor allem, wenn man bedenkt, dass gerade bei kleinen Unternehmen das Wachstum im Fokus steht – stehen muss. Funding bekommen schließlich nur diejenigen, die ihr Business skalieren können – und das so schnell wie möglich. Unser persönlicher und wirtschaftlicher Erfolg wird seit Jahrhunderten an Wachstum gemessen. Expansion bedeutet Wohlstand. Eine Abkehr von diesem Wirtschaftsmodell würde ein monumentales Umdenken darüber erfordern, wie wir Erfolg und Wohlbefinden definieren. 

„Aktuell findet ein freiwilliger Verzicht auf ökonomisches Wachstum kaum beziehungsweise gar nicht statt und ist aufgrund von Marktdynamiken unattraktiv für kleine Unternehmen wie Slow oder Fair Fashion Labels. Was wir also brauchen, um ,echte’ Postwachstums-Geschäftsmodelle zu fördern, sind die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen und ein Umdenken von quantitativem hin zu qualitativem Wachstum. Dies muss sich anschließend auch in der Art, wie wir Gewinn bilanzieren oder Erfolg definieren, wiederfinden”, meint Kropfeld.

Sie empfiehlt unter anderem eine ökologisch-soziale Steuerreform, bei der Preise auf Energie- und Ressourcenverbrauch steigen, während arbeitsintensive Dienstleistungen und Lohn­zusatzkosten (v.a. Sozialversicherungsbeiträge) sinken. Zudem solle das Kreislaufwirtschaftsgesetz sowie die Elektronikschrottverordnung in Deutschland verschärft und auf möglichst alle Branchen und Produktbereiche erweitert werden.

In meinen Augen ist es unumgänglich, sich vom einzigen Erfolgsfaktor, der Umsatz- oder Gewinnmaximierung zu trennen”, meint auch Madeleine Daria Alizadeh, Gründerin des Labels Dariadéh. „Wir müssen schauen, wie ein Unternehmen nicht nur finanziell stabil, sondern auch langfristig nachhaltig sein kann – und das auf allen ökologischen und ethischen Ebenen.”

Kann die Weltwirtschaft überhaupt entschleunigen? Und wenn ja, wie? 

Der große Wirtschafts- und Gesellschaftswandel

Degrowth beinhaltet eine geplante Reduzierung des Produktvolumens und einen verlangsamten Konsum von Kleidung. Es ist eine Idee, die das globale kapitalistische System kritisiert, das Wachstum um jeden Preis anstrebt. Es mag wie eine enorme Veränderung in der Geschäftsstrategie und im Kaufverhalten der Verbraucher*innen erscheinen, doch Expert*innen sind sich einig: Wir brauchen einen geplanten Rückgang überschüssiger Ressourcen in Nationen mit hohem Einkommen, um die Wirtschaft wieder ins Gleichgewicht zu bringen und gleichzeitig ein ertragreiches Leben für alle zu ermöglichen.

Degrowth dient bei diesem Vorhaben als Oberbegriff. Sei es Arbeitszeitverkürzung, das Verbot von Werbung an öffentlichen Plätzen oder Aktionspläne, um die Herstellung von neuen Produkten zu reduzieren – hinter dem Konzept verbergen sich viele verschiedene Maßnahmen. 

Fakt ist: „Mittel- und langfristig müsste die ganze Industrie so umgebaut und in ihrer Vermarktung so ausgerichtet werden, dass die Produkte so energie- und ressourcenschonend wie möglich konzipiert werden – und gleichzeitig sehr langlebig sind”, erklärt Lars Peters, Pressesprecher der Linken.

„Aktuell findet ein freiwilliger Verzicht auf ökonomisches Wachstum kaum statt.”

Walk the Talk: Degrowth in der Fair-Fashion-Branche

Es gibt keine einzelne Lösung, die das aktuelle Verbrauchsmodell ersetzen könnte. „Degrowth bedeutet für uns nicht zwangsläufig, den Wachstumspfad eines Unternehmens absichtlich umzukehren, sondern sich kritisch mit dem Thema Wachstum auseinanderzusetzen”, erklärt Anna Yona, Gründerin des Minimalschulabels Wildling. „Das Einpreisen sozialer und ökologischer Kosten gehört zu einer differenzierteren und kritischeren Betrachtung von Wachstum ebenso dazu wie positive Beiträge zum Gemeinwohl und eine neue Definition von Wohlstand oder Wohlergehen.”

Sabinna Rachimova, Gründerin des Labels Sabinna sieht das ähnlich. Degrowth bedeutet für sie in erster Linie zu verstehen, was das eigene Unternehmen gerade braucht – wie man sich die richtigen Ziele setzt und diese anschließend umsetzt. „Wir haben genau abgewogen, in welchen Bereichen es Sinn ergibt, langsamer zu wachsen und in welchen Bereichen wir gar Degrowth brauchen. Seitdem ist das Unternehmen viel stabiler geworden.”

Sie erklärt, dass es anfangs vor allem darum ging, von Jahr zu Jahr zu wachsen – und zwar in allen Bereichen des Unternehmens. Ein größeres Team, ein größeres Studio, mehr Produkte, mehr Projekte. Nun setzt Rachimova hauptsächlich auf einzelne Produkte-Drops, die fünf bis achtmal im Jahr passieren, statt zwei große Kollektionen. Zusätzlich versuchen sie und ihr Team mehr Raum für Kollaboration mit anderen Unternehmen und Kreativschaffenden zu bieten.

„Dies ermöglicht uns auch experimentell zu bleiben und Produktgruppen zu testen, die man normalerweise nicht führt. In unserem Fall sind es Dinge wie Keramik, Schmuck oder Kerzen.” So könne man nicht nur voneinander lernen, sondern auch Communitys verbinden und stärken. Ein weiterer Pluspunkt: Kollaborationen benötigen oftmals weniger Budget als neue Produkt-Launches, die man allein stemmen muss. Um finanziell weniger auf physische Produkte angewiesen zu sein, setzt Rachimova zudem auf Beratung als Einnahmequelle. „So unterstützen wir andere Start-ups und Universitäten, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.”

Sabinna Rachimova setzt also auf Growth und Degrowth. „Wir entschleunigen die Anzahl der Produkte, die wir launchen. Gleichzeitig setzen wir auf Growth, was Brand-Awareness und unseren Educational Content betrifft. Ich möchte eine Balance herstellen, die uns meiner Meinung nach bisher gefehlt hat”, so die Designerin.

Degrowth eröffnet ihrer Meinung nach viele Möglichkeiten, die ein endloses Wachstum nie bieten könnte. „Viele Unternehmen, deren Strategien nicht an ein nachhaltiges Konzept gebunden sind, versuchen krampfhaft Nachhaltigkeit zu implementieren. Degrowth kann dabei helfen, die Lieferketten zu vereinfachen und transparenter zu gestalten. Dadurch kann auch das Thema Überproduktion besser ins Visier genommen werden.”

Zudem könne das Konzept helfen, eine gesündere Unternehmenskultur aufzubauen. „Endloses oder zu schnelles Wachstum kann ein Unternehmen auch destabilisieren: Man stellt zu schnell zu viele neue Menschen ein, die aber nicht richtig geschult werden. Man nimmt Projekte an, für die es keine Kapazität gibt”, so die Unternehmerin. In der Modebranche hören sie und ihr Team oft von anderen Gründer*innen, dass sie am Limit sind. Die Erwartung von Jahr zu Jahr zu wachsen, trägt zu einem schlechten mentalen Zustand bei – auch sie selbst hat diese Erfahrung gemacht.

Alternative Geschäftsmodelle zur Neuproduktion

Auch andere Unternehmen versuchen derzeit, die richtige Balance zu finden und Warenströme zu entschleunigen. Madeleine Daria Alizadeh berichtet: „Wir versuchen unter anderem Überproduktion zu vermeiden, unsere Retourenquote zu senken, und bieten sowohl eine Secondhandplattform als auch Reparaturen an. Diese KPIs zu erfüllen, bedeutet manchmal auch weniger zu verdienen. Das muss jedoch nicht zwangsläufig schlecht sein, denn so kann ein Unternehmen sich auch Skaleneffekten entkoppeln”, erklärt Alizadeh. 

Gleichzeitig kooperiert das Label mit dem Einzelhändler Kauf Dich Glücklich, nicht zuletzt um Retouren zu vermeiden. „Durch diese Kooperation wurde die Stückmenge der regulären Order erhöht, aber im Vergleich zum Vorjahr wurde die Menge der SS-Kollektion dennoch etwas reduziert”, erklärt Alizadeh. „Das liegt daran, dass wir Overstock um jeden Preis vermeiden möchten und uns wieder auf Restock konzentrieren.” 

Overstock wird auch bei Lovjoi vermieden. „Wir haben unsere Lagerbestände laufend im Blick – wenn Produkte ausverkauft sind, werden sie nicht nachbestellt. Da wir aber in Dürmentingen auch eine eigene Fertigung haben, können wir dennoch on-demand-Aufträge annehmen”, erklärt Anna-Lena Janisch, Social Media Managerin bei Lovjoi.

Das Outdoor-Label Vaude geht sogar noch einige Schritte weiter und bietet sowohl Reparaturanleitungen als auch Ersatzteile zur eigenen Reparatur an. Zudem hat es seinen Mietservice iRentit für Outdoorprodukte wie Rucksäcke, Zelte und Radtaschen ausgebaut und eine Upcycling-Manufaktur ins Leben gerufen. „Die Herausforderung besteht zunächst darin, ein funktionierendes und benutzerfreundliches Angebot für die Kund*innen zu schaffen und gleichzeitig die Akzeptanz zirkulärer Geschäftsmodelle zu stärken”, so Robert Klauer, zuständig für die Unternehmensentwicklung bei Vaude.

„Die klare Zielsetzung ist, dass sich unsere ressourcenschonenden Geschäftsmodelle mittel- bis langfristig wirtschaftlich rentieren und so zu einer tatsächlichen Kreislaufwirtschaft beitragen. Gleichzeitig ist das zu Beginn vor allem mit Mehraufwand und Kosten verbunden, zum Beispiel durch den Aufbau einer Rücknahmeinfrastruktur für unsere Produkte.” 

Ähnliches berichtet auch Wildling, das aktuell in unterschiedliche Projekte investiert. Das Minimalschuhlabel plant bis 2025 nur noch Materialien aus regenerativem Anbau einzusetzen sowie ein Reparatur- und Recyclingangebot zu schaffen. „Diese Beispiele setzen erhebliche Investitionen voraus und sind damit eine bewusste Entscheidung gegen hohe Profite und schnelleres Wachstum”, so Yona.

Kund*innen sollen künftig die Möglichkeit haben, Schuhe am Ende ihrer Lebensdauer an Wildling zurückzusenden, damit sie (zunächst in Teilen) einem Recyclingkreislauf zugeführt werden können. Dazu setzt das Unternehmen bei den Sohlen bereits zum Großteil auf recycelfähige Materialien. Für die anderen Bestandteile des Schuhs wird aktuell an Kreislauflösungen gearbeitet. „Dazu sind wir im Austausch mit unterschiedlichen Forschungseinrichtungen und Dienstleistern, die auf Faserrecycling spezialisiert sind. Ab nächstem Jahr wird auch ein Teil unserer Stoffe kompostierbar sein“, erklärt die Gründerin.

Es gibt also durchaus einige Ansätze, um Warenströme zu entschleunigen. Maren Ingrid Kropfeld warnt jedoch davor, dass sich manche Aktionspläne nicht immer in die Degrowth-Debatte einfügen. „Solche Strategien können wir zwar unter ,suffizienzfördernd’ verorten, wachstumsfördernd können sie jedoch trotzdem sein.” In anderen Worten: „Wenn Kund*innentreue aufgrund von singulären Anti-Sales-Kampagnen oder Preise aufgrund von hoher Qualität und zusätzlichem Aufwand steigen, senkt das nicht zwingend das Wachstum des Unternehmens.”

Wie Tech-Tools Degrowth unterstützen kann

Können KI-Tools uns beim Thema Degrowth unterstützen? Manche Expert*innen meinen sogar, es ginge nicht ohne. Frauke Link, Gründerin von Beawear.ai, erklärt: Für uns bedeutet Degrowth eine veränderte Ressourcenplanung und genau dabei können Tech-Tools helfen.” Beawear.ai ist eine Fashion-Tech-Lösung, die Bekleidungsmarken dabei hilft, Passformprobleme und Online-Retouren (also auch Kosten und Abfall) zu reduzieren.

Dank 3D-Scan-Technologie können Kund*innen ihren Körper via Smartphone, Tablet oder Laptop scannen. So wird vor dem Kauf die passgenaue Größe empfohlen. Das Label Lovjoi arbeitet bereits mit der Software und bietet den 3D-Scan für seine Essentials-Kollektion an. In Zukunft würden wir die Kleidung nach den Körpermaßen und Wünschen der Kund*innen anfertigen – die Schnittmuster werden aus den 3D-Scans herausgerechnet. So können wir Material noch genauer kalkulieren, noch weniger Abfälle erzeugen und zudem Mode für Menschen mit Körpern jenseits der gängigen Konfektionsgrößen anbieten”, erklärt Anna-Lena Janisch von Lovjoi.

Ein anderes vielversprechendes Tech-Tool: Yoona.aiDieses Automatisierungstool schlägt, anhand von Design-, Verkaufs- und Trenddaten neue Kollektionen, Einzeldesigns, Drucke, Materialien oder Farbkonzepte vor. So können Produktionsmengen angepasst und Überproduktion verhindert werden. Die Teammitglieder, die selbst jahrelang im Bereich Mode und Design gearbeitet haben, stellten folgende Rechnung auf: Bei der Herstellung eines Hemdes fallen je nach Design, Größe und Schnitttechnik durchschnittlich 20–25 Prozent Abfall an. Bei einem Hemdgewicht von 250 Gramm bedeutet dies, dass – anhand des Tools – insgesamt 312 bis 333 Gramm Baumwolle eingespart werden können. Bei 7.200 Prototypen sind das bis zu 2,4 Tonnen Material pro Monat.

„Degrowth wird nur mit einer Kombination aus mehreren kooperierenden Maßnahmen funktionieren”, meint Anna Franziska Michel, CEO und Co-Gründerin des Tools. Modeunternehmen und Technologie müssen zusammenkommen so können Ziele herausgearbeitet werden, um gemeinsam einen Wirtschaftswandel ansteuern.”

„Für uns bedeutet Degrowth eine veränderte Ressourcenplanung und genau dabei können Tech-Tools helfen.”

Wachstum als Impact

Trotz der Degrowth-Debatte, die immer mehr an Wichtigkeit und Dringlichkeit gewinnt, setzen auch viele Fair-Fashion-Brands weiterhin auf Wachstum. „Fair-Fashion-Brands machen leider nur einen sehr geringen Teil der Textilindustrie aus”, meint Lia Polotzek, Referentin für Wirtschaft, Finanzen und Handel beim BUND. „Insgesamt setzt die Branche weiterhin auf Fast Fashion. Deshalb kann von einem allgemeinen Wandel keine Rede sein. Die Zeichen stehen also weiterhin auf Wachstum.“

Um eine wirkliche Alternative zu Fast Fashion zu bieten, versuchen viele Fair-Fashion-Labels ihren Marktanteil zu vergrößern. Dazu gehören beispielsweise Armedangels, Jan ‘n June, Hessnatur und erlich textil mit der Übernahme durch die Calida Group. 

„We gotta grow to matter“, so Kristin Heckmann, Chief Corporate Sustainability Officer bei Hessnatur. „Faire und nachhaltige Mode muss zugänglicher werden, deshalb haben wir uns für About You als Kooperationspartner entschieden – um auch eine jüngere Zielgruppe zu erreichen und für faire Mode zu begeistern.” Die Kooperation zwischen Hessnatur und About You ist langfristig angelegt – die aktuelle Capsule Collection umfasst 47 Teile in den Größen 34 bis 48. „Gleichzeitig vergrößern wir pro Saison den Anteil nachhaltiger Recycling-Materialien, die aus unseren Schnitt- und Garnresten entstehen.”

Bei erlich textil sieht es ähnlich aus. „Wir sehen und sahen noch nie einen Widerspruch zwischen einer nachhaltigen Brand und Wachstum”, erklären Sarah Grohé und Benjamin Sadler von erlich textil. „Für uns bedeutet Nachhaltigkeit eben auch Steuern zahlen, Arbeitsplätze schaffen und einen Impact zu erzielen. Das erreichen wir aber nur, wenn mehr Menschen bei uns einkaufen. An oberster Stelle steht also, dass wir unseren Impact in der Industrie vergrößern und eine wirklich faire und nachhaltige Alternative zu Fast Fashion bieten.” 

Das Unternehmen, das im Februar 2022 durch die Calida Group erworben wurde, möchte weiterhin wachsen, gegebenenfalls aber anders als bisher. Sie setzen jetzt vor allem auf Austausch, Lernprozesse, Synergien und Professionalität. „Durch die Calida Group haben wir in Skalierungsfragen einen Partner gewinnen können, der seit mehreren Jahrzehnten im Bereich Unterwäsche unterwegs ist. In Sachen Wholesale, Lieferkettenmanagement und anderen Wachstumsthemen können wir auf diese langjährige Expertise zurückgreifen. Fehler, die schon mal gemacht wurden, müssen nicht wiederholt werden”, so die Gründer*innen. 

Jan ‘n June gab auf Rückfrage an, sie wollen erst noch mehr über das Thema Degrowth lernen, bevor sie Stellungnahme geben. Armedangels konnte aus Kapazitätsgründen aktuell keine Statements zum Thema liefern.

Business as usual geht nicht mehr

Manche Unternehmen versuchen Growth und Degrowth im Gleichgewicht zu halten, andere wiederum möchten ihren Marktanteil (und so auch Impact) vergrößern. Expert*innen zeigen sich in diesem Zusammenhang jedoch skeptisch. „Die Argumentation, insbesondere von kleineren, weiterhin wachsenden Unternehmen ist stets, dass sie wachsen müssen, um weitere Marktanteile abzugreifen”, erklärt die Wissenschaftlerin Maren Ingrid Kropfeld. „So erhoffen sie sich, die nicht- oder weniger nachhaltige Konkurrenz vom Markt zu verdrängen. In konsolidierten Märkten mag das zum Teil auch der Fall sein, wenn die Branche aber insgesamt wächst, geht die Rechnung nicht auf.”

Schauen wir uns die Branche an, scheint der Marktanteil von Fair Fashion tatsächlich zu wachsen. Der Umsatz von Textilien, die über ein Fairtrade-Siegel verfügen, ist in den letzten zehn Jahren beispielsweise rasant gestiegen. 2011 lag der Umsatz noch bei knapp 16 Millionen Euro, heute sind es fast 200.

Lia Polotzek vom BUND sieht das ähnlich: „Die Fair-Fashion-Branche produziert zum großen Teil neue Kleidung, auch wenn diese nach ökologischen und sozialen Standards hergestellt werden”, erklärt sie. „Degrowth-Maßnahmen würden bedeuten, insgesamt weniger oder mehr recycelte Kleidung zu verkaufen. Das würde natürlich zunächst mal gegen Geschäftsinteressen gehen und ist deshalb unattraktiv für ein einzelnes Unternehmen.“

Die Politik als Rahmen

Die Expert*innen, mit denen wir gesprochen haben, sind sich einig: Die Politik muss einen gesetzlichen Rahmen schaffen, um die Degrowth-Debatte branchenweit voranzubringen. „Durch gezielte Regelungen und ökonomische Anreize stärken wir die Wettbewerbsfähigkeit derjenigen, die heute schon auf nachhaltige Produkte setzen und beteiligen Hersteller an den ökologischen und sozialen Folgekosten ihrer Produkte“, so Jan-Niclas Gesenhues, Bundestagsabgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen.

Er erklärt zudem, dass wir klare gesetzliche Regeln und wirtschaftliche Anreize für die Langlebigkeit, Recyclingfähigkeit und Reparierbarkeit von Textilien brauchen. Gleichzeitig gilt es, verbindliche Minderungsziele für Textilabfälle aufzuerlegen sowie die Vernichtung von Retouren und nicht verkaufter Ware gesetzlich zu verbieten. Zudem begrüßt er sowohl die Sustainable Products Initiative als auch die EU-Strategie für nachhaltige Textilien. „Diese Initiativen unterstützen wir und werden sie in Deutschland konsequent umsetzen.“

Jan-Niclas Gesenhues berichtet, die Bundesregierung sei bereit, nachhaltige und ökologische Geschäftsmodelle gezielt zu unterstützen. „Im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung vorgenommen, auch in der öffentlichen Beschaffung auf ökologische Standards zu achten. Dies gilt beispielsweise für die öffentliche Beschaffung von Arbeitskleidung. Außerdem fördert die Bundesregierung die Vernetzung und die Beratung nachhaltig aufgestellter Unternehmen.” Darüber hinaus schaffe sie Förderangebote über eine Fondslösung für ökologisches Produktdesign und fördere zudem die ökologische Transformation mit dem Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung, der gerade noch einmal um 60 Milliarden Euro aufgestockt wurde.

Ohne absolute Ressourcenreduktion wird die Transformation der Wirtschaft jedoch nicht gelingen. „Die Politik könnte beispielsweise ein Ressourcenschutzgesetz erlassen, das – ähnlich dem Klimaschutzgesetz für Treibhausgasemissionen – absolute Grenzen für den Verbrauch von Ressourcen festlegt”, erklärt Lia Polotzek. „Der Koalitionsvertrag formuliert bereits das Ziel, den primären Rohstoffverbrauch zu senken und sieht vor, den rechtlichen Rahmen in diesem Zusammenhang anzupassen.“

Wir schaffen Degrowth nur gemeinsam

Halten wir fest: Degrowth bietet einen Rahmen für den Übergang von unserer auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaft, doch der Erfolg hängt von internationaler Zusammenarbeit, staatlicher und geschäftlicher Rechenschaftspflicht sowie individuellem Handeln und einem Gefühl der Dringlichkeit ab. Die Kooperation mit der Regierung, um den Wandel voranzutreiben, ist (wie so oft) leichter gesagt als getan. 

„Die Zivilgesellschaft muss Druck ausüben, damit politische Ziele kein leeres Versprechen bleiben. Die Fair-Fashion-Branche wäre hier ein guter Verbündeter. Gemeinsam könnte auf die Politik eingewirkt werden, damit es zu einem spürbaren Wandel kommt“, so Lia Polotzek. Es gilt also, radikale Fragen zu stellen – auch oder vor allem in der Fair-Fashion-Branche. Wir müssen gemeinsam nach Lösungen suchen, um die Klimaziele einzuhalten.

Titelbild: Hong Nguyen via Unsplash

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