Was ich in 6 Monaten in New York über Nachhaltigkeit und Fair Fashion gelernt habe

Vor sechs Monaten habe ich meinen CO2-Fußabdruck erfolgreich mit einem Langstreckenflug nach New York ruiniert, um ein Praktikum bei einem Strickmaschinenbauer zu machen. Heute berichte ich, was ich in dem halben Jahr über faire Mode und Nachhaltigkeit gelernt habe.

Der globale Blickwinkel

Seit 2015 studiere ich an der Hochschule Reutlingen Textilingenieurswesen. Für mein Praxissemester habe ich mich dazu entschieden. dem deutschen Strickmaschinenbauer Stoll über die Schulter zu schauen, und zwar in deren North American Operations Zentrale. Warum der amerikanische Standort der Firma? Ich hatte das Bedürfnis, die globale Textilindustrie von einer anderen Seite der Erdkugel aus zu betrachten. Und wo ginge das besser als im „Epizentrum“ New York City?

Ich bin der Meinung, dass man eine Industrie erst konventionell verstehen muss, um wirklich zu einer langfristigen Veränderung in Sachen Nachhaltigkeit beitragen zu können. Und diese konventionelle Industrie habe ich in den letzten sechs Monaten in ihrer ganzen Pracht erleben dürfen. Aber nicht nur das, ich habe gleichzeitig versucht, meinen nachhaltigen Lebensstil in New York City weitestgehend beizubehalten und hatte dabei einige Aha-Momente.

Learning 1: New York City ist nicht gleich USA

Das schreibe ich zu Beginn, weil ich nicht über andere Regionen in den USA auf Basis meiner Erfahrungen in New York City urteilen will. New York ist eine Welt für sich und so divers aufgestellt, dass es (im Gegensatz zu manchen Klischees in Filmen) natürlich nicht nur KFC und Soda gibt. Im Gegenteil: Ich persönlich finde, dass es mit einigen Kompromissen relativ gut funktioniert, sich in NYC seinen Lebensstil zurecht zu legen. Pflanzlich basierte Milch gibt es an jeder Ecke, genauso wie andere vegane Optionen. Es ist nicht komisch, einen Hafermilch-Kaffee mit einem veganen Muffin zu bestellen, sondern in vielen Teilen der Stadt eine ziemlich normale Bestellung. Wenn man einigermaßen mit Google Maps umgehen kann, unabhängig ist, und ab und an etwas Geduld mitbringt, ist es relativ unproblematisch, beispielsweise vegan durchs Leben zu kommen.

Learning 2 : Wir sind in Deutschland ganz schön verwöhnt

In Deutschland ist es wahnsinnig einfach, an regionale und biologisch angebaute Lebensmittel zu kommen. In ganz New York gibt es nur eine handvoll Wochenmärkte. Man muss also ganz schön ambitioniert sein, um da regelmäßig hinzugehen. Auch Bio-Lebensmittel in Supermärkten sind so eine Sache, weil eigentlich niemand Ketten wie „Whole Foods“ traut, die inzwischen von Amazon-Gründer Jeff Bezos gekauft wurden und anscheinend nur zertifiziertes Obst und Gemüse verkaufen. Und insgesamt ist der/die New Yorker*in auch eigentlich nicht gewillt, zusätzlich zu den horrenden Mietpreisen noch unglaubliche Summen für Obst und Gemüse auszugeben. Da wären wir auch schon bei den oben genannten Kompromissen angelangt: vegan, regional und biologisch einzukaufen, hab ich mir ziemlich schnell aus dem Kopf gestrichen und primär darauf geachtet, plastikfrei einzukaufen. Wo wir schon beim nächsten Learning wären.

Learning 3 : Die USA liebt Plastik, Müll und To-Go

Das Klischee bestätigt sich: Plastik überall. Ich habe nach einiger Zeit Orte gefunden, an denen ich die Tatsache umgehen konnte, dass es ganz normal ist, selbst in Cafés das Getränk im To-Go Becher und das Essen oft mit Plastiklöffel in Plastikverpackung serviert zu bekommen. Ein ziemlicher Schock zu Beginn, aber ich habe dann schnell angefangen (wie in Deutschland auch) immer einen To-Go Becher und ein Besteck-Set einzupacken. Tatsächlich habe ich dann auch bei neun von zehn Läden positive Reaktionen erhalten, wenn ich gefragt habe, ob sie meinen eigenen Becher oder meine eigene Tupperware verwenden könnten. In vielen Kaffees gibt es sogar Rabatt, wenn man seine eigenen Sachen mitbringt.

Aus meiner deutschen Blase hat mich die Tatsache gerissen, dass das Thema Kompost in New York so gar kein Thema ist. Klar, das ist in einer Großstadt schwerer umzusetzen, aber Mülltrennung und die braune Tonne sind wirklich Fremdwörter, die gerade erst langsam durch Aktionen wie City Gardening neu entdeckt werden, bei dem New Yorker*innen ein kleines Beet in einem öffentlichen Garten mieten können, um ihr eigenes Obst und Gemüse anzubauen.

Allgemein hatte ich das Gefühl, dass nicht unbedingt Plastik an sich das Problem ist, sondern die Wertschätzung für Lebensmittel und Konsumgüter. Ich habe noch nie eine derartige To-Go- und wegwerf-affine Kultur wie in New York City erlebt. Sich hinsetzen und Zeit nehmen, den Salat aus einem Teller mit einer richtigen Gabel zu essen, ist dort ein wirklich seltenes Phänomen. Während wir in Deutschland auf einer Firmenfeier Sekt in Gläsern ausschenken, gibt es den in NYC in Plastik-Sektgläsern. Das, was bei uns eher ein Armutszeugnis für das jeweilige Event oder ein Restaurant wäre, ist in NYC ganz normal. Da fehlt für mich, die Wertschätzung für das zu konsumierende Produkt, denn Getränke und Essen in Single-Use-Plastik ist lieblose Massenabfertigung.

Ich finde es aber dennoch wichtig, an dieser Stelle anzumerken, dass wir nicht groß über diese Problematik urteilen und mit dem Finger darauf zeigen dürfen. Wenn man mal im Vergleich den Pro-Kopf-Verbrauch von Plastikstrohhalmen jährlich betrachtet, liegt Deutschland nur knapp hinter den Vereinigten Staaten. Das mit dem Plastik und den Lebensmitteln ist echt krass und schockierend, aber mal einen nüchternen Blick auf Deutschland geworfen, stehen wir da in vielerlei Hinsicht nicht viel besser da. So wie in Deutschland, gibt es auch in New York ganz viele tolle Menschen, die sich für eine grünere Zukunft einsetzten. Es gibt aber auch genauso viele Menschen, denen das vollkommen egal ist oder die einfach nicht die Zeit, Motivation oder Prioritätensetzung für das Thema haben. Und das eben bei einer Bevölkerungsdichte von etwa 10.400 Einwohnern/km², was dem Ganzen eine ganz andere Intensität verleiht und oftmals Kompromisse mit sich bringt.

Learning 4 : Die Textilindustrie steht kurz vor dem Kollaps

Das ist keine neue Erkenntnis, aber selbst mal sechs Monate für die konventionelle Industrie gearbeitet, Überstunden während der Fashion Week geschoben, und mit international anerkannten Designer*innen in Meetings gesessen zu haben, gibt einem einen differenzierten Blick darauf, wie groß der Anteil aus billig produzierter Plastikkleidung ist, die dem ohnehin schon übersättigten Markt den letzten Rest geben wird. Das klingt jetzt unglaublich pessimistisch, aber es kann doch nicht sein, dass der Markt nur dann vorrübergehend stagniert, wenn medial verbreitete Unglücke wie Rana Plaza passieren!?

Spätestens seit die Highend- und Premium-Modebranche, die eigentlich noch gut in Sachen Wertschätzung bei Schnittkonstruktion, Material, Qualität und Produktionsstandort war, nun auch vier bis fünf Kollektionen statt klassisch zwei im Jahr herausbringt und gesammelt ihre Produktionsstandorte outgesourced hat, habe ich die Hoffnung auf eine freiwillige Veränderung innerhalb der konventionelle Modeindustrie verloren.

Es geht nur noch darum, so zu tun, als wäre ein 100% Acryl Pullover, der unter unwürdigen Bedingungen produziert wurde, Haute Couture. Die Social Media Welt feiert das und so hat kaum ein*e Influencer*in bemerkt, dass die New Yorker Brand DYNE „Save Us“ in sieben verschiedenen Sprachen auf ihre Kollektion geschrieben hat, um während ihrer Show auf die Missstände in der Industrie aufmerksam zu machen. So weit sind wir mit der Awareness also.

Auch wenn ich oft denke, dass sich etwas tut, bekomme ich als angehende Textilerin nicht selten eine Existenzkrise, wenn ich die Fashion Week in New York erlebe, die Statistiken über steigende Verkaufszahlen von Fair Fashion sehe und all die Meetings mit der Industrie im Hinterkopf habe. Ich beobachte immer mehr, wie sich an Kleinigkeiten aufgehangen wird, anstatt das große Ganze und die wirklichen Probleme der Industrie im Blick zu haben. Eine Greta Thunberg beispielweise muss sich rechtfertigen, wenn auf einem Foto Plastik zu sehen ist, während sie auf dem Weg zu einer Klimakonferenz ist und wirklich etwas verändern will. Ich würde jetzt mal ganz provokant in den Raum werfen, dass niemand in der westlichen Welt zu 100 Prozent ein ökologisch einwandfreies Leben führt, dafür ist unser Lebensstandard einfach zu hoch. So eine Kritik ist daher meist nur der Spiegel für die eigene Unzufriedenheit. Lasst uns doch lieber reflektiert und wissenschaftlich basiert diskutieren!

Learning 5 : Jede Blase hat ihre eigenen Kontraste

Sechs Monate waren ehrlich gesagt zu wenig, um irgendwie in der New Yorker Nachhaltigkeits-Community Fuß zu fassen. Deshalb ist es schwer, fundiert darüber zu schreiben. Es gibt aber ein paar Eindrücke, von denen ich erzählen möchte.

Einen Gänsehautmoment hatte ich definitiv, als ich das erste mal in Laura Singers (bekannt durch ihren Blog “Trash is for Tossers”) “Package Free Shop” in Brooklyn stand. Es ist so beeindruckend, was diese Frau, umgeben von der New Yorker Wegwerf-To-Go-Gesellschaft, auf die Beine gestellt hat.

Ein eher amüsanter und gleichzeitig auch schockierender Moment war ein Event zum Thema „Sustainability in Fashion“, bei dem eine Designerin während einer Paneldiskussion sehr überzeugt davon erzählte, dass sie mit recycelten Fasern aus Plastikmüll arbeitet und gleichzeitig eine Nestlé-Wasserflasche in der Hand hielt. Auf dem Event wurde übrigens Wein in Plastikgläsern ausgeschenkt.

Ich glaube, der Kontrast ist vor allem enormer. Damit meine ich die Spanne zwischen aktiven Personen, die wirklich etwas bewegen wollen, und denen, die die  Nachhaltigkeitsthematik noch nicht ganzheitlich verstanden haben.

Die Diskussion innerhalb der Szene über Diversität in Bezug auf Hautfarbe und kultureller Herkunft, ist hingegen um einiges zentraler als bei uns. Das liegt vor allem an den vielen Kulturen, die in New York und den Vereinigten Staaten an sich aufeinandertreffen. Zusätzlich zu Veranstaltungen, die Fair und Slow Fashion populärer machen sollen, werden noch mehr Veranstaltungen organisiert, die die rein kulturelle Inklusion von beispielsweise Afro Amerikaner*innen in der nachhaltigen Szene thematisieren. Man trifft also auf sehr viel Diskussionen innerhalb der nachhaltigen Szene, die ich so Deutschland nicht gewohnt bin.

Und was nehme ich jetzt mit nach Deutschland?

Sechs Monate New York haben mich gelehrt, vor lauter Perfektionismus in der Nachhaltigkeitsblase nicht das Bigger Picture aus den Augen zu verlieren. Außerdem war es wirklich wichtig, mich mal wieder aus meiner Komfortzone zu begeben und in den Realitätsschock zu stolpern, an dem ich manchmal so elegant vorbeilebe.

Nachdem ich so eine intensive Zeit in einem anderen Land hinter mir habe, merke ich immer, dass es meist der Sprung ins kalte Wasser ist, der mich aus meiner Blase holt und mir einen klareren Kopf verschafft. In meinen Koffer gepackt habe ich also die Motivation, keinen Auslandsaufenthalt zu brauchen, um meine Komfortzone zu verlassen und einen differenzierten Blick auf die Dinge zu bekommen.

Wart Ihr schon einmal in New York? Welche Erfahrungen habt Ihr dort in Sachen Nachhaltigkeit und Fair Fashion gemacht?

Fotos: (c) Franziska Uhl

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

2 Antworten auf „Was ich in 6 Monaten in New York über Nachhaltigkeit und Fair Fashion gelernt habe“

Liebe Franzi – vielen lieben Dank für diesen ausführlichen und spannenden Artikel. Habe ihn geradezu verschlungen und hänge teilweise auch dem gedanken nach, ob sich eigentlich jemals was am grossen ganzen ändert wird. Und mit nachhängen meine ich, dass ich des öfteren den glauben an die menschheit verlieren möchte, wenn ich sehe, welche absurden dinge da draussen in der welt abgefeiert oder glorifiziert werden. Aber zurück zum Thema: Als ich nach dem Abitur für ein Jahr an der amerikanischen Ostküste als Au Pair gearbeitet habe, hatte ich ebenfalls einen kulturschock im Bezug auf den Umgang mit Lebensmitteln und Müll. IN meiner gastfamilie war es ganz normal, abends von Papptellern zu essen statt die teller aus dem Schrank zu holen (und danach in eine der zwei spülmaschinen zu stecken, denn der haushalt war koscher). mit Frischen Lebensmitteln kochen – fehlanzeige.bei meinen au-pair-freundinnen im umkreis sah es leider ähnlich aus und wir waren im kollektiv sprachlos (und haben versucht, änderungen zu inspirieren). vielen dank für den grossen einblick in deine zeit fernab der blase und für deine motivation und stimme, weiterhin grosse und kleine veränderungen anzuregen. freu mich schon, dich bald in stuttgart zu sehen (wir sehen uns doch, oder?)

LIebe Franzi. Ohja das kann ich mir gut vorstellen! Die Diskussion hatte ich in unserem OFfice auch mit Pappbechern statt Tassen, weil die müsse man ja dann Spülen..
In Stuttgart bin ich auf jeden fall! Freue mich schon 🙂