Was passiert, wenn du “Aufräumen mit Marie Kondo” kritisierst

Wir können es nicht oft genug sagen, wir sind in allererster Linie Fashion Changers, weil wir einen gesellschaftlichen Diskurs anregen wollen. Der Mittelpunkt dieses Diskurses: unser Kleiderschrank. Denn die unschöne Kehrseite der Modeindustrie ist ein Geschäft mit Ressourcen, Billigarbeitskräften und einer Wegwerfmentalität, wie wir sie noch nie erlebt haben.

Und was hat das jetzt alles mit Marie Kondo zu tun, die Millionen von Menschen mit ihrer herzlichen Art verzaubert?

In der Netflix-Serie “Aufräumen mit Marie Kondo” zeigt ebendiese auf sehr sympathische Art und Weise, wie man die Unordnung im eigenen Haus in den Griff bekommen kann. So hat die berufliche Aufräumerin Kondo eine eigene Methode, die sogenannte KonMari-Methode, entwickelt, um wirklich nachhaltig auszumisten. Sie verspricht, wenn du erst einmal Ordnung schaffst, bringst du auch Ordnung in dein ganzes Leben. Dass das nur in Ansätzen stimmt und nicht bei jedem gleichermaßen funktioniert, haben schon so manche Psycholog*innen mittlerweile ergründet. So beschreibt Psychologin Sandra Jankowski bei LN Online zum Beispiel, dass nicht das Ausmisten per se glücklich mache, sondern eher das Erreichen der gesteckten Ziele und diese Trigger auch mit anderen Erlebnissen, wie Leistungssport, erreicht werden könne.

An diesem Punkt setzen wir an und verkünden bei Instagram, dass wir, neben all den positiven Effekten des Marie Kondo-Hypes, wie der achtsamere Umgang mit Dingen oder eine minimalistischere Lebensweise, auch Schwierigkeiten sehen. Gerade dass es vielen Menschen eben nicht um Minimalismus, sondern nur darum geht, diese Zielerreichung zu genießen, sorgt bei uns für Unbehagen. Am Ende einer jeden Folge “Aufräumen mit Marie Kondo” stapeln sich große, schwarze Müllsäcke voll mit allerlei Hab und Gut. Wir wissen natürlich, dass nicht jeder dieser Müllsäcke so in der Tonne landet, sondern dass eben auch einige der Teile gespendet werden.

Aber die Grundproblematik bleibt, wir werfen Dinge weg, um unser Leben in Ordnung zu bekommen und denken viel weniger darüber nach, was der Auslöser für diese Unordnung ist. Die Serie gibt keine Antworten auf unser maßloses Konsumverhalten, das sich über die letzten Jahrzehnte quasi perfektioniert hat. Es wird nicht darauf hingewiesen, dass die Probleme nicht in den Dingen liegen, die uns Freude bereiten und für die wir dankbar sein sollen, sondern in unserer exzessiven Überflussgesellschaft.

Bei Instagram machen wir also darauf aufmerksam, dass entscheidende Fakten, sowohl in der Serie als auch auf dem basierenden Buch “Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen ihr Leben verändert”, nicht aufgegriffen werden. Zum Beispiel die Tatsache, dass wir einfach insgesamt weniger konsumieren müssen und nicht alles einfach entsorgt werden kann. Dass wir generell einfach weiterdenken sollten als nur an unsere Befriedigung nach einer Aussortier-Aktion, denn natürlich kennen wir alle die befreiende Wirkung eines aufgeräumten Zuhauses. Das ist nicht der Punkt. “Aufräumen mit Marie Kondo” beschreibt ein Symptom, keine Lösung. Und dafür sind wir den Macher*innen eigentlich auch schon wieder dankbar. Denn tatsächlich regt die Serie damit auch zum Diskurs an, den wir mehr als begrüßen.

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Marie Kondos world summarized in one picture. 🙄 Don’t get us wrong. We love the idea of getting an overview about the things you have (and need!). But the @netflix series „Tidying Up With Marie Kondo“ promotes a world full of trash bags and supports the throw-away-culture. We think there is something important missing: the fact that every single one of us consumes too much and everything can be thrown away anytime. We need to think deeper. If we want to make a change in our lives (and for the better) we need to rethink our wardrobes and choose sustainable options right from the beginning. This is when change really happens and things (and clothes) start to spark joy. ✨😉 How do you think about it? [german] Mit der @berliner_zeitung haben wir ebenfalls über diese Wegwerfproblematik gesprochen und stattdessen Tipps für einen fairen Kleiderschrank gegeben. Den Artikel verlinken wir euch in der Story. Pic via @fashiontakesaction #letschangethatfashiongame #tidyingupwithmariekondo #throwawayculture #rethink #consciousliving #wardroberevolution #fashionchangers

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Marie Kondo-Befürworter*innen lassen nicht lange auf sich warten und halten dagegen. Marie Kondo würde tatsächlich im Leben vieler etwas verändern. Und dieser erste Schritt sei wichtig, damit langfristig eine Konsumänderung passieren kann.

“(…) insgesamt glaube ich, dass die Serie im besten Fall positive Auswirkungen auf die Art des Konsums von vielen Menschen haben könnte.”

“She thanks all the things in your house and NEVER gives the advice to restock all your given-away things with other things.”

“Maybe I am naive but I see it as a positive direction to a society with less consumerism and more focus on value.”

“Ich finde, wir werden durch die Technik von Marie bewusster im Umgang mit Konsum.”

Was wir jedoch aktuell sehen, sind Tausende von Menschen, die ihr altes Hab und Gut in Müllsäcke stopfen mit dem Versprechen glücklicher zu werden. Dass die Suche nach Glück jedoch weder im Konsum noch im Wegwerfen liegt, wird mit keiner Silbe erwähnt. Das viel beschworene Glück und die große Zufriedenheit könnten vielleicht eintreten, wenn ganz generell über den Umgang mit Ressourcen, das eigene Konsumverhalten und die Verknüpfung von Emotionen mit Kaufentscheidungen nachgedacht werden würde. Doch dazu kommt es weder im Buch noch in der Serie. Hierfür werden keine Antworten gegeben. Man kann natürlich argumentieren, dass das nicht Marie Kondos Expertise und deshalb auch nicht der Fokus ihres Buchs ist. Point taken. Aber spätestens bei der Produktion der Serie, die immerhin vier Jahre nach Erscheinen des Buchs ausgestrahlt wird, hätten die Produzent*innen sich bewusst dafür entscheiden können, diesen Fragen mehr Raum zu geben. Denn wir brauchen Antworten auf diese drängenden Fragen, wenn wir tatsächlich Bewusstsein schaffen wollen.

David Hugendick schrieb zum Thema des neuerdings allseits beliebten Minimalismus-Trends bereits 2016, nach dem Erfolg von Marie Kondos Buch, in der Zeit: “Was allerdings als Postmaterialismus ausgegeben werden soll, also die Abkehr vom Besitztum, ist lediglich verdichteter Materialismus, der nicht mehr fragt “Wie viel?”, sondern “Wovon?”.”

Die Zahlen sprechen für sich

2014 erschien Kondos Buch “Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen ihr Leben verändert”. Es wurde mittlerweile in 27 Sprachen übersetzt und weltweit über sieben Millionen Mal verkauft. Ein Bestseller. Der Start einer bewusste Konsumbewegung? Wohl kaum. Greenpeace teilt mit, dass seit dem Aufstieg von Fast Fashion Menschen doppelt so viel Kleidung kaufen als noch vor der Jahrtausendwende. Ein trauriger Aufwärtstrend. Laut einer Umfrage hatten die Deutschen 2016 rund 5,2 Milliarden Kleidungsstücke in ihren Schränken, wovon 40 Prozent nie getragen werden. Viele der unerwünschten Kleidungsstücke landen im Mülleimer. Fast die Hälfte der Befragten(!) hatte in den letzten sechs Monaten Kleidungsstücke weggeworfen. US-Bürger*innen entsorgen jährlich rund 10,5 Millionen Tonnen Kleidung.

Und mit Entsorgen meinen wir nicht zur nächsten Kleiderspende bringen oder an Secondhand-Shops geben, sondern tatsächlich einfach in den Müll werfen. Denn auch dieser Punkt wird vermehrt angesprochen, dass es doch toll sei, dass all die aussortierten Dinge, die ja oftmals noch mehr als gut sind, endlich jemand anderem “in need” noch ein bisschen Freude bereiten. Win-Win für alle also?

Für uns geht diese Rechnung nicht auf. Zumal es auch eine mehr als privilegierte Sichtweise ist. Denn nur, wer wirklich viel hat, kann auch viel weggeben. Noch dazu ist der Markt an Secondhand-Kleidung mittlerweile mehr als gesättigt. Längst wird mehr Wegwerfmode produziert als Bedürftige überhaupt tragen können. So gibt das Berliner Rote Kreuz auf unsere Nachfrage diese Woche an, dass gewisse Kleidungsstücke immer händeringend fehlen, während andere im Überfluss vorhanden sind. Regina Radke-Lottermann vom DRK Berlin erklärt uns: “Da der größte Anteil der Kleiderspenden aus Damenbekleidung besteht, fehlen uns genügend Kleiderspenden für Herren.”

Und auch der Aufstieg der Fast Fashion-Industrie ist ein generelles Problem für die Weiterverwendung von Kleidungsstücken. “Leider sinkt in den letzten Jahren durch den „Fast-Fashion-Trend“ die Qualität der gespendeten Kleidung – parallel zur Qualität in den Fashion-Ketten, die zunehmend auf eine kürzere Haltbarkeit ihrer Kollektionen setzen.”, so Radke-Lottermann weiter.

Was außerdem auffällt, wenn man sich ein wenig durch die Social Media-Kanäle diverser KonMari-Anhänger*innen wühlt, die Serie regt unermüdlich dazu an, neue Dinge zu kaufen. Dinge, die das Sortieren leichter machen. Dinge, in die wir andere Dinge verstauen können. Dinge, in die wir die aussortierten Dinge packen können usw. Besonders auffällig dabei, der Konsum dieser Dinge, um Dinge zu verstauen etc., wird überhaupt nicht hinterfragt oder bewertet. So ist zum Beispiel absurder Weise der Secondhand-Laden nur etwas für Bedürftige. Nicht ein Gedanke daran, zum Beispiel Aufbewahrungskästen gebraucht zu kaufen oder die aussortierten Kleidungsstücke vielleicht an eine liebe Freundin zu verschenken.

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Wir kommen also nicht umhin, grundsätzlich über unseren verschwenderischen Umgang mit Kleidungsstücken nachzudenken. Denn so schön und gut gemeint Marie Kondos Ansätze auch sein mögen, am Ende des Tages sind sie nur ein Tropfen auf den heißen Stein unseres Konsumwahnsinns.

Titelbild: © Screenshot Netflix “Aufräumen mit Marie Kondo”

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