Als der Grüne Knopf 2019 eingeführt wurde, war die Modebranche noch eine andere: kein Corona, keine Zeitenwende, keine Inflation – und keine Regulierungen. Und es war eine Zeit, in der nachhaltigere Mode rückblickend eine Art Momentum erlebte. In den letzten fünf Jahren trugen mehr als 100 Unternehmen den Grünen Knopf, 27 waren es bei der Einführung, derzeit sind es 58, darunter Tchibo, Vaude, Lidl. Fair-Fashion-Marken wie Mela und 3Freunde bleiben als Träger des Siegels die Ausnahme. Die Gründe, warum sich einige Unternehmen gegen eine erneute Zertifizierung entschieden haben, sind laut der Geschäftsstelle Grüner Knopf sehr unterschiedlich.
Laut einer im Juli 2024 durchgeführten repräsentativen Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Konsumforschung kennen 47 Prozent der Befragten den Grünen Knopf, er liegt demnach auf dem 3. Platz der bekanntesten Textilsiegel. 85 Prozent der Befragten finden es außerdem richtig, dass die Bundesregierung mittels eines staatlichen Siegels die Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards in der Textilindustrie überprüft. Insgesamt wurden bisher über 426 Millionen Grüner-Knopf-Textilien verkauft. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 gingen 16 Millionen Textilien mit dem Fairtrade-Siegel über die Ladentheke.
Bekanntheit sagt erst mal wenig über Qualität aus. Wie viel Impact hat das staatliche Textilsiegel also wirklich?
Die Prüfkriterien des Grünen Knopfs kombinieren soziale und ökologische Anforderungen, die alle drei Jahre überprüft werden:
1. Unternehmensprüfung
Ob ein Unternehmen seine unternehmerischen Sorgfaltspflichten einhält, prüft der Grüne Knopf durch eine unabhängige Zertifizierungsstelle. Unternehmen müssen Risiken entlang ihrer Wertschöpfungskette analysieren, Präventionsmaßnahmen zur Risikominderung implementieren, Beschwerdemechanismen einrichten und Berichtspflichten erfüllen. Die Grundsatzerklärung basiert auf den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und dem OECD-Leitfaden für Textilien.
2. Produktzertifizierungen
Das Produktsiegel umfasst Umweltanforderungen beim Bleichen und Färben sowie Sozialstandards in der Konfektion. Ab 2026 soll die Überprüfung der Rohstoffgewinnung verbindlich sein. Garn- und Stoffherstellung sowie End-of-Life-Phase werden weiterhin nicht berücksichtigt.
Als Metasiegel prüft der Grüne Knopf die Produktanforderungen nicht selbst, sondern stützt sich auf andere Standards wie den Global Organic Textile Standard oder eine Zertifizierung der Fair Wear Foundation bei der Konfektion. Diese Standards sind teils umstritten, etwa Cotton made in Africa und OEKO-TEX® STANDARD 100.
Grüner Knopf 2.0 – erste verbindliche Schritte mit Blick auf Rohstoffgewinnung und Existenzlohn
Mit den Neuerungen des Grünen Knopfs 2.0 im August 2022 wurden erstmals Anforderungen an die Rohstoffgewinnung sowie den Faser- und Materialeinsatz gestellt, die ab 2026 verbindlich sind. Diese recht lange Übergangsfrist begründet die Geschäftsstelle Grüner Knopf mit den verschiedenen politischen Regulierungen im Textilsektor auf EU-Ebene. „Wir wollen verhindern, dass wir mit den Anforderungen des Grünen Knopfs falsche Anreize setzen, die gegebenenfalls nicht mit den gesetzlichen Anforderungen übereinstimmen und dabei auch die Produzent*innen in der Lieferkette unnötig belasten.“
Neu verankert in der Grundsatzerklärung des Grünen Knopfs 2.0 ist das Thema existenzsichernde Löhne. Bisherige Versuche, sich diesem gleichwohl wichtigen und herausfordernden strukturellen Thema anzunehmen, sind bisher gescheitert: Der Fairtrade-Textilstandard arbeitet seit einigen Jahren ohne nennenswerte Erfolge an der Einführung von Existenzlöhnen und die EU-weite Kampagne „Good Clothes, Fair Pay“ der European Citizen Initiative wurde nur 240.000 Mal unterschrieben und verfehlte damit das Ziel von einer Million Unterschriften.
Wie will sich der Grüne Knopf also dafür einsetzen, existenzsichernde Löhne durchzusetzen?
Unternehmen erarbeiten Strategien zur Förderung von Existenzlöhnen
Beim genaueren Hinsehen geht es darum, dass Mitgliedsunternehmen das Thema in ihre Grundsatzerklärung aufnehmen und (wie etwa beim GOTS) die Lohnlücke zwischen gezahlten Löhnen und existenzsichernden Löhnen analysieren, um eine Strategie mit konkreten Maßnahmen zur Förderung existenzsichernder Löhne zu erarbeiten, deren Umsetzung nach zwei Jahren Erfolge aufweisen müssen. Dies gilt vorerst nur auf Ebene der Konfektion in sogenannten Risikoländern. Konkrete Maßnahmen sollen erst bei der weiteren Überarbeitung des Standards erfolgen.
Spürbare Veränderungen durch diese Absichtserklärung gebe es bisher noch nicht, meint Dr. Gisela Burckhardt von FEMNET e.V. und fügt hinzu: „Einzelne Unternehmen gehen aber voran, sie zahlen mittlerweile einen annähernd existenzsichernden Lohn. Das betrifft aber nicht die Discounter und die Masse der Fabriken.“
Welche Rolle spielt der Grüne Knopf im Handel?
Textilsiegel sind bei Weitem nicht perfekt und decken viele Bereiche wie Gewerkschaftsvereinigung und geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz nicht ab. Deshalb ist es wichtig für Unternehmen, Textilsiegel nicht als Alleskönner auszuloben.
Für Verbraucher*innen sollten Textilsiegel vor allen Dingen als erste Orientierung dienen. Lars Wittenbrink, Inhaber des Eco Fashion Concept Stores Gruene Wiese, sieht ein Metasiegel für Konsument*innen ohne viel Hintergrundwissen als nützlich an, betont jedoch, dass es einen soliden Mindeststandard setzen müsse, ähnlich dem staatlichen Bio-Siegel für Lebensmittel. Da der Grüne Knopf Materialien wie konventionelle Baumwolle oder PFC-basierte Imprägnierungen nicht ausschließt, hält er das Siegel noch für unzureichend. „Mit dem Einbezug der Faserebene wird der Grüne Knopf ab 2026 hoffentlich weniger Greenwashing-anfällig.“ Gruene Wiese führt keine Produkte mit dem Grünen Knopf. „Es fragt auch niemand danach.“ Am Bekanntesten seien seinen Kund*innen GOTS, Fair Wear Foundation und Fairtrade.
Marc Ramelow, Geschäftsführer des Multibrand-Retailers Ramelow, der neben Patagonia und Vaude überwiegend konventionelle Marken wie Adidas und Calvin Klein führt, schätzt, dass maximal ein bis zwei Prozent der Produkte im Sortiment den Grünen Knopf tragen. Für einen Kaufentscheid seien Siegel hilfreich, aber nicht entscheidend. „Wenn der Grüne Knopf mehr Marktstärke hätte, würden sich die Kund*innen und der Markt daran ‚gewöhnen‘, aber das ist bislang nicht gelungen.“
Jan Thelen, Gründer der Fair-Fashion-Modemarke Recolution, kritisierte 2019 die lückenhafte Einführung des Grünen Knopfs öffentlichkeitswirksam im Spiegel. Fünf Jahre später ist das Siegel immer noch nicht im Sortiment. Aus Thelens Sicht habe das Textilsiegel zwar Fortschritte gemacht, zentrale Schwachstellen bleiben bestehen. Er bemängelt unter anderem die anhaltenden Missstände am Anfang der Lieferkette, die bloße Absichtserklärung für existenzsichernde Löhne und fehlende internationale Anerkennung. „Für mich ist der Grüne Knopf noch nicht stark genug, um das Vertrauen zu rechtfertigen, das Verbraucher*innen ihm entgegenbringen sollen.“
Made in Myanmar – Wie vertrauenswürdig ist der Grüne Knopf?
Besondere Aufmerksamkeit erlangte der Grüne Knopf, als im Dezember 2023 eine Recherche von Flip und Spiegel aufdeckte, dass ein mit dem Siegel ausgezeichnetes Kleid von Lidl in der Militärdiktatur Myanmar produziert wurde. Laut der Recherche gab es bei Lidls Lieferanten Beschwerden über Arbeits- und Menschenrechtsverstöße. Lidl lehnte einen Rückzug aus Myanmar ab, bis die Recherche veröffentlicht wurde.
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Gewerkschaften forderten einen Rückzug aus Myanmar
Seit dem Militärputsch 2021 berichteten Medien und NGOs von gravierenden Missständen mit Blick auf die Arbeitsbedingungen in Myanmar. Gewerkschaften, darunter die Gewerkschaft Industrial Workers Federation of Myanmar, riefen internationale Konzerne dazu auf, ihre Produktion in Myanmar zu beenden. Viele Gewerkschafter*innen wurden systematisch verfolgt, misshandelt und ermordet. Die Initiative ACT on Living Wage stellte die Arbeit der lokalen Mitgliedsgewerkschaften 2021 ein, da sie in Myanmar nicht mehr frei arbeiten konnten. Im Juli 2023 forderte der Gewerkschaftsbund IndustriALL Textilunternehmen schließlich zum Rückzug auf, woraufhin H&M und Inditex ihre Produktion einstellten.
Tchibo zog sich 2022 aus Myanmar zurück. Im Nachhaltigkeitsbericht 2021 heißt es, dass die Entwicklungen nach dem Militärputsch „umfangreiche Auswirkungen auf unsere wirtschaftlichen und menschenrechtsbezogenen Aktivitäten nach sich gezogen” haben. Der Outdoorhersteller Vaude hingegen entschied sich zu bleiben. Inzwischen wurde die Zusammenarbeit mit einem von zwei Produzenten wegen unzureichender Sorgfaltspflichten beendet. Beide Unternehmen sind Grüner-Knopf-zertifiziert.
Das Audit-Ergebnis zur Produktion von Lidl in Myanmar: zufriedenstellend
Trotz dieser Appelle kam eine unabhängige Zertifizierungsstelle zu dem Schluss, dass Lidl seine unternehmerischen Sorgfaltspflichten erfüllte. Auch die Geschäftsstelle Grüner Knopf prüfte die Audit-Unterlagen: „Daraus ging hervor, dass die Zertifizierungsstelle die Produktion von Lidl in Myanmar im Audit adressiert hat und zu einem zufriedenstellenden Ergebnis gekommen ist.“
Dr. Gisela Burckhardt, Vorstandsvorsitzende von FEMNET, führt an, dass die Produktzertifizierungen einer stärkeren Überprüfung bedürften, wozu der Grüne Knopf als Metasiegel die Produktsiegelgeber anhalten müsse: „Die Siegel beruhen auf Sozialaudits, von denen wir wissen, dass sie seit mehr als 20 Jahren die Arbeitsbedingungen nicht verbessert haben.“
In ihrer Stellungnahme für diesen Artikel verweist die Geschäftsstelle Grüner Knopf auf den Grundsatz ‚Befähigung vor Rückzug‘, der auch im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verankert ist und besagt, dass Unternehmen in besonders schwerwiegenden Fällen einen Rückzug sorgfältig abwägen müssen, wobei die Betroffenenperspektive, nicht das Unternehmensinteresse, entscheidend sein sollte. Ein Grundsatz, der die Arbeitsbedingungen durch langfristige Partnerschaften zwischen einkaufenden Unternehmen und Lieferanten verbessern soll. Zudem führe der Grüne Knopf keine Blacklist mit Ländern, in denen nicht produziert werden dürfe. Die Geschäftsstelle weist zudem auf die Organisationen MADE in Myanmar und Myanmar Centre for Responsible Business hin (letztere hat ihre Arbeit Ende 2024 eingestellt, wie sich beim Besuch der Webseite herausstellte), die sich für den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Erhöhung der Sorgfaltspflichten in Myanmar einsetzen.
Trotz des „zufriedenstellenden“ Audit-Ergebnisses kündigte Lidl nach der Veröffentlichung der Recherche seinen Rückzug aus Myanmar bis 2025 an.
Quo vadis, Grüner Knopf?
Der Grüne Knopf ist das Produkt einer Zeit, als Verbesserungen im Bereich der unternehmerischen Sorgfaltspflicht außer Reichweite waren. Für Dr. Gisela Burckhardt ist es wichtig, dass bei der Umsetzung des EU-Lieferkettengesetzes in deutsches Recht die Erfahrungen des Grünen Knopfs einbezogen werden. Sie fordert mehr Transparenz hinter den veröffentlichten Zahlen: „In wie vielen Fabriken wurden Lohnlückenanalysen durchgeführt, mit welchen Ergebnissen und welchen Strategien? Welche Beschwerdemechanismen wurden mit welchen Ergebnissen eingeführt? Die Mitgliedschaft beim Grünen Knopf allein verrät nach außen nicht, was sich bei den Arbeiter*innen verbessert hat.“
Ob freiwillige Initiativen wie der Grüne Knopf in den nächsten fünf Jahren wachsen und konkrete Veränderungen bewirken können, wird stark von der Ausgestaltung der Gesetzgebungen im Textilsektor und der Bereitschaft zur Zusammenarbeit des Siegels mit Gewerkschaften abhängen – und davon, ob nachhaltigere Mode wieder mehr gesellschaftliche Akzeptanz findet.
Dieser Artikel erschien erstmals in einer eingekürzten Fassung im Januar 2025 in der TM Women.
(c) Titelbild: Geschäftsstelle Grüner Knopf