„Die Grenze der Freiwilligkeit ist erreicht.“

Auf einer Collage sieht man Nanda Bergstein von Tchibo, es geht um ein Interview zum Lieferkettengesetz

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Für gewöhnlich spricht die Privatwirtschaft von freiwilligen Verpflichtungen, wenn es um Nachhaltigkeit und Menschenrechte geht. Allerdings wird dabei oftmals außer Acht gelassen, dass dies in den letzten Jahren nicht wirklich zu Verbesserungen geführt hat.

Mit einem Gesamtumsatz von 3,15 Milliarden Euro im Jahr 2018 gehört Tchibo zu den großen Playern der Branche. Das Angebot des vor 70 Jahren gegründeten Familienunternehmens umfasst mittlerweile Non-Food-Artikel wie Heimtextilien, Bekleidung und Elektronik sowie ein umfassendes Kaffeesortiment. Dieser Kontext ist bemerkenswert, denn Tchibo ist eine der treibenden Wirtschaftskräfte, wenn es um die Wahrnehmung unternehmerischer Sorgfaltspflicht geht: denn diese geht bei dem Hamburger Unternehmen weit über eine Freiwilligkeit hinaus.

Nanda Bergstein leitet seit 2018 den Bereich Unternehmensverantwortung bei Tchibo. Als sie 2007 aus der Nachhaltigkeitsberatung zu Tchibo wechselte, steckte das hanseatische Unternehmen inmitten der Umstrukturierung seiner Lieferketten. Der Hintergrund: Nach einer öffentlichkeitswirksamen Protestkampagne der Clean Clothes Campaign gegen Tchibo, die auf menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in Bangladesch aufmerksam machte, entschied Tchibo, Nachhaltigkeit strategisch im Geschäftsmodell zu verankern: der Bereich Unternehmensverantwortung wurde gegründet. Vieles hat sich seitdem verändert.

Trotz der vielen, positiven Vorstöße haben wir noch einige Fragen. Deswegen haben wir uns mit Nanda darüber unterhalten, wie gelebte Unternehmensverantwortung aussehen kann, warum Textilsiegel und Auditierungen nur begrenzt Veränderungen bewirken und wo die Chancen und Herausforderungen in Regulierungen liegen.

Nanda, was bedeutet Unternehmensverantwortung für euch?

Nanda: Unternehmensverantwortung bedeutet für uns, dass unsere Geschäftstätigkeit nicht zu Lasten von Mensch und Natur gehen darf. Unternehmensverantwortung umfasst bei uns alle Geschäftsbereiche. Das gilt sowohl für den Non-Food- als auch den Kaffee-Bereich sowie für alle Lieferketten dahinter. Letztlich schauen wir uns alle Geschäftstätigkeiten an und identifizieren, wo wir Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte haben und setzen dort entsprechend an. Dabei arbeiten wir mit anderen Unternehmen, Politik und Zivilgesellschaft eng zusammen, denn nur gemeinsam können wir es schaffen, die globalen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen.

Du bist seit 2007 bei Tchibo. Was waren seitdem wichtige Meilensteine für das Unternehmen in Sachen Fairness und Nachhaltigkeit?

Nachdem 2006 der Bereich Unternehmensverantwortung gegründet wurde, wurde zunächst das ganze Geschäft analysiert. Den größten Handlungsbedarf haben wir vor allen Dingen zu Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten im Non-Food-Bereich identifiziert: Arbeitszeitverstöße, Diskriminierung, mangelnde Arbeitssicherheit und geringe Entlohnung zeigten, sodass ILO-Kernarbeitsnormen systematisch missachtet wurden. Wir haben damit angefangen  – und das gilt für alle unserer Lieferketten – unsere Lieferanten zu überprüfen und nach der Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards gezielt auszuwählen. Dabei hat sich gezeigt, dass Kontrolle alleine nicht reicht und eine Verbesserung sich dadurch nicht automatisch einstellt. Um wirklich eine Veränderung zu bewirken, müssen wir gemeinsam mit unserer Lieferanten und den Arbeitern an den Themen arbeiten. Deswegen haben wir im Non Food Bereich beispielsweise bereits 2008 das WE Programm eingeführt, später kam noch die Verpflichtung für das Detox-Programm von Greenpeace hinzu.

Es hat sich gezeigt, dass eine partnerschaftliche, langfristige Zusammenarbeit direkt auf Fabrikebene hilft. Doch der Impact bei Einzellieferkettenprogrammen hat auch natürliche Grenzen. Deshalb setzen wir uns sehr stark für Kollaborationen auf Sektorenebene ein.  Zum Beispiel mit dem Bangladesch-Accord für Brandschutz und Gebäudesicherheit oder ACT on Living Wages – das sind wichtige Themen, die wir mit anderen Unternehmen, der Zivilgesellschaft und Regierungen gemeinsam bearbeiten müssen, denn hier kommen wir alleine nicht mehr weiter. Unsere Strategie und Programme sind so aufgebaut, dass wir alles tun, was in unserem eigenen Einflussbereich möglich ist und wenn wir an Grenzen stoßen, suchen wir nach Kooperationen, um weiterzukommen und langfristige Veränderungen zu bewirken.

ACT on Living Wages ist ein Zusammenschluss mit anderen Textilunternehmen. Dafür ist ja der Kooperationsgedanke Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Wie ist denn die Resonanz in der Branche?

Es gibt ein großes Interesse an Zusammenarbeit in der Branche. Aber man muss auch offen sagen, dass jedes Unternehmen eigene Interessen hat. Das liegt in der Sache der Natur von Wirtschaftsunternehmen. Eine gemeinsame Plattform und ein gemeinsames Vorgehen müssen unter all diesen Unternehmen erstmal verhandelt werden. Die Herausforderung ist trotz der individuellen Interessen eine effektive Zusammenarbeit hinzubekommen. Die Frage ist: Wie machen wir es am sinnvollsten?

Bei ACT sind wir aktuell weltweit 22 große Unternehmen. Und da gehören wirklich große Unternehmen dazu, wie Inditex und C&A. Wir haben ACT zusammen gegründet, weil wir festgestellt haben, dass wir das Thema existenzsichernde Löhne nicht alleine lösen können. Wir haben unterschiedliche Dinge in unserer Lieferkette ausprobiert, aber sind immer an den Punkt gekommen, dass wir es alleine nicht schaffen. Entweder weil wir keine Wege finden konnten, zum Beispiel wie höhere Einkaufspreise auch bei den Beschäftigten ankommen, oder weil wir Probleme mit unserer Wettbewerbsfähigkeit bekommen hätten, wenn wir Preise und Löhne allein angehoben hätten.

So ist der Gedanke entstanden: Was wäre, wenn alle zur gleichen Zeit höhere Löhne durch höhere Preise absorbieren müssen und die Produktionsländer sehen, dass es wirtschaftliches Interesse und Commitment für höhere Löhne gibt? Doch wir brauchen hier nicht nur die Unterstützung aus der Wirtschaft, sondern auch einen Partner von der Gewerkschaftsseite, weshalb wir die Kooperation mit der Global Union Industriall eingegangen sind, die mit lokalen Gewerkschaften zusammenarbeiten. Dies ist ein wichtiger Hebel, damit es überhaupt zu Tarifverhandlungen kommt, die wiederum Löhne kontinuierlich anheben können.

Der Auslöser für das Umdenken war ja eine Protestkampagne der Clean Clothes Campaign im Jahr 2005: Wie kann es sein, dass man als Unternehmen von den schlechten Arbeitsbedingungen erst erfährt, wenn die Fabrikarbeiter*innen deshalb auf die Straße gehen?

Die Kampagne gegen Tchibo machte besonders darauf aufmerksam, dass die Beschäftigten nicht das Recht hatten, sich zu organisieren und Diskriminierung am Arbeitsplatz erfahren haben. Das sind Themen, die durch Audits nicht unbedingt zu Tage kommen. An genau diesem Thema zeigt sich, dass eine Auditierung nicht ausreicht, um solche Standards sicherzustellen. Anfang der 2000er war außerdem die Branche noch nicht soweit, sich mit diesem Thema zu befassen. Ich würde sagen, es war Unbewusstheit. Das hat sich danach massiv geändert.

Seitdem die Clean Clothes Campaign Missstände in der Produktion aufdeckte, arbeitet Tchibo daran mehr Fairness, Nachhaltigkeit und Transparenz in ihre Lieferketten zu bringen. © Tchibo

Wie kann man als Unternehmen sein Bestes geben, um die Einhaltung von Menschenrechte entlang der Lieferketten sicherzustellen? Was sind die Herausforderungen?

Eine große Herausforderung sind die globalen Lieferketten und die vielen Stufen innerhalb dieser Lieferketten. Es gibt dabei sichtbare und weniger sichtbare Probleme. Zu den sichtbaren Dingen zählen Gesundheit, Arbeitsschutz, Brandschutzvorrichtungen, Mindestlöhne. Das sind Dinge, die man überprüfen kann und an denen man mit den Fabriken konkret arbeiten kann. Aber Diskriminierung, sexuelle Belästigung, keine existenzsichernden Löhne, Unterdrückung der Gewerkschaftsvereinigung sind von den Ursachen her viel komplexer und schwieriger aufzudecken. Da haben häufig politische Gegebenheiten einen negativen Einfluss. Wenn es um Diskriminierung und sexuelle Belästigung geht, geht es auch häufig um Gender und Hierarchieunterschiede.

Was genau macht ihr, um Probleme wie Diskriminierung und Gewerkschaftsverbot zu bewältigen?

Wir auditieren unsere Fabriken und machen Entwicklungsprogramme. Bei den Themen Diskriminierung und sexuelle Belästigung erzielen wir ganz gute Fortschritte, indem wir in unseren Menschenrechtsprogrammen gezielt Sensibilisierungstrainings mit Frauen und Männern machen, in denen wir ein stärkeres Bewusstsein dafür schaffen, was es für eine Frau eigentlich bedeutet, wenn sie diskriminiert wird, oder was sexuelle Belästigung bedeutet und wie man sich hier verhält. Hierfür haben wir echte Experten an der Seite, die diese Prozesse in Fabriken mit begleiten.

Beim Thema Gewerkschaftsfreiheit sind wir eine Kooperation mit der globalen Dachgewerkschaft  Industriall eingegangen. Das ist eine Dachgewerkschaft im produzierenden Gewerbe, die mit Gewerkschaften in den jeweiligen Ländern arbeiten, in denen wir auch einkaufen. Wir schauen dann auf die Gewerkschaften vor Ort und versuchen gemeinsam mit Industriall Prozesse zu etablieren, die dazu führen, dass die Fabriken zulassen, dass ihre Beschäftigten sich gewerkschaftlich organisieren können. Fabrikmanager oder der Staat haben kein großes Interesse daran, dass Beschäftigte eine Stimme haben. Deshalb setzten wir intensiv auf Vertrauensbildung und Dialog. Und es ist wichtig, dass die Beschäftigten für sich formulieren können, was sie brauchen, und wir dann darauf aufbauen, ihnen die richtige Unterstützung an die Hand zu geben.

Ihr produziert in insgesamt 600 Fabriken, knapp 200 davon sind Textilfabriken. Das ist eine ganze Menge. Wie kann man hier Veränderungen messen?

Wenn wir Veränderung messen, ist für uns die Wahrnehmung der Beschäftigten am wichtigsten. Dafür haben wir verschiedene Tools und entwickeln auch noch weitere. Ich kann ein Programm etablieren, das inhaltlich erstmal perfekt klingt, aber wenn die Inhalte für die Beschäftigten nicht relevant sind, funktioniert es nicht. Deswegen entwickeln wir Veränderungen gemeinsam mit ihnen, stellen sicher, dass sie involviert sind und dass das Management auch teilnimmt. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung. Dabei setzen wir auf Messtools, die zeigen, ob sich die Wahrnehmung der Beschäftigten und die Verhaltensmuster sich verändert haben. Alles kann man natürlich nicht ausschließen, aber die Frage ist, ob man einen Großteil der Herausforderungen bearbeiten konnte.

Wir arbeiten in allen Ländern mit externen Auditierungsgesellschaften zusammen, die im Vorfeld die Fabriken überprüfen – also vor dem Einkauf – um Grundverstöße auszuschließen. Wenn wir so genannte Zero Tolerances [Anmerkung der Redaktion: Zwangsarbeit, keine Notausgänge, Zurückhalten von Dokumenten, etc.] finden, kaufen wir da nicht ein.

Nur in den für uns produzierenden Fabriken in China prüft eine von uns beauftragte eigene Einheit für uns. Hier ist das Risiko auch deutlich geringer: In China geht es eher um sichtbare Themen, also wie vorhin erwähnt um Gesundheit, Arbeitsschutz, Brandschutzvorrichtungen und Mindestlöhne.

Woran arbeitet ihr bei ACT aktuell? Wir haben gelesen, dass derzeit Tariflöhne in Kambodscha verhandelt werden.

In Kambodscha ruhen die Verhandlungen momentan. Dazu muss man wissen, dass die Unternehmen bei ACT ungefähr 50 Prozent des Einkaufsvolumens in Kambodscha ausmachen. Aber die kambodschanische Regierung hat Sorge, dass andere Kunden abwandern werden, wenn die Löhne steigen. Alle Unternehmen bei ACT committen sich zwar, dort zu bleiben. Aber andere Unternehmen, die nicht bei ACT sind, eben nicht. Die Regierung hat Bedenken, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Landes leidet. Sie steht hier natürlich auch unter Druck. Das ist eine schwierige Gemengelage. Es gibt viele Unternehmen, die ACT wollen und engagiert sind, aber es sind eben nicht genug.

Ist die Sorge der Abwanderung in Niedriglohnländer nicht ein wiederkehrendes Problem?

Ja, das ist es und die Sorge ist sicherlich auch berechtigt. Deswegen stehen wir dafür auch mit anderen Unternehmen gemeinsam ein, auch in der Öffentlichkeit. Wir haben jetzt über ein Jahrzehnt lang unterschiedliche Dinge ausprobiert. ACT ist aus unserer Perspektive der einzig gangbare Weg. Es scheitert einfach daran, dass nicht genügend Unternehmen mitmachen.

Übrigens zielt ACT auf alle Produktionsländer ab. Wir sind auch mit anderen Regierungen im Gespräch, wo wir deutlich positivere Signale sehen, wozu wir aber öffentlich noch nichts sagen können, weil das den Verhandlungsprozess schwächen könnte.

Könnte ein Gesetz zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht hier eine Lösung sein? Und würde ein Gesetz die gleichen Wettbewerbsvorteile für alle sichern?

Man muss zuerst einmal darüber reden, was so ein Gesetz regeln soll. Unsere Vorstellung ist, dass ein Gesetz dafür sorgt, dass so viele Unternehmen wie möglich an dem gleichen Thema arbeiten. Bei Löhnen ist zum Beispiel eine Beitrittspflicht bei ACT on Living Wages denkbar. Das würde dafür sorgen, dass wir als Initiative mehr Kraft haben und die Länder stärker davon überzeugen können, mitzumachen. Und dass letztlich auch niemand darunter leidet, wenn Löhne steigen, weil es keinen Wettbewerbsnachteil mehr gibt. Es ist wichtig, dass es um eine Regulierung geht, die die Kräfte der Wirtschaft bündelt. Kein großes Unternehmen in diesem Segment wird weltweit in der Lage sein, existenzsichernde Löhne in Einzellieferketten zu erwirken. Um das sicherzustellen, braucht es den Zusammenschluss vieler, die gemeinsam vorangehen, um die Probleme holistisch anzugehen.

Es gibt ja bereits einen vorliegenden Gesetzesentwurf, der aber Widerstand in der Politik erfährt. Warum ist ein Gesetz in Politik und Wirtschaft so umstritten? Was sind da aus eurer Sicht die Knackpunkte?

Da kann ich nur mutmaßen. Klar ist: die Entwicklung und Umsetzung eines Gesetzes ist ein längerer politischer Prozess, weil es ja auch um Interessenausgleich geht. Von der Gegenseite könnte ein Argument, die Sorge sein, für Dinge verantwortlich gemacht zu werden, die nicht im direkten Einflussbereich liegen. Die Umsetzung von Nachhaltigkeit ist komplex. Und Dinge wie direkte Haftung sind für Unternehmen herausfordernd, insbesondere dann, wenn die Einflussnahme in die Ketten begrenzt ist.

Ein Gesetz könnte dazu führen, dass Unternehmen für alle Nachhaltigkeitsthemen haftbar gemacht werden und sie beweisen müssen, dass sie alles Menschenmögliche tun, um Verstöße auszuschließen. Das kann schlimmstenfalls dazu führen, dass alle Unternehmen noch mehr auditieren und dokumentieren. Das sind aber genau die Dinge, von denen wir inzwischen wissen, dass sie vor Ort viel zu wenig bewirken.

Die Ausarbeitung eines Gesetzes müssen wir aufgrund der Komplexität gemeinsam machen und uns fragen, wie man sinnvolle Anreize schaffen kann, damit alle diese Maßnahmen implementieren. Vielleicht auch aus einem Dreiklang aus Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft.

Aber war das nicht ursprünglich auch der Versuch des Textilbündnis, einen Dreiklang aus Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zu schaffen? Das Bündnis gilt ja eher nicht Positivbeispiel für Veränderungen. Wie bewertet ihr das als Bündnismitglied?

Beim Textilbündnis müssten aus meiner Sicht zwei Dinge verändert werden. Erstens müsste die Verbindlichkeit weiterentwickelt werden, damit sich alle Mitglieder stärker mit den Wirkungsmechanismen auseinandersetzen. Zweitens muss man sehr ehrlich darüber sprechen können, was funktioniert und was nicht, ohne zu fürchten, dass man in der Öffentlichkeit dafür sanktioniert wird. Davor haben viele Sorge, weshalb es diesen ehrlichen Austausch nicht so sehr gibt. Tchibo macht das anders. Wir reden offener über die Herausforderungen, aber wir haben auch schon 14 Jahre lang Erfahrungen gesammelt.

Tchibo ist Befürworter eines Gesetzes zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht. Dabei müsstet ihr doch dieselben Bedenken teilen, was die direkte Haftbarkeit angeht, wie andere Unternehmen auch. Warum seid ihr trotzdem dafür?

Natürlich haben wir auch Sorge vor Konsequenzen, die wir nicht überblicken können. Wir haben selbst eben schon so viel ausprobiert und unternommen, was natürlich immer noch verbessert werden kann. Aber wir fühlen uns relativ wohl, wenn es um das Thema unternehmerische Sorgfaltspflicht geht. Wir glauben einfach, dass die Grenze der Freiwilligkeit erreicht ist. Es ist besser, jetzt einen verbindlichen Weg  zu gehen, um mehr zu schaffen, als im jetzigen Zustand zu bleiben.

Man muss sich auch fragen, wozu ein solches Gesetz dient. Das Gesetz dient dazu, dass Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen Umweltschutz nicht mehr stattfinden. Natürlich muss es Übergangszeiten geben, damit Unternehmen bisherige Versäumnisse auch aufholen können. Aber irgendwann wird es eine Grenze geben müssen, die aufzeigt, wo Geschäftsmodelle nachhaltiger und eben nicht nachhaltig sind. Das kann natürlich für einige Unternehmen eine Sollbruchstelle sein.

Was können Unternehmen machen, um Druck auf die Politik auszuüben und hier in den Dialog zu treten?

Wir sprechen uns in der Öffentlichkeit immer wieder dafür aus, auch mit eigenen Veranstaltungen. So können wir die Botschaft formulieren, dass Regulierungen ein wichtiger Schritt sind, um zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zu kommen. Wir gehen auch in den Dialog mit der Politik, müssen hier aber auch überlegen, wie wir das noch stärker machen können. Für uns geht es jetzt mehr darum, dass wir uns gemeinsam mit der Politik über eine Ausgestaltung von Regulierungen unterhalten.

Wie wird sich die Forderung nach Regulierungen weiterentwickeln?

Ich habe die Hoffnung, dass es nach Bewertung des Monitorings im Zuge des Nationalen Aktionsplans zu einer Regulierung kommt. Falls nicht müssen alle, die Regulierung wollen, das jetzt auch formulieren und dafür einstehen. Ich könnte mir vorstellen, dass durch die öffentliche Diskussion und wie sich das Interesse an nachhaltigen Themen entwickelt, ein starker Push in diese Richtung entsteht. Es wäre aber zu einfach, diese komplexe Thematik auf die Konsumenten abzuwälzen. Wir als Unternehmen und die Politik sind da schon grundsätzlich für verantwortlich, dass sich was verändert. Letztlich darf es für den Konsumenten keine Wahl geben, ob nachhaltig oder nicht nachhaltig.

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Nationaler Aktionsplan (NAP)

Der NAP wurde von den Vereinten Nationen zur Einhaltung der Industrie von Arbeits- und Menschenrechten ins Leben gerufen – und von der Bundesregierung unterzeichnet. Um eine Einhaltung des NAPs zu gewährleisten, führt die Bundesregierung derzeit ein Monitoring bei deutschen Unternehmen durch. Hier soll herausgefunden werden, inwiefern Unternehmen ihre Lieferketten kennen und wie sie Sozialstandards sicherstellen. Dafür wurde ein Fragebogen entwickelt, der laut Spiegel Online im Nachklapp vom Bundeskanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium so nachjustiert wurde, dass die teilnehmenden Unternehmen potenziell besser dastehen. Sollte beim Monitoring herauskommen, dass deutsche Unternehmen nur unzureichend Auskunft über ihre Lieferketten treffen können, dann sieht der Koalitionsvertrag der großen Koalition von CDU/CSU und SPD vor, sich für einen nationalen und EU-weiten gesetzlichen Rahmen einzusetzen.

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Also würde so ein Gesetz in jedem Fall auch ein Umdenken von Wirtschaftsformen mit sich bringen?

Nachhaltigkeit wird zukünftig bedeuten, dass wir uns alle verändern und bewegen müssen. Da führt überhaupt kein Weg dran vorbei.

Ihr schreibt selbst auf eurer Homepage, dass sich die Textilproduktion seit dem Jahr 2000 verdoppelt hat und sagt: „Uns ist bewusst, dass auch Tchibo Teil des Problems ist.“ Viele kritisieren das Geschäftsmodell von Tchibo, das jede Woche mit ca. 30 neuen Produkten eine neue Welt verspricht. Könnt ihr diese Kritik nachvollziehen? Und sind Quantität und Nachhaltigkeit miteinander vereinbar?

Das ist eine sinnvolle Debatte. Sicherlich kann man diskutieren, ob man einen Bananenschneider braucht oder nicht. Wenn wir „jede Woche eine neue Welt“ anbieten, wollen wir unsere Kunden auch inspirieren. Das ist ein Impuls, der sich in Zukunft nicht ändern wird. Die Frage ist nur, wie bedient man das.

Wir wissen, dass nicht all unsere Entscheidungen und Produkte immer hundertprozentig sinnvoll für Mensch und Natur sind. Dies alles geht nicht von heute auf morgen. Aber Schritt für Schritt. Wichtig für uns ist, qualitativ hochwertig produzierte Produkte zu fairen Preisen anzubieten, aber kuratiert. Wir sind kein Warenkaufhaus, wo man ein Produkt in 100 Ausprägungen finden kann. Und natürlich kann man über einzelne Produkte diskutieren. Wir diskutieren auch intern immer stärker, was man braucht und was man nicht braucht. Und sind konsequent dabei, unsere Produkte immer nachhaltiger zu gestalten.

Neben der nachhaltigeren Gestaltung unserer Produkte, sind wir auch dabei weiterzudenken – Ressourcen konsequent einzusparen, Konsummodelle weiterzudenken und Themen wie Kreislauffähigkeit und Sharing Economy weiter voranzutreiben. Mit dem Verleih-Service `Tchibo Share` hoffen wir, dass es eines Tages ein zukunftsfähiges Modell sein kann, das für möglichst viele Kunden relevant wird. Die Kunden, die Tchibo Share schon nutzen, finden es richtig gut. Wir tun uns aber noch schwer, eine ausreichend breite Anzahl an Kunden anzusprechen und arbeiten gerade daran, wie wir unsere Ansprache verbessern können. Die klassischen Marketinginstrumentarien funktionieren da nicht ganz so gut. Es wird spannend sein, ob wir den richtigen Ansatzpunkt finden werden, um das Ganze immer weiter zu skalieren. Da müssen wir auch Geduld haben.

Ihr seid eines von 27 Unternehmen, das von Anfang an beim Grünen Knopf dabei ist. Wieso habt ihr euch dafür entschieden?

Wir machen beim Grünen Knopf mit, weil wir wissen wollen, ob ein Metasiegel Nachhaltigkeits-Botschaften besser an die Kunden transportieren kann. Das ist für uns und andere Unternehmen momentan sehr herausfordernd. Wir gehen nicht davon aus, dass der Grüne Knopf an sich in den Produktionsländern Dinge verbessern wird. Wir hoffen aber, dass er Aufmerksamkeit schafft und zeigen kann, dass nachhaltiger Konsum relevant für Kunden ist. Die Branche soll merken, dass es sich lohnt, in echte Nachhaltigkeit zu investieren und daraus eine Hebelwirkung entsteht. Im Vergleich zu anderen Siegeln und Zertifizierungen überprüft der Grüne Knopf auch das Managementsystem von Unternehmen, ob diese Sorgfaltspflichten einhalten. Das war eine Komponente, die uns überzeugt hat. Denn es ist nicht in unserem Interesse, dass man einfach den Grünen Knopf auf ein GOTS-zertifiziertes Produkt packt, sondern, dass der Grüne Knopf für ein ganzheitliches Nachhaltigkeitssystem und Engagement steht.

Es gibt viel Kritik zum Textilsiegel, die unter anderem darauf abzielt, wie lückenhaft ein staatliches Siegel sein darf. Und wieso der Staat auf ein Metasiegel setzt und die Chance nicht nutzt, eigene Kriterien festzulegen. Wie seht ihr das?

Die Kriterien von privaten Siegeln sind ja durchaus richtige Kriterien. Es geht mehr um das wie: Wie ist die ganzheitliche Abdeckung der verschiedenen Stufen in der Lieferkette? Wie ist die Weiterentwicklung der einzelnen Stufen vorgesehen? Wie verbessern wir die Zusammenarbeit zwischen Händlern oder Marke und Produzenten? Der Grüne Knopf will sich hier auch weiterentwickeln.

Die Frage, wie lückenhaft ein staatliches Siegel sein darf, lässt sich auch auf private Siegel übertragen. Die Kritik, dass der Grüne Knopf keine existenzsichernden Löhne sicherstellt, ist sachlich richtig, aber das kann man von keinem Siegel erwarten. Wir wissen, dass man das nur sektorübergreifend lösen kann. Fakt ist, ein Siegel kann nicht alle Standards sicherstellen. Wir müssen uns mehr über Methoden, Wirkungen und Instrumente unterhalten, wie man Veränderungen umsetzt.

Habt ihr Empfehlungen, wie sich der Grüne Knopf weiterentwickeln sollte?

Ich würde eine Empfehlung formulieren: Die Unternehmen, die am Grünen Knopf teilnehmen, sollten auch bei den gängigen Sektor-Initiativen mitmachen. Ich würde erwarten, dass jedes „Grüne Knopf-Unternehmen“ auch Mitglied bei ACT wird.

Ihr sagt selbst, dass ihr noch nicht zufrieden seid. Was sind eure nächsten Ziele und wo wollt ihr euch noch verbessern?

Wir wollen vor allen Dingen auf allen Ebenen eine stärkere Vertiefung und unsere Programme in den Lieferketten weiter vorantreiben. Und wir wollen Wege finden, noch besser mit Konsumenten über unser Nachhaltigkeitsengagement zu sprechen und sie oder ihn auf die Reise mitzunehmen. Also sowohl über das, was wir schon geleistet haben, als auch über das, was wir noch verbessern wollen.

Danke für das offene Gespräch, liebe Nanda.

Timeline “Nachhaltigkeit bei Tchibo

  • Das 2008 in Zusammenarbeit mit der GIZ entwickelte WE Programm (Worldwide Enhancement of Social Quality) ist ein Dialogprogramm für Beschäftige und Manager*innen, das zur Verbesserung von Arbeitsstandards in Produktionsstätten beitragen soll. In den WE Trainings geht es darum, dass Betroffene strukturelle Arbeitsrechtsverstöße identifizieren und gemeinsam mit dem Management Verbesserungen zu entwickeln und umzusetzen.
  • 2012 begründete und unterzeichnete Tchibo den „Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh“. Der Accord ist ein fabrikübergreifendes Beschwerdesystem für Gebäudesicherheit und Brandschutz, das gezielt Sicherheitsmängel in Fabriken minimiert.
  • Die 2014 von Tchibo mitbegründete Initiative „ACT on Living Wages“ ist ein Zusammenschluss aus 22 Textilunternehmen. Das Ziel von ACT (Action, Collaboration, Transformation) ist es, gemeinsam mit dem internationalen Gewerkschaftsdachverband IndustriALL Global Union, flächendeckende Tarife für existenzsichernde Löhne zu erreichen. Dafür sucht ACT den Dialog mit Regierungen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände in verschiedenen Produktionsländern. Zusätzlich verpflichten sich die ACT-Mitglieder zur Übernahme der höheren Lohnkosten in ihren Einkaufspreisen und zur langfristigen Zusammenarbeit mit den Produktionsstätten. Die Initiative steht aktuell vor der Herausforderung, dass zu wenige Unternehmen bereit sind, ACT beizutreten.
  • 2014 hat sich Tchibo als erster großer Händler im Rahmen des Detox-Programms von Greenpeace dazu selbstverpflichtet, bis 2020 giftige Schadstoffe aus der Textilproduktion zu eliminieren. „Um die Chemie in der Lieferkette zu kontrollieren, hat Tchibo die eigene Liste mit gefährlichen Substanzen konsequent weiterentwickelt, umfangreich ergänzt und strenge Grenzwerte festgelegt“, so Greenpeace.
  • Tchibo veröffentlicht seit 2016 eine Liste über seine Textilproduzenten und Nassbetriebe und geht so einen weiteren Schritt Richtung Transparenz.

Anmerkung der Redaktion:
Anfang März sollte das Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) erste Eckpunkte eines Lieferkettengesetzes vorstellen, die auf den Ergebnissen der ersten Umfrage fußen, die rund 450 von 3200 befragten Unternehmen beantwortet haben und von denen weniger als 20 Prozent die Anforderungen des NAP erfüllen. Der Termin wurde jedoch auf unbekannte Zeit verschoben. Laut Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller (CSU) gab es terminliche Schwierigkeiten. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hingegen betont, dass die zweite Umfragerunde der Unternehmen vollständig bis Sommer 2020 abgewartet soll und ein jetziges Handeln verfrüht sei. Diese Entwicklungen erfolgten nach Redaktionsschluss und konnten im Interview nicht mehr berücksichtigt werden.

Fotos (c) Tchibo

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