„Wir brauchen eine bedarfsgerechtere Textilindustrie!“

Das Jahresende rückt näher und auch wenn wir 2020 gefühlt schon jetzt mehr als ein Mal Revue passiert haben, sind wir doch ganz schön schnell durch das Jahr gerattert. Selten musste man so schnell Pläne umwerfen und Altes neu denken. Das erfordert nicht nur viel Flexibilität und Energie, sondern erlaubt auch wenig Zeit fürs Innehalten.

Auch die Modebranche musste 2020 umplanen, neu denken – und bestimmte Mechanismen hinterfragen, die schon vor der Corona-Krise problematisch waren. So auch das Kölner Modelabel Lanius. Wir haben uns mit der Gründerin Claudia Lanius unterhalten und auf das Modejahr 2020 zurückgeblickt. Herausgekommen ist ein Interview über Krisen, Allianzen, Fehler & Chancen und wie eine bedarfsgerechte Textilindustrie wirklich aussehen sollte.

Fashion Changers: Was hat LANIUS als Modelabel durch die Corona-Krise verändert? 

Claudia Lanius: „Wir haben unseren Blick geschärft und den Fokus ganz klar auf unsere Wurzeln gelegt: Die Verarbeitung nachhaltiger, hochwertiger und langlebiger Naturmaterialien zu zwei Kollektionen im Jahr – ohne Zwischenkollektionen und mit einem großen Anteil zeitloser Designs und Klassiker. Denn, das hat uns die Corona-Krise gezeigt: mit unserer Slow-Fashion-Philosophie haben wir uns krisenresistent gezeigt. Wir können, im Gegensatz zu den großen Fast-Fashion-Retailern, auch in Krisensituationen auf Augenhöhe wirtschaften. Und wir haben sogar einen weiteren Schritt in Richtung Nachhaltigkeit gewagt und die Emissionen der Frühjahr-/Sommer-2021-Kollektion durch ein Regenwaldschutzprojekt in Brasilien erstmals vollständig ausgeglichen.“

Als Reaktion auf die Corona-Pandemie habt ihr das Bündnis #FairFashionSolidarity mitgegründet. Wieso ist es in Zeiten von Corona wichtig, Allianzen in der Modebranche zu bilden?

„Gemeinsam mit dem Modelabel LangerChen, dem Fashion-Store LOVECO und der Online-Plattform AvocadoStore haben wir die #fairfashionsolidarity Allianz gegründet, um mit konkreten Handlungsempfehlungen an den Einzel- und Onlinehandel, an Labels und Kund:innen zu treten. Der Ausbruch des Corona-Virus hat uns alle in diesem Jahr vor unerwartete Herausforderungen gestellt: die geschlossenen Läden, die sinkende Konsumstimmung, und die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Risiken für alle Partner:innen entlang der textilen Lieferketten. Gemeinsam haben wir versucht, die Corona-Krise als Chance zu begreifen und unsere nachhaltige DNA auch auf das brancheninterne Miteinander zu übertragen. Weniger Wettbewerb untereinander, mehr Solidarität, um für die gemeinsame Sache einzustehen.

#fairfashionsolidarity soll sowohl Einzelhändler:innen als auch Konsument:innen erreichen.

Als Label konnten wir durch den offenen Diskurs schnell gute Lösungen für alle Beteiligten innerhalb der textilen Kette erreichen. Zum Zeitpunkt des Krisenbeginns war unsere F/S 2020 Kollektion gerade ausgeliefert, die Rechnungen an die Kunden geschrieben, unsere Produzenten von uns bereits bezahlt – eine prekäre Lage. Aber wir konnten uns zu allen Seiten hin einigen und vernünftige Lösungen finden. Wir haben unsere Lieferanten unterstützt, die Zahlungsziele unserer Einzelhandelskunden verlängert und uns gegen frühzeitige Rabattschlachten ausgesprochen. Die positive Resonanz hierzu war groß. Und sie kam interessanter Weise nicht nur aus dem Fair-Fashion-Segment, sondern auch aus der konventionellen Modebranche.“

Hand aufs Herz: Wieso hat die Slow-Fashion-Branche erst durch Corona stärker auf die Bremse getreten? Hat man sich vor Corona zu sehr dem Takt der konventionellen Branche angepasst?

„Tatsächlich haben wir uns alle an die frühen Termine in der Branche gewöhnt und uns ein Stück weit unterworfen. Dabei führt der künstliche, schnelle Saison-Rhythmus zu verfrühten Preisnachlässen, zu Flächen, die mit Ware bestückt sind, die gar nicht zum Wetter passt, zu Zwischenkollektionen, die immer wieder den Wunsch nach Neuem wecken sollen und vielen weiteren Faktoren. Das ist einfach nicht bedarfsgerecht und vor allem nicht nachhaltig!

Dass Corona diesen Rhythmen so unerwartet einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, hat die Thematik plötzlich wieder in den Fokus gerückt. Viele von uns haben gemerkt: Es ist durchaus erstrebenswert, zu einem angepassten ‚Saison-Szenario‘ zurückzukehren. Sprich: Order und Lieferung verschieben sich um circa einen Monat und zwar dauerhaft. Und ich sehe hier nun zum ersten Mal, dass auch die konventionelle Textilwelt den Wunsch hegt die Saisons zeitlich anzugleichen.“

Model in Lanius Frühling/Sommer Kollektion
Slow Fashion ist auch krisenbeständiger, sagt Claudia Lanius. Die Streifenbluse wurde für die neue Saison übernommen und lediglich neu fotografiert.

Die Corona-Krise ist noch nicht vorbei, aber die deutsche Wirtschaft hat sich schneller als erwartet von dem ersten Lockdown erholt. Heißt das für die Modebranche jetzt „back to normal“?

„Wir verfolgen mit dem Bündnis das Ziel, ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für den Wert von nachhaltiger Mode zu erzeugen. Wir müssen sichtbar machen, wie viele Menschen ein Teil der textilen Wertschöpfungskette sind. Und wie verheerend die wirtschaftlichen Folgen für diese Menschen sein können – zu Krisenzeiten wie in diesem Jahr, aber auch ganz generell.

Mein Plädoyer, sowohl an uns Produzierende als auch an Konsument:innen und in größerer Instanz natürlich auch die Politik: Wir brauchen eine bedarfsgerechtere Textilindustrie! Damit verbunden sind viele Punkte: ‚Nein‘ zu Fast Fashion, angepasste Kollektionsrhythmen und Liefertermine, weniger Geld- und Ressourcen-Verschwendung durch bedarfsgerechte Kollektionsrahmenpläne, sowie eine deutliche Richtung und zeitnahe Etablierung notwendiger Gesetze in Sachen Klimaschutz – und zwar weltweit!

Die Corona-Krise, die uns einerseits ausgebremst hat, gibt uns gleichzeitig die Chance wiederzuerkennen, dass weniger im Grunde mehr ist und Qualität vor Quantität steht. Ein globaler Shift von Fast Fashion zu Slow Fashion – das ist meine Vision und ich denke, mit LANIUS sind wir auf einem guten Weg dorthin.“

Wie geht LANIUS in das Modejahr 2021? Welche Rolle werden zum Beispiel Messen noch spielen?

„Covid-19 hat dazu geführt, dass wir digitaler werden mussten. Das spüren wir in allen Unternehmensbereichen und auch im Vertrieb, wo es nun verstärkt um eine digitale Vororder geht. 2020 haben wir erstmals an digitalen Messe-Formaten teilgenommen. Für uns steht seitdem jedoch fest, dass weder der persönliche Kontakt zu ersetzen ist, noch die Möglichkeit, die Qualität der Kleidung und die Beschaffenheit der Materialien mit den Händen zu überprüfen. Mehr Digitalisierung heißt leider auch weniger Gespür für Qualität. Da wünschen wir uns wirklich ein schnelles ‚back to normal‘.

Ganz anders sieht es bei der Besinnung auf unsere DNA und das Thema Slow Fashion aus: Das Covid-19-Virus hat unseren Blick stärker als je zuvor auf die unmittelbare Zukunft gerichtet und auf die Art und Weise, wie wir leben möchten. Dies spiegelt sich in der Frühjahrs-Kollektion wider, die unter dem Stern eines noch langsameren Mode-Begriffs steht: Für diese F/S 2021 sind wir wohlbedacht vorgegangen und haben den Kollektionsrahmenplan entsprechend umgestaltet. Wir haben die neue Kollektion etwas kleiner gemacht und einige Crossovers geplant – Styles, die aus der F/S 2020-Saison übernommen wurden und ein modisches Update erhielten. Unsere nachhaltigen Textilien sind wertvoll und das auch über die laufende Saison hinaus!

Unsere Zukunftsvision für die Modebranche, die wir nun verstärkt kommunizieren: ‚The Future of Fashion is slow‘. Wir hoffen, wir können viele damit bewegen, umzudenken.“

Danke für das ehrliche Gespräch, liebe Claudia.

Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview wurde vor dem zweiten Lockdown ab 16. Dezember geführt.

Fotos: (c) Lanius

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