Der erste Teil dieses Artikels behandelte das Thema Lohndiebstahl sowie geschlossene Fabriken, Proteste und die Tatsache, dass Frauen am stärksten von der Pandemie betroffen sind. Im zweiten Teil geht es vor allem um niedrige Impfquoten im Globalen Süden und mangelnde Hygienemaßnahmen in Fabriken.
Fehlende Arbeitskräfte in wiedereröffneten Fabriken
In Vietnam herrschte bis vor kurzem noch Ausnahmezustand. Circa 30 Prozent der Bekleidungsfabriken wurden wegen steigender Neuinfektionen geschlossen. Vor allem kleine Fabriken mussten schließen, da sie nur wenige oder keine Kapazitäten für Hygienemaßnahmen hatten. Größere Betriebe jedoch haben Zelte und Feldbetten auf freien Lagerflächen oder Motorradparkplätzen aufgestellt, um Social Distancing zu ermöglichen und einer Schließung zu entgehen.
Ho-Chi-Minh-Stadt galt im Sommer als Epizentrum und verhängte strenge Maßnahmen: Sperrungen, Checkpoints, Reisegenehmigungen. Laut offiziellen Statistiken kehrten zwischen Juli und 15. September fast 1,3 Millionen sogenannte Wanderarbeiter*innen in ihre Heimatstädte zurück, aus Angst vor Infektionen und weiteren Einschränkungen.
Medienberichten zufolge sind nun circa 60 Prozent der Textilarbeiter*innen nach Ho-Chi-Minh-Stadt zurückgekehrt. Fabrikbesitzer*innen behaupten jedoch, dass immer noch Arbeitskräfte fehlen würden, da die Produktion aktuell wieder hochgefahren wird. Arbeitnehmende kehren aus verschiedenen Gründen nicht zurück. Einer davon ist die Angst vor einem weiteren Covid-Ausbruch und den damit verbundenen Einschränkungen.
Vietnam hat beispielsweise eine der niedrigsten Impfquoten in Südostasien: Anfang Oktober hätten weniger als 11 Prozent der Einwohner*innen mindestens zwei Dosen erhalten. Gewerkschaftsvertreter*innen berichten, dass der aktuelle Arbeitskräftemangel in Teilen Vietnams nur durch Impfungen verhindert werden könne. Mitte August forderten 90 CEOs führender US-Marken wie Adidas, Coach, Gap und Nike in einem gemeinsamen Brief, US-Präsident Joe Biden solle die Impfstoffhilfe für Vietnam beschleunigen. In dem Brief wurde auch betont, dass Vietnam der zweitgrößte Lieferant von Bekleidung und Schuhen für den US-Markt sei und einen schweren Ausbruch erlebe.
Viele Unternehmen haben ihren Mitarbeiter*innen finanzielle und andere Unterstützung angeboten, damit sie in Ho-Chi-Minh-Stadt bleiben. Die meisten Beschäftigten des Unternehmens Thanh Cong Textile Garment Investment Trading beispielsweise sind seit Anfang Oktober zurück. Die Fabrik zielt vor allem darauf ab, den Arbeitnehmer*innen Sicherheit zu bieten, wie zum Beispiel die Weiterzahlung eines Mindestlohns und die Unterstützung bei administrativen Schritten für staatliche Entlastung.
Ho-Chi-Minh-Stadt entwickelt derzeit unter anderem Gesundheits-, Arbeits- und Beschäftigungsstrategien, um die Wiedereröffnung der Fabriken zu ermöglichen. Der städtische Volksausschuss hat außerdem das Verkehrsministerium beauftragt, einen Plan zur Koordinierung mit den Provinzen und Städten zu entwickeln, um die Arbeitnehmer*innen wieder in der Stadt willkommen zu heißen.
Vietnam war zuvor eine der wenigen asiatischen Volkswirtschaften, die im vergangenen Jahr trotz der Pandemie stetig gewachsen sind. Laut der World Trade Statistical Review der Welthandelsorganisation (WTO) hat das Land Bangladesch überholt und wurde 2020 zum zweitgrößten Bekleidungsexporteur der Welt. Vietnam verkaufte im Jahr 2020 Kleidung im Wert von 29 Milliarden US-Dollar an die Welt, während Bangladeschs Exporte von Kleidung auf 28 Milliarden US-Dollar geschätzt wurden.
Textilbeschäftigte weiterhin besorgt über die aktuelle Lage
In Bangladesch kommt es derzeit in manchen Teilen des Landes zu einer Art „Arbeitskrise“, da circa zehn bis 15 Prozent der Textilbeschäftigten, die während der Pandemie in die Dörfer zurückgekehrt sind, nicht mehr zur Arbeit kommen. Die Fabriken bekommen auch bei wiederholten Anwerbungsversuchen nicht genügend Arbeitskräfte. Einige Fabrikbesitzer*innen berichten, sie würden Fabriken nun mit etwa 15 Prozent weniger Arbeiter*innen betreiben müssen, obwohl sie mittlerweile wieder mehr Aufträge aus dem Ausland erhalten haben.
Laut einer Umfrage sind rund 84 Prozent der Textilbeschäftigten besorgt über den aktuellen Zustand von Covid-19 in Bangladesch und der fehlenden Hygienemaßnahmen in Bekleidungsfabriken. Das South Asian Network on Economic Modeling (Sanem) und das Microfinance Opportunities (MFO) führten seit April 2020 gemeinsam die Umfrage „Worker Diaries: Working during COVID-19 Lockdowns“ durch. Die Daten der Umfrage wurden durch Telefoninterviews mit 1.278 Arbeiter*innen von Bekleidungsfabriken in fünf großen Industriegebieten gesammelt. Nur 45 Prozent der Arbeiter*innen erhielten eine Maske zum Tragen bei der Arbeit. Rund 77 Prozent der berufstätigen Befragten gaben an, dass sie während der Arbeit in der Fabrik die Mindestabstände einhalten können.
Medienberichten zufolge hat die Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association (BGMEA) Briefe an Vertreter*innen westlicher Länder und regionaler Organisationen geschickt, und um Impfhilfe für Textilarbeiter*innen gebeten. Laut BGMEA wurden Briefe an die Botschafter*innen des britischen Hochkommissariats in Bangladesch, den USA, Kanada, und weiten Teilen Europas versendet. Die deutsche Marke KiK hat bereits den Kauf von Covid-19-Impfstoffen für Textilarbeiter*innen in Bangladesch finanziert. Die Spende erfolgte über die BGMEA.
In anderen Teilen Bangladeschs sieht es aber anders aus: Medien berichten, dass überschüssige Arbeitsaufträge 300.000 RMG-Arbeitsplätze geschaffen hätten. Die Ready Made Garment Industry (RMG) fungiert als Katalysator für die Entwicklung Bangladeschs.
Die RMG-Arbeiterführerin Nazma Akter gibt an, dass eine große Anzahl von Fabriken jetzt im Doppelschichtbetrieb laufe. Kund*innen würden aufgrund der politischen Unruhen in Myanmar mehr Bestellungen in Bangladesch aufgeben. Zudem hätten viele andere Wettbewerbsländer noch immer mit Covid-19 zu kämpfen. Branchenexpert*innen zufolge könne diese Entwicklung auch bedeuten, dass Hersteller*innen nun höhere Preise für neue Bestellungen aushandeln können. Dies könne sich auch positiv auf die Gehälter der Mitarbeitenden auswirken.
Shahidullah Azim, Vizepräsident der Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association (BGMEA), betonte jedoch die dringende Notwendigkeit, Fachkräfte auszubilden. „Die Industrie braucht Facharbeiter*innen, um Kleidung gemäß den Anforderungen der Kund*innen herzustellen, aber wir haben nicht genügend Ausbildungszentren, um Fach- und angelernte Arbeitskräfte zu produzieren.“ Wenn sich die Regierung auf die Entwicklung der Fähigkeiten der Arbeitnehmer konzentrieren würde, wäre die Textil- und Bekleidungsindustrie in der Lage, mehr Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen.
Die Lage bleibt an vielen Produktionsorten weiterhin angespannt. Wer über die aktuelle Situation und arbeitsrechtliche Entwicklungen informiert bleiben will, dem sei der Live-Ticker der Clean Clothes Campaign empfohlen.
Titelbild: Billow via Unsplash