Faire Mode hat 2017 einen Umsatz von 129 Millionen* in Deutschland erreicht. Das klingt viel. Wenn man aber weiß, dass der Umsatz von Textilien und Bekleidung insgesamt bei 36 Milliarden** lag, tut es das nicht mehr. Fair Fashion bewegt sich immer noch in einem relativ kleinen Feld, in dem gegenseitiger Support nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig ist, um im Ganzen die Modebranche verändern zu können. Trotz Idealismus ist jedes Fair Fashion-Label natürlich auch immer ein Business, das sich im Wettbewerb durchsetzen muss.
Wir haben mit Claudia Lanius, der Gründerin des Labels LANIUS über Konkurrenzdenken und gegenseitiges Empowerment in der fairen Modebranche gesprochen.
LANIUS macht immer wieder Kooperationen mit anderen Marken, zum Beispiel Weleda oder Kunert. Wieso sind solche Kooperationen für euch wichtig?
Claudia Lanius: „Jede dieser symbiotischen Zusammenarbeiten hat sich ganz natürlich ergeben. Der gemeinsame Nenner ist die nachhaltige Philosophie, der Grundstein, der LANIUS mit den Komplizen – so nennen wir die Unternehmen, mit denen wir kooperieren, gerne – verbindet. Das hat uns jedes Mal weitergebracht. Durch die Kooperation mit Kunert sind wir auf die Organisation Healthy Seas und die synthetische Faser Econyl® aufmerksam geworden- eine zu 100% regenerierte Nylonfaser aus Fischernetzen und anderem Nylonabfall, aus der unsere Strumpfhosen gemacht sind.“
Und wie geht ihr mit Marken um, die noch näher an euch dran sind, vielleicht dieselbeZielgruppe haben? Gibt es da Konkurrenzdenken oder sitzen letztendlich alle im selben Boot?
Claudia Lanius: „Ich sehe den Wettbewerb innerhalb des Segments Fair Fashion grundsätzlich als etwas Positives an. Denn er bedeutet, dass die Branche wächst und das ist gut so. Es kommt oft vor, dass junge Designer*innen zu mir auf den Messestand kommen mich ausfragen. Ich gebe da gerne Antworten, denn mit ‚Wieso, weshalb, warum?‘ hat bei mir auch alles begonnen, als ich mit zwanzig Jahren anfing, mich auf die Spuren von nachhaltigen Fasern und fairer Produktion zu begeben. Wettbewerb belebt und es ist das Angebot, das breiter werden muss, um die Gesellschaft überall zu erreichen. Von daher: Wir nachhaltigen Labels sitzen definitiv im selben Boot.“
Wie könnten sich Marken gegenseitig dabei helfen, faire Mode voranzubringen?
Claudia Lanius: „Für viele nachhaltige Marken ist Marketing ein mittelschweres Problem. Das Budget hierfür freizumachen kann wirklich wehtun, denn die Preiskalkulation soll natürlich ebenfalls fair sein. Eine gemeinsame Marketingmaßnahme umzusetzen, wie zum Beispiel das ‚11 Loving Brands‘ Booklet, das von recolution bereits zum zweiten Mal herausgegeben wurde, ist super! Man präsentiert sich selbst den Kund*innen, aber stellt auch andere Brands vor.“
Was hältst du von einer Open-Source-Mentalität? Könnte das auch ein Weg sein?
Claudia Lanius: „Eine gute Frage. Wir haben intern auch häufig über das Thema diskutiert: Wie transparent sind wir? Wie transparent wollen wir sein? Und wie viel Transparenz können wir uns leisten? Mein Standpunkt ist: Ich bin eine Geschäftsfrau, der ein gewisser Pioniergeist nachgesagt wird. Innovationen, wie das Thema Natural Dyeing – die Färbung mit Naturfarbstoffen – erfordern viel Recherche, Zeit und auch Mut. Wenn ich hier alle meine Quellen offenlegen würde, würde ich meinen Wettbewerbsvorteil verschenken. Dazu bin ich gerade zum Launch eines Projekts oder einer Produktlinie nicht bereit. Aber dafür gibt es andere Bereiche, in denen ich gerne meine Erfahrungen, meine Ideen und meine Kontakte zur Verfügung stelle, wie beispielsweise bei unserer #NOPLASTIC Initiative.“
Apropos #NOPLASTIC. Wieso ist Plastik ein Thema für euch?
Claudia Lanius: „Dass wir Lösungen für die immensen Mengen an Verpackungen im Modebereich finden, ist mir schon länger ein großes Anliegen. Als wir vor vier Jahren den Onlineshop gestartet haben, ist auch im E-Commerce von LANIUS das Thema aufgekommen. Bei unseren internen Nachhaltigkeitstagen haben wir dann beschlossen, dass wir unbedingt etwas unternehmen möchten. Um hier wirklich etwas zu bewegen, haben wir uns für den Start der #NOPLASTIC-Initiative mit dreizehn anderen nachhaltigen Modeunternehmen, u.a. ARMEDANGELS, hessnatur, Bleed, MAAS NATUR und uvm. sowie mit Organisationen, wie dem IVN und der NGO STOP! Micro Waste zusammengeschlossen.“
Und was genau wollt ihr erreichen?
Claudia Lanius: „Unser kurzfristiges Ziel ist es, die Nutzung von Polybags [Anm. d. Red. Verpackungsbeutel aus recyclingfähigem, aber aus Erdöl gewonnenem Kunststoff] zu reduzieren. Ein Teil der F/S 2019-Kollektion wird erstmals in Beuteln aus Pergamin-Papier ausgeliefert und verschickt. Pergamin ist ein rein pflanzliches Produkt, das wir so in der Praxis auf wichtige Faktoren, wie Haltbarkeit und Lichtbeständigkeit prüfen werden. Der Einsatz von Papier-Banderolen soll zudem bei manchen Kleidungsstücken die Polybag-Verpackung ersetzen. Mittelfristig haben wir das Ziel, in regelmäßigen Treffen zusammenzukommen, um mit vereinten Kräften wirksame Lösungen in der Reduktion des Plastikverbrauchs voranzutreiben. Wir möchten alternative, skalierbare Möglichkeiten der Verpackung finden und diese gegebenenfalls sogar selbst entwickeln. Unser langfristiges Ziel ist es, mit unseren Fortschritten und den entwickelten Alternativen uns und auch anderen Unternehmen die Möglichkeit zu bieten, Polybags nachhaltig zu ersetzen und die Entstehung von unnötigem Abfall aus fossilen Rohstoffen zu verhindern.“
Das ist ein starker Ansatz! Wie schafft man es als Modelabel sich zu gesellschaftlich relevanten Themen zu positionieren und andere zu empowern?
Claudia Lanius: „Ich glaube, das passiert im Bereich von nachhaltiger Mode fast automatisch. Man könnte fast sagen: eine Art Berufskrankheit (lacht). Mein Ziel ist es, nicht mit dem erhobenen Zeigefinger aufzutreten, sondern durch positive Alternativen Wege aufzuzeigen, mit denen man es besser machen kann. Wenn mir ein Thema wichtig ist, dann positioniere ich mich klar und eindeutig. Bin ich selbst überzeugt, gelingt es mir meist sehr gut, andere ebenfalls zu empowern. Vielleicht ist also das nötige Herzblut für eine Sache das Geheimnis.“
Du bist inzwischen schon lange in der Modebranche unterwegs. Was rätst du jungen Modelabels?
Claudia Lanius: „Angst ist meiner Ansicht nach kein guter Begleiter. Seid offen und hinterfragt bestehende Strukturen und Prozesse. Geht selbst in Produktionsstätten und sprecht mit den Menschen. Seid präsent und vernetzt euch.“
Was wünschst du dir für die Modebranche?
Claudia Lanius: „Ich wünsche mir, dass die Menschen weltweit adäquat bezahlt werden, sodass sie ihr Leben würdevoll bestreiten können. Und ich wünsche mir, dass endlich allen klar wird, dass wir nur eine Welt haben und wir eine Verantwortung für die Generationen nach uns tragen, diese Welt zu erhalten.“
[edgt_highlight background_color=”#6ec5bc” color=”#000000″]Nachhaltige Mode muss strengen Kriterien gerecht werden, um als nachhaltig zu gelten. Bei der Verpackung gibt es diese Richtlinien allerdings nicht. Im Oktober 2018 hat LANIUS zum ersten Mal 13 Modeunternehmen und Organisationen an einen Tisch gebracht, um gemeinsam nach Lösungen für alternative Verpackungen zu suchen.[/edgt_highlight]
* „Umsatz mit Fairtrade-Textilien in Deutschland in den Jahren 2011 bis 2017 (in Millionen Euro)“ via Statista.com
** „Bruttoumsatz mit Textilien und Bekleidung in Deutschland nach Vertriebsformat in den Jahren 2007 bis 2017* (in Millionen Euro)“ via Statista.com
Titelbild: (c) Olaf Wull-Nickel