Der „gute“ Konsum – ist Cradle to Cradle die Lösung?

Wenn es so etwas wie „das nachhaltige Modewort des Jahres“ geben würde, dann hätte „Cradle to Cradle“ die letzten Jahre definitiv das Rennen gemacht. So wird Cradle to Cradle als die Lösung der Textilindustrie gehandelt, die uns vor weiteren Umweltkatastrophen und Textilmüll retten wird, und endlich Prosument*innen aus uns macht, also aktive Konsument*innen, die in den Produktionskreislauf einbezogen werden. Presse und Brands stürzen sich auf dieses spannende und hochkomplexe Thema, denn eines steht fest: In Zeiten von steigendem Produktionsvolumen auf der einen Seite und höheren Konsumausgaben sowie immer geringer werdender Lebensdauer von Kleidung auf der anderen Seite, brauchen wir statt Wachstumsökonomie und linearen Wirtschaftsmodellen eine ganzheitlich denkende Industrie. Genau hier kann die Kreislaufwirtschaft ansetzen. Bildlich gesagt bedeutet das Cradle to Cradle-Modell, dass die eingesetzten Materialien am Ende nicht auf der Mülldeponie landen, sondern im Produktionskreislauf bleiben, indem sie in andere Produkte umgewandelt werden. Hierbei unterscheidet man zwischen biologischen und technologischen Kreisläufen. Vereinfacht erklärt: Während beim technologischen Verfahren nach Gebrauch die Ausgangsmaterialien wieder hergestellt werden, sind die eingesetzten Materialien beim biologischen Kreislauf kompostierfähig.

Das seit 1950 bestehende österreichische Traditionsunternehmen Wolford hat in den letzten vier Jahren an der Entwicklung einer Modelinie nach dem Cradle to Cradle-Ansatz gearbeitet. Das Ergebnis: eine sukzessiv erweiterbare Kollektion bestehend aus einer Leggings, einem Rollkragenpullover, Top und Shirt, die das Siegel Cradle to Cradle Certified™* nach dem Gold-Standard tragen. Die Aurora-Modelle bestehen aus der Zellulosefaser Lenzing Modal, einem erdbölbasierten Polymer von infinito von Lauffenmühle sowie ROICA, einem Premiumgarn – alle drei Fasern garantieren eine biologische Kreislauffähigkeit, sprich sie lassen sich ohne chemikalische und gesundheitsgefährdende Rückstände als Biogas zurück in den Kreislauf führen. Dass es sich hierbei nicht um eine einmalige Aktion handeln soll, zeigt Wolfords ambitioniertes Ziel, bis 2025 50% der gesamten Produktion auf Cradle to Cradle umzustellen. Wir haben mit Andreas Röhrich, verantwortlich für Produktentwicklung, -management und Textilbeschaffung bei Wolford AG, über die aktuelle Cradle-to-Cradle-Kollektion gesprochen und nachgefragt, ob Cradle to Cradle auch die Lösung für einen „guten“ Konsum ist.

Wie unterscheidet sich die Arbeit an einer Cradle to Cradle-Kollektion von einer konventionellen Kollektion?

Andreas Röhrich: „Den Unterschied macht bei uns vor allem die Materialzusammensetzung. Von der Faser über das Zubehör muss alles Cradle-to-Cradle zertifiziert sein und im Falle von unseren aktuellen Modellen dann auch für den biologischen Kreislauf geeignet sein, das heißt, dass sie kompostiert und abgebaut werden können. Also ist einer der wichtigsten Arbeitsschritte schon ganz am Anfang die Rohstofforganisation. Wichtig war für uns auch, dass wir das Projekt wirklich ganzheitlich umsetzen: auch unsere Verpackung und die Druckfarbe darauf sind kompostierbar. Lediglich der Sticker mit Strichcode, Artikelnummer, Farbcode, Farb-, Produktname und Größe, den wir aufgrund der Textilrichtlinien auf der Verpackung haben müssen, muss entfernt werden.“

Inwieweit kann eine solche Kollektion Vorbildcharakter für andere Textilhersteller sein?

Andreas Röhrich: „Wir finden, dass wir als internationales Modeunternehmen und Innovator eine gewisse Vorbildfunktion haben, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Wir hoffen sehr, dass wir dadurch auch andere Unternehmen zum Nachdenken und Umdenken anregen können. Es gibt keinen Planeten B. In der ganzen Industrie muss ein Umdenken stattfinden, hin zu fairer und umweltfreundlicher Produktion, Müllvermeidung und Slow Fashion, weg von der Überproduktion. Dieses Umdenken muss jetzt stattfinden!“

Wieso gibt es nicht schon mehr Cradle to Cradle-Kollektionen auf dem Textilmarkt?

Andreas Röhrich: „Der Cradle to Cradle-Ansatz ist je nach Kleidungsstück sehr schwierig umzusetzen. Wir haben vier Jahre mit einem Konsortium aus unterschiedlichen Unternehmen und auch Fachhochschulen an der geeigneten Umsetzung gefeilt. Insgesamt waren alleine von unserer Seite mehr als 60 Personen an dem Projekt beteiligt. Diese Kapazitäten hat natürlich nicht jeder und auch nicht die finanziellen Mittel. Cradle-to-Cradle ist kein Marketing-Gag, sondern echter Entwicklungsaufwand.“

Siehst du in Cradle to Cradle die Zukunft der Textilbranche?

Andreas Röhrich: „Cradle-to-Cradle ist auf jeden Fall der wichtigste Ansatz von einer linearen Wirtschaft hin zu einer zirkulären und sollte nicht nur in der Textilindustrie Anklang finden, sondern auch in anderen Industriesparten. Ein ressourcenschonender Umgang mit Rohstoffen ist immer und überall wichtig. Es gibt aber natürlich unterschiedliche Ansätze, die Textilindustrie zu verbessern: die immer noch vorherrschende Überproduktion ist ein großes Problem in unserer Industrie und muss ebenfalls angegangen werden.“

Der Aurora-Pullover kostet 195 Euro, die Leggins 120 Euro. Warum ist ein Cradle-to-Cradle-Shirt teurer als ein herkömmliches T-Shirt aus Modal?

Andreas Röhrich: „Der Entwicklungsaufwand, der in solch einem Produkt steckt, ist enorm. Es werden sehr viele Prototypen gefertigt und die Supply-Chain muss überdacht werden. Die Garne, Farbstoffe, Etiketten, Druckfarben, Verpackungen – alles musste umgestellt werden. Sogar das Maschinenöl. Das muss sich irgendwann auch wieder für ein Unternehmen rechnen. Außerdem sind wir die ersten in der Textilindustrie, die sich an eine so großflächige Umsetzung wagen. Wir forschen nicht nur an einem Produkt, sondern an mehreren gleichzeitig. Wir wollen auch Cradle to Cradle-zertifizierte Tights und Knee Highs anbieten. Da haben wir aber länger gebraucht, bis wir mit dem Endprodukt zufrieden waren und es intern unsere sieben Qualitätskontrollen passiert hat. Sie sollen innerhalb der nächsten zwei Saisons auf den Markt kommen.“

Zurück zu eurer Kollektion. Teil eures Cradle to Cradle-Ansatzes ist es, die Konsument*innen in den Kreislauf einzubeziehen. Was passiert mit dem Kleidungsstück, wenn ich es nicht länger tragen möchte und an Wolford zurückgebe?

Andreas Röhrich: „Die Produkte werden in unseren Stores gesammelt und bei der nächsten Kollektionsauslieferung dem Zusteller mitgegeben. Anschließend gelangen sie zu uns nach Bregenz ins Lager, wo sie gesammelt werden, bevor sie zur industriellen Kompostieranlage gebracht werden. Dort verwandeln sich die Shirts und Leggings in Biogas, das wir wieder für unsere Produktion einsetzen. Die Überreste der Biogasproduktion können als Humus verwendet werden. Diesen Kreislauf kommunizieren wir den Konsument*innen bereits beim Kauf im Onlineshop als auch direkt im Packungs-Inlay.“

Könnte ich ein kaputtes Teil theoretisch auch in der Biotonne entsorgen?

Andreas Röhrich: „Ja, rein theoretisch würde das funktionieren. Das Elasthan und das Polyester in den Kleidungsstücken sind ebenfalls abbaubar, ohne dabei Schadschoffe freizugeben. Es würde allerdings sehr viel länger dauern als in der Kompostieranlage, da dort eine konstante Temperatur von 60°C herrscht und der Biomasse Enzyme zugesetzt werden.“

[Anmerkung der Redaktion: Wir raten – genau wie bei Bioplastik – davon ab, kreislauffähige Kleidung in der Biotonne zu entsorgen, da unser Müllentsorgungssystem nicht auf derartige Produkte ausgelegt ist. Bitte werft keine Kleidungsstücke in den Hausmüll und gebt kreislauffähige Mode immer direkt beim Hersteller oder Händler zurück, damit sie im Kreislauf bleiben.]

Ist Cradle to Cradle jetzt eine ‚Ausrede‘ dafür, dass wir weiterhin genauso viel produzieren können wie vorher, ohne an den großen Problemen anzusetzen: Überproduktion und Konsum?

Andreas Röhrich: „Auf keinen Fall! Wenn trotzdem noch alle zwei Wochen neue Kollektionen auf den Markt kämen, wäre das unserer Meinung nach der falsche Weg. Es muss ein Umdenken stattfinden und ein Schritt weg von der Schnelllebigkeit getan werden. Wir sind seit jeher große Verfechter des Slow Fashion Movements.“

Welche Schritte Richtung Nachhaltigkeit unternimmt Wolford ansonsten?

Andreas Röhrich: „Wolford war schon immer nachhaltig. Wir produzieren in Bregenz inmitten eines Wasserschutzgebietes und haben daher sehr hohe Umweltauflagen zu erfüllen. Zudem haben wir eine eigene Wasseraufbereitungsanlage, um unser Wasser zu filtern und zu recyceln. Auch unsere Garnlieferanten gehören zu den besten in ihrer Branche und arbeiten ununterbrochen daran, die Textilindustrie nachhaltiger zu gestalten. Man nehme nur Lenzing AG als Beispiel, von denen wir vor allem unser Modal beziehen, welches auch der Hauptbestandteil der Cradle to Cradle-Produkte ist. Wir arbeiten außerdem daran, dass auch unser Umgang mit allen anderen genutzten Rohstoffe nachhaltig ist.“

Vielen Dank für das Gespräch, lieber Andreas. Wie steht Ihr zum Thema Cradle-to-Cradle in der Modeindustrie?

* Cradle to Cradle Certified™ prüft die Verwendung von umweltsicheren, wiederverwertbaren und gesundheitlich unbedenklichen Materialien, den Einsatz erneuerbarer Energien, den verantwortungsvollen Umgang mit Wasser sowie die Einhaltung von Sozialstandards. Die Produktqualität wird mit den Kategorien Basis, Silber, Gold und Platin bewertet. Mehr Informationen zum Zertifikat gibt es hier.

Titelbilder: (c) Wolford. Collage von Vreni Jäckle für Fashion Changers

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

4 Antworten auf „Der „gute“ Konsum – ist Cradle to Cradle die Lösung?“

Hi Zusammen,
das ist echt ein superspannendes Konzept. Habe jetzt schon öfter davon gehört und gelesen, in einigen nachhaltigen Online-Shops beispielsweise kann man diese Art und Weise der Produktion auch als Auswahlkriterium auswählen. Hoffentlich wird in diese Richtung noch viel mehr passieren – Generell finde ich aber dennoch, dass Second-Hand-Einkäufe aktuell die beste Möglichkeit sind, Ressourcen zu sparen und Vorhandenes zu nutzen. Beim unumgänglichen Neukauf finde ich die Cradle-to-Cradle-Philosophie aber toll.