Gentrifizierung von Secondhandmode – ein kaputtes System?

Was einst als Zufluchtsort für Menschen galt, die erschwingliche Kleidung benötigen, ist nun zu einem Paradies geworden für Kundschaft, die nach Designer-Schnäppchen sucht. Doch: Stimmt das wirklich? 

Einige meiner Freundinnen meinten mal zu mir, sie würden mehr Secondhand shoppen, wenn es nicht so teuer wäre. Erst dachte ich nur: Warum teuer? Doch eine Freundin erklärte mir das Problem: die immer höheren Preise von Secondhand– und Vintage-Mode, schreckten sie davon ab,  überhaupt einen Secondhandladen zu betreten. Sie meinte, dass durch die teilweise enormen Preise, Menschen, die eigentlich auf erschwingliche Secondhandkleidung angewiesen sind, sich diese nicht mehr leisten können und daher immer mehr zu Fast Fashion greifen. 

Dieser Prozess nennt sich auch Gentrifizierung und stammt eigentlich aus einem ganz anderen Kontext. Menschen, die sich ihre Wohnungen oder Häuser in ihren Vierteln nicht mehr leisten können und in diesen durch wohlhabende Bewohner:innen ersetzt werden, sind Opfer von Gentrifizierung. Etliche Aufwertungsprozesse, und die daraus folgende veränderte Nachfrage, treiben die Lebenshaltungskosten so hoch, dass viele Menschen gezwungen sind in erschwinglichere Viertel umzuziehen. Bis der Gentrifizierungsprozess auch dort beginnt. Dass es so etwas Ähnliches auch in der Modeindustrie gibt, war mir vorher nicht bewusst.

Secondhand hat in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen – vor allem bei jungen Menschen. Aber eben auch bei wohlhabenden. Und genau das macht den Gentrifizierungsprozess aus: der Ansturm von wohlhabenden Kund:innen treibt die Preise hoch. Dies kann verheerende Folgen auf lokale Gemeinschaften haben, die sich Secondhandmode nicht mehr leisten können. Wo sich einst qualitativ hochwertige Kleidung für geringe Preise finden ließ, stapeln sich nun trendy Klamotten für die hippe Gesellschaft, die versucht das ein oder andere Schnäppchen herauszuschlagen. Das ist Gentrifizierung, oder etwa nicht? 

Gentrifizierung, oder etwa doch nicht?

Ich versuche noch eine andere Perspektive einzunehmen: Könnte es sein, dass die Preiserhöhung vielleicht doch darin begründet ist, dass es zu wenig Secondhandkleidung gibt und die Nachfrage einfach zu groß ist? Das läge dem Grundprinzip des Angebots- und Nachfragegesetzes nahe, also je knapper das Gut und je höher die Nachfrage, desto höher der Preis.

Das Gegenteil ist jedoch der Fall – es gibt zu viel gebrauchte Ware. Davon werden nur jeweils zehn Prozent an Bedürftige weitergegeben oder in Secondhandläden weiterverkauft. Fast die Hälfte der Secondhandkleidung, die wir in Deutschland aussortieren, wird ins Ausland exportiert; etwa 15 bis 19 Prozent werden recycelt. Da es also offensichtlich keinen Mangel an Secondhandmode gibt und wir wahrlich darin schwimmen, ist jegliche Preiserhöhung unberechtigt.

 

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In den letzten Monaten sind auch Onlineplattformen unter Beschuss geraten, wie beispielsweise Depop. Es wird angenommen, dass manche Nutzer:innen Unmengen an Secondhandkleidung günstig einkaufen und zu unangemessenen Preisen weiterverkaufen. Ist dies wirklich so verwerflich, frage ich mich. Schließlich gilt es auch zu bedenken, dass dies eine Art von Arbeit ist. Stundenlang nach gut erhaltener Kleidung suchen, diese in Szene setzen und fotografieren, beschreiben, potenziellen Käufer:innen antworten. All das kostet sehr viel Zeit und natürlich muss dieser Aufwand auch irgendwie berechnet werden.

Dabei dürfen wir auch die Gebühren nicht vergessen, die Nutzer:innen bei jedem Verkauf an die Online-Unternehmen zahlen müssen. Ähnlich ist es bei Secondhand- oder Vintage-Läden, die Miete kosten, Personal, Elektrizität und Mobiliar. Dass dies manchmal zu absurden Preisen führen kann, will ich nicht leugnen. Ob es ethisch ist, teilweise günstig erworbene Kleidung zu unfairen Preisen weiterzuverkaufen? Ich glaube, viele Online-Reseller, die teilweise noch sehr jung sind, sind sich nicht einmal bewusst, welche Auswirkungen ihr Businessmodell hat.

Die Gentrifizierung von Secondhandmode ist vor allem in den USA oder England kaum mehr zu leugnen. Ich denke, die Entwicklung hält sich in weiten Teilen Europas noch etwas in Grenzen. Gentrifizierung ist ja auch stark abhängig von Ort und Zeit. Und doch muss ich meinen Freundinnen recht geben: Die Preise von Secondhandmode in Städten wie Wien oder Brüssel sind in den letzten Jahren stark angestiegen.

Der politische Wille muss da sein

Wir leben in einem kapitalistischen System – und dieses sollten wir verurteilen. Nicht einzelne Individuen. Es handelt sich um ein System, in dem gebrauchte Kleidung weggeworfen, verbrannt oder in den Globalen Süden exportiert wird, weil es einer bestimmten Kundschaft ästhetisch nicht entspricht und quasi keinen Gewinn mehr einbringt. Die übrig gebliebene Kleidung wird dann zu unverhältnismäßig hohen Preisen verkauft. Natürlich ist dies ein kaputtes System – eine immer hungrige Geldmaschine, die, wenn sie mal nicht bekommt, was sie will, auch gerne mal austickt und alles um sich herum zerstört.

Was lässt die kapitalistische Geldmaschine immer größer und gieriger werden, und somit auch unberechenbarer? Meiner Meinung nach ist das größte Problem von Gentrifizierung der Mangel an politischem Willen gerechte Richtlinien zu entwickeln, die diese Art von Problem beheben würden. Am häufigsten erfolgt Gentrifizierung nämlich aufgrund eines Mangels an Richtlinien, die den Beitrag der Gemeinschaft wertschätzen. Ohne Maßnahmen, die versuchen, die Trends zu beseitigen, die zu Zwangsumsiedlungen führen oder überteuerter Gebrauchtware, wird die Gentrifizierung weiterhin einkommensschwache und arme Gemeinschaften abbauen und verdrängen.

Um solche Strategien zu entwickeln, müssen wir die unverhältnismäßigen und zerstörerischen Auswirkungen der Gentrifizierung anerkennen und Druck ausüben auf die Politik. Ein System, in dem die Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung keine große Rolle spielt, ist nämlich ein kaputtes System.

Wie steht ihr zu dem Thema? Wollt ihr mehr über Gentrifizierung von Secondhandmode wissen?  

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2 Antworten auf „Gentrifizierung von Secondhandmode – ein kaputtes System?“

Danke für deinen Artikel. Vieles sehe ich ähnlich, manche Dinge könnten etwas besser recherchiert sein:) Aber es ist tatsächlich schwer, in diese Welt bis in die Wurzeln einzutauchen. Ich habe selbst einen 2nd Hand Laden und achte sehr darauf, dass die Kleidung noch erschwinglich bleibt und sich auch weniger gut betuchte Leute überhaupt Kleidung leisten können. (Obwohl es dann tatsächlich eher einfach bewusste und vor allem junge Leute anzieht, denn beim Aldi Angebot Steppjacke für 10€ kann einfach niemand mithalten.)
Wir haben in Leipzig ein Netzwerk aus 15 2ndhand und Vintage Läden und ich weiß, dass auch meine “Kolleginnen” mit teureren Angeboten zu knabbern haben. Es ist ein wirklich hartes Geschäft, bei dem man mit 60h pro Woche viel Liebe rein stecken muss und das tun wir alle. Man muss bedenken, wir kleinen Läden geben einfach erstmal 19% Prozent Umsatzsteuer an das Finanzamt ab, am Ende des Jahres kommt je nach dem nochmal die Einkommenssteuer. Weiter machen uns der erhöhte Mindestlohn (ich habe 2 Kinder und kann einfach nicht immer im Laden sein), die stark gestiegenen Energiekosten und auch, was uns privat betrifft, die Inflation bei den Lebensmittelkosten und Mietkosten schwer zu schaffen. Vielen Leipziger Läden, geht es eher darum ein nachhaltiges Angebot zu schaffen, statt reich zu werden.

Also warum sind wir nicht reich, obwohl die Vintage Preise so hoch sind? Die Vintage Preise haben sich natürlich zum einen, wegen der erhöhten nach Nachfrage nach oben entwickelt, aber der eigentliche Grund dafür, ist das das Angebot sinkt, denn die gut produzierten und wirklich schöner designten Stücke (weil es in den 80ern und 90ern einfach noch keine 14 Kollektionen pro Jahr gab) werden rar. Die billigen Teile, die wir selbst kaum loswerden, gibt es zu Hauf! So wie du schreibst, gebrauchte Kleidung an sich, ist ohne Ende verfügbar. Da muss man aber klar unterscheiden von 2nd Hand und Vintage. Vintage ist seit dem Hype und seiner Rarität sehr teuer im Einkauf geworden. 2ndHand Kiloeinkäufe sind zwar günstig, aber tatsächlich auch nicht viel günstiger, als die Neuware die bei Kik oder Primark angeliefert wird. Denn, es läuft so: wenn ein Mensch etwas in einen Spendencontainer, sagen wir von der Caritas wirft, dann wird das meiste danach an Textilsortierbetriebe verkauft (so macht die Caritas Geld, denn sie können natürlich nichts mit Kleidung im Übermaß anfangen), dann wird das erstmal sortiert, natürlich alles mit deutschen Löhnen und nicht, wie bei der Neuware von Kik mit einem Lohn, der ein Bruchteil von unseren Gehältern entspricht. Somit entwickeln sich die Preise nach oben.
Weiter sind eben die Kosten, die an so einem Laden hängen enorm und man darf nicht vergessen, dass wir immer ein paar Wochen im Jahr leerlauf haben und trotzdem an unseren Kosten hängen. Denn im Februar kauft keiner mehr Pullover oder Winterjacken, auch im Januar geht das Einkaufsverhalten zurück. Sowie auch der August ist bei mir immer ein Minusmonat, wenn alle im Urlaub sind. Und genau, selbst brauchen wir auch mal eine Pause 🙂 Denn die Angestelltenkosten sind, wie schon gesagt, einfach zu hoch um so einen Laden zu halten.

Ich total bei dir, wir sollten unbedingt Druck auf die Politik ausüben, denn 2nd Hand Kleidung sollte günstiger werden und kann dies nur, durch eine Umsatzsteuersenkung oder sogar Befreiung. Die Menschen in unserem Land produzieren einen riesigen Müllhaufen, der unsichtbar gemacht wird, weil er einfach verschifft wird und woanders abgeladen wird.
Leipzig hat beschlossen Zero Waste City zu werden, aber das ist alles nur Hochstaplerei, wenn in unserem Sektor nichts passiert, denn das Fast Fashion Angebot vergrößert sich immer weiter (in den letzten 15 Jahren hat es sich verdoppelt).
In Frankreich z.B. wird es künftig einen Kleidungsreparaturbonus von bis zu 25 Euro pro Person geben, um ihren Kleidungsmüll zu reduzieren. Das halte ich schonmal für einen guten Anfang.

Hallo Anna,
vielen Dank für dein wertvolles Feedback und die Einblicke in deine Erfahrungen. Es ist wirklich beeindruckend und inspirierend zu hören/lesen, wie viel Leidenschaft und Arbeit du und deine Kolleg*innen in eure Geschäfte steckt, besonders unter den herausfordernden Bedingungen, die du beschreibst.

Du hast recht, die Unterscheidung zwischen Secondhand und Vintage ist essenziell und beeinflusst die Preisgestaltung wesentlich. Dein Hinweis auf die steigenden Kosten für Ladenbetreiber*innen, wie Miete, Energie, Mindestlohn und Steuern, zeigt deutlich, dass die Preiserhöhung nicht einfach einer willkürlichen Preisgestaltung entspringt, sondern tief in der realen Geschäftswelt verwurzelt ist.

Auch die von dir beschriebenen Herausforderungen, wie die saisonalen Schwankungen im Verkauf und der Druck durch steigende Lebenshaltungskosten, verdeutlichen die Komplexität des Geschäfts. Es ist klar, dass Secondhandläden wie deiner nicht nur Handelsplätze sind, sondern auch Teil eines größeren ökologischen und sozialen Engagements.

Dein Vorschlag, politischen Druck auszuüben, um die Bedingungen für Secondhandkleidung zu verbessern, wie zum Beispiel durch eine Umsatzsteuersenkung, ist ein sehr interessanter Ansatz. Ich denke, solche Maßnahmen könnten tatsächlich dazu beitragen, Secondhandkleidung für alle (wieder) zugänglicher zu machen und gleichzeitig kleine, lokale Unternehmen zu unterstützen.

Ich stimme dir auch zu, dass der Trend zur Gentrifizierung in der Secondhand-Modebranche ein komplexes Phänomen ist, das sowohl wirtschaftliche als auch soziale Aspekte umfasst. Deine Erfahrungen zeigen, dass es wichtig ist, alle Seiten dieser Debatte zu berücksichtigen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die sowohl für Konsumierende als auch für Ladenbesitzer*innen fair sind.

Nochmals vielen Dank für deinen Beitrag und die Offenlegung deiner Perspektive. Genau dieser Austausch von Erfahrungen und Ideen ist es, der uns allen hilft, ein tieferes Verständnis für die Herausforderungen und Möglichkeiten im Bereich der nachhaltigen Mode zu entwickeln.

Liebste Grüße,
Medina