„Ich möchte mit Kopftuch akzeptiert werden und genauso akzeptiere ich auch die Frauen, die keines tragen“

Ein Stück Stoff und trotzdem so viel mehr als ein Kleidungsstück, ist das Kopftuch für viele nicht nur Diskussionsthema, sondern auch politisches Symbol. In der Berichterstattung über die Proteste im Iran in 2022 war es in vielen Medien auch als visuelles Symbol nicht wegzudenken und hat unzählige Berichte über den Widerstand von Frauen bebildert. Im Interview spricht Maryam Khawari über ihre Beziehung zum Kopftuch, mit welchen Reaktionen sie seit den Protesten als Kopftuchträgerin in Deutschland konfrontiert war und was sie sich für den Umgang mit dem Kopftuch ganz allgemein wünscht.

Pixels, Karolina Grabowska - Kopftuch, Iran.

Maryam Khawari ist 34 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder. Sie ist im Iran geboren und aufgewachsen. 2016 ist sie mit ihrem Mann und ihren Kindern nach Deutschland geflüchtet. In Afghanistan und im Iran hat sie als Schneiderin gearbeitet. In Deutschland macht sie aktuell ihren Realschulabschluss für eine spätere Ausbildung. Maryam ist eine von 23 Frauen, die im Buch „Frauen und ihr Tuch“ einen Einblick in ihre Beziehung zum Kopftuch geben. Unter dem Motto „Mehr miteinander reden statt übereinander“ ist dieser Gesprächsband ein Angebot für mehr Empathie untereinander. Im Fashion Changers Magazin veröffentlichen wir ein Interview mit Maryam als Buchauszug, in dem sie ihre Sicht auf ihr Kopftuch schildert, ihre Erfahrungen in Deutschland teilt und erzählt, wie sie auf die aktuelle Situation im Iran blickt.

Jessica El Menshawi: Woher kommst du?

Maryam Khawari: Meine Eltern sind aus Afghanistan, aber ich bin im Iran geboren und aufgewachsen. Dennoch fühle ich mich als Afghanin. Wir Afghan*innen werden im Iran nicht akzeptiert. Das Leben dort ist schwer für uns und wir fühlen uns immer wie Fremde. Wir dürfen nicht die gleichen Schulen besuchen und nicht die gleichen Jobs machen. Mein Mann ist in Afghanistan geboren. Nach der Heirat sind wir nach Afghanistan zurück und haben dort zwei Jahre gelebt.

Wie bist du nach Deutschland gekommen?

Zu Fuß. Von Afghanistan in den Iran, dann in die Türkei und mit einem sehr kleinen Boot nach Griechenland. Wir haben auf den Straßen geschlafen. Einen Monat waren wir unterwegs. Die Kinder haben wir viel auf den Schultern getragen. Wenn wir heute am Rhein spazieren gehen, haben meine Kinder noch immer Angst vor dem Wasser. Mein jüngster Sohn sagt immer: „Mama, ich falle runter, ich habe Angst.“

Seit wann trägst du Kopftuch?

Bis zu meinem zwölften Lebensjahr wollte ich kein Mädchen sein. Ich sah aus wie ein Junge. Meine Schwester hatte lange Haare und Mädchensachen an, während ich ganz kurze Haare hatte und nur Jungssachen trug. Bereits im Alter von drei Jahren habe ich mir einen Jungennamen ausgedacht und so wurde ich dann von allen genannt. Meine Eltern haben das akzeptiert. Sie konnten nichts dagegen tun. Sie hatten auch schon zwei Jungs. Es ist nicht so, dass sie unbedingt noch einen Jungen wollten. Mit 13 Jahren dachte ich mir dann plötzlich, “Nein, du bist ein Mädchen” und fing an, mich wie ein Mädchen zu kleiden, mich Maryam zu nennen und ein Kopftuch zu tragen.

Hast du das Tuch immer so getragen wie jetzt?

Ja, im Iran trägt man das so. Man wirft sich einfach ein Tuch locker um den Kopf, ohne es kompliziert und aufwendig zu binden. Die Haare bleiben sichtbar.

Und in Afghanistan?

Bevor die Taliban nach Afghanistan kamen, gab es hier ganz unterschiedliche Stile: fest gebunden, locker gebunden oder auch ganz ohne Tuch. Jede Frau konnte das selbst entscheiden.

Und wie findest du die Hijab-Stile in Deutschland?

Die Mehrheit der Muslim*innen ist hier türkisch oder arabisch und trägt das Tuch sehr eng am Kopf gebunden. Meinen Stil sieht man in Deutschland kaum. Oft fragen mich Leute daher, ob ich überhaupt Muslimin sei. Einmal wollte eine Frau wissen, ob ich „KORAN-erin“ bin. Ich dachte zunächst, dass sie danach fragt, ob ich den Koran lese und Muslima bin. Aber nein, sie hatte mein Tuch gar nicht als etwas Muslimisches verstanden und wollte wissen, ob ich Koreanerin bin (lacht laut).

Wie blickst du auf das Tragen des Tuchs mit den aktuellen Ereignissen im Iran?

Meine ganze Familie lebt noch im Iran. Ich bin jetzt hier in Deutschland und ich muss hier kein Kopftuch tragen, aber ich möchte. Wenn ich nicht mehr möchte, dann trage ich es auch nicht. Es ist mein Körper und meine Entscheidung. Aber dennoch greifen mich viele Bekannte aus dem Iran und aus Afghanistan an. Sie verstehen nicht, weshalb ich weiterhin Kopftuch trage. Gleichzeitig spüre ich in Deutschland manchmal kritische Blicke der muslimischen Community, weil ich das Tuch nur locker umlege und Haar zeige. Das ist doch verrückt. 

Was sagen Bekannte aus dem Iran zu dir oder wie äußert sich deren Kritik?

Fatima Payman ist jetzt neue Senatorin für Westaustralien. Sie hat es mit Kopftuch ins australische Parlament geschafft und sie ist auch eine aus Afghanistan geflüchtete Hazara – eine ethnische Gruppe in und um Afghanistan, der auch ich angehöre. Von ihr gab es kürzlich ein Lied auf Persisch mit englischer Übersetzung, das ich so schön fand. Ich habe dieses Lied in meinen Stories geteilt und plötzlich haben mich so viele Iran*innen und Afghan*innen beschimpft, weil ich ein Lied von einer Frau mit Kopftuch geteilt habe. Es geht in dem Lied überhaupt nicht um das Thema Kopftuch, es ging um Menschlichkeit. Dennoch haben sich die Leute so darüber geärgert und mich gefragt, warum ich überhaupt in Europa bin, wenn ich weiterhin Kopftuch tragen würde. Was sie trägt, ist doch ihre Sache, genauso wie mein Tuch meine Sache ist. Ich habe einfach nur ein Lied geteilt.

Bist du auch auf die Straße gegangen, um zu demonstrieren?

Ja, ich war selbst zum Beispiel auf einer Demonstration in Düsseldorf. Unsere Demonstration hatte aber nichts mit den Vorfällen im Iran zu tun. Obwohl es sicherlich ein gemeinsames Ziel gibt – die Freiheit. 

Für was bist du dann auf die Straße gegangen?

Das war nach einem Anschlag in Kabul auf eine Privatschule am 30. September 2022 in einem Stadtviertel, das hauptsächlich von Hazaras bewohnt wird. Die Taliban hatte Schulen für Mädchen ab der 7. Klasse geschlossen. Wir, die Hazaras, hatten aber unsere eigenen Schulen und Universitäten, die noch für alle geöffnet waren. Frauen haben bei uns mehr Freiheiten als in anderen afghanischen Volksgruppen. Unsere Mädchen und Frauen gehen zur Schule und auf Universitäten. Unsere Leute sind sehr gebildet und gehören zu den besten im Land. Viele Mädchen hatten an diesem Freitag eine Aufnahmeprüfung für die Universität. 43 Menschen, hauptsächlich allerdings Mädchen und Frauen, starben bei diesem Anschlag. Es gab unzählige Verletzte. Dieses Ereignis hat mich völlig aus der Bahn geworfen und stärker beschäftigt als die Ereignisse im Iran. Es macht mich auch traurig, dass hierüber sehr wenig berichtet wird. Die Geschichte der Hazaras ist sehr lang und ein Ereignis wie dieser Anschlag ist leider nicht neu für uns. Mit unserer Demonstration wollten wir auf diesen Völkermord aufmerksam machen. Die Welt soll sehen was passiert. In mehr als 101 Ländern kam es zu Demonstrationen – vor allem auch von Frauen. Unter dem #StopHazaraGeoncide konnte man alles verfolgen.

Denkst du, dass es in Deutschland mit Tuch schwerer für dich ist?

Ich weiß es nicht. Es ist mir auch egal. Das ist meine Sache. Viele afghanische Freund*innen hier sagen zu mir, dass ich es mir mit meinem Kopftuch unnötig schwer mache. Sie fragen, wozu ich einen Schulabschluss mache; mit Kopftuch würde ich eh keine Arbeit finden.

Wirst du hier in Deutschland von anderen Styles inspiriert und trägst dein Tuch jetzt auch mal anders?

Am Anfang habe ich mich hier in Deutschland mit meinem iranischen Stil komisch gefühlt und auch die kritischen Blicke anderer Muslim*innen gespürt. Also habe ich versucht, das Tuch wie die türkischen Frauen zu tragen. Ich habe es wirklich versucht, aber das war mir zu aufwendig. Ich habe drei Kinder und keine Zeit, das Tuch jeden Morgen so lange zu binden. Ich habe mir dann gesagt, “Ich bin zwar in einem anderen Land, aber ich bin immer noch Maryam. Warum soll ich also jetzt plötzlich das Tuch anders tragen?!” Viele sagen, wenn man den Ort wechselt, muss man auch die Kultur wechseln. Das finde ich nicht. Unsere Kultur gehört uns und die möchte ich nicht ablegen, nur weil ich woanders bin. Das ist meine Meinung. Vielleicht ist sie falsch, aber so fühle ich.

Hast du schon Diskriminierung erlebt?

In der U-Bahn hatte ich eine Erfahrung mit einem betrunkenen Mann. Er hat sich vor mich gesetzt und mich gefragt, warum ich mein Tuch nicht richtig trage. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen soll, und hatte auch etwas Angst. Türkische oder arabische Busfahrer werfen mir oft einen kritischen Blick zu. Zumindest empfinde ich das so. Frauen, die ihr Tuch eng am Kopf tragen, schauen mich an und ich sehe ihre Blicke, die sagen: „Deine Haare!“ Sie finden es nicht islamisch, weil man meine Haare ein bisschen sehen kann. Aber oft sind das Frauen, die zwar ein enges Kopftuch tragen, dafür aber eine enge Jeans oder einen Rock, der sehr körperbetont ist. Dann schaue ich zurück und meine Blicke sagen: „Deine Beine!“ (lacht laut).

Was wünschst Du dir im Umgang mit dem Kopftuch?

Ich möchte mit Kopftuch akzeptiert werden und genauso akzeptiere ich auch die Frauen, die keines tragen. Aber natürlich sollte diese freie Wahl auch für die Frauen im Iran gegeben sein. Wenn wir über Freiheit sprechen – dann habe auch ich die Freiheit, zu entscheiden, dass ich ein Tuch tragen möchte. Freiheit muss ja nicht mit Freizügigkeit gleichgesetzt werden. Freiheit ist es, die eigene Entscheidung zu leben und die anderer zu akzeptieren. Und das ist es doch, wofür die Frauen im Iran kämpfen – frei für sich und über ihre Körper entscheiden zu dürfen. 

Was sind deine Ziele für die Zukunft?

Ich hatte früher nicht die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen und einen Schulabschluss zu machen. Diesen Traum möchte ich mir in Deutschland erfüllen. Meinen Hauptschulabschluss habe ich bereits erworben und werde jetzt meinen Realschulabschluss machen. Ich habe noch etwas Angst, ob mein Deutsch gut genug ist, aber ich möchte dann eigentlich auch unbedingt Abitur machen.

Was sollen die Leute über dich denken, wenn sie dich sehen?

Die Menschen sind nicht alle gleich. Die Leute sollen schauen, wer unter dem Tuch steckt, und nicht jemanden nach dem Tuch beurteilen. Egal, ob Muslim*in oder nicht Muslim*in.

 

Dieses Interview erschien zuerst im Gesprächsband „Frauen und ihr Tuch“ im trotz allem Verlag. Herausgeber*innen sind Jessica El Menshawi und Helena de Anta. Für das Fashion Changers Magazin hat Jessica El Menshawi erneut mit Maryam Khawari gesprochen, wodurch für diese Veröffentlichung ein erweitertes Interview entstanden ist. 

Titelbild: karolina-grabowska via Pexels

https://www.trotzallem.ch/more-info

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