Gefährliche Ästhetik: Kleidung der rechtsextremen Szene 

Kleidung im Rechtsextremismus – wo früher eindeutige (Mode)Symbole dominierten, muss man heute oft doppelt hinschauen. Die Ästhetik aus Bomberjacke und Springerstiefeln ist Vergangenheit; längst haben sich neue Kleidungsformen in der Szene etabliert. Wir haben Expert*innen gefragt, woran das liegt, wie man die neuen Codes erkennt und wie sich Marken gegen die ungewollte Vereinnahmung wehren.

Titelbild Rechtsextremismus Kleidung – Codes der Szene erkennen

Eine dunkle Menschenmasse in Berlin aus der Deutschlandfahnen, Flaggen in Reichsfarben und Plakate mit Hassbotschaften gegen die aktuelle Regierung ragen – ist inzwischen leider kein seltener Anblick. Allein am 3. Oktober 2023, dem Tag der Deutschen Einheit, versammelten sich 4.000 Menschen in Deutschlands Hauptstadt. Zu ihren fragwürdigen Forderungen gehörten jene nach „Freiheit und Volksherrschaft“. Organisiert von Parteien wie der NPD, die Rechte oder die Freien Sachsen, lag die Anzahl rechter Demonstrationen laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz 2022 bei insgesamt 141 Veranstaltungen. Auch die Wahlergebnisse der diesjährigen Landtagswahlen in Bayern und Hessen sprechen eine klare Sprache. 

Die AfD, die seit ihrer Gründung 2013, steigende Wahlerfolge verzeichnen konnte, schob sich am 8. Oktober bei der Landtagswahl in Bayern auf den dritten Platz und wurde in Hessen sogar zweitstärkste Kraft. Matthias Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin macht deutlich: „Die AfD ist gestartet als eine rechtspopulistische Partei. Vor allem in den letzten Jahren hat sie sich aber zunehmend radikalisiert und kann deshalb als in Teilen rechtsextrem bezeichnet werden.”

In Deutschland ist ein Rechtsruck spürbar. Prof. Dr. Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention in Zürich, warnt allerdings, dass deutlich unterschieden werden müsse: Zwischen Menschen, die in der rechtsextremen Szene aktiv sind und solchen, die affin für Rechtsextremismus sind, sich aber nicht aktiv in der Szene engagieren, und den mittlerweile vielen rechtsorientiert denkenden Menschen, die es von sich weisen würden, rechtsextrem zu sein. „Für letztere sind Kleidung, Marken und die Auseinandersetzung damit nicht interessant, da diese weniger eine Rolle spielen, als bestimmte politische Positionen. Dennoch ist das Problem, dass durch die Normalisierung rechter Positionen in der Gesellschaft der aggressive Rechtsextremismus weiter wächst”, so Baier.

In den 90er Jahren trugen rechtsextreme Menschen Springerstiefel, Bomberjacken und die Haare kahlgeschoren. Heute ist eine rechte Gesinnung von außen häufig nicht mehr so offensichtlich. Wir wollen wissen: Wie ist sie heute zu erkennen? Welche Rolle spielt eigentlich Kleidung für weiblich gelesene Personen dabei? Und welche Gefahr birgt die modische Ästhetisierung von rechten Ideologien für Jugendliche?

Definition Rechtsextremist*in
  1. Dem Duden zufolge ist Rechtsextremismus (…) Extremismus im Sinne der Ideologie der äußersten Rechten”. Menschen mit einer rechtsextremen Haltung lehnen demnach die freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Stattdessen sind sie für die Einrichtung eines autoritären, oder sogar totalitären staatlichen Systems auf der Grundlage nationalistischen und rassistischen Gedankenguts. Dafür setzen sie sich auch unter Gewaltanwendung ein. 
  2. Der Verfassungsschutz wertet laut bpb folgende Merkmale als Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Haltung:
    – ein aggressiver Nationalismus mit deutschen Interessen als Richtschnur
    – den Wunsch, der pluralistischen Gesellschaft einen „Volkskollektivismus” entgegenzusetzen; Antipluralismus
    – Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, die sich gewaltbereit und aggressiv äußern
    – der Wunsch nach Militarismus
    – Relativierung und bisweilen gar Leugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus
    – Diffamierung demokratischer Institutionen und deren Repräsentant*innen
  3. In der Politikwissenschaft gibt es mehrere Definitionen, zu denen die bpb hier weitere Informationen aufführt.

Kleidung im Rechtsextremismus 

Lange war die Kleidung rechtsextremer Menschen vor allem eins: schwarz und martialisch anmutend. Doch dieses Erscheinungsbild, das vor allem in den 90er-Jahren durch die Skinhead-Bewegung geprägt war, ist heute nicht mehr oft zu finden. Die Merkmale, an denen Rechtsextreme zu erkennen sind, haben sich verändert.

Dirk Baier sagt, die Radikalität sei aus dem öffentlichen Erscheinungsbild rechtsextremer Gruppen zurückgewichen, da sie nach außen hin abschrecke. „Auch wenn diese ursprüngliche Ästhetik auf Veranstaltungen mit rechtsextremer Zielgruppe, wie Konzerten von Nazi-Bands, durchaus noch zu sehen ist, trägt es jenseits solcher Veranstaltungen nicht mehr dazu bei, den Rechtsextremismus voranzubringen.“ Diese Veränderung sei sehr herausfordernd, da man die Gruppen eben nicht mehr so leicht am Äußeren erkennen könne.

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Matthias Müller stimmt zu: „Äußere Erscheinungsformen verschwinden nicht einfach. Die rechtsextremen Szenen mit ihren jeweiligen Ästhetiken haben sich aber ausdifferenziert, sodass es heute eine viel größere Bandbreite rechtsextremer Erscheinungsformen gibt.“ Einerseits seien die Motive weiterhin aggressiv und martialisch und es werden Symbole, Marken und Kleidung getragen, die auf verschiedene geschichtliche kriegerische Auseinandersetzungen verweisen.

Gleichwohl fände sich aber auch Kleidung aus dem Milieu der Identitären Bewegung, die sich elitär inszeniert und intellektuelle Gruppen anspricht. Hier werde die Gesinnung mitunter durch kleine Logos von Marken transportiert, die nach außen oft nicht als rechtsextrem zu erkennen seien. Das vermindere die bedrohliche Wirkung und die Kleidung könne auch im Beruf oder an Universitäten getragen werden. 

 

Neue Herausforderungen für alte Institutionen

Neue modische Erfordernisse ergaben sich in Deutschland vor allem daraus, dass es seit zehn Jahren eine rechte Wahlpartei gibt – die AfD, erklärt der Soziologe und Rechtsextremismusforscher Christoph Schulze. „In den 90er-Jahren und den frühen 2000ern hatte der Rechtsextremismus Szenencharakter und war in seinen Nischen mit Milieupflege und Reproduktion beschäftigt. Heute werden diese alten Institutionen durch die AfD vor neue Herausforderungen gestellt, da sie sich nicht offen rechtsextrem, sondern demokratisch inszeniert. Für die Partei wäre es kontraproduktiv, wenn ihre Mitglieder sich offen aggressiv in Springerstiefeln und Bomberjacke kleiden würden.“

„Rechts sein“ ist also alltagstauglicher geworden. Deutlich zu sehen ist die Entwicklung auch an der Kommunikationsstrategie  der AfD in den letzten Jahren. Der Slogan, mit dem die Partei 2021 in den Wahlkampf zur Bundestagswahl startet, lautete „Deutschland. Aber normal“. Unterstützt wurde die Kampagne durch Filme, in denen „Normalität“ unter anderem durch emotionale und familiäre Szenen dargestellt werden soll, die Antifa-Protesten und Hinweisschildern mit Corona-Hygienemaßnahmen gegenübergestellt sind.

 

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Gefahren für Jugendliche

Diese Form der Außendarstellung übernehmen rechtsextreme Gruppierungen. „Der Grund für diese ‚normale‘ Darstellung ist die Gesellschaft nicht zu verschrecken, sondern für sich zu gewinnen“, erklärt Dirk Baier. „Dabei spielen insbesondere junge Menschen eine wichtige Rolle.“ Um eine jüngere Zielgruppe zu erreichen, würden rechtsextreme Gruppen modern auftreten, sowohl in Sachen Kleidung als auch in den sozialen Medien und bei öffentlichen Aktionen.

Ein gutes Beispiel dafür, diesen Kurs erfolgreich eingeschlagen zu haben, ist die Identitäre Bewegung. Zu erkennen an dem Lambada Symbol, einem gelben Winkel auf schwarzem Untergrund, vertritt sie laut der Bundeszentrale für politische Bildung „klassische islamfeindliche, rassistische und demokratiefeindliche Positionen”. Insgesamt sind Zugehörige der Gruppierung meist sehr jung und modisch gekleidet. Über Social Media wendet sich die Bewegung an eine breite Zielgruppe und spricht dabei vor allem urbane und akademische Milieus an, wobei der Fokus auf Schulen, Unis und anderen Orten liegt, an denen junge Menschen zu finden sind.

„Die Gefahr ist, dass am Anfang einer rechtsextremen Biografie neben Rassismus und einem Interesse an der Ideologie auch die soziale Anbindung, Identifikationsangebote und die Ästhetik eine Rolle spielen. Jugendliche finden so einen niedrigschwelligen Zugang in die Gesinnung. Erst am Ende steht das Handeln, die politische Wahl oder rechtsextremes Engagement – nicht selten verbunden mit Gewalt“, so Schulze. Laut Dirk Baier spielen dabei Marken eine besondere Rolle, da sie Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft unterstreichen – etwas, das Jugendliche vor allem im jungen Alter suchen.

Identifikation mit Marken – Kleidung im Rechtsextremismus

„Zu Beginn der 90er-Jahre gab es noch keine eigens von Rechtsextremist*innen gegründeten Marken, wie es heute der Fall ist. Damals wurden Marken ausgewählt, die auf dem Markt waren und sich vor allem mit der Skinheadkultur vereinbaren ließen“, sagt Matthias Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin. Zwei der bekanntesten Marken, die dieses Schicksal getroffen hat, sind Lonsdale und Fred Perry. Obwohl beide ursprünglich aus dem Sport kommen und nichts mit der rechtsextremen Szene zu tun haben, gehören sie zu den ersten Marken, die von dieser vereinnahmt wurden. Durch den Sport und damit verbundene Jugendkreise, wurden die beiden Marken von der in den 80er-Jahren nach rechts abkippenden Skinhead-Bewegung übernommen.

Lonsdale fiel der Buchstaben Konstellation „NSDA“ im Markennamen zum Opfer; bei Fred Perry war es der Lorbeerkranz, der in der rechtsextremen Szene „Sieg” symbolisieren soll. Laut Baier verdeutliche das sehr gut, dass Rechtsextreme das Spiel mit Symbolen lieben. Kleidermarken, die hier anschlussfähig sind, erhalten Aufmerksamkeit und werden vereinnahmt.

Um sich von diesem ungewollten Bezug zu lösen, startete Lonsdale die Imagekampagne „Lonsdale loves all colours“. Außerdem sponserte die Marke Sportvereine wie den Boxverein FC Sankt Pauli, der sich offen antirassistisch positioniert. Auch Fred Perry wehrte sich genau wie Lonsdale durch strengere Distribution und lieferte nicht mehr an rechts angesiedelte Händler*innen.

Gründung rechtsextremer Eigenmarken

Christoph Schulze erklärt, dass als Reaktionen auf die Bemühungen der Marken, sich von diesem ungewollten rechten Image zu lösen, Ende der 90er Jahre eine neue Entwicklung hervorgegangen sei: Die Gründung der ersten rechtsextremen Marken. Zu diesen zählte auch „Consdaple“;  getragen mit einer offenen Jacke darüber, bleiben ähnlich wie bei Lonsdale nur die Buchstaben NSDAP sichtbar. „Es eröffnete sich also Anfang der 00er-Jahre ein neuer Markt mit eigenen Neonazi-Marken. „Thor Steinar”, eine der bekanntesten, ist 2002 als erste Marke mit der Absicht angetreten, Geld mit rechtem Publikum zu verdienen“, so Schulze.

Kennzeichnend für viele Marken, die sich entwickelten, sei die Affinität für die nordische Mythologie, die sich in Symbolik, Motiven und Schriftzügen auf der Kleidung zeigt, so Matthias Müller. Außerdem zeichnet sich eine weiterhin wachsende Affinität zu Kampfsportarten ab, aus der heraus viele Neonazi-Marken gegründet wurden.

Was in rechten Szenen getragen wird

Marken mit Bezügen zu rechtem Gedankengut

  • Thor Steinar (Anlehnung an nordische Mythen und Runen aus dem Nationalsozialismus)
  • Consdaple (Buchstabenkonstellation NSDAP im Namen)
  • Erik and Sons (Anlehnung an nordische Mythen und Runen aus dem Nationalsozialismus)
  • Ansgar Aryan (übersetzt „Ansgar Arier“, Anlehnung an nordische Mythen und Runen aus dem Nationalsozialismus)
  • Phalanx (rechtsextremistische Bezüge)
  • Masterrace Europe (rechtsextremistische Bezüge)

Marken mit Bezügen zu rechtem Gedankengut und Kampfsport

  • Resistend
  • Greifvogel Wear
  • Label 23
  • Pro Violence
  • Brachial
  • Sport Frei
  • Walhall Athletik
  • Black Legion

Von Rechtsextremen ungewollt vereinnahmte Marken, die sich von der rechten Szenen distanzieren

  • Lonsdale (aufgrund der im Markennamen versteckten Buchstabenkonstellation NSDA)
  • Fred Perry (der Lorbeerkranz wird in rechten Szenen als Symbol des Sieges verwendet)
  • New Balance (großes „N” als Abkürzung für „Nationalsozialist/-mus”)
  • Helly Hansen (Buchstabenkonstellation HH. Die Bedeutung der Marke in der Szene hat aber abgenommen, seit sie in Hip-Hop-Kreisen populär wurde)
  • Ben Sherman

Marken, die in der rechten Szene beliebt sind und bewusst Aggressivität zum Ausdruck bringen

  • Doberman 
  • Pitbull
  • Troublemaker

Hier findest du Übersichten über Symbole der rechtsextremen Szene:

Kleidung im Rechtsextremismus: Die weibliche Zielgruppe

In den Symbolen und Aufdrucken der Hoodies und T-Shirts vieler Marken spiegele sich auch das absolut männlich dominierte Geschlechterverständnis des Rechtsextremismus ab, erklärt Christoph Schulze. Aus diesem Grund sprechen die Marken in erster Linie ein männliches Publikum an. Doch es gebe auch ein modisches Angebot für Frauen, da sie der Ideologie nach zwar untergeordnet, aber dennoch unverzichtbar seien. Oft seien es hier jedoch nur die Schnitte der Kleidung, die feminin sind. Aufdrucke und Symbole dagegen glichen meist denen der männlichen Kleidung.

„Es ist weiterhin wichtig, nicht nachzulassen“

Die Veränderung der Ästhetik rechtsextremer Gruppen sei also auf eine strategische Anpassung an die aktuelle gesellschaftliche Situation zurückzuführen, fasst Dirk Baier zusammen. „Wenn der Rechtsextremismus gesamtgesellschaftlich stärker wird, durch die Anzahl von Gewaltdelikten, Aufmärschen oder Wahlergebnissen, dann wirkt sich das meist positiv auf Versandhäuser und rechtsextreme Kleidungsmarken aus. Mehr Menschen trauen sich dann, offen diese Kleidung zu tragen. Dadurch steigen die Verkäufe und die Normalisierung rechtsextremer Positionen“, stimmt Matthias Müller zu.

Auf die Frage, was die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin gegen die aktuellen Entwicklungen tut, hat er eine klare Antwort: „Es ist weiterhin wichtig, nicht nachzulassen, denn auch nach den Wahlergebnissen in Bayern und Hessen, hat die AfD weiterhin keine Mehrheit. Menschen, die uns anfragen, beraten wir und versuchen wir zu ermutigen, Betroffene zu stärken und für sie eine solidarische Unterstützung zu ermöglichen. Im Kontext von rechtsextremer Kleidung möchten wir Menschen, die mit Jugendlichen arbeiten, sowie die Kommunalpolitik und das Personal in der Verwaltung sensibilisieren, Zeichen zu erkennen und die Handlungsspielräume, die sie haben, zu nutzen. Wir treten weiterhin für zentrale demokratische Werte ein: Menschenrechte, Minderheiten- und Diskriminierungsschutz.“

Hier findest Du Hilfe

Wenn du dich gegen Rechtsextremismus engagieren möchtest, kannst du mit dem Bundesverband der Mobilen Beratungsteams Kontakt aufnehmen, um an lokale Verbände und Vereine weitergeleitet zu werden.

Wenn du selbst von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt betroffen bist, kannst du dich an den Bundesverband der Opferberatungsstellen wenden.

Über die Autorin

Rabeas Liebe zur Mode fand ihren Höhepunkt in dem Beginn ihres Modejournalismus Studiums, das 2021 startete. Sie ist schnell zu der Erkenntnis gekommen, dass Mode nicht nur irgendwo zwischen Shoppingrausch und Trend stattfindet, sondern das Thema für sie viel mehr beinhaltet. Ab da war für Rabea klar, unbedingt dabei helfen zu wollen, die Mode in eine nachhaltigere Welt zu führen.

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