Vor kurzer Zeit noch war Instagram etwas, das in der öffentlichen Meinung als ausschließlich oberflächlich bewertet wurde. Was sollte man auch von den Nutzer*innen erwarten, die doch vor allem gerne sich selbst in Szene setzen. Richtig? Nicht so ganz. In den letzten Monaten wurde klar: soziale Plattformen wie Instagram dienen als viel mehr als das. Fridays For Future und Extiction Rebellion nutzen schon längst erfolgreich ihre Online-Profile, um ihre Botschaften und politischen Forderungen zu verbreiten und zu politischer Aktion zu mobilisieren. Und auch unter Einzelpersonen machen sich längst tiefgreifende Themen breit. So kam in letzter Zeit unter Anderem auch #ecoanxiety auf – ein Hashtag unter dem Nutzer*innen von ihrer Klima-Angst erzählen. Was genau Klima-Angst ist, warum sie gerade ein immer relevanteres Thema zu sein scheint und wie man vor allem mit ihr umgehen kann, habe ich mit Jan Lenarz besprochen. Jan ist Aktivist für mentale Gesundheit, Autor und Verleger. Im Februar 2020 erscheint sein „Leitfaden für eine gesunde Psyche auf einer kranken Erde“ und er hat den Instagramkanal @klimaangst ins Leben gerufen, auf dem er über Klima-Angst aufklärt.
Jan, wie kam es dazu, dass du dich mit dem Thema Klima-Angst beschäftigt hast?
„Mit meinem Buch ‚Ein guter Plan‘ helfe ich anderen Menschen, in ihrem Alltag mehr auf ihre Bedürfnisse zu achten. Das führte dazu, dass ich viele Nachrichten von Menschen bekomme, die sich wegen des Klimawandels sorgen. Da habe ich schnell gemerkt, dass Achtsamkeit und Stressvermeidung allein kein adäquates Mittel sind, um diese Angst zu reduzieren. Die Bedrohung ist ja sehr präsent und real. Auch mich selbst hat das Thema schon lange beschäftigt und der aktuelle Stand der Wissenschaft gibt eine sehr düstere Aussicht. Es gibt bisher kaum Material zum Thema Klima-Angst, und so habe ich selbst angefangen, darüber zu recherchieren. Die Ergebnisse veröffentliche ich im Frühjahr 2020 im Buch ‚Klima-Angst: Leitfaden für eine gesunde Psyche auf einer kranken Erde‘.“
Was genau ist #ecoanxiety und wieso scheint es so, als wäre es nun relativ plötzlich ein Thema?
„Eco Anxiety oder Klima-Angst ist die Angst, dass der Klimawandel die eigene Existenz bedroht und das eigene Leben massiv einschränken wird. Es ist keine anerkannte Angststörung und auch nicht zwangsläufig als pathologisch einzustufen, da diese Angst eine natürliche Reaktion auf eine wissenschaftliche belegte Gefahr ist. Hier gibt es also eine Abgrenzung zu medizinisch-psychologischen Angststörungen, die oft eine unverhältnismäßige Angstreaktion auf ungefährliche Begebenheiten oder Situationen impliziert. Am nähesten ist die Klima-Angst der Existenzangst. Existenzangst ist die Furcht vor möglichen, aber diffusen Gefahren (Krankheit, Unfall, Terroranschlag), während der Klimawandel als wissenschaftlich sicher gilt und sehr konkret ist.
Es gibt viele Parallelen zu einer allgemeinen Todesangst, also der Angst vor der eigenen Sterblichkeit, die ja ebenso sicher und konkret ist. Diese Angst können Menschen aber durch sogenanntes Terror-Management akzeptieren. Nach der Terror-Management-Theorie können Menschen einen gesunden Umgang mit ihrem Tod finden, indem sie ein, nach eigenen Werten definiertes, erfülltes Leben führen (z.B. durch Spiritualität oder Selbstverwirklichung). Das ist allerdings beim Klimawandel nur eingeschränkt umsetzbar, denn die Möglichkeiten ein erfülltes Leben zu führen werden massiv eingeschränkt. So gesehen ist Klima-Angst komplexer als Todesangst. Darüber hinaus ist Klima-Angst aber auch ein Sammelbegriff für alle negativen Emotionen, die mit dem Klimawandel und dem möglichen gesellschaftlichen Kollaps einhergehen. Die Wut auf Mitmenschen, denen das Thema scheinbar egal ist. Die Scham, selbst Teil des Problems zu sein. Die Ungewissheit, in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt das eigene Leben eingeschränkt oder bedroht wird. Aber auch die Angst um das eigene soziale Netzwerk und um die eigenen Kinder. Diese riesige Flut an Gefühlen macht Klima-Angst so tiefgreifend und belastend.
Dass das Thema jetzt präsenter wird, liegt daran, dass die neuen Studien zum Klimawandel verheerender sind, als alles, was wir bisher gelesen haben. Viele Klimaforscher*innen sagen inzwischen ganz direkt, dass es schon zu spät ist um irgendetwas aufzuhalten. Spätestens seit dem Bericht ‚Deep Adaptation: A Map for Navigating Climate Tragedy‘ von Jem Bendellist wurde eine neue Ära der Klimaforschung eingeläutet. Bewegungen wie Fridays For Future und Extinction Rebellion sorgen dafür, dass immer mehr Menschen zum ersten Mal öffentlich über ihre Ängste sprechen. “
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Welche Menschen neigen besonders dazu, Klima-Angst zu haben?
„Nach der neuesten Studie über die Ängste der Deutschen, fürchten sich 41 Prozent aller Deutschen vor den Folgen des Klimawandels (R+V-Infocenter: ‚Die Ängste der Deutschen‘; 2019). Frauen sind mit 45 Prozent (Männer: 38 Prozent) etwas stärker betroffen, aber davon abgesehen zieht sich die Angst durch alle Bevölkerungs- und Altersgruppen. Menschen, die sich mehr mit dem Klimawandel beschäftigen fürchten sich aber tendenziell mehr, da ihnen der wissenschaftliche Konsens der Klimaforschung bekannt ist. Wie bei Ängsten nicht unüblich sind empathische, sensible und kreativ-visuelle Menschen stärker betroffen, da sie sich mögliche Konsequenzen bildlicher vorstellen können.
Richtiger Leidensdruck entsteht besonders bei Menschen, die zusätzlich an einer generalisierten Angststörung leiden und negative Nachrichten ungefiltert aufnehmen und Gedanken an diese schlecht loslassen können. Hier gibt es aber noch keine konkreten Forschungen, da das Thema der Psychologie in der Klimaforschung noch sehr jung ist. Aber auch immer mehr Klimaforscher*innen sind stark betroffen, da ihnen die Tragweite des Klimawandels sehr bewusst ist. Darüber hinaus sind Menschen mit Depressionen besonders gefährdet, eine konstanten Leidensdruck durch die Bedrohungen zu verspüren. Wer an einer klinischen Depression erkrankt ist, reagiert körperlich auf negative Gedanken. Wenn sie sich vor etwas fürchten, und sei es der bloße Gedanke an die Klimakatastrophe, versetzt sich ihr gesamter Körper in einen angespannten Kampf-oder-Flucht-Modus, was eine intensive Stressreaktion ist und damit großen Leidensdruck verursacht (Robert Sapolsky, ‚On depression‘; 2009).“
Wie kann man damit umgehen, wenn man merkt, dass die Angst vor der Zukunft einen lähmt?
„Hier muss man unterscheiden, ob man nur Angst hat, oder Panik. Angst an sich ist erst mal nichts Schlechtes. Wer sich fürchtet, kommt ins Handeln. Ohnmacht ist oft eine Reaktion auf eine Überforderung und Panik. Wer sich gelähmt fühlt, ist von der Tragweite der Ereignisse regelrecht erschlagen und kann keine klaren Gedanken mehr fassen. Hier kann es helfen, die einzelnen negativen Emotionen zuerst zu benennen. Wovor fürchte ich mich genau? Hat man sehr konkrete Bilder über brennende Städte im Kopf? Oder hat man Angst, bald zu sterben? Ist man um die eigenen Kinder besorgt? Oder ist man eher wütend auf die Mitmenschen? Hier einmal zu sortieren, was denn für den konkreten Leidensdruck verantwortlich ist, muss immer der erste Schritt sein, um aus diesem riesigen Brei der negativen Gefühle herauszukommen. Denn was man benennen kann, kann einen nicht so stark lähmen.
Und worauf hofft man eigentlich, wenn man sagt, dass man keine Hoffnung mehr hat? Auch hier sind es oft sehr unkonkrete Vorstellungen, an die wir uns klammern. Wenn wir darauf hoffen, dass alles gut wird und die Menschheit bald im harmonischen Einklang mit der Natur lebt, kann man nur enttäuscht werden und hoffnungslos sein, denn das wird einfach nicht passieren. Man sollte sich fragen, ob man vielleicht auf realistische Ziele hoffen kann. Dass wir 2030 noch sauberes Trinkwasser haben. Dass nach einem Kollaps kleine, starke Gemeinschaften entstehen, in denen man sehr wohl noch ein gutes Leben führen kann. Dass Bewegungen wie Fridays for Future den Druck weiterhin erhöhen und es nächstes Jahr doch ein paar konkretere Maßnahmen für den Klimaschutz gibt. Dass mehr und mehr Menschen erkennen, dass der Turbokapitalismus das eigentliche Problem ist. Dass alle Parteien, die Wirtschaftswachstum als Grundpfeiler unserer Gesellschaft ansehen, unwählbar sind.
Das sind konkrete Hoffnungen, die zumindest theoretisch erfüllt werden könnten. Ich frage Menschen, die mir schreiben, dass sie keine Hoffnung mehr haben immer, worauf sie denn genau hoffen, und erhalte selten konkrete Antworten. Das sollten wir ändern und es spricht auch nichts dagegen, das mal aufzuschreiben. Besonders wichtig ist es, die eigenen Gefühle erst einmal zu akzeptieren. All die negativen Reaktionen auf die Bedrohung durch den Klimakollaps sind absolut verständlich und natürlich. Aber wir geben diesen Sorgen keinen Raum in unserem Leben. Wir fühlen sie, aber reden nicht darüber. Wir haben kein Ventil für die Wut, keine Zeit für die nötige Trauer und keine Worte für das erdrückende Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Ich empfehle deswegen, sich mit anderen Menschen auszutauschen. Man muss zu den Ängsten stehen und sie benennen. Erst danach kann man konkretere Maßnahmen ergreifen, heilsamere Sichtweisen zu finden.“
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Du sagst, dass Klima-Angst auch die Wut auf Mitmenschen sein kann, die untätig bleiben. Wie kann man damit konkret zurechtkommen?
„Die Wut auf die Mitmenschen, denen das Thema scheinbar egal ist, kann man reduzieren, indem man versteht, warum sie so denken. Oft ist ein simpler Schutzmechanismus, der einfach nicht zulässt, dass sie den Klimawandel akzeptieren können. Die Einschränkungen für ihr Leben wären zu groß. Leugnung ist immer ein Konflikt zwischen Fakten und der eigenen Identität, wobei die Identität immer gewinnt. Menschen sind sehr gut in selbstschützender Gehirnakrobatik, dagegen kommt keine Studie dieser Welt an. Genau so, wie keine Studie der Welt Impfgegner*innen davon überzeugen könnte, dass Impfen nicht Autismus verursacht. Keine Statistik der Welt kann Verfechter*innen der Homöopathie davon überzeugen, dass keine Wirksamkeit besteht und Zucker keine Informationen speichern kann.
Davon gibt es unzählige Beispiele, bei denen wissenschaftlicher Konsens plötzlich keinen Wert mehr hat. Und mehr als wissenschaftlichen Konsens haben wir ja auch beim Klimawandel nicht vorzuweisen. Sehen kann man ihn hier noch nicht. Jedenfalls wenn man nicht so genau hinsieht. ‚Ich bekomme ja alles im Supermarkt und im Winter ist es immer noch kalt‘ sind ja solche Sätze, die man dann hört. Dann wird Wetter und Klima austauschbar verwendet, obwohl das Quatsch ist. Wissenschaftler*innen, die etwas anderes behaupten, sind dann plötzlich ‚gekauft‘. Das sagen Impfgegner*innen, Homöopath*innen und eben auch Klimawandelleugner*innen. Das kann man als dumm und billig abtun, aber damit machen wir es uns zu leicht. Die eigene Identität ist mächtiger als alles andere. Wenn man das versteht, kann man die Ignoranz beim Klimawandel immerhin nachvollziehen und die eigene Wut und Frustration etwas reduzieren. Mit Klima-Angst gesund umzugehen ist schlussendlich also auch eine intensive Beschäftigung mit der Psyche der Menschen und dem Verstehen unserer Gesellschaft.“
Während Extinction Rebellion die Straßen in Berlin blockt, scheint es egoistisch, sich erst einmal mit der eigenen Angst beschäftigen zu wollen. Wie siehst du das?
„Wer konstant unter dem Klimawandel leidet, muss sehr viel Arbeit leisten, das alles zu verstehen und sich von Gedanken wie ‚die da oben machen was sie wollen‘, ‚allen anderen Menschen ist es egal‘ und ‚alles wird immer schlechter‘ verabschieden. Das ist schwer, aber alternativlos, wenn es um Ohmachtsreduzierung geht. Erst danach kann ich wirklich in Aktion treten und einen Beitrag leisten, zum Beispiel indem ich andere überzeuge, sich zu engagieren oder selbst politisch aktiv werde. Deswegen ist es so wichtig, einen gesunden Umgang mit der eigenen Klima-Angst zu finden. Wer panisch ist, kann nichts tun. Die Angst zu reduzieren ist deswegen auch kein ‚Verrat an der Sache‘, wie viele denken, sondern Empowerment. Dazu gehört auch, einen gesunden Umgang mit Klima-Nachrichten zu finden. Es ist völlig in Ordnung, sich nicht von morgens bis abends mit Horrormeldungen zu beschäftigen. Das ist keine Ignoranz, sondern nötiger Selbstschutz. Es macht viel mehr Sinn, sich feste Zeiten zu überlegen, an denen man sich auf nüchternen Portalen informiert, als allen Öko-Influencer*innen zu folgen, die dann entscheiden, wann ich was sehe. Ich kann keinen emotionalen Ausgleich schaffen, wenn mir kurz vorm Schlafengehen 30 Bilder vom brennenden Regenwald im Instagram-Stream begegnen.“
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Was aber, wenn man trotzdem häufig das Gefühl hat, dass man selbst nichts ausrichten kann?
„Es ist nicht die Aufgabe von einzelnen Menschen, die Welt zu retten. Deswegen würde ich mir – aus psychologischer Sicht – wünschen, dass wir ein bisschen weniger Energie darauf verwenden, uns mit unserem Konsumverhalten zu quälen. Damit meine ich jetzt die Menschen, die sich sowieso schon sorgen und sich permanent mit ihrem Konsum beschäftigen. Alle wissen, was das Richtige wäre: vegane Ernährung, nicht mehr fliegen, weniger konsumieren und wenn, dann möglichst fair und ökologisch. Der eigene Konsum ist zwar wichtig, aber wir tun so, als ob das allein alles verändert und sind dann frustriert, wenn der Ressourcen- und Energieverbrauch trotzdem Jahr für Jahr steigt. Klar, wenn alle nachhaltig konsumieren würden, müsste die Wirtschaft nachziehen, aber ich bezweifle, dass wir als Bürger*innen geschlossen eine zirkuläre Wirtschaft aufbauen werden. Das zeichnet sich derzeit nicht ab und die Zeit läuft uns davon. Das führt dazu, dass viele engagierte Menschen irgendwann ganz aufhören, sich um irgendwas zu kümmern, weil sie das Gefühl haben, dass ihr eigenes Handeln nichts bewirkt und es ihnen ja auch nicht mal jemand dankt.
Am Ende stehen Weltschmerz und Verzweiflung, wie man es in der Nachhaltigkeitsszene oft beobachten kann. Wir müssen verstehen, dass die Wirtschaft zwar für uns produziert, aber wir deswegen noch nicht die alleinige Verantwortung tragen. Menschen konsumieren, was man ihnen anbietet. Eine konstante Impulskontrolle aller Bürger*innen kann keine Gesellschaft leisten. Es hängt alles an der Politik, hier Grenzen zu setzen. Deswegen empfehle ich allen frustrierten Menschen, sich an derzeitigen Demos zu beteiligen. Auch wenn man denkt, dass es politisch nichts ändert, und so sieht es mit dem lächerlichen Klimapaket ja aus, ist diese Art der Gruppenzugehörigkeit sehr heilsam für die eigene Psyche. Man fühlt sich einfach weniger machtlos, wenn man mit 250.000 anderen Menschen Zusammenhalt zeigt. Noch nie haben so viele Menschen wie in der jetzigen Zeit gleichzeitig gezeigt, wie wichtig ihnen das Thema ist und angegeben, dass sie sich wegen des Klimawandels fürchten. Das muss man auch sehen. Dass das nicht reicht, ist ein anderes Thema, aber dass es trotzdem gegen die eigene Ohnmacht hilft, da bin ich mir sicher.“
Siehst du Angst vor dem Klimawandel als etwas Positives oder Negatives?
„Klima-Angst ist natürlich und verständlich. Furcht und die durch sie aktivierte Gefahrenabwehr ist nötig, gerade wenn es um den Klimawandel geht. Besonders Menschen, die denken, dass es nicht so schlimm wird oder sie nicht betrifft, dürfen ruhig zu Beginn Angst und sogar Panik haben. Ein erster, tiefer Schockmoment macht wach. Alle, die die Fakten kennen und denen die Gefahr bewusst ist, sollten aber achtsam bleiben, wie stark sie Klima-Angst belastet und ob ihre mentale Gesundheit Schaden nimmt.“
2 Antworten auf „„Klima-Angst ist natürlich und verständlich““
Liebe Fashion changers, dieser Artikel kam gerade zur rechten Zeit !!!Ich finde mich in vielen Punkten wieder!! Ich verspüre Wut !! Und Resignation und Trauer!!! Gibt es Gruppen die dich mit dem Thema auseinander setzen so was wie Klimapsychologen oder Therapeuten!!!
Liebe Vanessa, danke, das freut uns sehr! Wir kennen derzeit noch keine derartigen Gruppen, können uns aber vorstellen, dass so etwas kommt bzw. dass Therapeut*innen sicher schon darauf eingehen. Alles Liebe für dich, Jana