„Nonbinary Fashion kann das Loslösen von Geschlechterrollen unterstreichen“

Mode wird in Zukunft genderneutraler, wenn man Trendreports und Businessanalysen aus dem Modebereich glaubt. Business Of Fashion integrierte Nonbinary Fashion als einer der großen Trends in ihren jährlichen The State of Fashion Report in 2023. Wir haben mit nonbinary Influencerin und Stylistin Avi Jakobs über genderneutrale Mode, größenflexible Designs und genderfluides Styling gesprochen.

avi jakobs, nonbinary Fashion Interview

Repräsentanz gegen Stereotype

Wer Avi Jakobs Onlinepräsenz nicht kennt, verpasst neben Outfitinspiration auch Beauty-Content, den wir so sonst kaum auf Social Media gewohnt sein dürften. Mit sanfter, wohlwollender Stimme erklärt Avi ihren Follower*innen nicht, wo ihre Makel und Mangel sind und was es zu optimieren gilt, sondern wie sie Spaß mit Beauty- und Fashionthemen haben können. Mit Stereotypen zu brechen, ist Avi wichtig. Sie kombiniert derbe Boots auf ein wallendes Kleid, Buzzcut auf Abendgarderobe, „feminin“ auf „maskulin“. Eigentlich ging Avi erst einmal den klassischen Weg in der „Haar-Welt“: nach der Friseurinnen-Ausbildung war sie lange freiberuflich Hair-and-Makeup-Artist, bevor sie nach Berlin zog und sich stärker auf Social Media fokussierte. Das war vor 6 Jahren. Angetrieben vom Gedanken, für mehr queere Repräsentanz zu sorgen, bewarb sie sich für das Fernsehformat Queer Eye Germany, was viel Reichweite mit sich brachte. Inzwischen sitzt Avi in Talkshows, wirkt bei Sendungen wie „Beyond Fashion“ mit und arbeitet weiter gegen Schubladen. Wieso ihr das so wichtig ist, was das mit nonbinary  Fashion und Nachhaltigkeit zu tun hat und was sie sofort ändern würde, wenn sie könnte, erzählt sie uns im Interview.

 

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Was willst du verändern, was sind deine Herzensthemen?

„Am Anfang dachte ich: Wir brauchen einfach mehr Repräsentanz. Die Leute, die im deutschen Fernsehen eingesetzt wurden, waren immer die ‚schillernden Paradiesvögel‘. Da wollte ich etwas verändern. Ich wollte mehr Tiefgang und ernste Themen einbringen und das habe ich insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Sendern auch geschafft. Als ich mit Beyond Fashion die Chance bekommen habe, auch in der Modeindustrie tiefer einzusteigen, war das auch ein Herzensprojekt. Fashion war schon immer eine Leidenschaft für mich und ich möchte gerne eine Schnittstelle sein für Menschen, die vielleicht noch nicht so modeaffin sind und einen Zugang geben, der nicht so exklusiv ist. Viele denken, sie dürfen in der Mode nicht mitspielen, weil sie nicht genug von irgendwas sind, nicht reich oder dünn genug zum Beispiel. Das wird auch oft so kommuniziert, viele Marken arbeiten ja mit Exklusivität.“

Trendreports sagen aktuell eine steigende Präferenz von Modekund*innen für genderneutralere Styles voraus. Welches Potential siehst du aktuell in Nonbinary Fashion?

„Genderneutrale Mode und Nonbinary Fashion hat so viele Vorteile. Als erstes denke ich an Nachhaltigkeit. Mode, die an vielen Körperformen funktioniert, kann von viel mehr verschiedenen Menschen getragen werden. Und auch eine Person kann ein Kleidungsstück  länger tragen, wenn es veränderlicher ist. Es ist einfach nicht so limitiert. Auch beim Weitergeben wird es einfacher, weil die Zielgruppe viel größer ist. 

Außerdem ist es gesellschaftlich ein positiver Effekt für alle, wenn Menschen sich weniger limitieren und Geschlechterrollen aufgebrochen werden. Das sind genau die Botschaften, die ich nach außen tragen will: Lass dich nicht einkategorisieren. Lass dich nicht zu einer ‚soften‘ Person machen, nur weil du weiblich bist oder wegen deinem Geschlechtsteil zum Familienernährer. Mode kann dieses Loslösen unterstreichen. Mode ist eine Sprache, ein Kommunikationsmittel. Wenn ein hetero-cis Mann entscheidet ein Röckchen zu tragen, ist das ein Statement. Wir können uns dann daran gewöhnen, dass alle alles sein dürfen und dann kommen wir in eine freiere Gesellschaft. Das ist natürlich ein weiter Weg.“

Nonbinary Fashion ist also auch eine Chance für mehr Gerechtigkeit in der zwischenmenschlichen Kommunikation.

„Das Ziel ist, davon wegzukommen, Menschen immer sofort in ein Gender einzusortieren, sondern nur den Menschen zu sehen. Für viele – vor allem, wenn sie nicht in der queeren Bubble unterwegs sind – ist das schwer. Und genderneutrale Fashion kann dabei helfen, bis mehr Leute so weit sind, das zu verstehen. Man nimmt quasi die Schubladen weg, damit man da nicht reingeworfen werden kann.“

Ein Weg ist es, Mode zu designen, die ohne Binarität auskommt, mit mehr Fokus auf den Körper und die Bedürfnisse. Siehst du Modelabels, die das schon gut machen?

Richert Beil macht das gut, da sie nicht nur Schnitte abändern, sondern ganz neue, genderneutrale Schnitte machen. Das ist natürlich ein riesiger Aufwand. Ein anderes Label, das ich beobachte und sehr gut finde, ist LR3. Das ist für mich die Zukunft. Designer Louis Rubi setzt bewusst auf Silhouetten, die Körperformen nicht preisgeben. Vom Konzept her ist das der Idee ähnlich, die auch Billie Eilish in ihren jungen Jahren hatte, als sie ausschließlich sehr weite Kleidung getragen hat, um als Künstlerin nicht sexualisiert zu werden. Da geht es also nicht nur um Genderneutralität, sondern auch um eine Neutralität der Körperform generell gegenüber. Das finde ich sehr spannend, weil sich sehr viele Menschen darin wohl fühlen können. Der Gegensatz dazu wäre dann Olivia Ballard, mit ganz vielen dehnbaren Materialien, die sich um den Körper schmiegen. Nichts wird kaschiert und es passen ebenfalls ganz viele Körperformen. Ich hoffe vor allem, dass die Designs vorbei sind, die sehr unbequem sind und immer irgendwas in eine Form quetschen.“

 

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Was wünschst du dir von anderen Designer*innen?

„Ich wünsche mir, dass die großen Luxus-Häuser – denn da sitzt das Geld – vorangehen. Gucci hat das im Ansatz schon gemacht, es war aber immer noch sehr an normierten, sehr schlanken Körperformen orientiert. Ich finde es zum Beispiel gut, wenn Unisex-Kategorien angeboten werden oder wenn es zumindest einzelne Kollektionsteile gibt, die für mehr Menschen passen. Interessanterweise sind vor allem kleine Modelabels darin aktuell gut, obwohl man meinen könnte, dass die Großen den Entwicklungsaufwand besser stemmen könnten. Ich will den Großen daher sagen: Fangt doch mal mit ein paar Pieces an, kreiert neue Grundschritte, die Nachfrage wird dann kommen.“ 

Und wie kann der Mode-Einzelhandel auf genderneutrale oder genderfluide Mode eingehen?

„Auch da sollte man den Menschen sehen und nach den Bedürfnissen gehen. Alle sollen bitte in allen Abteilungen willkommen sein. Verstaubte Begriffe wie ‚kaschierend‘ oder ‚schmeichelhaft‘ sollten wir in der Beratung in einem Store streichen und stattdessen anfangen, Körper wirklich zu akzeptieren.“

Wie kommen wir gegen diese Schubladen an?

„Mit Spaß! Es macht einfach viel mehr Spaß, wenn man sich nicht limitiert. Viele kennen beim Anziehen diesen Gedanken: ‚hm, kann ich das wirklich so machen?‘ Das abzulegen und stattdessen zu denken ‚es ist schön und richtig, wenn ich es fühle‘, ohne sich davon beeinflussen zu lassen, was man vermeintlich ‚tragen kann‘. Das ist die Freiheit im Styling. Es gibt doch nichts Schöneres, als dabei richtig viel Spaß zu haben. Ich habe einen knallgelben Anzug, der so richtig laut lacht und mir und anderen gute Laune macht. Warum muss immer alles sexy oder cool sein, wenn man auch Spaß haben und das ausstrahlen kann?“

Wann ist für dich ein Look denn besonders gelungen?

„Ich mag es immer, wenn ich merke, dass Menschen sich nicht nur an Trends orientieren. Ich genieße es zwar auch, Looks zu sehen, bei denen ich merke, dass die Fashion-Hausaufgaben gemacht wurden, aber viel mehr genieße ich es, wenn mich etwas überrascht. Looks, die gesellschaftliche Mittelfinger sind, bei denen klar wird: Das ist jetzt ein Outfit, um ein Zeichen zu setzen. Ich finde, man sieht, ob Menschen etwas tragen, um gesellschaftlich zu funktionieren oder ob sie das tragen, was sie selbst wollen.“

Wenn du eine Sache sofort verändern könntest, was wäre das?

„Ich würde ändern, dass aus allem immer direkt so eine große Sache gemacht wird. Ein gutes Beispiel dafür ist Sam Smith. Was Sam Smith macht, wurde schon so lange und so oft von Personen gemacht. Trotzdem wird es medial so besprochen, als wäre es neu. Wenn man aber aufhört, so ein Ding daraus zu machen, entsteht Normalität. Das wünsche ich mir. Repräsentanz, Sichtbarkeit und Normalität für alle. Dafür müssen aber diese aufgeregten Titelseiten-Geschichten aufhören. Es reicht, zu sagen ‚cooler Look!‘“

 

Vielen Dank für das spannende Gespräch über nonbinary Fashion, Avi.

Titelbild: © Avi Jakobs

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