Sie sind Heldinnen, Ikonen, internationale Symbole für Veränderung und haben einen kometenhaften Aufstieg hinter sich: Auf einmal dreht sich die mediale Berichterstattung weltweit um junge Frauen, die nichts weniger als den Umsturz der politischen Systeme fordern, in denen sie groß geworden sind. Oder anders: eine Revolution. Wer sind sie, woher kommen sie und was wollen sie?
Gekommen für die Revolution
Plötzlich sind sie da: die jungen Frauen, die trotzig in die Kamera blicken, feurige Reden halten, Finger in die Lüfte recken und Massen euphorisieren.
Greta Thunberg aus Schweden, Luisa Neubauer aus Deutschland, Alaa Salah aus dem Sudan, Alexandria Ocasio-Cortez aus den USA – sie stehen exemplarisch für eine junge weibliche Generation, die radikale Veränderungen nicht nur vom Spielfeldrand aus beobachtet. Sondern in der vordersten Reihe mitspielt. Dabei geht es ihnen nicht darum, die Zügel für das Spiel an sich zu reißen. Sondern die Spielregeln grundlegend neu zu schreiben.
Seit Ende letzten Jahres verbreitet sich die Geschichte des Mädchens, das für die Weltrettung die Schule „schwänzt“, rasant in den Medien. Greta Thunberg aus Schweden hat unter #fridaysforfuture eine weltweite Bewegung angestoßen und Massen von Jugendlichen, die eigentlich als unpolitsch galten, auf die Straßen geholt. Klimaschutz, das macht sie unmissverständlich klar, ist keine Sache von Grauzonen. Hier geht es ums Überleben – und es ist verantwortungslos von den Alten, dass sie mit ihrem hemmungslosen Konsum den Jungen den Planeten wegessen.
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Luisa Neubauer wird von der Öffentlichkeit gerne als „die deutsche Greta“ bezeichnet, nimmt von dieser Zuschreibung aber vehement Abstand. Sie und Greta setzten sich zwar für dieselbe Sache ein, was enorm verbinde – aber im Grunde machten sie beide vollkommen unterschiedliche Dinge. Während Greta in erster Linie „Agenda-Setting“ betreibt, ist Luisa vor allem Koordinatorin und Pressesprecherin der deutschlandweiten Klimaproteste und mit dieser Arbeit das bekannteste Gesicht der Schülerstreiks geworden.
Alexandria Ocasio-Cortez ist mit 29 Jahren die jüngste Abgeordnete des Repräsentantenhauses in den USA. Sie ist Vertreterin der Demokrat*innen und bezeichnet sich selbst als „Democratic Socialist“, arbeitet gerne und viel mit Aktivist*innen zusammen und macht derzeit mit radikalen politischen Forderungen (wie etwa dem Green New Deal, der den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft zum Ziel hat) sowie einer konsequenten Verfolgung ihrer politischen Agenda auf sich aufmerksam. Auf der stehen unter anderem: Abschaffung der Studiengebühren, ein günstiges Gesundheitssystem und ein Spitzensteuersatz von 70% für Reiche.
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Alaa Salah wurde durch das Foto, das sie in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum auf einem Autodach inmitten einer demonstrierenden Menge zeigt, den ausgestreckten Finger zum Himmel erhoben, über Nacht weltbekannt. Das Bild der 22-jährigen Architekturstudentin ging auf Twitter sofort viral und gilt seitdem als Symbol für den Protest des Volkes gegen das diktatorische Regime. (Mittlerweile wurde die 30-jährige Herrschaft von Diktator Omar al-Baschir durch einen Militärputsch beendet.)
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Vom Aufbrechen alter Strukturen
Die Frauen, die so viel Neues fordern, bilden nicht nur in ihren Forderungen, sondern auch in ihrem Dasein einen krassen Gegenentwurf zu den bestehenden Systemen: Sie sind jung und streben mit ihren Ängsten, Hoffnungen und Wünschen, aus denen sich ihre politische Agenda formt, einen Generationenwechsel an.
In einer (noch immer) patriarchalisch geprägten Gesellschaft, speilt außerdem das Geschlecht öffentlicher Personen eine entscheidende Rolle. Und so ist die Auseinandersetzung, die die Frauen in den Medien und Talkshows dieser Welt führen, nicht nur eine themenspezifische Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen. Sondern immer gleichzeitig auch ein Behaupten gegen ein mehrheitlich männliches organisiertes, spätkapitalistisches System – eine Erfahrung, die vor allem Luisa Neubauer ausdrücklich beschreibt.
In Gesellschaften, in denen das biedermeierlich-bürgerliche Weltbild der 50er Jahre vermehrt im 2.0-Gewand kultiviert und die als verstaubt geglaubte Rollenbilder in Pastellfarben ein Revival erleben, ist es immer noch oder schon wieder eine hochemotionale Sache, wenn Frauen a) radikale Positionen vertreten und b) wissen, wie man diese durchsetzt.
Zukunft zu gestalten, das traut man ihnen auch im Jahr 2019 nicht zu. Man schaue sich nur mal die Diskussionen unter Alexandria Ocasio-Cortez‘ Videos auf YouTube oder die Auseinandersetzung um Greta Thunbergs Autismus an. Sie seien zu jung, zu unerfahren, „keine Profis“, sie wüssten nicht, wovon sie redeten und würden naiv Desinformation aufsitzen oder verbreiten. So die Stimmen aus den bewährten politischen Lagern mit den eingesessenen weichen Sitzen vornehmlich älterer, weißer und männlicher Herrschaften.
(Lesetipp: Hirn, Lisz: Geht’s noch! Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist. Molden: 2019.)
Wo auf der einen Seite die ganze Palette frauenfeindlicher Narrative aufgefahren wird, um Frauen in (für das System) bequemen Positionen zu halten, entlädt sich auf der anderen Seite ein regelrechter Sturm der Begeisterung über die erfrischend feurigen und tatkräftigen Frauen, die schnell den Status von Ikonen erreichen.
Ein Hinweis darauf, dass die Menschen auf allen Ebenen nach neuen Lösungen und Alternativem zum Bestehenden suchen.
Sogar in den USA – der Wiege des Kapitalismus – traut man sich das erste Mal seit Jahrzehnten, das Wort „Sozialismus“ öffentlich in den Mund zu nehmen. Das Märchen vom spätkapitalistischen Liberalismus scheint sich dem Ende zuzuneigen. Das schlägt sich auch in den Idolen einer Gesellschaft nieder. Die Zukunft, sie wird zunehmend radikal neu gedacht.
Die Macht der Worte
Eines der mächtigsten Instrumente, um so eine Zukunft zu gestalten, sind Worte. Und alle vorgestellten Frauen haben das nicht nur verstanden, sondern wissen auch virtuos mit diesem Instrument umzugehen.
„Wir betteln nicht bei Entscheidungsträgern um ihre Anteilnahme. Sie haben uns in der Vergangenheit ignoriert, und sie werden es weiterhin tun. Aber die Dinge werden sich ändern, ob es ihnen gefällt oder nicht.“ (Greta Thunberg)
Greta Thunberg ist mittlerweile bekannt für ihre kompromisslosen Statements, die sie sich nicht scheut, den Mächtigen dieser Welt auf den Kopf zuzusagen. Ihre Reden schreibt sie nach eigenen Angaben mit wissenschaftlicher Unterstützung selbst – und sie sind so pointiert wie wenige von erwachsenen Speaker*innen.
Alexandria Ocasio-Cortez prophezeit ebenfalls das Ende des Kapitalismus. Ihr Standpunkt: eine Welt, in dem Profit „auf Kosten von Mensch und Umwelt priorisiert werde“, ist nicht zu retten. Sie ist für ihre leidenschaftlichen Impulsvorträge on- und offline bekannt geworden.
Die Rhetorik der anderen in diesem Beitrag vorgestellten Frauen zeichnen sich durch wesentliche Merkmale aus: Sie arbeiten mit Wiederholungen, treffsicheren Metaphern (Gretas brennendes Haus), kurzen Sätzen sowie einer Rede-Strategie, die schnell auf den Kern des Themas kommt und einer direkten Ansprache des Publikums. Letzteres erzeugt nicht nur ein Zusammengehörigkeitsgefühl, sondern ordnet die Sprecherinnen auch dezidiert als eine Vertreterin unter vielen Gleichen ein – ein Aspekt, den alle Frauen in Interviews immer wieder betonen.
Greta Thunberg: „Ich weiß, dass ich nicht mehr lange interessant sein werde für viele Menschen. Aber Aufmerksamkeit für mich selbst ist nicht wichtig. Es geht um das Klima.“ (Quelle)
Alaa Salah: „Ich bin eine von vielen Protestierenden.“ (Quelle)
Luisa Neubauer: “Wir sehen gerade eine beeindruckende Untätigkeit der Menschen, die für unsere Zukunft Verantwortung tragen. Und solange wir da keine Änderung sehen, werden wir auch nicht aufhören, uns für unsere Zukunft einzusetzen.” (Quelle)
Alexandria Ocasio-Cortez: „Wir haben also ein System, das fundamental kaputt ist. Es ist jetzt schon total legal, wie wir sehen, ein böser Typ zu sein. Es ist also viel einfacher für den US-Präsidenten, einer zu sein.“ (Quelle)
Die Frauen machen in ihren Aussagen deutlich: Wir denken groß. Und wir denken radikal – weil wir neue Lösungen brauchen. Auf Landes-, aber auch auf globaler Ebene. Und weil Feminismus, Nachhaltigkeit und gesellschaftlich-soziale Gerechtigkeit miteinander zusammenhängen.
Diese Ansätze stehen im Widerspruch zum achselzuckenden Weiter-wie-Bisher der überwiegend männlichen politischen Landschaft, die mit Blick auf das eigene politische Überleben einigermaßen uninspiriert versucht, vor allem diejenigen Wähler*innen-Gruppen zufriedenzustellen, die vom aktuellen System am meisten profitieren. Der Status Quo reicht aber schon lange nicht mehr.
Die Macht der Bilder
Alle im Artikel erwähnten Frauen haben neben dem erwähnten rhetorischen Talent eine weitere Gemeinsamkeit: Sie setzen die Sozialen Medien mit beeindruckender Effizienz ein, um Aufmerksamkeit zu generieren und ihre Botschaften zu verbreiten.
Da bedingen sich sicherlich beide Aspekte wechselseitig (steigender Ruhm und steigende Followerzahlen), doch die Accounts von Greta, Luisa und Alexandria Ocasio-Cortez können auf ein rasantes Wachstum zurückblicken. Mittlerweile besitzen die Frauen so viele Fans, dass sie sich ihrer digitalen Visitenkarte alles andere als schämen müssen. (Instagram: Greta Thunberg – 1,4 Millionen / Alexandria Ocasio-Cortez – 3,3 Millionen / Luisa Neubauer – 28,6 Tausend /Alaa Salah – keine Daten vorliegend)
Hier kommunizieren sie mit großer Transparenz und Nahbarkeit Themen, die die Menschen interessieren. Bekannt geworden ist beispielsweise eine FAQ-Session mit Ocasio-Cortez auf Instagram Live, die die Abgeordnete neben dem abendlichen Nudelkochen abhielt. Sie beziehen in nahezu Echtzeit Stellung zu den aktuellsten politischen Entwicklungen.
Abgesehen von den neuen Medien wissen sie allerdings auch um die Macht der äußeren Erscheinung, der vor allem bei Frauen im öffentlichen Auftreten nach wie vor äußerst viel Bedeutung beigemessen wird – und nutzen diese mitunter gezielt für sich.
Alaa Salahs Kleidung hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass von der 22-Jährigen mittlerweile als Ikone und „Sudanese Statue of Liberty“ gesprochen wird: Auf dem viralen Foto trägt sie eine weiße Robe und goldene Mond-Ohrringe – seit jeher das Symbol der demonstrierenden sudanesischen Frauen. Damit reiht sie sich symbolisch ein in die Tradition der sich auflehnenden Mütter- und Großmüttergeneration. Und es ist diese bewusst gewählte Symbolik, die das Bild so mächtig macht.
“It’s one of the ways viewers connect to the figures in the frame; they feel immediate and recognisable because they are wearing recognisable colours and costumes. And it is no accident that such photographs are referred to by the garments involved. It’s not just how we identify the pictures, but how we identify with them. The effect is, as Susan Sontag wrote in her essay “On Photography,” “to democratize all experiences by translating them into images.” There’s a throughline linking one picture imprinted on the memory to the next, a shared sense of sisterhood and humanity, though they were taken across oceans, and time.” (Quelle)
Auch Alexandria Ocasio-Cortez setzt Kleidung bewusst als politisches Statement ein: Zu Trumps Rede der Nation vor dem Kongress erschienen sie und viele der anderen weiblichen Demokratinnen in Weiß. Sie erinnerten damit symbolisch an den Kampf der Suffragetten für mehr Frauenrechte. Sie wurden optisch als „Weißer Block“ im Kongress sichtbar und hielten dem Präsidenten, der dafür bekannt ist, Frauen auf ihr Äußeres zu reduzieren, den Spiegel vor.
„In den Reihen der Abgeordneten konnten die Frauen in Weiß zeigen: Hier sind wir – und wir sind viele. Sie wurden nicht nur sichtbar, sondern beanspruchten auch ihren Raum für sich in der Politik […].“ (Quelle)
Solche Strategien sind nicht nur kluge politische Seitenhiebe – hier lassen sich dann natürlich wiederum auch Bilder generieren, die – wo sonst? – in den Sozialen Medien rauf und runter geteilt werden.
Der richtige Zeitpunkt
Was bei dem aktuellen medialen Taumel um neue, unverbrauchte weibliche Gesichter darf man nicht übersehen, dass die Frauen und ihre sich rasend verbreitenden Botschaften nur durch die Brille der medialen Inszenierung aus dem Nichts gekommen sind.
Dass Greta, Alaa, Luisa und Alexandria so schnell so populär geworden sind, hängt mit unterschiedlichen Faktoren zusammen – insbesondere damit, dass ihrem Engagement eine jahre- oder jahrzehntelange gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex, den ihre politische Agenda nun jeweils bespielt, stattgefunden hat.
Luisa Neubauer sagt, ihr Engagement sei wesentlich auf die politische Aktivität ihrer Großmutter, die Friedens- und Umweltgruppen gegründet und ihre Enkelin früh in die Szene eingeführt habe, begründet. Das weist nicht unwesentlich auf die jahrzehntelange Öko-Bewegung in Deutschland hin, die seit Ende der 60er Jahre vor allem für den Atomausstieg, aber auch gegen eine massenkapitalistische und umweltzerstörende Wirtschaft protestierte.
Und so ikonisch das Bild von Alaa auf dem Dach des Autos, umringt von Protestierenden, auch ist: Ihrem Engagement sind wochenlange Proteste im Sudan vorausgegangen – in denen die Frauen eine zentrale Rolle einnehmen und rund ein Drittel der Demonstrierenden stellen. In einem Land, dessen Staatsapparat versucht, seine weiblichen Bürger in allen erdenklichen Freiheiten einzuschränken (Kopftuchpflicht, Hosenverbot, Genitalverstümmelung) und in dem willkürliche Verhaftungen und öffentliche Demütigungen wie Auspeitschen an der Tagesordnung sind, wehren sich die Frauen seit Jahrzehnten gegen eben diese Unterdrückung.
„Die Frauenunion Sudans existiert seit 1952, und hat eine große Rolle bei dem Wandel der Einstellung der Frauen zum politischen Leben gespielt. Sie erkämpfte den Frauen das Wahlrecht. 1965 konnten Frauen erstmals für ein Mandat im Parlament kandidieren und Fatima Ahmed wurde zur ersten Abgeordneten gewählt. Danach erhielten Frauen eine Reihe von Rechten, vor allem am Arbeitsplatz. Trotz vieler Hindernisse bei der Erhöhung des Frauenanteils in der Politik, konnten auf dem Feld der Gleichstellung große Fortschritte erzielt werden bis das Al-Bashir-Regime ab 1985 sowohl die Arbeit der Frauen als auch die der Opposition einzuschränken begann.“ (Quelle)
Hinweise auf die Relevanz der Frauen in der politischen und vor allem oppositionellen Öffentlichkeit geben auch die Spitznamen, mit denen Alaa Salah und ihre Mitstreiterinnen bedacht werden:
„The numerous female protesters who have dominated the rolling protests over the past 16 weeks have been called Kandaka – a reference to the Nubian Queens of ancient Sudan who fought with great courage for their rights and their country.” (Quelle)
Generell sind die revolutionären Bewegungen, die sich in den vergangenen Jahren durch die Länder des Nahen Ostens gezogen haben, wesentlich vom Engagement der Frauen getragen. Bereits 2012 titelte openDemocracy „The Revolution is female: The uprising of women in the Arab world” und stellt die Initiator*innen der gleichnamigen Facebook-Gruppe vor, in der sich Frauen vernetzten, um sich gegen die vorherrschenden Verhältnisse zur Wehr zu setzen.
Und ein paar Tage, bevor der Tweet mit Alaa Salah viral ging, wies dieselbe Plattform darauf hin, dass die Geschichten der sudanesischen Frauen „from the frontline of Sudan’s revolution“ endlich erzählt werden müssten.
„But women’s leadership, as is the case in countless countexts, is rarely recognised in the media. When it is reported, women are seen to have ‚joined‘ protests – rather than being represented as leaders. Zagrouda’ (or the women’s chant) has become the calling code for every protest in the street. When people hear these women’s voices, they know it’s the revolution call and that it’s time to start their march.“
Auch dem kometenhaften Aufstieg von Alexandria Ocasio-Cortez ging eine ganze Reihe gesellschaftlicher Entwicklungen voraus – und ironischerweise sieht es so aus, als wäre gerade Trumps Präsidentschaft ein wesentlicher Faktor dafür, dass es in den USA langsam wieder schick wird, sich selbst als „sozialistisch“ zu bezeichnen. (Wobei hier vorsichtig mit dem Begriff umgegangen werden muss: Ocasio-Cortez vertritt nach europäischer Begriffsgeschichte eher sozialdemokratische Ansätze.)
Der Mythos des Tellerwäscher-Millionärs hält sich zwar nach wie vor hartnäckig – doch immer mehr Menschen sind bereit, über Alternativen zu einem kapitalistischen System nachzudenken, das in den vergangenen Jahrzehnten für einen Großteil der Bevölkerung seine Versprechen nicht gehalten hat – und für eine junge Generation, die Finanzkrise und Klimawandel gegenübersteht, aller Voraussicht nach erst recht nicht erfüllen wird. Der Neoliberalismus ist in der Krise. Und produziert auf der einen Seite rechte, auf der anderen linke Antworten. Letztere könnten gerade wegen ihrer für die USA revolutionären Gestalt hochspannend sein.
Ein neuer Rahmen
„Was der Frau heute im wesentlichen fehlt, um große Dinge zu tun, ist Selbstvergessenheit. Um sich aber selbst zu vergessen, muß man erst einmal ganz sicher sein, daß man sich gefunden hat. Als Neuling in der Welt der Männer und nur notdürftig von ihnen unterstützt, ist die Frau noch zu sehr damit beschäftigt, sich zu suchen.“ – Simone de Beauvoir in „Das andere Geschlecht“
Mit Blick auf Alexandria Ocasio-Cortez meint Sarah Wagner, Politikwissenschaftlerin an der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz: „Es geht ihr in erster Linie darum, den Rahmen des Debattierbaren zu verschieben.” Man könnte es radikaler formulieren: Es geht darum, den Rahmen zu sprengen.
Die jungen Frauen, die derzeit international Aufsehen erregen, tun große Dinge. Jede auf ihre eigene Art.
Und zwar nicht, weil die Welt der Männer sie mitspielen lässt auf dem Spielfeld der unbegrenzten Möglichkeiten. Sondern weil sie in Systemen großgeworden sind, in denen höchstens ein Platz auf der Ersatzbank für sie vorgesehen ist. Insofern sind sie nicht nur Ausdruck progressiver Entwicklungen, sondern viel mehr noch von dem, was weltweit im Argen liegt.
Diese Frauen schlagen zusammen mit vielen anderen (Frauen*Männern) einen neuen Weg ein: Sie sind nicht darauf angewiesen, sich mit der Unterstützung der männlichen Zeitgenossen in das Gefüge einzuordnen und daraus Leben und Beitrag zur Gesellschaft zu definieren. Weil ihr Ziel nicht die Welt dieser Männer, sondern eine vollkommen neue ist.
Titelbild: Alexandria Ocasio-Cortez, Flickr/ Stale Grut (License); Greta Thunberg, Flickr/ Stephane P (License); Alaa Salah, Flickr/ Karen Melchior (License)