Letztens waren meine Schwester und ich in Wiens schöner Altstadt spazieren. Das ist auch die Gegend, wo sich ein teurer Markenladen neben dem anderen einreiht. In einer Auslage ist eine Schaufensterpuppe mit folgendem Outfit zu sehen: langes, luftiges weißes Sommerkleid; der Kopf wird von einem Tuch bedeckt.
Unsere Blicke treffen sich. Wir haben wohl denselben Gedanken, den ich schließlich ausspreche: „Das geht also: bedeckte Mode bei High End Fashion! Aber wenn unsereine das in der Öffentlichkeit oder in bestimmten Räumen trägt, ruft es Politik, Medien, Populist*innen und gefühlt zig Islamexpert*innen aufs Tapet, die uns von dieser Kleidung zwangsbefreien wollen. Ganz im Stil: Do not resist! You are being rescued!”
Kopftuch, oder das muslimisch konnotierte Verhüllen
Nicht das Bedecken des Körpers, der Haare und nicht zu vergessen des Gesichtes seit der Coronapandemie sind das Problem, sondern das muslimisch konnotierte Verhüllen. In der Modewelt wird plötzlich möglich und legal, was im Alltag diskriminiert und in der Arbeitswelt verboten ist. Die Widersprüchlichkeit wird sichtbar.
Cardi B ist auf der Pariser Fashion Week im September 2019 mit einem Outfit zu sehen, das nicht nur ein modisches Statement ist, sondern (wohl ungewollt) auch zu seinem politischen wird. Die Sängerin ist mit einem Blumenstoff von Kopf bis Fuß gänzlich verhüllt. Dies ist allerdings aufgrund des Verhüllungsverbotes aka „Burkaverbot“ in Frankreich verboten – und das schon seit 2011. Hat Cardi B eine Strafe erhalten? Nein, im Gegensatz zu zig anderen Musliminnen, die ihr Gesicht mit einem Niqab (also einem Gesichtsschleier) bedecken.
Die Botschaft ist klar: Wenn eine Frau ihr Gesicht aus modischen Gründen bedeckt, ist das in Ordnung. Bedeckt sie es allerdings aus ihrer religiösen Überzeugung, so ist dies verboten und wird mit einer Geldstrafe geahndet.
Meiner Meinung nach wird es noch grotesker, wenn Vogue France auf Instagram das Bild von Julia Fox mit Tuch postet und dazu schreibt: „Yes to the headscarf“, um diese Aussage allerdings nach viel Kritik später umzuformulieren. Eine Erklärung, warum Vogue France den Satz gelöscht und eine neue Caption eingestellt hat, sucht man vergeblich.
Eine verpasste Chance, Fehler offen einzugestehen und einen Lernprozess zu ermöglichen. Nämlich darüber, wie sehr die Caption eine gewisse Doppelmoral zur Geltung bringt: Frankreich ist das erste europäische Land, das das Kopftuchverbot für Schülerinnen und Lehrerinnen eingeführt hat. Es ist auch das Land, in dem verschiedene Gemeinden quasi ein Schwimmverbot für sichtbare Musliminnen ausgesprochen haben, nämlich in Form eines Burkiniverbots. Musliminnen, die mit einem landen Schwimmanzug baden wollen, wird dies verwehrt. Man nimmt damit diesen Frauen das Recht, sich so zu kleiden, wie es ihnen gefällt.
Modest Fashion ja, aber…
Das Verbot des Kopftuchs in vielen verschiedenen Bereichen und Ländern und gleichzeitig das Ansteigen der Trends von Tüchern, langen Kleidern sowie Balaclavas in der Modewelt zeigt einmal mehr, dass nicht die Bedeckung per se das Problem ist, sondern die muslimisch konnotierte. Es ist ein aktiver Prozess der Grenzziehung, die aufzeigt, was erlaubt ist, was nicht und wie viel (religiöse) Sichtbarkeit genehmigt ist.
Das muslimische Kopftuch wird als fremd markiert, als rückschrittlich, und somit zum Erkennungsmerkmal „der Anderen“ stilisiert. Es dient damit als Projektionsfläche und reicht bis in die Gesetzgebung hinein. Mit einer solchen Argumentation wurde das Vermummungsverbot („Burkaverbot“) erlassen und ein Kopftuchverbot in verschiedenen Bereichen.
Bedecken Menschen aus modischen Gründen exakt dieselbe Region, ist es trendy. Ein Accessoire wird akzeptiert – im Gegensatz zum religiösen Kleidungsstück. Modern, wenn es die einen machen, aber rückschrittlich, wenn es die anderen tragen? Das Tuch der Musliminnen stellt eine religiöse Praxis dar und ist somit ihr gutes Recht, dies auszuüben. Religionsfreiheit und Schutz vor Diskriminierung sind Grundrechte aller Menschen.
Nennen wir die Dinge beim Namen! Wenn es nur dann „ja” zum Kopftuch heißt, wenn es aus modischen Gründen getragen wird, aber „nein” bei religiösen, zeigt einen hohen Grad an Doppelmoral an. Es handelt sich hierbei um antimuslimischen Rassismus. Erst mit der klaren Benennung haben wir eine Chance auf gesellschaftspolitische Veränderung. Die braucht es dringend, um gegen Rassismus vorzugehen, der per Gesetz legitimiert wird. Musliminnen möchten genauso ihre Mode ausleben, neue Stile für sich entdecken, aber bitte ohne die Sorge vor der nächsten Geldstrafe oder dem rassistischen Kommentar.
Musliminnen haben ein Recht darauf, in ihrer Kreativität und ihrem Modebewusstsein ernst genommen und nicht ausgebeutet zu werden. Es ist mühsam, für das Recht auf finanzielle Unabhängigkeit kämpfen zu müssen und nicht vom Arbeitsmarkt gedrängt zu werden aufgrund eines Stück Stoffs, das wiederum die Laufstege und Schaufensterauslagen ziert. Es ist an der Zeit, Energie in Wichtiges zu stecken, anstatt andauernd Diskriminierungen zu bekämpfen und auf Widersprüche hinzuweisen.
Titelbild: Gaser Mohamed via Unsplash
Amani Abuzahra ist promovierte Philosophin, Autorin, Public Speakerin und Trainerin. Aktuell forscht sie an der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien. Sie widmet sich in ihrer Arbeit den Themen: antimuslimischer Rassismus, intersektionaler Feminismus sowie differenzsensible Bildung. Im Tyrolia Verlag erschien ihr Buch „Mehr Kopf als Tuch. Muslimische Frauen am Wort.” Mehr zu ihrem Ansatz Rassismus & Neue Narrative ist hier zu lesen.
Bild © Dar Salma