Warum die Modebranche anti-rassistisch handeln sollte

Heute vor zwei Jahren, am 19. Februar 2020, wurde in Hanau ein rassistischer Anschlag in und vor einem Kiosk, einer Shisha-Bar und einer Bar begangen. Neun Unschuldige kamen ums Leben.* Was das mit der Modebranche zu tun hat? Ziemlich viel, wie ich finde.

Deutschland ist rassistisch sozialisiert. Punkt. Wiederhole diesen Satz: Deutschland ist rassistisch sozialisiert. Was heißt das? In erster Linie, dass jede Person, die in diesem Land aufwächst, rassistische Verhaltensweisen und Muster internalisiert. Jede Person. Egal, wie ich mich politisch verorte, bin ich rassistisch sozialisiert. Die Amadeo Antonio Stiftung schreibt: „(…) Rassismus beruht auf einem realen Machtunterschied in unserer Gesellschaft.“

Und genau das ist das Problem: In all unseren Strukturen stecken diskriminierende Machtunterschiede, die wir a) hinnehmen oder b) denen wir uns entgegenstellen können. Hanau konnte aufgrund dieser Strukturen passieren. Hanau konnte passieren, weil Deutschland eine gewisse Feigheit an den Tag legt, wenn es um den Umgang mit Rechtsextremismus und der Aufarbeitung der eigenen Geschichte geht.

Rassismus in der Modebranche

Wenn Rassismus so unabdingbar tief in unserer Gesellschaft steckt, führt kein Weg daran vorbei, dass dies auch die Modebranche berührt. Es ist schlichtweg unmöglich, dass es nicht so ist. So sehr wir uns auch wünschen, Mode losgelöst von politischen Prozessen und Meinungen zu sehen, so sehr ist eben genau diese Mode politisch. Und das immer! Dabei wird gerade in der Modebranche oft nicht klar benannt, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt.

Sogenannte „Fauxpas“, die immer wieder auftreten, werden dabei zu leidigen Einzelfällen, die eine Einzelperson verzapft hat. Wenn die Elle mit „Back to Black“ Schwarzsein zum Trend erklärt oder Gucci einen „Blackfacing-Pullover“ für 900 Dollar designt, sei das nicht etwa ein strukturelles Problem, sondern das Versagen eines*einer Einzelnen. Wenn auch im 21. Jahrhundert antiasiatischer Rassismus mit vermeintlichem Humor und stereotypem Denken begründet wird, werden immer nur Einzelne zur Rechenschaft gezogen.

Hier liegt der Denkfehler: Diese vermeintlichen Fauxpas sind systemisch bedingt. Das entschuldigt nicht die Verantwortung der Einzelnen, macht aber deutlich, dass die Lösung viel komplexer ist. Solange wir keine Aufarbeitung leisten, solange Diversität als Buzzword behandelt wird, solange Modeunternehmen sich nicht anti-rassistisch positionieren – solange wird die Modebranche rassistisch sein.

Nicht zuletzt wiegt auch das historische Erbe schwer. Blicken wir zurück auf die Nazivergangenheit von Hugo Boss oder die Zerstörung der Berliner Modekultur, die vor dem Zweiten Weltkrieg schätzungsweise zu 90 Prozent von jüdischen Modeschöpfer:innen kreiert wurde, dann wird deutlich, wie verstrickt nationalistische Machtstrukturen mit der Mode sind. Der Historiker Uwe Westphal, der sich intensiv mit der Modeindustrie in der Zeit vor 1945 beschäftigt hat, sagt im Deutschlandfunk: „Es gibt eine gewisse, wenn man es positiv sagt, eine Laissez-faire-Haltung. Es wird nicht darauf geachtet, was deutsche Mode auch historisch ausgemacht hat, welchen Anteil die jüdischen Modeschöpfer hatten. Das ist etwas, was sich Paris, was sich London überhaupt nicht erlauben kann. Sie referieren immer wieder zurück auf ihre Vergangenheit.“

Was heißt das also für heute?

Wenn in Deutschland ein rassistisches Attentat verübt wird, können auch wir als Mode- und Medienschaffenden uns nicht davon freimachen, Stellung zu beziehen. Haltung zu zeigen, war und ist immer wichtig. Es hat in der Vergangenheit nur mehr oder weniger gut funktioniert.

Es ist nicht mutig, sich der eigenen historischen Verantwortung zu stellen. Und es ist auch nicht zu anstrengend, diese Verantwortung anzunehmen. Nicht, wenn wir in einer Gesellschaft leben, die erkennt, dass Heilung, Vergebung und Miteinander nur passieren kann, wenn wir anfangen, Offenheit, Toleranz und eine Gesellschaft der Vielen wirklich zu leben.

Wenn es ein Land nicht schafft, sich dieser Aufgabe zu stellen, dann kann es doch wenigstens eine Branche versuchen? Wenn wir nicht wollen, dass sich Hanau, Halle, Kassel, München, der NSU, Düsseldorf und viele andere wiederholen, dann können wir mit gutem Beispiel vorangehen. Gerade weil Mode das unglaubliche Potenzial hat, Botschaften zu vermitteln, Menschen zu empowern und politische Statements zu setzen.

Die Modebranche muss sich anti-rassistisch positionieren. Es ist in ihrer Verantwortung.

In Gedenken an

Gökhan Gültekin
Sedat Gürbüz
Said Nesar Hashemi
Mercedes Kierpacz
Hamza Kurtović
Vili Viorel Păun
Fatih Saraçoğlu
Ferhat Unvar
Kaloyan Velkov

Weitere Informationen und Möglichkeiten zur Spende findet ihr bei der Initiative 19. Februar Hanau.

*Bei dem Attentat wurden insgesamt zehn Menschen ermordet. Der Täter tötete neun Menschen aus rassistischen Motiven, seine Mutter und dann sich selbst.

Titelbild: Renee Thompson via Unsplash
Dieser Artikel wurde erstmalig 2021 von Jana Braumüller geschrieben. Aktualisierung 2022.

 

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2 Antworten auf „Warum die Modebranche anti-rassistisch handeln sollte“