Warum müssen Jungs eigentlich hellblau tragen?

Obwohl wir heute in einer Welt leben, in der wir bereits über Geschlechterrollen diskutieren und sich gewisse Grenzen aufgehoben haben, merken wir doch bei den Kleinsten, dass zwei Welten existieren: die hellblaue für Jungs und eine in rosa für Mädchen. Wenn die Trennung bereits bei der Farbgebung anfängt und sich in andere Bereiche ausweitet, dann richtet das auch etwas in unseren Köpfen an. Was am Gender-Marketing so schwierig ist und wie wir als Eltern und Gesellschaft dagegen vorgehen können.

Gender-Marketing fängt bereits vor der Geburt an und hat Auswirkungen auf uns als Erwachsene.

Bereits vor der Geburt wird für werdende Eltern die Marketing-Maschinerie angeworfen. Es beginnt bei der Einrichtung des Kinderzimmers, der Auswahl der ersten Spielzeuge und der Farbgebung bei der sogenannten Babyshower: Mädchen sind rosa, Jungs hellblau. Das ist für viele so seit sie denken können. Und es wurde auch nie hinterfragt. Dieses Bewusstsein in unseren Köpfen macht sich eine ganze Industrie zu Nutze.

Besonders seitdem die Geburtenrate zurückgeht (Quelle), muss sich die Industrie etwas einfallen lassen: Die Kindermode profitiert besonders vom Gender-Marketing. Würden Farbgebungen und Motive geschlechtsneutral gewählt werden, könnte die Kleidung einfach an Geschwisterkinder oder Freund*innen weitervererbt werden. Hat eine Familie aber beide Geschlechter, wird Kleidung eben doppelt angeschafft. Somit ist gegenderte Kindermode an doppelten Gewinn für die Textilbranche gekoppelt.

Farbgebungen und Motive erhalten von der Industrie eine Geschlechter-Zuordnung.

Firmen machen es sich zur Aufgabe, komplett eigene Kollektionen für Mädchen und Jungen zu entwickeln. Das Angebot weist dabei nur wenig Kleidung auf, die geschlechtsneutral ist. Sollte die Farbgebung für den*die Konsument*in neutral sein, wird sie zumindest mit Motiven zugehörig gemacht. Die Eltern, die hierbei als „Gatekeeper“ funktionieren, werden dabei ganz einfach gesteuert: Roboter und Autos für Jungs, Feen und Prinzessinnen für die Mädchen.

Wir haben uns mal in den Fast Fashion-Shops umgeschaut. Und siehe da, lange mussten wir nicht suchen.

Besonders Fast-Fashion profitiert vom Gender-Marketing.

Während man oftmals bei nachhaltiger oder fairer Mode neutrale Farben und Muster entdeckt, ist auffällig, dass insbesondere Fast Fashion sich des unterschiedlichen Gender-Marketings bedient. Hier findet man krasse Farbtrennungen und deutliche Motive, die jeweils nur für das eine Geschlecht kreiert werden. Und das auch noch für so viele Altersgruppen wie möglich: Newborn, Toddler, Kids, Teens. Damit möglichst oft neue Kleidung angeschafft werden muss.

Für Eltern ist genderneutraler Konsum oftmals anstrengend und verunsichernd.

 Eltern fungieren hier als Konsum-Entscheidungsträger*innen für ihre Kinder. Wobei die Industrie Kindern lieber die Rolle kleiner Erwachsener zuordnen möchte, die ihre eigenen Kaufentscheidungen bereits treffen. So arbeitet die Branche mit findigen Begriffen wie Kids, Preteens oder Teens. Eltern wird dabei die Beschützerrolle, die sie für ihre Kinder tragen, abgesprochen.

Die Eltern haben in diesem Fall eine schwierige Rolle zugewiesen bekommen. Zum einen ist es mit wesentlich mehr Aufwand verbunden, geschlechtsneutrale Kleidung für Kinder bis ins Teenageralter zu finden. Und zum anderen sind Eltern oftmals durch Bezeichnungen wie „Helikopter-Eltern“ verunsichert und es fällt ihnen schwer für ihre Erziehung Stellung zu beziehen.

Da ist es einfacher, sich dem Gender-Diktat zu beugen und Jungs und Mädchen optisch stark voneinander zu trennen. Als Elternteil merkt man es bereits, wenn man sein Neugeborenes in blaue Kleidung steckt: ganz klar ein Junge. Wenn man seinem Mädchen in der Kita einen dunkelblauen Pullover anzieht, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit in das Fach eines Jungen gelegt. Noch verwirrender wäre es sicherlich für die meisten, wenn ein Junge im rosa T-Shirt mit Feen-Print in die Schule geschickt würde.

Was besonders auffällig ist, Jungen werden mit starken Begriffen, Berufen und Motiven in Verbindung gebracht. Mädchen eher mit Äußerlichkeiten, Konsumgütern oder guten Manieren.

Ist Gender-Marketing in der Textilindustrie eher auf weiblichen Konsum ausgelegt?

Gerade das wirft auch die Frage auf, ob Gender-Marketing noch mehr auf eine weibliche Zielgruppe ausgerichtet ist. Denn Frauen sind oftmals kaufkräftiger und das wird auch jungen Mädchen anerzogen. Unsere Töchter sollen sich direkt wie kleine Fashionistas fühlen.

Auch hier denkt die Industrie natürlich wieder an Profit, denn weibliche Kleidung – ob nun für Erwachsene oder Kinder – bietet einfach noch mehr Möglichkeiten, wenn es um die Vielfalt der Kleidungsstücke geht. Mädchen können (und sollen) sowohl Röcke und Kleider als auch Pullover und Hosen tragen. Für Jungen sieht es da schon eingeschränkter aus.

Wir sind uns bereits bei der Zuweisung der Kleidung so sicher, dass wir auch bestimmte Charaktermerkmale den Kindern zuweisen.

Was wir mit dieser klar definierten Zuweisung unseren Kindern aufzwängen, ist uns meist gar nicht bewusst. Denn damit werden auch bestimmte Verhaltensweisen und Charakterzüge klar zugeordnet: Jungs sind wild und kernig, Mädchen verspielt und romantisch. Das wiederum suggeriert den Kindern bereits im frühen Alter,  was sie sein können und was nicht.

Natürlich betrifft Gender-Marketing nicht nur die Textilindustrie, sondern ist auf weitere Konsumgüter ebenso übertragbar. Ob nun bei Spielzeug oder selbst in der Lebensmittelindustrie.

Weil Gender-Marketing auf so viele Bereiche übergeht, ist ein offener Diskurs mit unseren Kindern wichtig.

Wenn wir nicht wollen, dass unsere Kinder sich nicht zugehörig fühlen oder ihnen durch ihr Geschlecht falsch gesetzte Grenzen aufgezeigt werden, ist ein offener Diskurs mit ihnen wichtig. Interessen können absolut geschlechtsunabhängig ausfallen und sollten vorurteilsfrei akzeptiert werden. Warum nicht einen Jungen zum Ballettunterricht fahren, auch wenn er vielleicht der einzige Junge dort sein mag? Oder der Tochter den blauen Piraten-Pullover anziehen – obwohl auf dem Etikett “Boys only” vermerkt ist.

Die Grenzen entstehen zuerst in unseren Köpfen. Die Industrie zieht daraus ihren Vorteil und eben auch mehr Kapital. Was nicht heißt, dass wir Gender-Marketing mitmachen müssen. Mode muss nicht einschränken, vielmehr könnte sie auch ermutigen und Grenzen überwinden.

Auch hier gilt wie so oft: Die Nachfrage bestimmt eben auch das Angebot. Beim nächsten Einkauf also mal drauf achten, ob man sich von den Gender-Marketing-Strategien der Firmen ködern lässt. Oder ob man selbstbewusst eigene Entscheidungen trifft.

Und wie schlägt sich die Fair Fashion-Branche? Hier zeigt sich, dass definitiv (in vielen Fällen) mehr Sensibilität an den Tag gelegt wird und Kategorisierungen nicht so stark verwendet werden.

Was haltet ihr von dem Gender-Marketing-Wahnsinn?

Titelbild: Bilder via © H&M, Zara, Kik, Hessnatur

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