Warum Social Media Geschlechterklischees fördert und was wir dagegen tun können

Collage: Autorin Jennifer Hauwehde schaut auf ein Smartphone, in dem klassiche Geschlechterrollen wiedergespiegelt werden, ein großes Fragezeichen darüber

Geschlechterklischees begegnen uns noch immer überall. Seit die sozialen Medien maßgeblich unseren Alltag bestimmen, werden auch darin traditionelle Rollenbilder reproduziert. Warum ist das so? Und was können wir alle tun, um diese immer gleiche Erzählung aufzubrechen?

Jung + körperoptimiert = erfolgreich

Am 8. März haben wir wieder den Frauenkampftag begangen – man möchte schon fast „gefeiert“ schreiben, denn für viele Menschen, und vor allem für die schnelllebige Mode- und Kosmetikindustrie, war der Tag vor allem einer der Rabatte, Gutscheincodes und Extras beim Kauf von zwei. Blumen, Pralinen, das ein oder andere Parfum – so stellen sich viele Firmen mittlerweile vor, wie der Weltfrauentag zu ehren sei. Und in Berlin ist sogar, im Gegensatz zum Rest des Landes, immerhin ein Feiertag drin. 

Dabei ging es den Ursprüngen nach nie ums Feiern, sondern darum, auf Missstände, Ungleichheit und Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen, die mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung, nämlich Frauen*, betreffen. Waren 1911 noch vor allem die Teilhabe an politischer Macht und ganz grundlegende Dinge wie das Wahlrecht wesentliche Inhalte, kämpfen Frauen* weltweit mittlerweile um politische, gesellschaftliche und soziale Gleichberechtigung. Der Anforderungskatalog ist also gewachsen, umfasst aber immer noch so basale Dinge wie den Zugang zu Verhütungsmitteln und Periodenprodukten, selbstbestimmte Sexualität, Gleichbezahlung von gleicher Arbeit und die (monetäre) Anerkennung unbezahlter Care-Arbeit

Ein paar Tage zuvor war wiederholt deutlich geworden, wie viel Arbeit trotz aller Fortschritte im letzten Jahrhundert noch vor uns liegt, als der Human Development Report der UN verlauten ließ: 9 von 10 Menschen auf der Welt haben Vorurteile gegenüber Frauen. In keinem Land der Welt herrscht Geschlechtergerechtigkeit – und der Fortschritt verlangsamt sich immer mehr: Nachdem sie ein basales Level an Zugang zu sozialer Macht und der individuellen Verfügbarkeit über die eigenen Lebensumstände erreicht haben, stoßen Frauen* früher oder später an die gläserne Decke: Wenn es um Führungspositionen, politische Ämter oder Vorsitze in wichtigen Gremien geht – um weitreichende politische und ökonomische Macht also – laufen Frauen* auf der ganzen Welt weiterhin gegen eine Mauer. 

Und was hat jetzt das Internet damit zu tun?

Wenn wir nach einem Jahrhundert Frauenkampf(tag) etwas gelernt haben, dann: Das Private ist politisch und jede Entscheidung, die wir vermeintlich ganz persönlich treffen, treffen wir vor dem Hintergrund einer Sozialisierung, die uns mit umfassenden Bildern von Richtig und Falsch ausgestattet hat – insbesondere auch und gerade, was die Erwartungen angeht, die an männliche* und weibliche* Mitglieder der Gesellschaft gestellt werden. 

Mit jeder Entscheidung, die wir privat fällen, schöpfen wir nicht nur aus dem Pool an moralischen Erwartungen, in den wir im Zuge unseres Großwerdens hineingeworfen wurden, sondern gießen gleichzeitig unsere eigenen Eimer voller Erwartungen, Ideen, Vorstellungen und Wünsche hinein. Im besten Fall führt Letzteres dazu, dass sich die Farbstruktur des Pools ändert und angekrustete Schichten ordentlich durchmischt werden. Im ungünstigsten Fall halten wir eine Art Kreislaufsystem für überholte Gender-Normen am Laufen. 

Dabei hat nicht nur die Frage, ob ich nach der Heirat meinen Nachnamen behalte, mich von meinem Vater zum Altar führen lasse oder nicht und ob ich für mein Kind rosafarbenes oder blaues Spielzeug aussuche oder meinem Sohn verbiete, sich als Einhorn zu verkleiden, Einfluss auf diesen Gendernormen-Pool. Sondern auch, wie ich schreibe, spreche, mich im öffentlichen Raum bewege – und welche Bilder ich von mir mache und teile. 

Der öffentliche Raum ist nicht mehr nur das Café von nebenan oder die Fußgängerzone und die U-Bahn: Fast unser aller Leben spielt sich gleichzeitig auch im Internet ab – und der Konsum steigt kontinuierlich an. Die Fragen, wie wir uns dort verhalten und welche Regeln im digitalen Raum gelten sollten (oder nicht), sind drängender denn je. 

 
 
 
 
 
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Männer an den Schaltstellen der Macht

Womit wir uns außerdem (immer noch) beschäftigen müssen, ist, wer in diesem nicht mehr ganz so neuen Raum die Möglichkeit bekommt, sichtbar zu werden und sich zu entfalten – und wer nicht. 

Kürzlich wiederholte Tim Berners-Lee, der als Gründer des Internets gilt, seine seit einigen Jahren vorgetragene Sorge, das Internet entferne sich von seinem eigentlich guten Zweck, alle Informationen allen Menschen zur Verfügung zu stellen und sei durch Hass und Falschinformation bedroht. Das verstärke die Polarisierung der Welt und es werde Zeit, fordert er zusammen mit 80 Organisationen in einem Manifest, dass sich das ändert: Wir alle könnten die sichere Zukunft des Internets für alle mitgestalten – unter anderem dadurch, dass wir strong communities schaffen, die die Menschenwürde respektieren und alle willkommen heißen. 

Er sagt aber auch: 46 Prozent aller Menschen haben noch keinen Zugang zum Internet – und die meisten von ihnen sind Frauen. Eine Gender Gap, die dringend geschlossen gehöre. 

Wenn man in diesem Internet – und vor allem in den sozialen Netzwerken – unterwegs ist, fällt das unter Umständen nicht unbedingt ins Auge: Ich hatte jedenfalls lange gedacht, Frauen* hätten mindestens denselben Zugang zum #neuland wie Männer*. Das liegt sicherlich an meiner selbstgeschaffenen Bubble, die vor allem auf Instagram zu finden und da sehr frauenlastig ist (was ich persönlich als sehr schön, weil als Safe Space empfinde): Für mich ist es normal, dass Frauen* mediale und öffentliche Diskurse mitgestalten. Das bedeutet allerdings nicht, dass das für den Rest der Welt gilt (Stichwort anekdotische Evidenz).

Es ist bei Weitem nicht so, dass Frauen* im Internet nur zahlenmäßig unterrepräsentiert sind – auch in den Positionen, die mit viel Einfluss (weil Reichweite) einhergehen, befinden sich vor allem? Richtig: Männer. Auch, wenn das in der eigenen Bubble erstmal anders aussehen mag, so wiederholen sich hier die altbekannten Muster aus Film, Fernsehen und Musikindustrie: Auf jede Frau* kommen in den jeweils 100 beliebtesten (= denen mit den meisten Followern) Profilen auf Social Media (YouTube und Instagram) zwei Männer. Anders gesagt: Wir sehen immer noch (oder schon wieder) mindestens** doppelt so viele Männer wie Frauen*, denen soziale Anerkennung und damit einhergehend Macht, Status und Geld zuteilwerden. 

**Dabei kommt es vermutlich (das ist noch nicht ganz klar, weil es bisher viel zu wenig Forschung in dem Bereich gibt) auch darauf an, wohin man schaut: Auswertungen von den Top-100-YouTube-Kanälen in Deutschland zeigen, dass nur 24% der reichweitenstarken Kanäle von Frauen* geführt werden. Hier kommen auf eine Frau* also 3 Kanäle, die von Männern geführt werden. Nur 2% der Accounts werden von Personen geführt, die sich explizit außerhalb der heteronormativen Dichotomie zuordnen.

Genderstereotype 4.0: „Weibliche Selbstinszenierung findet nur in einem sehr begrenzten Korridor statt“

Die Malisa Stiftung beschäftigt sich seit einiger Zeit mit den Gender-Stereotypen auf Social Media und kommt regelmäßig zu dem Schluss: Der erhoffte Revolutions-Effekt bleibt im Großen und Ganzen aus. Was wir sehen (und häufig selbst mitproduzieren), sind – ein wenig verkürzt formuliert – im Wesentlichen die klassischen Genderstereotype. 

Während Mädchen* und Frauen* sich überwiegend im klassisch weiblich codierten Themenfeld aufhalten und vor allem Inhalte, die im häuslichen Raum spielen (Rezepte, Interior, Handwerken) sowie mit der Optimierung des eigenen Erscheinungsbildes zusammenhängen (Fashion und Beauty) posten, fächert sich das Gebiet, auf dem sich Männer bewegen, deutlich größer und vielfältiger auf: Unterhaltung, Musik, Games, Politik kommen zu Inhalten wie Travel und Fashion dazu (auf YouTube bespielen Frauen* insgesamt durchschnittlich 15 Themen und Männer 21) und weiten den Kommunikations- und damit Handlungsspielraum über das Häusliche auf die gesamte Gesellschaft, wenn nicht die ganze Welt, aus.

Das spiegelt sich auch in der bildlichen Darstellungswelt wider: 

„Die Settings, in denen Personen auf YouTube sichtbar werden, sind überwiegend private Wohnungen und Häuser, wobei die überwiegende Anzahl von YouTuberinnen (71 %) und mehr als die Hälfte der männlichen Akteure (57 %) hier gezeigt werden. Der öffentliche Raum wird dagegen doppelt so häufig von männlichen YouTuber*innen (34 %) als Setting gewählt als von weiblichen (17 %).“
Malisa-Stiftung, 2019

Und reproduziert unter anderem die uralte geistige Hierarchie: Mit den komplexen, wirklich wichtigen (weil weltumspannenden) Inhalten müssen sich die Männer beschäftigen – Frauen* verstehen nichts von Politik und haben nicht die Raffinesse, um anständigen Unterhaltungscontent zu produzieren. 

„Die Game Videos sind fest in Männerhand, da fast alle Let’s-Play-Kanäle von Männern verantwortet werden (Frauen: n=6; Männer: n=150). Hier kommen auf eine Game-Channel-Betreiberin 25 Männer. Dies ist besonders auffällig, da Frauen 47 % der Gamer*innen ausmachen (Statista, 2018) und ihre Unterrepräsentanz somit nicht grundsätzlich mit mangelndem Interesse erklärt werden kann.“ (Malisa Stiftung, 2019)

Die Beobachtung der Malisa Stiftung in Bezug auf Games ist sicherlich auch auf andere Themenfelder reproduzierbar. 

Niemand, oder besser wenige Menschen werden derart explizit sagen, dass Frauen* nur von Haushalt, Beauty und Stricken Ahnung haben (können) und wahrscheinlich denken die wenigsten Menschen, die als Medienschaffende arbeiten, so. Dennoch sind das die unausgesprochen hinter der schillernden Contentflut schwebenden gesellschaftlichen Überzeugungen, die sich genauso wie geschlechtsspezifische Vorurteile hartnäckig halten und mitbestimmen, welche Themen sich Medienschaffende abhängig von ihrem Geschlecht als Arbeitsschwerpunkt aussuchen.  

„Die befragten YouTuberinnen verweisen auf Hürden, die es erschweren aus dem Themenumfeld Beauty auszubrechen und sich neue Genres wie Comedy oder Politik zu erschließen. Sie berichten von engen Zuschauererwartungen und damit verbunden kritischen, mitunter bösartigen Kommentaren, sobald sie den normierten Erwartungen widersprechen.“ (Malisa Stiftung, 2019)

Wie eine Frau* zu sein hat und was sie darf, ist – und das ist keine Überraschung – immer noch und „erstaunlich traditionell“ sehr eng definiert. Was zu einem schmalen Handlungskorridor führt, sobald sie sich in der medialen Öffentlichkeit bewegt. Vor allem, wenn es darum geht, ein Geschäft am Laufen zu halten und am Ende des Tages den eigenen Lebensunterhalt zu sichern – was übrigens Frauen* weitaus weniger zugetraut wird als Männern. Viele weibliche* Medienschaffende bezeichnen ihre Tätigkeit selbst als Hobby oder Nebenbeschäftigung, scheuen aber davor zurück, Begriffe wie professionell zu verwenden – womit Männer hingegen kein Problem haben. 

„Fassen wir diese Ergebnisse zusammen, so zeigt sich fast ein Frauenbild der 50er-Jahre: Die Frau bleibt im Privaten, ist emotional und zuständig für Schönheit und Service und überlässt dem Mann den öffentlichen Raum, in dem er professionell agiert.“ (Malisa Stiftung, 2019)

Uff.

Körperbilder im systemkonformen Rahmen

Bleiben wir kurz bei dem Wortfeld schmal, dünn, wenig: Fast alle erfolgreichen weiblichen Medienschaffenden entsprechen dem geforderten Schönheitsideal. Sie sind schlank, besitzen eine wallende Haarpracht und lange Beine. Dass das sehr normierte Bild von Weiblichkeit eine Spirale aus Druck und Gegendruck sowohl auf der Seite der Konsumierenden wie der Produzierenden von Inhalten auslöst, ist keine neue, aber eine Beobachtung, die immer wieder auch durch Studien bestätigt wird. 

„81% der jugendlichen Mädchen auf Instagram ist es wichtig, auf hochgeladenen Fotos von sich selbst möglichst schlank auszusehen, bei den Jungen nur 57% sind.“
Maya Götz, Televizion Digital

Am interessantesten (und wohl auch schockierendsten) ist, dass sich die Wahrnehmung von Natürlich und Künstlich scheinbar zu verschieben beginnt: Auch, wenn bekannt ist, dass mit Filtern und Verzerrungsprogrammen nachgeholfen wurde, um die Personen auf den Bildern attraktiver und vor allem schlanker aussehen zu lassen, bewerten weibliche* Rezipienten die manipulierten Bilder immer noch als schöner und natürlicher als die eigentlich natürlichen.  

Das hängt sicherlich nicht nur mit den immer und überall verfügbaren Bildern schöner Menschen im Internet, sondern auch mit einer Sozialisation, die eigentlich schon immer und überall Frauen*körper als idealisiert und dementsprechend realitätsfern kommuniziert, zusammen (Kinderfernsehen, Werbung, TV-Shows etc.). Diese Normen werden von Ersteren jedoch in einer bisher nicht da gewesenen Scheinrealität (unter anderem durch parasoziale Beziehungen und der damit einhergehenden Illusion, die schönen Menschen seien nahbar und irgendwie „wie du und ich“) und Schnelligkeit reproduziert. 

Das führt zu einer permanenten Selbstobjektivierung (natürlich nicht nur von Mädchen* und Frauen*, aber vor allem von ihnen): Studien der Malisa Stiftung zeigen, dass vor allem jüngere Mediennutzende die Mechanismen des Systems schnell internalisieren und beginnen, vor dem Posten jedes Bild von sich akribisch auf Körpertauglichkeit angesichts der herrschenden Geschlechternormen von dünn, langbeinig und straff zu untersuchen. Das andauernde Objektivieren kann mit einem konstant niedrigeren Selbstbewusstsein einhergehen, muss es aber nicht: Insgesamt wird die Mediennutzung junger Mädchen von den Forscherinnen als durchaus „selbstwirksam“ und „selbstbestimmt“ beschrieben. 

Durch Filter und schwierige Schönheitsideale kommt es zu einer Verzerrung von Natürlichkeit. © Malisa Stiftung

Geschlechterklischees: Der Knackpunkt liegt woanders

Das alles so passieren muss, wird nicht eine Sekunde infrage gestellt. Es gibt keine Alternative zum Bestehenden, und das ist vermutlich gleichermaßen deprimierend wie aufrüttelnd.

„Kritische Fragen, ob es beispielsweise überhaupt sinnvoll und ihrer Identität zuträglich ist, einem so stereotypen Schönheitsideal genügen zu wollen, werden nicht gestellt. Auf die Idee, dass es eigentlich frauenfeindlich ist, ausschließlich das Aussehen in den Fokus zu stellen und traditionelle weibliche Körperpraktiken, wie stets gerade zu sitzen, als notwendig anzuerkennen, kommen sie nicht. Die Mädchen sind perfekt angepasst und formulieren ihre Selbstinszenierung ausgesprochen kompetent im Sinne eines neoliberalen Frauenbildes, bei dem die Selbstoptimierung und das sich und anderen Gefallen im Mittelpunkt stehen.“ (Malisa Stiftung, 2019)

Die Bilder, die dann am Ende eines solchen Prozesses jeweils rauskommen und on the Grid landen, zeigen dann konsequenterweise Mädchen* und Frauen*, deren Darstellung ganz auf den Male Gaze (also den männlichen Betrachter) ausgerichtet ist: Wahlweise lasziv-erotische, verträumt-schöne oder aber zerbrechliche Frauen*figuren, die potenziell sexuell verfügbar sind und die altbekannten, früher ausschließlich von Männern angefertigten, Frauendarstellungen immer und immer wieder rezitieren. Auch heute noch sind die meisten Fotograf*innen, deren Inhalte medial verbreitet werden, Männer. Auch diejenigen, die oft die Bilder von bekannten Medienpersönlichkeiten machen – sei es, weil die Branche im Profi-Bereich immer noch männlich dominiert ist oder weil gerade nur der Insta-Husband zum Fotografieren zur Verfügung steht. 

Kann ich es überhaupt richtig machen?

Und wenn ich mich selbst ablichte, die technische Macht des Selbstauslösers nutze, um mich medial in Szene zu setzen? Schwierig. 

Die einen sagen, nie zuvor hätten Frauen* mehr Verfügungsgewalt über die eigene Außendarstellung erhalten: Zum ersten Mal in einer sehr langen Geschichte bin ich diejenige, die das Kameraauge auf sich selbst richtet. Ich bestimmte Pose, Augenaufschlag, Kleidung, das Nichtvorhandensein von Kleidung, den Grad des Make-ups oder das Weglassen desselben. 

Aber wer schaut mich durch die Linse an? 

Wenn man idealistisch veranlagt ist, könnte man sagen: ich. Und es dabei belassen. Doch dieses Ich hat nur scheinbar die alleinige Kontrolle über den Moment des Selbstauslösens in der Hand – zu glauben, es sei nicht durch gesellschaftliche Konventionen, die eben auch (und das ganz wesentlich) Erwartungen an Geschlechterperformanz beinhalten, geknüpft, hieße, einer Illusion zu erliegen. 

Konkret: Nicht nur ich schaue mich durch das auf mich selbst gerichtete Kameraauge an – sondern eine jahrhundertealte Erzählung dessen, was es angeblich heißt, eine Frau* zu sein. 

Sie verändert sich immer ein bisschen, bleibt in ihren Grundwerten aber bis heute schon fast erstaunlich konsistent. Das fängt bei körperlichen Attributen (lange Haare und Beine, schlanke Figur, lange Wimpern) an, geht über die entsprechende Kleidung und endet bei der Art, wie sich Körper (gekoppelt an Gender) im öffentlichen Raum bewegen und inszenieren sollen: Breitbeinige, raumgreifende und daher Selbstbewusstsein ausdrückende Bilder von Frauen* sind selten in den sozialen Medien. Stattdessen werden durch Gesten wie dem Fußballenstand (der praktischerweise auch gleich für optisch längere Beine sorgt), gesenktem Blick, verträumtes Lächeln und abwesende Hand-im-Haar-Gesten traditionelle Motive wie Zerbrechlichkeit, Schutzbedürftigkeit, Verträumtheit, Kindlichkeit und Naivität anzitiert

 

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„Nur in absoluten Ausnahmen werden Posen gewählt, die ausschließlich (männlich konnotierte) Dominanz und Überlegenheit signifizieren.“ (Quelle)

(Noch einmal der Hinweis: Es gibt derzeit keine flächendeckenden und in die Tiefe gehenden Studien zu dem Thema – die meisten beschäftigen sich mit den reichweitenstärksten Accounts, auf deren Basis die Beobachtungen fußen. Es gibt natürlich mehr Diversität, vor allem in der feministischeren Bubble – dennoch sind die Grundtendenzen, der „Mainstream“, wenn man so will und an dem sich vor allem junge Nutzer*innen orientieren, nach Sicht der Malisa Stiftung eindeutig und besorgniserregend.)

Und weil ich diese Erzählungen so verinnerlicht habe, dass sie mir gewissermaßen in Fleisch und Blut übergegangen sind und durch meine Sehgewohnheiten jeden Tag mehrfach bestätigt werden, richte ich mich im Arbeitsprozess für ein neues Bild genau (und meist unbewusst) auf diese Konventionen ein und werde gleichzeitig zu meiner schärfsten Kritikerin. Sowohl, wenn jemand anderes den Auslöser drückt als auch, wenn ich das selbst tue. 

Wissenschaftlicher ausgedrückt liest sich das so: 

„Mädchen wird die Verantwortung für ihre eigene Selbstinszenierung in die Hand gegeben. Parallel wirken Mode- und Schönheitsindustrie und verweisen die Mädchen auf den Körper als Zentrum ihrer Identität und die Betonung des Weiblichen als einzigen anerkannten Weg. Es entsteht eine postfeministische Maskerade, in der die Mädchen sich bewusst als weiblich inszenieren, aber nicht um männliche Anerkennung zu bekommen oder negative Rückmeldung zu vermeiden. Die Mädchen selbst werden zur maßregelnden Struktur, zu gnadenlosen Richterinnen ihrer selbst […].“ (Quelle)

Diese „postfeministische Maskerade“, in der wir das alles vorgeblich für uns selbst und als mündige Individuen und im vollen Bewusstsein unseres Handelns tun, verdeckt die systemischen Probleme, die dahinterstehen. Nicht nur die bezogen auf konventionelle und ziemlich altbackene Geschlechtervorstellungen im optischen Bereich (die nur die Mann-Frau-Dichotomie kennen und keinen Platz für Diversität lassen), sondern auch die Machtverhältnisse im Professionellen: Lange Arbeitszeiten, Unsicherheiten, hochgradige Inszenierung der Bilder, das Management im Hintergrund – von alledem lenken die hübschen vermeintlichen Schnappschüsse von lächelnden Frauen* an tollen Orten mit tollen Körpern und toller Kleidung ab, sodass die medialen Auftritte im Schnitt von den Forscherinnen als Mittel zur „Restabilisierung normativer Geschlechterrollen“ gewertet werden. Weibliche* Arbeit, Anstrengung und damit Leistung, die über das Körperliche hinausgeht, sind fremd in diesen pastelligen Bildern.

Und wie kommen wir da jetzt wieder raus?

Die Lösung ist ein Buzzword dieser Zeit: Diversität. 

Denn es gibt sie, die Menschen, die tradierte (weiße) Muster aufbrechen, mit Grenzen und Sehgewohnheiten spielen und sie immer wieder neu konzeptuieren – vom Resting Bitch Face als Markenzeichen über gut sichtbare Fettpölsterchen und Beinbeharrung bis hin zu androgynen, uneindeutig-fluiden, nicht-weißen und/oder alten Körpern und ihrer Darstellung. Es gibt Profile und Menschen, die sich nicht zwangsläufig auf die eigene Körperlichkeit und die optimal-stereotype Perfomance derselben in jedem Bild fokussieren und so die Leistungsgesellschaft, die nur ein altes, festgefahrenes Bild vom „guten“ Menschen kennt (nämlich den in jeder Hinsicht optimierten), mit ihrem Tun hinterfragen. Man muss sie nur finden – und ihnen dann die Reichweite und damit den Raum geben, den sie verdienen. 

Hier sind ein paar Beispiele:  

 

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Und wir können bei uns selbst anfangen, wenn wir in irgendeiner Form in den sozialen Medien vertreten sind (was bei den meisten der Fall ist) und unser eigenes Handeln hinterfragen: Warum lächle ich reflexhaft, wenn eine Kamera auf mich zeigt? Muss ich die Brust jetzt rausstrecken und das Bein anwinkeln – und warum bleache ich meine Zähne in Facetune nach? Die nächste Frage: Muss das sein? Oder fühle ich mich sonst überhaupt nicht wohl – habe ich vielleicht Angst? Wenn ja, wovor – und woher kommt das?

Direkt daran schließen meine Überlegungen zu Bodypositivity und Bodyneutrality an.

Du willst mehr zu Diversität und Schönheitsbildern lesen?

„Warum ist die Modeindustrie so weiß?“

Das alles ist nicht einfach und es sind ziemlich unbequeme Fragen – und vermutlich noch unbequemere Antworten. Wir können auch nicht damit rechnen – weder bei uns selbst noch gesamtgesellschaftlich –, dass sich die Dinge von heute auf morgen ändern, weil wir persönlich eine Art Erleuchtung erfahren haben. Wenn wir etwas wissen, dann, dass herrschende Normen ziemlich hartnäckig kleben bleiben. Das aber ist keine Ausrede, um nicht mit dem Wandel anzufangen und das sich „selbst aufrechterhaltende System, welches jede ehrliche emanzipatorische Auseinandersetzung verhindert“ infrage zu stellen.

Disclaimer: Das heißt natürlich nicht, dass wir nie wieder lächeln und nur noch breitbeinig posieren und männlich konnotierte Zeichen reproduzieren dürfen. Es wäre schade und verkürzt, wenn neue weibliche* Selbstinszenierung in der Anpassung an das (toxische) „Starke“ enden würde. Es geht nicht um das eine Richtig und Falsch, sondern um neue Wege und anderes, diverseres Denken – und viele sind schon dabei, das auf unterschiedliche Arten umzusetzen. 

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Eine Antwort auf „Warum Social Media Geschlechterklischees fördert und was wir dagegen tun können“

Ganz ehrlich, ich erlebe es im Sport immer wieder, dass Frauen sich selbst in Klischees packen., Frauen und Gewichte heben, oh mein Gott, da haben die Frauen selbst gleich Angst zum “Hulk” zu mutieren. Zumba und Bauch-Beine-Po Training sind da die nummer Eins beliebtesten Sportarten. Neben Cardio.
So gesehen bin ich da unter Frauen eine Randgruppe. Und dann auch meist eine von wenigen trainierenden Frauen unter hauptsächlich Männern. Die, aber entgegen laufender Klischees, nicht nur gaffen, sondern mit einem richtig trainieren. Während manche Frauen selbst Klischeemäßig das Gym nur dazu zu betreten scheinen sich auf Selfies möglichst sexy in Szene zu setzen, während sie in einem hippen Gymoutfit posieren.
An vielen Klischees und Repräsentationen des Weiblichen Geschlechts sind Frauen selbst schuld.
Wenn ich Beim Bankdrücken 50 Kilo stämme und gewiss nicht aussehe wie ein Hulk und dann manch eine Frau meint sie habe Angst eine 3 Kilo Hantel in die Hand zu nehmen, weil sie befürchtet, dass davon ihr Bizeps Platzt… Es ist lächerlich. Doch genau solche Beispiele bedienen eben das weibliche Klischee. Auch auf Instagram und Co.
Besonders Instagram ist eine Anreihung an Selbstdarstellung,. Ein Selfie nach dem anderen.
Wer reihenweise Selfies postet macht das auch zu Zwecken der Selbstdarstellung, weil er gesehen werden möchte. Als Frau, weil man auch als hpbsch angesehen werden möchte. Weil man gerne Komplimente hört. Wer als Frau meint Selfies zu posten auf Insta hätte nichts mit Selbstdarstellung zu tun, der belügt sich zum Teil selbst.
Die wenigsten posten ein Selfie auf Insta nach dem anderen ungeschminkt, so wie Natur sie schuf. Sobald man als Frau Makeup auflegt, das schönste Bild von sich heraus sucht, ist es mitunter eine Reduktion auf die Optik.,
Da lässt sich wohl streiten, was den signifikanten Unterschied ausmacht,.
Frauen sind auch von den Interessen her weniger oft in Bereichen wie Bombenentschäfung, Automechanik, IT zugange. Das hat eben auch was damit zu tun, dass es in den Interessens belangengen gewisse Unterschiede gibt.
Ich bin kein Freund von Social Media. Es ist alles eine einzige Bubble. Eine der Selbstdarstellung. Und wer das leugnet, man poste nur Selfies aus beliebigem Anderen Grund, der belügt sich selbst.
Ich habe nie verstanden was Frauen an Mode finden, warum manche zig Paar Schuhe haben müssen, oder dergleichen. Ich mag meine Weiblichkeit und die zeige ich auch gern. Nur manches ist eben ein selbst erfüllendes Klischee.
Wenn Frauen voewiegend nach Rezepten und Wohnraumgestaltung suchen, Angst haben Gewichte zu stemmen und lieber Zumba machen, ja, dann bedienen sie selbst die Rolle der Frau.

Ich schaue gerne Youtube Kanäle zum Thema Kraftsport. Um mir Anregungen zu holen.
Der Hauptanteil der Viewer sind Männer. Content für Frauen von Frauen… oh we… meist Bauch beine Po und irgendwelche Bodyweight Sachen, die nix bringen.
Da sieht man dann wo Frauen selbst ihre Prios leben. Eben auf einem straffen Hintern.

Wir sind gerne mal selbst ein Sich erfüllendes Klischee. Und das ist auch okay. Soll jeder machen was ihm gefällt.
Und diese Hetze gegen alles Männliche… Das ist mitunter das was den Feminismus unattraktiv macht.