Edit am 02.04.2020
„In Venedig schwimmen wieder Delfine.“
„Nie war der Himmel über China klarer als jetzt“
„Der Corona-Virus rettet das Klima.“
Während die halbe Welt im Chaos versinkt, weil sie mit dem neuartigen Virus kämpfen muss, entwickeln sich in der Nachhaltigkeits-Bubble gefährliche (Fake-)Stimmen, die Ideen des Öko-Faschismus befeuern. Warum ein Virus nicht das Klima retten wird? Und was ist moralisch mehr als schwierig an obigen Aussagen?
Die Natur holt sich ihren Teil zurück?
Für einige mag der Ausbruch von Covid-19 fast ein Segen sein, hört man sich die Aussagen derer an, die fast jubelnd Tweets und Bilder von Flüssen und der Luft posten, die noch nie so sauber waren, wie derzeit. Vielleicht ist es ein Versuch, dem unsicheren Gefühl eine Richtung zu verleihen. Eine positive, die die Angst nimmt und Hoffnung gibt, in Zeiten, in denen vieles hoffnungslos erscheint. Vielleicht ist es aber auch blanker Hohn und kindliche Naivität zu glauben, dass dieser Virus als Umweltschützer daherkommt und den Job erledigt, den wir, Gesellschaft und Politik, seit Jahren hätten erledigen sollen.
Es ist Hohn gegenüber denen, die aktuell in Lebensgefahr schweben, weil ihre Körper zu schwach sind, den Virus zu bekämpfen. Für die Familien, Angehörigen und Freund*innen, die tausendfach ihre Liebsten verloren haben. Es ist der blanke Hohn für Pflege- und Krankenhauspersonal, das seit Wochen auf dem Zahnfleisch geht, weil die Kapazitäten, sowohl monetär als auch personell, vorne und hinten nicht reichen. Es verhöhnt diejenigen, die aufgrund der Corona-Krise vor dem Existenz-Aus stehen. Die nicht wissen, wie sie die nächsten Wochen wirtschaftlich überleben sollen. Deren Existenz davon abhängt, mit Menschen in Kontakt zu sein.
Und nicht nur das. Es verhöhnt auch diejenigen, die seit Jahren, sowohl politisch als auch aktivistisch, für Umwelt- und Klimaschutz kämpfen. Deren Erfolge oftmals medial in den hinteren Schubladen landen. Oder deren Erfolg bis dato, aufgrund von mächtiger Lobby und Wirtschaftsinteressen, ausblieb. Ha, seht ihr, der Virus kann, was ihr nicht geschafft habt!
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Die falsche Erzählung
Wenn es nicht Hohn ist, der aus den Zeilen der hoffnungsvollen Umweltliebhaber*innen spricht, dann die pure Naivität. Ja, der Himmel ist klar. Die CO2-Emissionen sind mancherorts deutlich gesunken. Und ja, viele Unternehmen in der Konsumgüterbranche müssen ihre Lieferketten jetzt überdenken.
Doch was wird passieren, wenn die Krise einigermaßen überstanden ist? Utopist*innen mögen jetzt sagen: Wir werden in einer neuen Welt leben. Alle haben verstanden, was Solidarität bedeutet. Wir werden auf unsere Ressourcen achten und unsere Umwelt schützen.
Ich will hier nicht die Spielverderberin spielen, aber diese Erzählung ist falsch. Die Unternehmen, die gerade um ihre Existenz bangen, aber vor allem die, deren Rendite gerade davonschwimmen, werden alles daransetzen, nach der Krise den Verlust so gering wie möglich zu halten und zu erwirtschaften, was geht. Preisschlachten, Menschenrechtsverletzungen und Umweltsünden inklusive. So lange Profit die oberste Devise unserer Wirtschaftssysteme ist, so lange wird sich nichts verändern.
Die wirtschaftspolitische Antwort ist Wachstum
Die deutsche Bundesregierung hat in den letzten Wochen einen einigermaßen soliden Job gemacht, hat besonnen und verhältnismäßig reagiert, wenn es um Maßnahmen gegen das Virus ging. Und während vor allem rechtskonservative Länder schneller „Grenzen dicht“ und „Ausgangssperre“ rufen konnte, als Corona überhaupt bei ihnen eintraf, hat unsere Demokratie bislang alles darangesetzt, so wenig Einschränkungen wie möglich mit so vielen Maßnahmen wie nötig umzusetzen. Doch die wirtschaftspolitische Antwort auf die Krise sendete das Signal, in welche Richtung wir in den nächsten Wochen und Monaten rudern werden.
Zuerst waren da Hilfskredite. Kredite, die für viele Kleinunternehmer*innen, Solo-Selbstständige und auch mittelständische Unternehmen nicht unbedingt in Frage kommen, wenn man sich die ungewisse Lage anschaut. Doch schon nach einigen Rufen und Protesten folgten schnell andere Hilfspakete. Die Regierung will alles daransetzen, dass möglichst viele Unternehmen diese Krise überstehen. Und ja, das ist gut. Das ist auch wichtig. Das ist vor allem für die nachhaltige Branche oder auch die Kreativbranche wichtig, sind doch gerade hier viele Unternehmen, die mit Umsatzeinbußen über mehrere Wochen und Monate nicht so einfach umgehen können.
Doch es wird auch deutlich, dass die Wirtschaft nun, mehr denn je, an erste Stelle rückt. Versteht mich nicht falsch, das ist alles gut, richtig und wichtig. Aber das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass für viele andere Themen kein Platz mehr sein wird und das Signal der Bundesregierung offenbart eine weitere Wahrheit deutscher Politik: An erster Stelle stehen immer die, die bereits viel haben.
Soziale Themen rutschen an zweite Stelle
Schon jetzt zeigt die Situation an der griechischen Grenze, welche Priorität Themen abseits von Corona und Wirtschaftsrettung haben. Es ist schwer, mit Solidaritätsrufen für Geflüchtete aktuell durchzukommen. Wenn die Solidarität, die in den letzten Tagen in Nachbarschaftskreisen ja wirklich deutlich gewachsen ist, noch viel eher als sonst schon an unseren Landesgrenzen aufhört, wie sollen wir dann in Sachen Klimagerechtigkeit weitermachen?
Die Sonntagsfrage vom 20.03.2020 zeigt, in welche Richtung sich die Stimmung bewegt. Die CDU, die wie gesagt einen soliden Kurs in Sachen Corona fährt, kann erstmals seit längerer Zeit wieder an Prozentpunkten gewinnen. Das Vertrauen wächst. Und auch die angeschlagene FDP profitiert von den lauten Rufen nach Wirtschaftsrettung. Der Erfolgskurs der Grünen scheint erstmal passé, scheinen Klima- und Umweltthemen doch jetzt fehl am Platz.
Und auch das EU-Parlament stellt die Weichen für die kommenden Monate, wenn nicht sogar Jahre. Wirtschaftsrettung lautet die Devise. Und das konsequent. Vorbei die Zeiten, in denen der Fridays for Future-Schwung Klimathemen bis in die Parlamente gepustet hat. Das Aussetzen von Demonstrationen und der wichtigen Arbeit auf der Straße tut da nur sein Übriges, um relevante Klimathemen vom Radar verschwinden zu lassen.
Ein Systemwandel muss her
Man kann das Bild, das hier gezeichnet wird, schwarzmalerisch finden. Ich sage, bleiben wir realistisch. Wenn wir jetzt anfangen, vermeintliche Umwelterfolge zu überhöhen, ja fast zu glorifizieren, arbeiten wir an den wichtigen Themen vorbei. Denn die Klimabewegung braucht jetzt, mehr denn je, stabilen, faktengestützten Rückhalt und eine gute Lobby für eine Wirtschaft, die den Systemwandel wagen will. Wenn die Politik die Weichen so stellt, dass nur schnell wieder Gelder fließen können und Umsätze gerettet werden, ist das kein nachhaltiges Tool, um den Kurs Richtung zukunftsträchtige Wirtschaft zu stellen. Natürlich bietet diese Krise, die Chance genau das zu tun. Nur dafür braucht es auch Unternehmen, die gerade jetzt einen langen Atem beweisen und sagen, ja wir machen mit bei der Umstellung und wir übernehmen Verantwortung für unsere Lieferketten.
Was jedoch noch mehr Angst macht als die verrückten politischen Zeiten, die uns jetzt bevorstehen, ist das Einschleichen faschistischer Strukturen in die Klimabewegung. Wie oft poppten in den letzten Tagen Posts in den sozialen Netzwerken auf, die vor Öko-Faschismus nur so strotzten. China habe nun die Antwort auf ihre klimafeindliche Produktion bekommen oder das Corona-Virus sei eine gute Sache für den Klimawandel. Wie kann ein Virus, der tausende Menschen tötet „eine gute Sache“ sein? Und wäre diese Erzählung auch so gewesen, wäre der Virus zuerst in Europa oder Nordamerika ausgebrochen?
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Öko-Faschismus baut auf rassistischem Gedankengut auf
Es zeigt eine eurozentrische Erzählung, die seit Jahren darauf beruht, dass in Ländern des Globalen Südens mehr Umweltverschmutzung stattfände, die große Bevölkerungszahl zur Klimakatastrophe beitrage und CO2-Emissionen vor allem „dort“ entstehe. Dabei lässt Öko-Faschismus völlig den Fakt außer Acht, dass nicht diese Länder das Problem sind, sondern die Art, wie wir wirtschaften. Und durch unsere kapitalistischen, privilegierten Strukturen dafür sorgen, dass Länder und Menschen im Globalen Süden ausgebeutet werden und unser Klima für unseren Reichtum geopfert wird.
Es ist nicht nur Trump, der mit Aussagen wie „Das Corona-Virus ist ein chinesisches Virus“ die Debatte mit rechtem Gedankengut befeuert, sondern auch Memes und Bilder, die das Virus als Klimaretter glorifizieren. Das ist nicht nur extrem menschenverachtend, sondern auch schlichtweg falsch. Zusätzlich ist es ein leichtes für Rechtsextremist*innen und Rassist*innen nun dieses Narrativ aufzugreifen und den Menschen, oder in dem Fall eben nur bestimmte Menschen, als Gefahr für den Planeten zu markieren. So werden aus Klimawandelleugner*innen ganz schnell Klimaschützende, die faschistisches und rassistisches Gedankengut in einer Bewegung etablieren. Wer glaubt, alle Umweltschützer*innen sind „gute“ Menschen, der*die hat bis dahin nicht genau genug hingeschaut.
Der Begriff Öko-Faschismus
Öko-Faschismus beschreibt historisch faschistische Politik, die unter dem Deckmantel ökologischer Prinzipien (wie Selbstversorgung, zurück zur Natur u.Ä.) rassistisches, anti-demokratisches, nationalistisches und totalitäres Gedankengut vereinnahmt. Umwelt- und Naturschutz war lange Zeit konservativ geprägt und wurde erst in den Sechziger Jahren mehrheitlich links. In der jüngsten Vergangenheit bedienen sich Neorechte immer wieder an dem Begriff. Im deutschsprachigen Raum kam es außerdem zur Vereinnahmung des Begriffs durch Rechte, die diesen missbräuchlich für Umweltschützer*innen, auch im Rahmen von Fridays for Future, als hetzerischen Begriff verwandten. Gerade deswegen ist es wichtig, echten Öko-Faschismus zu benennen und den schmalen Grat, den es durchaus in der Umweltbewegung gibt, mit offenen Augen und Ohren anzusprechen.
Wenn wir wirklich eine Chance nach der Krise sehen wollen, hilft nur bedingungslose Solidarität und das Zentralisieren von Klimagerechtigkeit in der Bewegung. Wenn eine Krise eine andere überlagert, gilt es nicht einander auszustechen, sondern mit beiden Krisen vernünftig umzugehen. Das bedeutet, wir müssen bei den Fakten bleiben, Öko-Faschismus sichtbar machen und zur Rede stellen, denn nicht der Mensch ist das Virus, sondern Profitgier und Machtstrukturen.
Ach, und die Delfine schwammen nicht in Venedig, sondern vor Sardinien. Und das ist, Überraschung, völlig normal.
Anmerkung der Redaktion: In diesem Artikel wird der Begriff Öko-Faschismus selbstverständlich ausschließlich in seiner ursprünglichen Konnotation verwendet, in der er rechtes Gedankengut sichtbar macht. Ergänzung: Im Englischen ist „eco fascism” nicht so mehrdeutig konnotiert wie im Deutschen. Hier bezeichnet es ganz klar rechtes Gedankengut. Ein Beispiel der jüngeren Vergangenheit hierfür ist u.a. der Attentäter von Christ Church, der sich selbst als “eco fascist” bezeichnete. Es ist außerdem wichtig abzugrenzen, dass natürlich die derzeitige Umweltbewegung in keinster Weise dafür verantwortlich ist, dass ökofaschistische Strukturen existieren. Es liegt nur in ihrer Verantwortung, diese sichtbar zu machen und sich deutlich von ihnen abzugrenzen.
Titelbild: © Emilie Elizabeth
2 Antworten auf „Warum wir den Corona-Virus nicht als Klimaretter sehen sollten und was Öko-Faschismus damit zu tun hat“
Sehr sehr guter, informativer und wichtiger Text, den die Welt lesen SOLLTE. Es ist so treffend, wie du formulierst und sachlich, so wie zugleich persönlich geschrieben. Er bringt mich sehr zum Nachdenken und stösst Neues an. Danke, Jana.
Super geschriebener Artikel! Ich habe die positiven Aspekte des Virus für das Klima immer mal wieder in Gesprächen thematisiert. Ich habe jetzt nun aber den Impuls bekommen, das Einsortieren des Positiven noch mal anders zu überdenken und den Zynismus noch stärker zu sehen. Besonders die Frage fand ich sehr treffend: “Wenn die Solidarität, die in den letzten Tagen in Nachbarschaftskreisen ja wirklich deutlich gewachsen ist, noch viel eher als sonst schon an unseren Landesgrenzen aufhört, wie sollen wir dann in Sachen Klimagerechtigkeit weitermachen?” Danke!