Morgen ist wieder Black Friday – einer der umsatzstärksten Tage des Jahres für den (Mode-)Einzelhandel. Der Handelsverband Deutschland rechnet 2020 mit einem Umsatz von 3,7 Milliarden Euro rund um Black Friday. Mit sehr hohen Rabatten von 70 Prozent und mehr wird es vom 27.11. bis zum Cyber Monday, dem 30.11., aller Voraussicht nach auch dieses Jahr wieder Rekordverkäufe geben.
Traditionell wird der Black Friday am letzten Novemberwochenende, dem Freitag nach Thanksgiving begangen. Damit läutet der gefeierte Shopping-Tag die Weihnachtssaison im Einzelhandel ein. In den USA, dem Ursprung dieser kauffreudigen Tage, ist diese Tradition bereits fest verankert. 1961 lockten erstmals findige Einzelhändler:innen mit gezielten Rabattaktionen ihre Kund:innen in die Stadt. Und das so erfolgreich, dass die Menge an Menschen nur noch als schwarze Masse zu erkennen war: der Black Friday war geboren. Der Cyber Monday hingegen entstand als Antwort des Onlinehandels auf den Erfolg des stationären Handels. Auch sie wollten von den Rabattaktionen und dem Kaufrausch profitieren.
Nachdem diese Tage auch in unseren Innenstädten und Onlineshops Einzug gehalten haben, wurden in den letzten Jahren aber auch kritische Stimmen immer lauter. Der oft maßlose Konsum so kurz vor Weihnachten lässt viele Fragen offen: Wie können so extrem hohe Rabatte eigentlich entstehen? Und wie funktioniert das System dahinter? Muss es am Ende nicht immer auch Verlierer:innen geben, die vom vermeintlichen Black-Friday-Erfolg wenig sehen?
Black Friday-Rabatte könnten 2020 noch extremer ausfallen als in den Jahren zuvor
Auch Marian von Rappard, der Gründer des Eco Jeans Labels DAWN Denim, glaubt, dass die Rabatte und Verkaufszahlen dieses Jahr sogar noch mehr in die Höhe schnellen werden: „Viele haben volle Lager und müssen die Sachen loswerden, um genug Cashflow zu haben, um Gehälter zu bezahlen.“ Das sieht er kritisch, denn die hohen Rabatte bleiben nicht ohne Folgen. Mit seinem Label DAWN hat er sich dazu entschieden, überhaupt keine Rabatte während des Black Friday-Wochenendes anzubieten.
Wieso Marian diese Entscheidung für die Glaubwürdigkeit seines Labels wichtig findet, wie es überhaupt zu solchen Preisen kommen kann und was das am Ende mit partnerschaftlichem Arbeiten auf Augenhöhe zu tun hat, haben wir mit dem Gründer des Jeans-Modelabels besprochen.
Interview mit Marian von Rappard, Gründer DAWN Denim
„Als nachhaltige Brand muss man sich immer fragen, ob man Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, wenn man plötzlich am Black Friday Konsum propagiert.“
Fashion Changers: Jedes Jahr werden am Black Friday hohe Rabatte angeboten. Für Unternehmen und den Einzelhandel ist es einer der umsatzstärksten Tage im Jahr. Bei Dawn sagt ihr ganz bewusst, dass ihr keine Rabatte anbietet. Verzichtet ihr damit auch auf Umsatz?
Marian von Rappard: „Bei Dawn propagieren wir einen nachhaltigen Lebensstil und wollen bewussten Konsum fördern. Bei so hohen Rabatten mitzumachen wäre für uns ein Widerspruch, das passt nicht zusammen. Klar, wir sind trotz unserer nachhaltigen Ausrichtung natürlich auch eine Brand, die Produkte verkaufen möchte. Solche Rabattaktionen, die zu gedankenlosem Konsum ankurbeln würden wir aber nie machen. Vielleicht verzichten wir dadurch auf Umsatz, das kann sein. Wir haben tatsächlich noch nie bei so einer Aktion mitgemacht und haben daher keinen Vergleich. Unsere Glaubwürdigkeit ist uns wichtiger.“
Auf eurer Webseite kommuniziert ihr auch, dass die nachhaltigste Jeans die ist, die schon im Schrank hängt und dass Dawn Denim nur die Option danach sein möchte.
„Genau, das ist einer unserer Leitsätze. Das gehört für mich auch zum Thema Glaubwürdigkeit dazu. Als nachhaltige Brand muss man sich immer fragen, ob man Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, wenn man plötzlich am Black Friday dann Konsum propagiert. Gleichzeitig ist die Situation mit Corona jetzt besonders schwierig. Viele haben volle Lager und müssen die Sachen loswerden, um genug Cashflow zu haben und Gehälter zu bezahlen. Deswegen denke ich auch, dass der Black Friday dieses Jahr besonders extrem ausfallen wird. Die Lager sind voll und der Verkaufsdruck steigt, auch weil man Umsatzausfälle aus dem Frühjahr vielleicht wieder reinholen will oder muss.“
Wie stehst du generell zum Thema Sale und Rabatte – auch außerhalb des Black Fridays?
„Ganz drumherum kommt man nie. Es ist schwierig, immer nur zu den regulären Preisen zu verkaufen, zum Beispiel, wenn man nur noch wenige Größen zur Verfügung hat. Dann ist es meist schwer am ursprünglichen Preis festzuhalten, weil einzelne Größen oft als totes Kapital im Lager liegen. Man sollte aber Rabattaktionen nicht schon von Anfang an mit einplanen. Genau das passiert aber zum Beispiel am Black Friday. Für solche Rabattaktionen wird häufig extra billiger eingekauft. Am Ende steht da dann 70 Prozent Rabatt, in Wahrheit war aber einfach der Einkaufspreis viel geringer. Stattdessen sollte es darum gehen, bedarfsorientiert zu handeln, das ist mit dem Saisongeschäft in der Modebranche oft schwierig und Corona macht es noch komplizierter.
Als Einzelhändler steht man in diesem Jahr auch vor Fragen wie: Kaufe ich jetzt von diesem Produzenten oder werden sie wegen eines Lockdowns die Ware viel zu spät liefern? Ist mein Laden vielleicht selbst bald wieder einige Wochen zu? Auch für Produzenten ist es schwierig: Werden meine Kunden digital bei mir ordern? Welcher meiner Kunden gibt es überhaupt in ein paar Monaten noch und wie viel soll ich produzieren?“
Du hast gerade schon Rabatte mit 70 Prozent oder sogar noch mehr angesprochen und wie das überhaupt sein kann, zum Beispiel indem extra dafür eingekauft wird. Welche Strukturen stecken noch dahinter?
„Am Black Friday stehen neue, volle Sortimente im Laden. Da geht es also nicht darum, dass man Restware aus den Lagern nun zu einem günstigeren Preis anbietet, um sie loszuwerden. Diese Sachen werden extra für den Black Friday eingekauft – und zwar so günstig, dass man sie gut zu einem sehr kleinen Sale-Preis anbieten kann und das über die Masse trotzdem sehr lukrativ ist. So entstehen ‚Fake-Preise‘, da nicht wirklich 70 Prozent reduziert wird. Wenn man solche Preise anbieten will, muss man entweder die Menge der verkauften Teile erhöhen oder die Qualität runterschrauben. Die bekannten Fast Fashion-Brands suchen gezielt Textilfabriken, die gerade keine Aufträge haben, aber unbedingt welche brauchen, um überleben zu können. Dann ist die Ansage: ‚Willst du nicht lieber diesen sehr schlecht bezahlten Auftrag als gar keinen?‘ Wenn man keine andere Wahl hat, geht man darauf ein, um wenigstens die Fixkosten in der Fabrik zu decken.“
Ware, die extra für Black Friday billig eingekauft wird? Wir wollten es genauer wissen und baten Ökonomin und Geschäftsführerin von UnternehmensGrün Dr. Katharina Reuter zum Gespräch. Problematisch sei aus Sicht von Katharina Reuter, dass mitten in der Rabattschlacht wichtige Produkteigenschaften wie Qualität, Service oder Nachhaltigkeit in den Hintergrund rücken. Und das Geschäft der billigen Beschaffung ist, wie von Marian von Rappard festgestellt, tatsächlich kalkuliert. „Wenn die Rabatte an den Hersteller weitergegeben werden, passiert das nicht spontan. Solche Vereinbarungen sind Teil der Einlistungsgespräche.", so Reuter.
Mal angenommen, ihr würdet die gleichen Rabatte zu Black Friday anbieten wollen, wie konventionelle Anbieter – was müsstet ihr tun? Oder geht das mit einem fairen und nachhaltigen Geschäftsmodell eigentlich nie?
Marian von Rappard: „Das würde vielleicht gehen, wenn wir die 10 oder 100-fache Menge verkaufen würden. Wir haben ja eine eigene Textilfabrik in Vietnam, das heißt auch, dass wir den Betrieb gleichmäßig am Laufen halten wollen, ohne extreme Peaks. Wenn ich jetzt die Kapazitäten verzehnfachen will, weil ich Black-Friday-Preise anbiete, dann müsste ich viele neue Leute anstellen. Aber was passiert dann danach mit diesen Leuten, wenn man diese Kapazitäten nicht mehr braucht? Die meisten Brands haben keine eigenen Textilfabriken und beauftragen dann zum Beispiel acht zusätzliche, externe Fabriken, wenn sie das Produktionsvolumen erhöhen wollen. Nach dem Black Friday sackt dann alles wieder ab und das ist wiederum eine gute Vorlage für das Dumping, das wir vorher am Fast Fashion-Beispiel besprochen haben – ein Teufelskreis. Man kann also sagen: Wenn man langfristige Partnerschaften auf Augenhöhe pflegen will, kann man diese Preise nicht anbieten.“
Es kommt also auch darauf zurück, dass das System Mode generell seine Tücken hat.
„Im Moment versuchen Idealist:innen die Modeindustrie zu verbessern und etwas anders zu machen. Für den großen Shift brauchen wir aber die Politik, die Incentives schafft und Rahmenbedingungen gibt. Ich habe zum Beispiel seit drei Jahren versucht, Solarpanels auf dem Dach unserer Fabrik zu installieren. Wir wollten einen Permakulturgarten auf dem Dach mit Solarpanels, unter denen man in der Pause sitzen kann. Das wurde mir aus bürokratischer Richtung so schwer gemacht, dass ich nach zwei Jahren aufgegeben habe.
Durch den Mangel an Energieversorgung gibt es jetzt eine Solar-Strategie der vietnamesischen Regierung und entsprechende Förderungen. Es ist oft frustrierend, wenn man sich vergebens an solchen Vorhaben abarbeitet. Aber es stimmt mich auch hoffnungsvoll, dass die richtigen Rahmenbedingungen dazu führen können, dass nicht nur kleine Idealist:innen-Gruppen am Wandel arbeiten. Es gäbe da viele Möglichkeiten, zum Beispiel weniger Besteuerung für Unternehmen mit CSR-Abteilung.“
Einen weiteren wichtigen Aspekt, den die Black-Friday-Aktionen mit sich bringen, spricht Ökonomin Katharina Reuter an: „Ich sehe die Gefahr von Spontankäufen, ohne dass sich die Menschen fragen, ob sie das super-günstige Schnäppchen überhaupt benötigen. Rabattschlachten sind für den Handel wie süchtig sein – du brauchst für deinen Erfolg gleich wieder die nächste Rabatt-Aktion. Das ist alles andere als nachhaltig.“
Was nachhaltige Unternehmen dem sinnlosen Konsum entgegensetzen können
Fashion Changers: Dieses Jahr startet ihr auch die Aktion #SaveDreamsNotMoney um deutlich zu machen, dass die Rabatte sich auch wieder konkret auf Menschen auswirken. Warum habt ihr euch für diesen Kommunikationsweg entschieden?
Marian von Rappard: „Wir wollen erreichen, dass man nicht nur versteht, das da ein Mensch hinter der Kleidung steht, sondern auch, dass dieser Mensch Träume und Wünsche hat, genau wie du und ich. Wir haben unsere Mitarbeiter:innen für ein Video gefragt, was ihre Träume sind. Sie reichen vom Wunsch, dass Covid verschwindet bis zu einem eigenen Haus oder dass die Luft in Saigon besser wird. Das zeigt auch, dass unsere Wünsche überall auf der Welt manchmal gar nicht so unterschiedlich sind.
Deswegen haben wir auch Tipme eingeführt, ein Service, mit dem Konsument:innen direkt an Näher:innen ein Trinkgeld geben können. Es geht nicht so sehr um das Geld an sich, denn unsere Mitarbeiter:innen in der Fabrik haben sowieso ein Living Wage (Anm. d. Redaktion: Existenzsichernder Lohn, der zum Leben reicht). Vielmehr stärkt es die Verbindung zueinander und ist ein guter Treiber für Transparenz. Denn man kann nur Trinkgeld geben, wenn man genau weiß an wen die Überweisung geht und entsprechend die Kontonummer hat. Außerdem wollten wir unseren Mitarbeiter:innen zeigen, dass die Leute in Europa während Corona nicht nur Klopapier auf Vorrat kaufen, sondern auch Solidarität zeigen. In der Fabrik haben wir eine Grafik, auf dem wir das Trinkgeld einzeichnen. Vor drei Wochen gab es die erste Auszahlung an unsere Mitarbeiter*innen. Es kamen über 4000 Euro zusammen und das war schon sehr cool. “
Eins ist klar: Das System der Rabattschlachten bringt nicht nur Gewinner:innen hervor. Unser Konsum beeinflusst Menschen sehr direkt. Denn es sind immer Menschen, die in der Wertschöpfungskette dafür sorgen, dass ein Produkt entstehen kann. Wenn wir fair und gerecht gegenüber diesen Menschen sein wollen, müssen wir extreme Rabattsysteme wie das von Black Friday hinterfragen.