Jeder sechste arbeitstätige Mensch weltweit ist, die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet, in der Textilbranche tätig. Die wichtigsten Produktionsländer für Deutschland sind dabei China und Bangladesch. Natürlich nicht nur, aber auch in diesen beiden Ländern kommt es innerhalb der Textilbranche immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Nicht zuletzt war der Einsturz des Fabrikkomplexes Rana Plaza in der Hauptstadt Bangladeschs Dhaka am 24. April 2013 ein unüberhörbarer Weckruf, der 1.136 Menschen das Leben kostete und mehr als 2000 weitere schwer verletzt zurückließ. Es war auch die Geburtsstunde von Fashion Revolution, die seitdem jährlich zum genauen Hinschauen ermahnen und fragen: „Who made my clothes?“.
Wir müssen aber nicht 8 Jahre zurückgehen, um derart Katastrophen in der Textilbranche zu entdecken. Erst im Februar diesen Jahres sind 28 Menschen durch die Überflutung einer Textilwerkstatt in Marokko ums Leben gekommen. Das Gebäude wurde zu nah an einem Fluss gebaut und hatte keine Notausgänge.
Die Modebranche ist leider bekannt für ihre miserablen Arbeitsbedingungen und das ständige „Verhandeln“ von Arbeits- und Menschenrechten. Im letzten Jahr hat die Corona-Pandemie erst wieder sehr deutlich zutage gefördert, was sonst hinter verschlossenen Türen passiert. Die Welt schaute auf die entlassenen Textilarbeiter:innen, die unbezahlten Rechnungen der meist europäischen Unternehmen und die sich anhäufenden unbezahlten Überstunden der Näher:innen. Dieser Einblick war ein ungewöhnlicher Umstand, wenn wir bedenken, dass die Schattenseiten der Modewelt oft im Dunkeln bleiben. Transparenz ist in vielen Teilen der Industrie noch immer ein Fremdwort. Und auf Berichterstattung von Massenmedien (mit Ausnahme des letzten Jahres) warten wir oft vergebens.
Es muss nicht so sein
Doch wenn die Branche traurige Berühmtheit erlangt, ist es Zeit auch die Hoffnungsträger:innen zu beleuchten. Denn es gibt nicht nur die Schattenseite der Mode. Es gibt längst Akteur:innen, die es anders machen. Es gibt Orte, die kein „shitty place“ sind. Einen dieser Orte hat das Denim-Label Dawn in Vietnam geschaffen. Mit ihrer eigenen Produktionsstätte möchten sie das transparente Gegenstück der Negativschlagzeilen sein. Dafür macht das Unternehmen genau das, was jede:r New-Work-Coach den angesagten Großraumbüros dieser Welt empfehlen würde: Dawn Denim stellt den Mitarbeitenden eine einfache Frage: Are you happy? Bist du glücklich?
Wie werden aus fairen Arbeitsbedingungen solche, die wirklich glücklich machen?
Der Ansatz nicht nur nach Fairness zu fragen, sondern auch ganz speziell nach Glück und Bedürfnissen, ist spannend. Denn häufig ist „Fairness“ ähnlich zu Nachhaltigkeit ein schwammiger Begriff und kann nicht automatisch eine Aussage darüber treffen, ob von einem Arbeitsplatz die Rede ist, zu dem Menschen tatsächlich gerne gehen.
Mithilfe eines spielerischen Experiments kam Dawn Denim zu folgenden Umfrageergebnissen:
- 26 Prozent sind unglücklich
- 36 Prozent sind neutral
- 38 Prozent sind glücklich
Außerdem ergab die Umfrage, dass den Angestellten vor allem Wellness und Gesundheit, das Arbeitsumfeld und ein stabiles Einkommen wichtig sind. Mithilfe dieser Ergebnisse hat das Label nun die Möglichkeit sehr genau auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden einzugehen. Denn, wie immer, ist der Schlüssel zu einer Verbesserung, Transparenz. Oder wie Dawn Denim sagt: „Unzufriedenheit lässt sich beheben, Passivität ist schwieriger.“
Nur wenn das Unternehmen weiß, was die Angestellten beschäftigt, können auch Veränderungen vorgenommen werden. In der Produktionsstätte in Vietnam geschieht das zum Beispiel durch die Verschönerung des Arbeitsumfelds durch viel Licht, Grünpflanzen und regionale Kunst.
Smarte Technologie bringt neue Chance für mehr Transparenz und damit auch für Zufriedenheit
Dawn Denim ist sich sicher, dass ihre Produktionsstätte ein Ort ist, der gezeigt werden sollte. Und dass Kund:innen die Möglichkeit haben sollten, genau zu wissen, woher ihr Kleidungsstück kommt. Deswegen arbeitet das Label nun mit einem Tracking-Tool, das genau zeigt, woher ein Teil kommt. Re-Traced funktioniert über einen einfachen QR-Code, der es allerdings in sich hat. Einmal eingescannt zeigt sich die gesamte Reise des Kleidungsstücks. So kann ich als Käufer:in plötzlich sehen, woher die Taschen meiner Jeans kommen, wer den Reißverschluss produziert oder wo die Teile zusammengenäht werden. Die Informationen sind übersichtlich und vielfältig – vom Gründungsjahr der Fabrik über den oder die Besitzer:in bis hin zu den einzelnen Zertifizierungen.
Wir haben mit dem Dawn-Denim-Gründer Marian von Rappard gesprochen, um noch mehr über ihren Umgang mit Transparenz und den Menschen, die hinter dieser Transparenz stehen, zu erfahren.
Was bedeutet Transparenz für euch als Label?
Marian von Rappard: „Transparenz bedeutet für uns die Komplexität unserer Lieferkette zu kennen und zu verstehen und alle Herausforderungen und Misserfolge ehrlich zu kommunizieren.“
Warum ist das Thema Transparenz so schwierig in der textilen Lieferkette?
„Die Lieferketten sind lang – sehr lang. Und nicht alle entlang dieser Kette sind dazu bereit, ihre Kontakte und Stakeholders offen zu legen.“
Was macht ihr, um Transparenz in eure Prozesse zu implementieren?
„Zunächst einmal haben wir unsere eigene Textilfabrik, was laut Fair Wear Foundation die arbeitsintensivste Stufe in der Lieferkette ist. Außerdem sind wir Cotton Connect beigetreten, um unsere Lieferkette besser tracken und verstehen zu können.“
2019 hat das Label die höchstmögliche Bewertung der Fair Wear Foundation erhalten. In ihrem Audit erreichten sie 100 von 100 möglichen Punkten.
Das von euch benutzte Tool, Re-Traced, zielt darauf ab, dass sich Konsumierende selbst die Informationen ziehen müssen: Wie viel kann das wirklich bringen?
„Re-Traced ist ein gutes Tool für den Einzelhandel und Konsument:innen, um sich darüber zu informieren, wie tiefgehend sich eine Marke mit Transparenz beschäftigen will oder kann. Es ist noch unklar, inwieweit das einen Effekt erzielt oder Empowerment hervorruft, ohne entsprechende Daten.
Die Analyse unserer Lieferkette hat uns aber nicht nur ihre Komplexität gezeigt, sondern auch ihre Wirkungsmacht. Ich glaube, dass die Politik mehr Möglichkeiten für ethische und nachhaltige Marken schaffen sollte, so dass sie sich zusammenschließen können und ihre gemeinsame Vision zu wirkungsvoller Veränderung werden kann. Als Unternehmen wollen wir unsere Türen dafür öffnen, dass andere Marken sich uns anschließen und wir gemeinsam Impact schaffen können, anstatt nur Zertifizierungen abzuhaken.“
Führt Transparenz zwangsläufig zu gerechteren Arbeitsbedingungen?
„Verantwortung ist die treibende Kraft für Veränderung. Wenn du dich nicht moralisch dazu verpflichtet fühlst, alle entlang der Lieferkette fair zu bezahlen, solltest du gesetzlich dazu verpflichtet sein. Ähnlich dem Buzzword Nachhaltigkeit, hat auch Transparenz viele Ebenen. Unsere Vision ist es, die Re-Traced-Technologie dafür zu nutzen, innerhalb unserer Lieferkette ‚Hot Spots‘ zu entdecken. Wir wollen gerne echten Impact schaffen und würden es vorziehen, direkt mit kleinen Farmer:innen zusammenzuarbeiten, damit diese zum Beispiel nicht von großen, konventionellen Baumwoll-Gruppen abhängig sind.“
Wie kann Mode Menschen entlang der gesamten Wertschöpfungskette empowern?
„Früher war Mode anders. Es gab eine emotionale Verbindung zu dem Kleidungsstück, das du gekauft hast und mehr Wertschätzung für den Fertigungsprozess, durch den es gegangen ist. Der übertriebende Konsumismus hat das geändert und hat dieses Monster der Modeindustrie erschaffen, das wir heute haben. Die Chance für Empowerment, die wir nun in unserer Industrie haben, ist Bewusstsein zu schaffen und die emotionale Verbindung zurückzuholen. Und dieses Mal nicht nur mit dem Produkt, sondern mit den Menschen, die dahinter stehen und dem Impact, das ein Kleidungsstück hat.“
Was die (Fair) Fashion Branche von diesem Ansatz lernen kann
An Marian von Rappards Ansatz sind vor allem zwei Dinge besonders spannend für die gesamte Branche:
- Transparenz zu schaffen ist nicht immer einfach oder linear, aber wertvoll. Denn sie führt nicht nur zu mehr Verständnis über die eigene Lieferkette, sondern kann auch ganz konkret einen Unterschied für alle Mitarbeitenden machen.
- Das Lied der „fairen Arbeitsbedingungen“ zu singen, reicht nicht mehr. Denn während manche immer noch diskutieren, ob damit nun Mindestlöhne (,die selten wirklich zum Leben reichen) oder Existenzlöhne (,die schon eher zum Leben reichen) gemeint sind, sollten wir schon weiter sein. Nämlich bei der Frage: Wann werden aus fairen Arbeitsbedingungen solche, die wirklich glücklich machen? Denn am Ende sollte es in der Modebranche nicht nur darum gehen, dass endlich keine Katastrophen wie Fabrikeinstürze oder -überschwemmungen passieren, sondern darum, dass sie eine Branche wird, in der Menschen gerne arbeiten.
Wie nimmst du die Diskussion um faire Arbeitsbedingungen wahr?