Ich stehe im Biomarkt und gucke auf meinen Einkaufswagen, in dem sich Tofu, Sojajoghurt, eine Tafel Schokolade (natürlich vegan), Dinkelvollkorngrieß, Kakao und Kokosblütenzucker zusammen mit Obst und Gemüse stapeln.
Ich mache ein Foto. Hm. Ein gewöhnlicher Supermarkteinkaufswagen mit Bioprodukten. Ich könnte stolz auf mich sein: Hochwertiges Essen einzukaufen und auf Bioqualität zu achten, ist für mich nicht die Ausnahme, sondern fester Bestandteil meines Alltags.
An diesen Punkt zu gelangen, hat jahrelange Arbeit an mir selbst, meinen Prioritäten und meinem Wissenshorizont gekostet – mit dem Ergebnis, dass ich mich zu den Menschen zählen kann, die mit ihrem Lebensstil dazu beitragen, dass der Umsatz von biologisch angebauten Produkten kontinuierlich steigt (und im Jahr 2017 beispielsweise die 10-Milliarden-Euro-Marke geknackt hat). Dieses Jahr könnten vegane und vegetarische Produkte außerdem mehr als 1 Milliarde Euro in die Lebensmittelhersteller-Kassen spülen– großartige Aussichten für das Klima!
Endlich wird Weltrettung en vogue.
Und als Person, die sich mittlerweile fast rund um die Uhr mit solchen Themen beschäftigt, macht mich das richtig glücklich. Genauso wie der Gedanke, einen Beitrag dazu leisten zu können.
Der Erwartungshorizont: Ist gut auch gut genug?
Und genau hier wird es knifflig.
Denn obwohl ich meine Follower auf Instagram regelmäßig an prall gefüllten Einkaufskörben, Unverpacktladen-Besuchen und Wochenmarkt-Impressionen teilhaben lasse, poste ich das Foto von meinem Einkaufswagen im Biomarkt nicht. Und ich denke lange darüber nach.
Der Grund? Fast alle Produkte sind verpackt, nicht wenige in oder mit Plastik(-zusatz).
Die Mission, die ich mir selbst gesetzt habe und tagesaktuell mit der großen Welt da draußen teile, lautet aber unter anderem auch, auf so viel Plastik wie möglich zu verzichten. Das Wägelchen mit lauter Produkten, die zwar bio, aber eben nicht #lesswaste oder #plasticfree sind, passt da so gar nicht ins Bild.
Moment mal – in welches Bild eigentlich?
Der Blick von außen
Manchmal versuche ich herauszufinden, wie mich die Menschen sehen müssen, die täglich meine Social Media-Inhalte konsumieren.
Ich zeige viel von dem, was ich lese, was mich beschäftigt, bin auf vielen politischen und gesellschaftlichen Themenfeldern unterwegs und habe den Anspruch, alles miteinander in harmonischen Einklang zu bringen. Und darüber hinaus solche Dinge wie Ästhetik und Nützlichkeit im praktischen Anwendungssinne nicht zu vergessen.
Und da wird mir dann regelmäßig klar: Für einige Konsument*innen muss ich mindestens Mutter Teresa, wenn nicht die Jungfrau Maria, der Nachhaltigkeit sein.
Denn obwohl wir alle wissen, dass die Inhalte, die wir auf den wunderbar bildreichen Plattformen produzieren und konsumieren, in der Regel durch mehr als einen Bearbeitungs-, mindestens aber durch den Selektionsfilter gelaufen sind, schalten wir diese Grundbedingung für die achtsame Nutzung von Social Media regelmäßig aus, verlieren uns in den vermeintlich perfekten Welten mit perfekten Körpern, Wohnzimmer-Arrangements und perfekten Beziehungen.
Zu sagen – ja: zu betonen –, dass es sich hier um nichts weniger als eine Illusion handelt, ist mittlerweile mehr als müßig und bereits gebetsmühlenartig wiederholt worden.
Außerdem: Irgendwie lieben wir das ja auch, dieses Abtauchen in fremde Welten, mögen sie auch nur halb oder überhaupt nicht echt sein. Ein bisschen Realitätsflucht und Eskapismus, ein bisschen Weltbild-Bestätigung, das tut uns gut, das entspannt und streichelt das Ego. Wir sind auf der richtigen Seite und sehen Dinge, die uns jeden Tag in diesem Wissen bestätigen. So schaffen wir emotionale Sicherheit – gerade in Zeiten, die sich für viele Menschen immer unsicherer anfühlen.
(De facto genießen wir übrigens den Luxus, zum besten Zeitpunkt in einer der “besten” Regionen der Welt geboren worden zu sein: Noch nie in ihrer Geschichte ging es der Menschheit so gut wie heute.)
Von Halo-Effekt und Selbstzensur
Da ich mich nicht nur in der Rolle der Konsumentin, sondern auch der Produzentin von Inhalten auf sozialen Plattformen befinde, darf und sollte ich die oben angeführten Aspekte bei meiner täglichen Arbeit berücksichtigen.
Die Frage, die sich mir nun stellt, ist eine trügerisch einfache: Wie schaffe ich das?
Instagram ist die Plattform der polierten Wahrheiten, der schönen Bilder, der Ort, an dem #postitfortheaesthetic vormals ungeahnte Dimensionen angenommen hat und nicht selten zur einzigen Motivation wird, Dinge mit der Welt zu teilen. (Das ist vollkommen wertfrei gemeint.)
Um dazuzugehören, muss man dieses Spiel mitspielen, dessen wichtigste Säule die visuelle Gefälligkeit ist.
Natürlich besteht die Möglichkeit, sich dieser bereits gesetzten Parameter zu bedienen und sie umzuinterpretieren, das Werkzeug in einem neuen Sinne zu verwenden. Und nicht selten passiert das auch: Gerade die Nachhaltigkeits-Blogger-Szene und allen voran die Zero-Waste-Bewegung sind sicherlich auch deshalb so erfolgreich, weil sie sich sehr einfach und effektiv ästhetisch in Szene setzen lassen.
Das ist aber auch der Knackpunkt an der Geschichte – Plastikverpackungen sehen immer bescheiden gewöhnlich auf Bildern aus.
Im Kosmos der Sustainability-Bubble auf Instagram geht das aber noch weiter: Sie laufen den Sehgewohnheiten der Nutzer*innen zuwider und bilden in einem sonst perfekt arrangierten und kuratierten Feed aus Dingen, die nicht nur ihrer Optik, sondern auch ihrer moralischen Botschaft wegen schön sind, einen Widerstand.
Ich kenne und spüre meinen eigenen Widerwillen, diese widerständigen Elemente bei fremden Bildern zu sehen und weiß, dass es vielen anderen Menschen genauso geht. Ich will mich nicht mit der vermuteten, aber von mir in diesem Moment verdrängten, Unperfektheit der Post-Ersteller*innen auseinandersetzen.
Der Halo-Effekt ist viel bequemer, Differenzierung – obwohl in Dauerschleife auf aufgeklärten Accounts gepredigt – im Alltag so schwierig umsetzbar.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Nachhaltig? Entweder zu 100% oder gar nicht
Und dann beneide ich die 300k-Influencerin schon fast, die sich mit Fast-Fashion-Pulli am Flughafen zeigt, auf dem Save our planet steht, und dafür einen Shitstorm nicht nur riskiert, sondern gewissermaßen programmiert. Das ist nur aus einer Perspektive dumm. Aus einer anderen ist es mutig.
Es ist mutig – schon immer gewesen und noch wesentlich mehr in einer Welt der Glattgebügeltheiten – zu seinen Fehlern zu stehen, Inkongruenzen zuzulassen, Nichtwissen zuzugeben. Und es anderen Leuten manchmal auch in einer in-your-face-Manier vorzuhalten.* Nicht selten ist das, was zurückschaut, das eigene Gesicht.
*Hier wechsle ich von dem spezifischen Beispiel auf die allgemeine Ebene, denn ich kann, darf und möchte nicht so weit gehen, in diesem speziellen Fall Kalkül vorauszusetzen.
Wahrscheinlich ist das genau der Punkt, mit dem viele von uns nicht umgehen können.
Unsere eigenen Fehler kennen wir in- und auswendig, möchten uns aber lieber nicht so genau mit ihnen beschäftigen. Darum und weil Schwarz-Weiß-Denken einfacher und schneller funktioniert als Differenzierung (empfehlenswert hierzu ist Kahnemans Schnelles Denken, langsames Denken), missfällt uns, was idealisierte Bilder von Drittpersonen zerstören könnte. Und wir ziehen uns bereitwillig an allem hoch, was eine Plattform dafür bietet.
„Die [Influencer] spielen dir vor oh ich achte auf die Natur ich kauf kein Plastik mehr weil sich das toll vermarkten lässt. Kaufen aber bei Zara, fliegen unnötige Inlandsflüge vom Massenkonsum ganz zu schweigen. Und dann nehmen sie sich noch die Dreistigkeit und posten es.“
(Kommentar unter dem oben verlinkten Post von @nazjuju)
Weil wir auf der einen Seite so gerne so wären wie diese Menschen, die uns ein vermeintlich moralisch korrekteres Leben zeigen. Und wir auf der anderen Seite ganz genau wissen, dass uns eine Scheinwelt vorgehalten wird, da kann noch so viel #fürmehrrealitätaufinstagram gehashtagged werden.
(Ein weiteres wichtiges Stichwort an dieser Stelle: Projektion.)
Um was es eigentlich geht
Wir spielen dieses Spiel von Erwarten und Erwartungen erfüllen mit, solange es in den Grenzen unseres Weltbildes bleibt. Posts, die auf einmal anders gelagert sind, die uns in unseren Ansichten challengen, bei denen wir auf einmal nachdenken müssen, weil sie nicht in das Bild passen, das wir uns von der jeweiligen Person hinter dem Account gemacht haben, lösen zunächst erst mal Abwehr aus.
Entfolgen oder unsachgemäßes Kritisieren im Eifer des emotionalen Neuronengefechts sind nicht selten die Konsequenzen. Beides geht schnell, ist bequem und verschafft für den kleinen Moment dieses Gefühl der moralischen Überlegenheit, das wir alle tief im Inneren ganz gerne spüren.
Und spätestens hier sollten wir merken: Es geht nicht so sehr um den Menschen, den ich da sehe. Es geht um mich. Darum, wie ich bin und wie ich eigentlich sein will.
Und um das, was ich alles nicht bin.
Welche Rolle will ich spielen, auf welcher Seite will ich sein?
Dabei übersehen wir oft, dass es häufig eben nicht die eine Seite gibt, dass das Leben aus mehr als scharf voneinander trennbaren Zonen besteht, dass Schattierungen in jeder Farbe mehr als normal sind.
Wir machen die Regeln
Wenn ich also die Plastikverpackungen meines ansonsten moralisch einwandfreien Einkaufs nicht poste, ist dieser Akt der Selbstzensur sowohl fremd- als auch eigeninduziert und hängt eng mit den Mechanismen zusammen, nach denen Social Media funktioniert. Vor allem mit der Währung, in der gezahlt wird: Anerkennung.
Die Frage, die wir uns alle als Spieler*innen in diesem Spiel für Erwachsene stellen sollten, ist, welche Prioritäten wir im Umgang mit fotolastigen Apps wie Instagram setzen wollen.
Wir können den Anspruch haben, die Plattform als Eskapismus-Tool zu nutzen. Mit dem Wissen und der grundlegenden Bedingung im Hinterkopf, dass alles, was wir da zu sehen bekommen, bis ins Kleinste inszeniert ist.
Die Gefahr, dass wir dieses Wissen verdrängen und in eine Spirale aus Zweifeln und Konflikten mit unserem Selbst (ausgelöst durch unaufhörliches Vergleichen) und damit auch in einen Kreislauf der Projektion rutschen, ist dabei ein ständiger Begleiter durch den Bilderdschungel.
Wir können Social Media aber auch als Werkzeug zur individuellen Weiterentwicklung, Problemlösung und als Mittel zum konstruktiven Austausch nutzen.
Oder beides miteinander verbinden – denn die Ansätze schließen sich selbstredend nicht aus.
Wir bekommen durch Social Media Räume vorgegeben, innerhalb derer wir uns bewegen können. Auf welche Art wir das machen, ist uns vorbehalten.
Das bedeutet nichts weniger als dass wir die Regeln machen.
Wir legen fest, was wir sehen wollen. Wir gestalten unseren Feed. Wir bestimmen aber auch, was andere sehen können und sollen. Und haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Sehgewohnheiten unserer Mitmenschen. Ein aktuelles Beispiel sind Diversity-Themen: Seit einiger Zeit folge ich bewusst Accounts von People of Color und Labels, die nicht normativ schlanke Models auf ihren Bildern zeigen. Und ich merke, dass sich meine Vorstellung von dem, was normal ist, verändert.
Es wäre ein fataler Fehlschluss, jetzt zu behaupten, dass alles gut sei, wenn wir nun (wieder?) anfangen, unsere in Plastik verpackte Frühstücksbrei-Mischung, jeden Einweg-To-Go-Becher, unsere unbedacht auf dem Wochenmarkt entgegengenommene Plastiktüte und jeden einzeln abgepackten Müsliriegel zu posten.
Denn auch das würde – zumindest die in der Nachhaltigkeits-Bubble vorherrschenden – Sehgewohnheiten ändern. Aber wir sind uns sicherlich alle einig, dass das doch einigermaßen weit am Ziel vorbeiführen würde.
Es geht nicht darum, in Extreme zu fallen.
Nicht in das Extrem einer perfekten Nachhaltigkeits-Illusion, die die wenigsten von uns in ihrem Leben aufrechterhalten können. Auch nicht in das Extrem eines komplett unbedachten Konsums – denn dann wären wir wieder da, wo wir vor ein paar Jahren angefangen haben.
Vielleicht geht es darum, nach wie vor wichtige Themen aesthetically pleasing zu verpacken, um sie verdaulicher zu machen. Zwischenzeitlich dürfen wir aber ein paar Löcher in den Filtervorhang schneiden. Bilder von Einkaufswagen mit abgepackten Lebensmitteln posten und das Mangelhafte, das Fehlende und Unperfekte – ob Disziplin, Möglichkeit oder Willen – sichtbar werden lassen.
Und einen kurzen Blick auf das gewähren, was uns vor allen anderen Etiketten auszeichnet: Menschlichkeit.
Titelbild: © Gaelle Marcel/unsplash.com