Am 24. April jährt sich der Einsturz des Fabrikkomplexes Rana Plaza zum sechsten Mal. Damals starben schätzungsweise 1.134 Menschen. Unter menschenunwürdigen Bedingungen produzierten diese Kleidung für Modemarken wie H&M, Primark, KIK und Hugo Boss. Rana Plaza ist zum Symbol für die Schattenseite der Mode geworden. Und auf einmal mussten sich Brands für die Produktionsbedingungen in Billiglohnländern wie Bangladesch öffentlich verantworten.
Das Problem: Viele der Hersteller bestreiten bis heute, davon gewusst zu haben, in Rana Plaza zu fertigen. Und so absurd das klingen mag, ist es tatsächlich für viele große Brands aufgrund ihrer komplexen Lieferkette schwierig, nachzuvollziehen, wo ihre Zulieferer produzieren lassen. Diese Intransparenz wird nur deshalb in Kauf genommen, weil den Unternehmen keine Strafverfolgung für Geschäftspraktiken im Ausland droht.
Um hier gegenzusteuern, wurde in Frankreich 2017 ein Gesetz zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten verabschiedet. Dieses besagt, dass in Frankreich sitzende Unternehmen dafür haftbar gemacht werden können, wenn entlang ihrer Lieferkette Menschenrechte und/oder Umweltstandards wissentlich verletzt werden – Tochterunternehmen und Zuliefererbetriebe eingeschlossen. So werden französische Unternehmen dazu angehalten, im Vorfeld Missstände zu identifizieren und hier vorbeugend einzugreifen.
Auch in Deutschland setzen sich viele Modeaktivist*innen für ein solches Gesetz ein und fordern damit das Ende der Selbstregulierung. Wie schwer sich die deutsche Bundesregierung damit tut, zeigt sich am Beispiel des initiierten Textilbündnisses, einem freiwilligen Zusammenschluss von Unternehmen, Handel, NGOs und Gewerkschaften, dessen Mitglieder seit 2014 individuelle Maßnahmen zur Verbesserung der textilen Lieferketten entwickeln. Versammelte das Textilbündnis Ende 2016 noch 200 Bündnismitglieder, so zählt es inzwischen nur noch 120. Der Grund? Inzwischen ist das Textilbündnis in die Phase der Verbindlichkeit übergetreten. Unternehmen müssen zeigen können, inwiefern sie ihre individuellen Ziele erreicht haben. That’s it. Und trotzdem können viele Mitglieder dieser Anforderung nicht nachkommen, womit das Prinzip der Freiwilligkeit kaum Wirkung zeigt.
Auch die Folkdays-Gründerin Lisa Jaspers fordert gesetzliche Regelungen und hat deswegen am 24. April 2018 die Petition “Stoppen Sie Unternehmen, die Menschenrechtsverletzungen in Kauf nehmen” auf change.org ins Leben gerufen, für die sie bereits über 100.000 Unterschriften gesammelt hat. Fast ein Jahr später wollen wir von Lisa wissen, was eigentlich aus ihrer Petition geworden ist, wie die politische Lage ist und wie es nun konkret weitergeht.
Wie kamst du darauf, eine Petition zu starten?
Lisa Jaspers: “In den letzten fünf Jahren, seit ich Folkdays gegründet habe, saß ich oft in Diskussionsrunden und auf Panels zum Thema Ethical Fashion. Immer ging es dort um die Frage, wie wir es schaffen können, nachhaltige Mode aus der Nische zu holen und zum gesellschaftlichen Mainstream zu machen. Mich hat frustriert, dass die Diskussionen meist sehr einseitig geführt werden: Als Übel werden oft die ‘unethischen’ Konsument*innen oder die ‘bösen’ Unternehmen identifiziert. Auch wenn natürlich an beiden Perspektiven etwas dran ist, hat mir in den Diskussionen eine wichtige Dimension gefehlt: die politische.
Als Konsument*innen würden wir in Deutschland nicht im Traum daran denken, Unternehmen die Aufgabe zu übertragen, national unsere Menschenrechte zu schützen. Das macht natürlich der Staat und so muss es auch sein. Absurderweise nehmen wir im Bekleidungsmarkt aber in Kauf, dass Unternehmen sich selbst dazu verpflichten, international gewisse Arbeitsstandards einzuhalten und somit die Menschen- und Arbeitsrechte von Produzent*innen in Entwicklungsländern zu schützen. Das ist doch verrückt.
Um den Diskurs zu nachhaltiger Mode zu beeinflussen und zum Umdenken hinsichtlich besagter Verantwortungen anzuregen, habe ich im letzten Jahr – genauer gesagt: zum fünften Jahrestag des Fabrikeinsturzes am Rana Plaza – die Petition gestartet. Außerdem bin ich persönlich fest davon überzeugt, dass nur ein Gesetz wirklich eine Veränderung hervorbringen kann. Wir haben in den letzten Jahren ja beobachten dürfen, dass Selbstverpflichtung von Unternehmen kaum Veränderung bringt.
Und da es beim Thema ‘Arbeitsstandards’, wie wir mittlerweile leider alle wissen, um Menschenleben geht, haben wir auch keine Zeit, ewig auf eine Veränderung des Marktes zu warten. Manchmal ist es sinnvoll, gerade in unserer Berliner Blase, sich bestimmte Zahlen vor Augen zu führen: Biolebensmittel machen in Deutschland immer noch weniger als zehn Prozent des gesamten Lebensmittelmarktes aus. Die Bio-Bewegung gibt es seit über 30 Jahren. Der nachhaltige Textilmarkt liegt weit unter einem Prozent. Das heißt, wir brauchen ein Gesetz, wenn wir nicht 100 Jahre warten wollen.”
Wie steht deiner Meinung nach die Politik zum Thema Sorgfaltspflicht?
Lisa Jaspers: “Das hängt sehr von den Parteien ab. Die Grünen pushen dieses Thema selbst. Die CDU ist eher zurückhaltend. Aber die Meinungen gehen auch innerhalb der Parteien auseinander: Das BMZ [Anm. d. Red.: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung] mit einem CSU-Minister hat das Thema Sorgfaltspflicht auf jeden Fall auf der Agenda. Die Arbeits- und Wirtschaftsministerien sind eher zurückhaltend, weil dort die Interessen der deutschen Unternehmen, um die es geht, ganz klar im Vordergrund stehen.
Es gibt das Textilbündnis, dieses Jahr soll der Grüne Knopf eingeführt werden – wieso brauchen wir trotzdem ein Gesetz?
Lisa Jaspers: “Das Textilbündnis und auch der Grüne Knopf werden nicht die Veränderung bringen, auf die viele gehofft haben. Das ist mittlerweile ziemlich klar. Ich bin in Gesprächen mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, die sich im Textilbündnis engagieren, und sie sehen das Potenzial der Initiative sehr kritisch.
Letztes Jahr haben die am Textilbündnis teilnehmenden Unternehmen vorgestellt, welche Ziele sie sich selbst bis 2020 gesteckt haben. Dabei ist deutlich geworden, dass Unternehmen, die sowieso schon ambitioniert sind, sich auch ebenso ambitionierte Ziele gesteckt haben. Bei den Unternehmen, die sich bisher kaum um Nachhaltigkeitsthemen gekümmert haben, hat sich dies wiederum auch in niedrigen Zielen widergespiegelt. Wie gesagt, 2020 werden die Ergebnisse des Textilbündnisses vorgestellt – eigentlich ist aber schon jetzt klar, dass die Initiative kaum etwas bewegt hat.”
Wie waren die Reaktionen auf deine Petition? Gab es dazu Reaktionen aus der Politik?
Lisa Jaspers: “Die Reaktionen waren überraschend: Auch wenn ich kaum Zeit hatte, die Petition vorzubereiten, wurde sie unglaublich oft geteilt und verbreitet, was dazu führte, dass wir in recht kurzer Zeit über 100.000 Unterschriften zusammenhatten. Der Erfolg hat mir gezeigt, dass das Gesetz einen breiten Rückhalt in der Gesellschaft finden kann und wir dieses Thema weiter pushen müssen. Aus der Politik kam bisher keine Rückmeldung, weswegen ich zum diesjährigen Jahrestag von Rana Plaza eine zweite Auflage der Petition starte. Dafür konnte ich erfreulicherweise bereits viele prominente Unterstützer*innen gewinnen, die mir helfen werden, das Thema weiter in die Öffentlichkeit zu tragen.”
Wie geht es nun konkret mit der Petition weiter?
Lisa Jaspers: “Ich hoffe, dass die zweite Auflage der Petition noch mehr Menschen erreicht, zum Nachdenken und Austausch anregt und die Forderung nach einer Lösung durch die Politik innerhalb einer breiten Gesellschaft laut wird. Wenn wir noch viel mehr Unterstützer*innen zusammenbekommen, muss die Politik reagieren. Es mag sehr ambitioniert sein, aber unser Ziel ist es, eine Million Unterzeichner*innen zu gewinnen.”
Es gibt Gerüchte, dass nun doch bald ein Gesetz zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht kommen soll. Wie schätzt du die Chancen ein?
Lisa Jaspers: “Weil auch das BMZ zu realisieren scheint, dass das Textilbündnis nicht die gewünschten Resultate erzielen wird, wurde im Ministerium bereits ein Gesetzesentwurf erarbeitet, der vor kurzem geleakt wurde. Das Problem wird sein, die anderen Ministerien dafür zu gewinnen, das Gesetz weder weich zu waschen noch komplett zu blockieren. Das wird nicht einfach. Deshalb ist eine zivilgesellschaftliche Initiative wie unsere Petition so unglaublich wichtig und der Zeitpunkt perfekt.”
Kann jede*r eine Petition starten? Wann ist eine Petition sinnvoll?
Lisa Jaspers: “Ich finde Petitionen eine super Möglichkeit als Privatperson politische Themen zu pushen. Man sollte aber nicht unterschätzen, wie wichtig ein gutes Netzwerk für die Verbreitung ist. Und wenn man richtig viele Menschen erreichen will, muss man auch viel Arbeit reinstecken: Die zweite Auflage der Petition planen wir bei Folkdays bereits seit Monaten und bekommen dabei großartige Unterstützung von meiner Freundin Nike, ihrer Mitarbeiterin Isabelle und ihrer Produktionsfirma Das Programm.”
Vielen Dank für das Gespräch und deinen unermüdlichen Einsatz, liebe Lisa.
Wie es mit der Petition weitergeht, werdet ihr sehr bald hier im Fashion Changers Magazin erfahren.
Titelbild Lisa Jaspers: (c) Joanna Catherine Schröder
Näherin: (c) Firdaus Rosland via Unsplash
Eine Antwort auf „Warum wir ein Gesetz zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten brauchen“
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