Barbiecore, Denim on Denim und Bumpster Pants – das sind nur einige der Modetrends für die kommenden Monate. Doch wie entstehen solche Fashion Trends eigentlich? Und was bedeuten sie für die öko-faire Modewelt? Ist das Konzept „Trend” in der Mode überhaupt noch in oder müssen wir uns allmählich davon lösen?
In diesem Deep Dive zum Thema Modetrends gibt es Input von:
- Carola Knitz, Gründerin von sea__you__
- Lea Friedel, Co-Gründerin von Vandla design
- Lisa Wagner, Modejournalistin und Kommunikationsberaterin
- Anne Toppius, nachhaltige Modedesignerin
- Abstände zwischen wiederkehrenden Modetrends betragen meistens 20 Jahre und werden in der Regel von einer neuen Generation wiederbelebt – einer Zielgruppe, die die Trends selbst noch nicht miterlebt hat.
- Es kann sinnvoll sein, nicht zu tief in einen bestimmten Modetrend einzutauchen, sondern sich die zeitlosesten und funktionalsten Elemente auszusuchen, die auch in den nächsten Jahren noch gut funktionieren.
Gerade die öko-faire Modebranche scheint mit ihren zeitlosen, leicht kombinierbaren Looks immun zu sein gegen kurzlebige Trends. Doch wie navigieren Slow-Fashion-Labels eine Welt, in der das Konsumverhalten Trends befeuert und umgekehrt? Ist es möglich, sich als faire Modemarke komplett von Trends zu lösen? Oder ist auch die Fair-Fashion-Branche letztlich darauf angewiesen?
Was sind Modetrends und wie oder von wem werden sie gesetzt?
Viele erinnern sich vermutlich an die Namenskette von Carrie Bradshaw aus Sex and the City – der Kultserie, die Ende der 90er und Anfang der Nuller Jahre lief. Laut Vogue sind solche Ketten wieder „zurück” (auch wenn sie für die einen nie ganz weg waren und für andere schon immer ein großer Fashion-Fauxpas waren). So auch Farben wie Knallpink, derzeit beim sogenannten Barbiecore-Trend zu sehen, und Cargohosen. Was zeichnet solche Trends aus und wie genau entstehen sie?
Trends sind in der Regel ein Spiegelbild der sich ändernden sozialen und kulturellen Stimmung – die Bewertung der sozio-politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Landschaft. Modetrends werden von mehreren Faktoren beeinflusst: von der Filmindustrie, Celebrity-Culture, Klimabewegungen, kreativen Erkundungen, Materialinnovationen, Tech-Tools. Unter Trendforecasting versteht man den Prozess der Recherche und die Formulierung von Vorhersagen über das zukünftige Kaufverhalten der Konsumierenden. Durch die Verfolgung der Entwicklung und das Erkennen von Trendmustern sind Prognostiker*innen in der Lage, Designer*innen und Marken eine „Vision“ der Zukunft zu liefern.
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„Eine richtige Anleitung gibt es für die Trendentwicklung allerdings nicht”, erklärt Modedesignerin Anne Toppius. „Ich versuche viel auf Messen und Veranstaltungen aufzunehmen und halte mich auf verschiedenen Online-Plattformen auf dem Laufenden. Da lassen sich dann schon thematische Strömungen erspüren, was Farben, Schnitte und technologische Entwicklungen angeht. Trends fangen meistens beim Material an.” Der Begriff Trendforecasting sei ihrer Meinung nach jedoch etwas irreführend. „Es handelt sich nicht um eine Vorhersage wie aus einer Glaskugel. Es geht vielmehr um eine an das jeweilige Unternehmen angepasste Zusammenfassung der Entwicklungen am Markt.”
Der Duden beschreibt Trends beispielsweise als über einen gewissen Zeitraum bereits zu beobachtende, statistisch erfassbare Entwicklung[stendenz]. Und diese Entwicklungstendenzen werden klassischerweise durch vier Kategorien an Menschen gesetzt: die Forschungsteams, die Konsumprognosen für die kommenden Saisons erstellen, die Designer*innen, die teilweise selbst als Trendautorität gelten und unter anderem auch von diesen Daten beeinflusst werden, die Moderedakteur*innen, die passende Geschichten zu den neuen Trends erstellen und die Konsumierenden, die kaufen und sich kleiden und so die Prognosen der Forschungsteams globaler Trendagenturen immer wieder beeinflussen, aber auch Designer*innen weltweit zu neuen Trends inspirieren. Der Kreis schließt sich. Modetrends kommen und gehen. Nur wenige – wie etwa das kleine Schwarze oder Ballerinaschuhe – schaffen es, über den Trend hinaus zu einem festen Bestandteil des sich immer entwickelnden Modelexikons zu werden.
„In meinem Job vertraue ich auch immer sehr auf mein Bauchgefühl”, erklärt Modejournalistin und Kommunikationsexpertin Lisa Wagner. „Man kann Trends auch ,Gespür für Zeitgeist’ nennen. Dafür muss man informiert bleiben – und zwar auf allen Ebenen: Was passiert in der Politik, in der Kultur, auf dem Weltmarkt? Welche Städte, Menschen, Serien, Tech-Tools sind gerade im Gespräch und warum? Und – ganz wichtig – was ist der Gegentrend? Welche Strömungen und Gegenströmungen gibt es schon und warum könnten sie in Zukunft wichtig werden?”
Wie soziale Medien das Trendsetting verändert haben
Informiert bleiben mag eine Sache sein – verstehen, wie (Mode-)Trends im 21. Jahrhundert funktionieren, eine andere. Denn letztlich hat sich das Trend-Konzept vor allem in den letzten Jahren durch Social Media verändert. Trends sind quasi sofort sichtbar und verfügbar, nachdem sie auf einem Laufsteg oder auf TikTok und Instagram aufgetaucht sind. Aber nicht nur das. Durch die Influencer*innen-Kultur werden Konsumierende selbst zu Trendsetter*innen und entwickeln eigene Modetrends. Während Modeexpert*innen sich vor einigen Jahren anschauten, was Menschen auf der Straße trugen, um ein Gefühl für den Markt zu bekommen, hat „Streetstyle“ jetzt online eine noch größere Bedeutung erlangt.
Laut Célia Poncelin, Chief Marketing Officer bei der globalen Trendagentur Heuritech, sind Trendprognosen auf der Grundlage von Social-Media-Bildern der beste Ansatz, um mit der Zeit Schritt zu halten, insbesondere angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich die Wünsche der Verbraucher*innen ändern und wie sie diese Änderungen in den sozialen Medien zum Ausdruck bringen. Vogue Business hat sogar einen TikTok-Trendtracker ins Leben gerufen und analysiert regelmäßig die neuesten Hypes auf der Plattform – dazu zählen unter anderem derzeit beliebte Content Creator, angesagte Hashtags und virale Modetrends. Ende November diesen Jahres galten die Hashtags und Trends #snowboots, #pearls und #balletcore als besonders beliebt. Der Balletcore-Trend ist stellvertretend für ein Outfit mit Tüllröckchen und durchsichtigen Strumpfhosen bis hin zu Ballerinas, Wickeljacken und Haarschleifen – Ballettmode eben.
Interessanterweise galt Instagram jahrelang als Online-Hub der Fashionwelt, aber eine Algorithmus-Verlagerung hin zu Videos und vorgeschlagenen Posts entfremdet einige der stilvollsten Nutzer*innen und Influencer*innen auf Instagram. Viele von ihnen wenden sich TikTok zu, wo kuratierte Inhalte mit minimalem Aufwand und maximaler Belohnung erscheinen. In nur wenigen Stunden können Videos viral gehen und Millionen von Menschen weltweit erreichen. TikToks Popularität führte sogar so weit, dass Instagram einige der Features übernahm, um mitzuhalten – Reels zum Beispiel. Durch Überarbeitungen des Algorithmus der Plattform wurde versucht, die App videozentrierter und explorativer zu machen, indem Inhalte ähnlich wie der eigene Algorithmus von TikTok empfohlen werden. Das lehnten viele Instagram-Nutzer*innen jedoch ab und verlangten „Instagram wieder zu Instagram machen“.
Mit der TikTok-Mode, die scheinbar jeden Tag neu definiert wird, Schritt zu halten, scheint manchmal unmöglich. Aber mit einer Nutzer*innenbasis von fast 1,8 Milliarden fühlen sich Marken gezwungen, auf die Modetrends auf der Plattform zu achten. Das US-amerikanische Label J. Crew zum Beispiel bewarb im Mai 2022 seine Bettwäsche mit dem Instagram-Hashtag „Coastal Grandma“ (also Küstengroßmutter) – ein Hashtag und Trend, der erstmals auf TikTok viral ging. Der Post verzeichnete einige der höchsten Interaktionen in diesem Monat, sagte Chief Marketing Officer Derek Yarbrough im Interview mit The Business of Fashion. Der Trendbegriff „Coastal Grandma“ steht für einen lässigen Lifestyle: Die Ästhetik der Küstengroßmutter wurzelt im klassischen Minimalismus am Meer, ist aber nicht übermäßig adrett.
TikTok-Trends und der damit verbundene Verkaufsschub können jedoch flüchtig sein. Laut Expert*innen laufen die meisten TikTok-Trends in 90-Tage-Zyklen mit einer Lebensdauer von höchstens sechs Monaten.
Warum wiederholen sich manche Modetrends immer wieder?
Y2K ist dank Gen Z wieder zurück. Ist es Nostalgie? Oder ein Zusammenspiel von vielen verschiedenen Faktoren? „Größere Trends kommen und gehen meistens mit gesellschaftlichem Wandel”, erklärt Carola Knitz, Gründerin vom Schmucklabel sea__you__. „Man möchte sich von Altem abgrenzen und Platz für Neues schaffen. Später – wieder auf der Suche nach Neuem – schaut man vielleicht auch nochmal zurück und findet Gefallen an dem, was damals schon spannend war.” Sie findet, dass durch die Rückkehr von Modetrends auch Generationen miteinander verbunden werden. „Jedes Mal, wenn ich den Blazer meiner Mutter aus den 80ern mit den markanten Schulterpolstern trage, spüre ich eine besondere Verbindung zu ihr in ihren Jahren als junge Frau, bevor ich sie kennenlernen durfte.”
Knitz hat Modedesign an der Universität Reutlingen studiert. „Im Studium kam das Verständnis, wie Trends von den großen Häusern erschaffen werden und dann in Windeseile von Fast-Fashion-Ketten kopiert und kommerzialisiert werden. Das ist natürlich mit der Digitalisierung der Shows noch viel schneller und großflächiger der Fall.” Dabei wurde bei den eigenen Designs eher weniger Wert auf Trends, Trendforecasting und Trendanalyse gelegt. „Die Professor*innen wollten aber nicht, dass wir uns selbst an Trends orientieren, um die eigene Kreativität und Innovation zu fördern.” Erst in den Master-Semestern sei es erlaubt gewesen, auch spezielle Trends zu recherchieren und aus vorhandenen Quellen Inspiration zu schöpfen. „Natürlich habe ich Trends während des Studiums trotzdem wahrgenommen und das ein oder andere bestimmt unterbewusst impliziert, aber sie standen definitiv nicht im Fokus.”
Die Modedesignerin Anne Toppius vermutet, dass weltweit immer wieder Designer*innen nach Inspirationen suchen und dabei auch in vergangenen Modezeitaltern landen, alte Themen neu interpretieren und unter den jeweils aktuellen Einflüssen aufleben lassen. „Das funktioniert meines Erachtens nur bei Themen, zu denen wir einen bestimmten zeitlichen Abstand haben, sodass nostalgische Emotionen entstehen können. Diese Abstände sind meistens so groß, dass die entsprechende Zielgruppe den wiederbelebten Trend noch nicht selbst miterlebt hat und daher eine gewisse Romantisierung des jeweiligen Stils passiert.”
Laut Forbes scheinen Trends in der Regel alle 20 Jahre wiederzukommen. Waren Denim on Denim Looks und Low Cut Jeans Anfang der Nuller-Jahre trendy, so sind sie es auch heute wieder und wurden auf den Laufstegen von Diesel bis Missoni präsentiert. Die globale Trendagentur Heuritech erklärt, dass der 20-Jahres-Zyklus bis zu einem gewissen Grad auch mit den sozialen Medien bestehen bleibt. Das Aufkommen innovativer Technologien hat den Lebenszyklus einzelner Trends jedoch drastisch verkürzt. Soziale Medien sorgen beispielsweise dafür, dass Trends quasi über Nacht viral oder wieder untergraben werden.
Wo finden Designer*innen Inspiration?
„Inspiration finde ich überall: Auf Pinterest, auf der Straße, auf Messen, in Magazinen”, berichtet Modedesignerin Anne Toppius. „Irgendwann ist die Fotogalerie durchzogen von Screenshots. Ich fotografiere auch mal in der Bahn oder auf der Straße im Vorbeigehen, wenn mir eine besondere Schnittlösung oder ein Look ins Auge sticht.”
Carola Knitz vom Schmucklabel sea__you__ geht es ähnlich. Sie legt sich ungern auf einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Quelle fest. „Ich laufe stets mit offenen Augen und Ohren durchs Leben und sauge unterbewusst alles auf – sei es auf Reisen, Gesprächen mit Freund*innen und Fremden, Streetstyles, Flohmarktstrolls, allgemeine gesellschaftliche sowie politische Themen, Galeriebesuche, Essen, Auszeiten in der Natur, Geschichten. Ich versuche den Zeitgeist und aktuelle Bedürfnisse einzufangen und jeden Tag so viel zu lernen, wie ich kann. Berlin ist da natürlich ein bunter Ideenpool.”
Lohnt es sich, jeden Modetrend mitzumachen?
Fashion-Trends sollen Spaß machen. Den richtigen Modetrend für das eigene Unternehmen herauszupicken, kann sich jedoch als herausfordernd gestalten – vor allem bei kleinen Marken mit wenigen Ressourcen oder Slow Fashion Labels, die eigentlich nicht von Trends leben und diese teilweise sogar ablehnen. „Es wäre wahrscheinlich gelogen zu sagen, dass ich gar nicht von außen oder Trends beeinflusst wäre”, berichtet Carola Knitz. „Nachhaltige Mode soll ja auch mit dem Zeitgeist gehen, denn wenn sie niemandem gefällt, verfehlt sie das Ziel. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, nicht zu tief in einen bestimmten Trend einzutauchen, sondern sich nur die zeitlosesten und funktionalsten Elemente auszusuchen, die auch in den nächsten Jahren noch gut funktionieren.”
Laut Lea Friedel, Co-Gründerin des Labels von Vandla design, bestehe bei kleinen Labels gar nicht die Option, sich nach Trends auszurichten oder sich von ihnen beeinflussen zu lassen. Das liege zum einen daran, dass nicht genug Budget vorhanden ist, um eigene Stoffe, Muster und/oder Farben herstellen zu lassen, welche den Trends entsprechen. „Kleine Brands müssen sich also häufig damit zufriedengeben, was gerade bei Stoffhändler*innen zur Verfügung steht.” Zum anderen könnten kleine Brands sich nicht von Trends abhängig machen, da auf Styles und Pieces aufgebaut wird, die sich unabhängig davon gut verkaufen. „Es werden also häufig nur kleine Details im Design verändert und das gleiche Teil in der nächsten Saison wieder auf den Markt gebracht, denn das ist es, was die sogenannten Stammkund*innen erwarten.”
Was in der nächsten Kollektion erscheint, ist also sehr stark abhängig von den eigenen Kund*innen und dem Abverkauf – weniger von Trends. „Von kleinen Designer-Brands wird ein eigener Stil erwartet, der dieses Label besonders und einzigartig macht. Der Wiedererkennungswert ist somit der Grund für den Kauf”, meint Friedel. Apropos Wiedererkennung: Vor allem bei Luxushäusern haben sich bestimmte Muster und Logos als Wiedererkennungsmerkmal durchgesetzt – und gelten heute teilweise sogar als Klassiker, die weit über schnelllebige Trends hinausgehen. So beispielsweise die Kastenjacke von Chanel, der Trenchcoat von Burberry oder die Fendi-Baguette-Handtasche.
Die wahre Challenge sei, Mode zu entwickeln, die das besondere Etwas hat und trotzdem langfristig funktioniert – die sich dem Körper und dessen Veränderungen anpasst, die sich gut auf der Haut anfühlt, die perfekt sitzt, die vielseitig kombinierbar ist, die lange getragen werden kann und lange getragen werden will. „Trends kopieren kann jede*r.”
Für ihr eigenes Label Vandla design, das modulare Blusen herstellt, ist die größte Inspiration, Mode zu entwickeln, die sich so weit wie möglich von konventionellen, linearen, Saison- und Trend-abhängigen Modezyklen distanziert. „Meine Inspiration ist es, eine radikale Veränderung der Textil- und Bekleidungsindustrie voranzubringen, um eine zukunftsfähige Modebranche zu gestalten. Da sehe ich im Design ein wahnsinniges Potenzial, denn am Ende ist hoffentlich der Look, also das Design und die Passform, der Kaufgrund.” So hätten Designer*innen eine große Macht, den Konsumwandel voranzutreiben.
Es gibt unglaublich viele Trends gleichzeitig. Marken, die sich davon leiten lassen (möchten), müssen herausfinden, welche Trends zu ihrer Brand Identity passen. Vor allem bei schnelllebigen (TikTok-)Trends besteht immer die Gefahr, zu viel Geld, Zeit und andere Ressourcen in etwas zu investieren, das sich letztlich nicht verkauft. Es lohnt sich, den Trend zu verstehen und was dahintersteckt. Welche gesellschaftlichen Veränderungen haben beispielsweise zu dem Trend geführt? Es gilt also wählerisch zu sein – auch bei Trends.
Welche Rolle spielen Trendagenturen?
Trendagenturen blicken durch Verbraucher*innentrendforschung und Trenderkennung weiter in die Zukunft und fungieren in erster Linie als Medium, das unter anderem Schnitte, Stoffe und Farbkombinationen der aktuellen und kommenden Saison prognostiziert. Sie identifizieren neue Trends und prognostizieren, wie sie die Modebranche prägen werden. Dafür untersuchen sie soziale, kulturelle, ethische oder ökologische Veränderungen.
Bekannte Trendagenturen sind unter anderem WGSN, Heuritech, Trendzoom und Patternbank. Agenturen wie diese stellen ihren Kund*innen wichtige und strategische Informationen zur Verfügung, um ihnen zu helfen, die eigene Marke weiterzuentwickeln, die Bedürfnisse ihrer Kund*innen besser zu verstehen, die zukünftige Produktentwicklung und das Marketing zu optimieren.
WGSN verfolgt zum Beispiel einen fünfstufigen Ansatz in Sachen Trendforecasting. Forscher*innen mit verschiedenen Schwerpunkten verfolgen die Wandel innerhalb der Gesellschaft, Technologie, Umwelt, Politik, Industrie und Kultur und versuchen diese anschließend zu analysieren und zu kontextualisieren. Anhand dieser Veränderungen werden Trends prognostiziert und bewertet und in den verschiedenen Branchen und Kategorien angewendet. Für die Agentur hört der Prognoseprozess nie auf, heißt es auf der Webseite.
Künstliche Intelligenz hat sich in den letzten Jahren auch als fester Bestandteil einer effizienten Trendprognose etabliert. KI wird häufig verwendet, um Captions und Hashtags in sozialen Medien sowie Kund*innenaktivitäten im E-Commerce zu analysieren. Jeden Tag werden Millionen von Fotos und Videos ins Internet hochgeladen. Und diese vermitteln viel mehr als nur das, was eine Person trägt. Faktoren wie das Wetter, Subkulturen, Aktivitäten, wie sich die Person bewegt und wie sie posiert, können alle durch online geteilte Fotos entschlüsselt werden. Die Verwendung von KI-Algorithmen zur Analyse dieser Fotos kann ein Werkzeug sein, um kommende Trends einfacher und schneller vorherzusagen und somit auch gezielter zu designen und zu verkaufen.
Auch der Kaufdatensatz auf Online- oder Offline-Einzelhandelsplattformen ist eine wichtige Datenquelle für die Analyse von Modetrends. Die Kaufentscheidungen der Menschen werden jedoch von verschiedenen Umständen wie Werbeaktionen beeinflusst und zeigen daher nicht immer die echten Modevorlieben der Benutzer*innen oder den tatsächlichen Modetrend.
Sind Modetrends noch zeitgemäß?
Kann es eine Welt ohne Trends geben? Solange es (Ultra) Fast Fashion gibt, wohl kaum. Laut den Textilwissenschaftler*innen Aline Buzzo und Maria José Abreu ist der häufige Trendwechsel eines der drei Elemente des Fast-Fashion-Geschäftsmodells – neben der schnellen Reaktion auf Trends und den günstigen Preisen.
Viele Slow-Fashion-Befürworter*innen sind sich einig: Die Branche muss sich von Modetrends lösen. „Der Begriff Trend leitet schon von vornherein eine endliche Phase ein – ein Zeitfenster, in dem ein bestimmtes Kleidungsstück oder ein Kleidungsstil angesagt und gehyped wird. Dieser Hype lässt dann mit der Zeit nach und macht Platz für einen neuen Trend”, erklärt Carola Knitz von sea__you__. Es sei ein strategisches System der Modebranche, um immer wieder neue Verkäufe durch neue Trends zu generieren. (Ultra-) Fast Fashion produziert dazu noch Micro-Trends, die sich in solch schnellen Zyklen ändern, dass man sie kaum noch verfolgen oder gar mithalten kann. „Aus Nachhaltigkeitssicht ist dies natürlich der Worst Case.”
Micro-Trends werden schneller populär und verlassen den Trendzyklus auch schneller als klassische Modetrends, die in der Regel einige Jahre andauern können. Hier spielt neben Social Media auch die Filmindustrie eine große Rolle. Während der zweiten Staffel der Serie Euphoria trug die Figur Maddy Perez (gespielt von Alexa Demie) ein schwarzes Kleid mit Cut-outs an den Seiten. Die Suche nach einem solchen Kleid stieg um 890 Prozent an, doch der Trend verschwand so schnell wie er kam.
Trends oder Individualität?
Mittlerweile würden laut Carola Knitz so viele verschiedene Trends, Streetstyles und Stilrichtungen kreisen, dass es letztlich egal ist, was man anzieht. Die Modegesellschaft sei toleranter geworden. „Alles kann – nichts muss.”
Auch Modejournalistin und Beraterin Lisa Wagner stimmt zu. „Trends befeuern belanglosen Konsum. Doch sie haben mittlerweile so ein absurdes Tempo aufgenommen, dass modisch im Grunde gerade alles geht. Trotzdem glaube ich, es liegt in der Natur des Menschen, sich immer weiterzuentwickeln. Trends fördern diese stetige Entwicklung und langfristige Verbesserung unserer Lebensumstände. Nur sind wir leider viel zu lange in die falsche Richtung getrendet.” Ob wir es nun schaffen, katastrophale Folgen abzuwenden, bezweifle sie, vertraue aber dennoch auf die menschliche Innovationskraft. Dabei würden Modetrends nicht verschwinden, denn die gab es schon immer, „auch als Mode eher langlebig und dadurch nachhaltiger war. Bekleidung gibt Menschen die Möglichkeit, sich auszudrücken, sich voneinander abzuheben oder einer Gruppe zuzuordnen und eben auch, sich weiterzuentwickeln.”
Kann die Fair-Fashion-Branche sich von Modetrends lösen?
Viele faire und nachhaltige Brands konzentrieren sich vorwiegend auf die Verbesserung der verwendeten Materialien und die der Produktionsbedingungen, würden jedoch trotzdem Trends folgen, erklärt Lea Friedel von Vandla design. „Die Verbesserung von Materialien und Arbeitsbedingungen sind zwar wichtige Themen, allerdings dürfen wir nicht vergessen, auch die Menge, die wir produzieren und konsumieren, zu hinterfragen. Und um die Menge des Modekonsums zu reduzieren, ist die Befreiung von Trends und somit von konventionellen, saisonalen und linearen Kollektionszyklen unumgänglich.” Lisa Wagner sieht das ähnlich. „Es geht immer noch sehr viel um Farben, Proportionen und die richtigen Pieces – auch bei den sogenannten Fair-Fashion-Labels.”
Anne Toppius ist der Meinung, dass das Lösen vom Trendrad dem kapitalistischen System des Wachstums widerspricht. Gleichzeitig glaubt sie aber, dass gerade in dem Bereich der nachhaltigen Mode schon ein starkes Umdenken stattfindet. „Hier haben Werte wie individueller Stil, Zeitlosigkeit und Langlebigkeit auf jeden Fall Priorität vor dem Bedürfnis, bei jedem Trend mitzumachen. Auch Reparaturdienste und Kleiderschrank-Beratungen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Aus politischer Sicht sollte es Modeunternehmen erschwert werden, Überproduktionen zu zerstören oder auf Mülldeponien abzuladen. Diese Problematik rührt ja vor allem aus der Schnelllebigkeit und Entwertung sogenannter Last-Season-Ware.”
Anything goes
Im siebten jährlichen State-of-Fashion-Bericht von The Business of Fashion und McKinsey & Company, der Ende November erschien, kommen zahlreiche Expert*innen zu Wort. So auch Steve Dool, Brand Director des Recommerce-Unternehmens Depop. Er meint, dass vor allem Gen Z die Bedeutung von Modetrends verändert hat – sie würden sich eher von Gleichaltrigen inspirieren lassen und von Personen, die sie online wahrnehmen, als von Designer*innen, die einst als der Standard-Trendtreiber Nummer 1 galten. Trendsetting ist nicht mehr das, was es einmal war. Und vielleicht ist das auch das Schöne am digitalen Zeitalter und der „neuen” Generation – sie zeigen uns: anything goes.
Eine Antwort auf „In or out: Sind Modetrends noch zeitgemäß?“
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