„African Fashion ist eine neue, selbstbestimmte Form von Lebensrealitäten, die über Mode erzählt wird“

Verbindungen zu schaffen, wo zu lange Trennungen waren – das ist das Anliegen der aktuellen Wildling-Kooperation mit dem nigerianischen Label NKWO, kuratiert von Beatrace Oola. Mit einem gemeinsam entwickelten Schuh will das Kollektiv mit dem eurozentrischen Blick auf ‚African Fashion‘ brechen und zu einem Perspektivenwechsel auf Nachhaltigkeit und Partnerschaften anregen. Wie das gelingen kann, haben uns Beatrace Oola von Fashion Africa Now und Christina Eckert von Wildling im Interview erzählt.

3 lachende Menschen vor weißem Hintergrund. Der Schuh ONU will eine neue Sichtweise auf African Fashion bieten.

Als sich Beatrace Oola und Christina Eckert von Wildling Shoes zum ersten Mal auf der Fashion Changers Konferenz 2020 begegnen, ahnen sie noch nicht, auf welche gemeinsame Reise sie sich begeben werden.
Als Gründerin des Kreativnetzwerks Fashion Africa Now versteht sich Beatrace Oola als Kuratorin und Brückenbauerin zwischen dem afrikanischen Kontinent und Deutschland. Mit ihrer Arbeit will sie Mode dekolonialisieren und die eurozentrische Sichtweise auf ‚African Fashion‘ aufbrechen. Mit dem Minimalschuhlabel Wildling fand Beatrace Oola ein Unternehmen, das ihre Werte teilt und bereit war, von ihr zu lernen und neue Wege zu gehen. So brachte sie Wildling mit dem 2007 gegründeten nigerianischen Label NKWO zusammen, das als eines der bekanntesten nachhaltigen Modelabels in der African Fashion-Bewegung gilt. Dahinter steht die Wastepreneurin Nkwo Onwuka und Erfinderin des sogenannten DAKALA™-Stoffes. Nkwo Onwuka arbeitet sowohl mit natürlichen Materialien als auch mit alten Denimstoffen, die sie mit traditionellen Techniken upcycelt.

ONU heißt der gemeinsam entworfene Schuh, was in der im Südosten Nigerias gesprochenen Sprache Igbo ‚zusammen‘ bedeutet. Bei unserem Gespräch mit Beatrace Oola und Christina Eckert (Head of Marketing, Wildling) wird schnell klar: ONU ist mehr als eine Schuhkooperation. Hier werden Menschen und Perspektiven zusammengebracht, die lange getrennt waren.

Was ist die Idee hinter der Zusammenarbeit und welches Ziel verfolgt ihr damit?

Christina: „Es war nie das Ziel, einen Bestseller zu kreieren, sondern zuzuhören und zu lernen. Wir hatten ein gemeinsames Interesse daran, eine Geschichte zu erzählen.“

Beatrace: „Genau, mit der ONU-Kollaboration wollen wir einen Raum aufmachen, um ‚African Fashion‘ neu zu denken und zu erzählen. Wildling bringt dafür nicht nur die richtigen Werte, sondern auch eine große, offene Community mit. Für mich war es wichtig, dass wir die Plattform dafür nutzen, verschiedene Perspektiven zusammenzubringen, um zu verstehen, was Nachhaltigkeit eigentlich bedeuten kann.“

Den Schuh habt ihr gemeinsam mit dem nigerianischen Label NKWO designt. Was war für Wildling hierbei wichtig?

Christina: „Für uns waren neben der ansprechenden Ästhetik die Nachhaltigkeitsaspekte wichtig, die tief in der Philosophie von NKWO verankert sind. Die Designerin arbeitet mit natürlichen Materialien und mit vermeintlichen Abfallprodukten, die wiederverwertet werden. Da war schon so viel da. Wir haben dann eineinhalb Jahre eng zusammengearbeitet und bei Herausforderungen gemeinsam Lösungen gefunden, sodass wir am Ende beim ONU-Schuh gelandet sind.“

Wir habt ihr das Thema Nachhaltigkeit in dem Schuh verarbeitet?

Christina: „Wir verwenden natürliche Materialien und haben hier unsere Ressourcen gebündelt. Für die Sisal-Faser haben wir mit NKWOs Produzenten gearbeitet, für die Baumwollproduktion mit Produzenten, mit denen wir bei Wildling zusammenarbeiten. Wir sind im Rahmen dieser gemeinsamen Reise auf unterschiedliche Grenzen gestoßen. Wir wollten auch gerne mehr lokale Materialien integrieren. Allerdings erfordert ein Schuh andere Kriterien als Oberbekleidung, wie NKWO sie herstellt, zum Beispiel im Hinblick auf Abrieb und Reißfestigkeit.“

Beatrace: „Leider war der von NKWO entwickelte DAKALA™-Stoff nicht für einen Schuh geeignet, weshalb wir uns schweren Herzens davon lösen mussten. Dafür haben wir das Muster des Schuhs dann optisch an den DAKALA™-Stil angelehnt. NKWO ist ein nachhaltiges Unternehmen, kann das aber nicht durch Zertifizierungsdokumente nachweisen. Trotzdem konnten wir die Nachhaltigkeitsaspekte natürlich an bestimmten Parametern belegen und haben dann entschieden, ohne Zertifizierungsnachweise weiterzumachen. Das war ein interessanter Prozess, weil wir uns nochmal intensiv mit Nachhaltigkeitspraktiken beschäftigt haben.“

NKWO gilt als eines der bekanntesten nachhaltigen Modelabels in der African Fashion-Bewegung. Dahinter steht die nigerianische Wastepreneurin Nkwo Onwuka, Erfinderin des DAKALA™ CLOTH.
DAKALA™ CLOTH

Der DAKALA™ CLOTH ist ein von der nigerianischen Designerin Nkwo Onwuka entwickelter Stoff. Um Textilabfälle zu reduzieren, werden Denimstoffreste durch eine Streifenweb-Technik zusammengenäht. Der Begriff Dakala erinnert dabei an das Geräusch eines arbeitenden Webstuhls – Sakala-si, Sakala-sa.

Inwiefern unterscheidet sich denn der Blick auf Nachhaltigkeit im globalen Norden und Süden?

Beatrace: „Der Gedanke, die Natur zu bewahren, war in vielen Ländern des globalen Südens schon immer da. Dafür brauchte es keine Regularien. Das kann man gut am Beispiel der Baumwolle erklären, die vor hunderten Jahren von indigenen Völkern in Westafrika oder Südamerika für den unmittelbaren Gebrauch kultiviert wurde – und zwar auf eine Art und Weise, die die Natur geschont hat. Erst mit Beginn des transatlantischen Handels hat die Baumwollproduktion eine ganz andere Bedeutung bekommen und Baumwolle wurde zum Exportgut Nummer eins, was schwankende Baumwollpreise auf dem Weltmarkt und viele Nachhaltigkeits-herausforderungen mit sich bringt. Auch deswegen ist es so wichtig, den kolonialistischen Part im Nachhaltigkeitsprozess im Blick zu haben. Zertifizierungen sind vom globalen Norden vorgegeben und damit stehen auch bestimmte Summen im Raum, die sich einige Brands im globalen Süden nicht leisten können, obwohl sie alle Kriterien erfüllen. Wir dürfen Nachhaltigkeit also nicht nur aus einer eurozentrischen Perspektive betrachten, sondern müssen auch fragen, was Nachhaltigkeit für den globalen Süden bedeutet.“

Wie seid ihr bei Wildling damit umgegangen, euch in dieser Zusammenarbeit von Zertifizierungen zu lösen?

Christina: „Wir haben in der Vergangenheit auch schon mit kleineren Lieferanten zusammengearbeitet, die keine Zertifikate vorweisen konnten, weshalb uns diese Herangehensweise nicht unbekannt war. Für uns ist es hier wichtig, einen sehr persönlichen Kontakt und eine vertrauensvolle Partnerschaft zu haben. Wir wussten, dass Nkwo die Gegebenheiten vor Ort kennt und die Produzenten auf Basis ihrer Werte und Kriterien, mit denen wir ja übereinstimmen, auswählt. Deshalb war für uns klar, dass wir diese Kooperation auch ohne Zertifizierungsdokumente umsetzen.“

Das seitlich angebrachte Flax-Hair wird aus der nigerianischen Sisal-Pflanze gewonnen und in der nigerianischen Hauptstadt Abuja im Rahmen der Initiative „NKWO Transform Women“ aufbereitet.

Es geht euch auch darum, neue Narrative zu vermitteln. Wie wollt ihr ‚African Fashion‘ erzählen?

Beatrace: „Es geht uns vor allen Dingen darum, ein gegenwärtiges Verständnis von ‚African Fashion‘ zu vermitteln. Oft wird damit ‚Ethno Fashion‘ assoziiert. Der Begriff ‚Ethno Fashion‘ ist ein Konstrukt aus der Entwicklungszusammenarbeit, was damals Entwicklungshilfe genannt wurde. Dadurch wurde dieses Bild von ‚white saviorism‘ geprägt: Wir helfen Afrika und senden Kleider dorthin. Es gibt noch keine feststehende Definition von ‚African Fashion‘. Aber es geht hier um eine gegenwärtige Bewegung, die die Afrodiasporische Perspektive spiegelt. Es geht um eine eigene Interpretation von Textilien, von Ästhetiken. Und es geht um Identität. Also es ist eine ganz selbstbestimmte, neue Form von Lebensrealitäten, die über Mode erzählt wird. Sprache spielt hier eine wichtige Rolle, weil wir immer noch bestimmte stereotype Sprachbilder bedienen, zum Beispiel ‚Ethno-Mode‘, ‚traditionelle Handwerkskunst‘ oder ‚stammt aus‘. Mit dem ONU-Schuh haben wir die Möglichkeit, Perspektiven neu zu erzählen, aber auch zu sensibilisieren und uns von ‚Ethno-Mode‘ zu lösen.“

Christina: „Es geht uns darum, voneinander zu lernen, aber auch ums Verlernen. Es ist kein Entwicklungsprojekt, sondern eine Kollaboration auf Augenhöhe, die Ästhetik und Freude ausstrahlt. Und da geht es ganz viel um Zuhören und darum, einen Raum zu öffnen. Und dann macht das total viel Spaß und Freude, gemeinsam etwas zu schaffen.“

„Der Schuh ist kein Entwicklungsprojekt, sondern eine Kollaboration auf Augenhöhe, die Ästhetik und Freude ausstrahlt.“

Oft ist es so, dass afrikanische Mode im globalen Norden als Inspirationsquelle herhält und kulturell angeeignet wird, aber die Menschen dahinter werden nicht wirtschaftlich beteiligt und partizipieren nicht am globalen Markt. Wie kann eure Kooperation hier einen Unterschied machen?

Beatrace: „Wenn wir über Partizipation sprechen, ist es wichtig, hier auch einen Perspektivenwechsel einzunehmen. Nkwo wollte ihr Label in Großbritannien aufbauen, bis sie gemerkt hat, dass das nicht funktioniert und sie nach Nigeria zurückgegangen ist. Von dort aus hat sie in den letzten zehn Jahren ein internationales Unternehmen aufgebaut. Für viele, gerade für junge Designer*innen und Brands ist der europäische Markt gar nicht mehr so interessant, weil sie einen großen Markt in Nigeria, Ghana oder Uganda haben und die Marke auch von dort aus aufbauen möchten. Die Zeiten sind vorbei, in denen afrikanische Mode nur als Inspirationsquelle dient, indem Textilien verwendet werden, aber die Community vor Ort nicht davon profitiert. Es geht um Partnerschaften und Business und nicht darum, den afrikanischen Kontinent als Hilfsprojekt anzusehen, sondern als ernstzunehmenden Business-Partner. Und das sind Perspektiven, die wir mitdenken müssen, wenn wir über ‚Partizipation‘ sprechen. Mit dieser Kooperation zeigen wir, dass es mit NKWO ein Unternehmen auf dem afrikanischen Kontinent gibt, das wirtschaftlich stabil ist und mit dem wir eine Partnerschaft eingehen können, die es ermöglicht, dass NKWO nochmal eine andere Sichtbarkeit bekommt.“

Christina: „Eine Ungleichheit entsteht immer dann, wenn es unterschiedliche Zielsetzungen gibt. Das passiert oft, wenn das oberste Ziel eines Unternehmens die Profitmaximierung ist, aber diejenigen, die dazu beitragen, nur ein kleines Stück vom Kuchen abbekommen. Deshalb gehört es auch zu einer guten Partnerschaft, dass man sich anschaut, wie die Verträge aussehen und ob diese auf Augenhöhe sind.“

Welchen Beitrag kann die nachhaltige Modebranche dazu leisten, Mode zu dekolonialisieren? hier einen Unterschied machen?

Beatrace: „Es muss auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene was passieren. Mit dem ONU-Schuh ist das Thema nicht abgehakt, sondern wir laden dazu ein, sich kritisch mit dekolonialem Denken auseinanderzusetzen. Dafür ist es wichtig, dass Institutionen und Unternehmen Seminare oder Workshops zur kolonialen Aufarbeitung anbieten. Unternehmen haben eine Verantwortung ihren Mitarbeitenden zu ermöglichen, sich damit zu beschäftigen. Auf gesellschaftlicher Ebene sehe ich hier eine große Verantwortung bei Medien, die sich dem Thema annehmen und dazu Beiträge veröffentlichen müssen. Dabei ist es ganz wichtig, dass hier BIPoCs im Vordergrund stehen, denn nur mit dieser Expertise kommen wir zum dekolonialen Denken.

Als nachhaltiges Unternehmen reicht es nicht, nur einen ökonomisch-ökologischen Ansatz zu fahren, es müssen auch verschiedene Perspektiven zu Wort kommen. In meiner Arbeit als Dozentin sehe ich, dass die junge Generation diese Haltung von Unternehmen erwartet. Jetzt müssen wir ins Handeln kommen.“

„Für viele Designer*innen und Brands ist der europäische Markt gar nicht mehr so interessant, weil sie einen großen Markt in Nigeria, Ghana oder Uganda haben und die Marke von dort aus aufbauen möchten.“

ONU heißt übersetzt ‚zusammen‘. Was habt ihr jeweils aus dieser Zusammenarbeit gelernt?

Christina: „Ich komme immer wieder zu der Erkenntnis, dass man als nachhaltiges Unternehmen nicht mit einem Tunnelblick agieren kann, da alles komplex ist und miteinander zusammenhängt. Es hört nicht damit auf, eine biologisch angebaute Faser einzukaufen. Wir haben in so vielen Punkten voneinander gelernt, egal ob es um Materialien, Kommunikation oder Vertrieb ging. Das ist unglaublich anstrengend, aber so kleine Erfolge wie eine gelungene Kooperation zeigen, dass es sich lohnt.“

Beatrace: „Ich habe gelernt, dass Zusammenarbeit auch Spaß machen kann [lacht]. Ich habe bei dieser Zusammenarbeit das Gefühl bekommen, dass meine Arbeit Anklang findet, dass mir zugehört wird und dass es einen wirklichen Willen für Veränderung gibt. Mein Motto in dieser Zeit war immer ‚history in the making‘, weil wir hier neue Puzzleteile zusammensetzen, um das Thema anders zu denken und es immer um mehr als ein Produkt ging.“

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Beatrace und Christina!

– Den Schuh ONU findet ihr jetzt im Onlineshop. –


Bilder: (c) NTI

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