Ein wesentlicher Teil der Baumwolle, die in der globalen Textil- und Bekleidungsindustrie genutzt wird, stammt aus China – vor allem aus Xinjiang, wo etwa 20 Prozent der weltweiten Baumwolle produziert wird. Seit einigen Jahren wird der chinesischen Regierung jedoch vorgeworfen, in Xinjiang Zwangsarbeit zu betreiben – auch in Textilfabriken. Demnach sei jedes fünfte Baumwollkleidungsstück mit Zwangsarbeit behaftet.
Amnesty International erklärt, dass Uigur*innen, Kasach*innen und andere überwiegend muslimische ethnische Minderheiten in der autonomen Region Xinjiang der Uiguren mit systematischen staatlich organisierten und willkürlichen Massenverhaftungen, Folter und Verfolgung konfrontiert sind, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen. Etwa eine Million Menschen seien davon betroffen.
Mehrere Länder, darunter die USA, Kanada und die Niederlande, haben die chinesische Regierung beschuldigt, Völkermord zu begehen. Diese Beschuldigungen folgen Berichten, die besagen, dass die chinesische Regierung Uigur*innen nicht nur in Lagern interniert, sondern auch Kinder von ihren Familien trennt, kulturelle Traditionen der Gruppe zu brechen versucht und uigurische Frauen massensterilisiert.
Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch distanzieren sich jedoch von dieser Klassifizierung, da die notwendige völkermörderische Absicht fehle. Sie sprechen deshalb eher von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Die chinesische Regierung weist indes alle Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang zurück. Sie gibt offen zu, im Mai 2014 eine Kampagne gestartet zu haben, um Terrorismus und Extremismus in Xinjiang zu verhindern. Die Lager würden lediglich der Umerziehung und der Aus- und Weiterbildung der Uigur*innen dienen.
Verhaftungen scheinen Berichten zufolge jedoch relativ willkürlich zu sein. Laut Aussagen der Organisation Saubere Kampagne können Inhaftierungen folgende Gründe haben: „beispielsweise das Fasten oder die Schließung von Geschäften während des Fastenmonats Ramadan (…), aber auch die Beantragung eines Reisepasses, bestimmte Formen von Bartwuchs, die Benutzung ausländischer Messenger-Dienste, Verwandte im Ausland, zu viele Kinder oder das Ausüben religiöser Handlungen.“
Es steht also weiterhin Aussage gegen Aussage zwischen Menschenrechtsorganisationen und der chinesischen Regierung beziehungsweise scheinen die Ausführungen der chinesischen Regierung hinsichtlich der Inhaftierungsgründe eher haltlos zu sein. Die Lage bleibt derzeit dennoch schwer einschätzbar, da nur wenige konkrete Informationen nach außen dringen. Tiefgründige Recherchen vor Ort sind fast unmöglich, da die chinesische Regierung nicht gewillt ist, selbst Untersuchungen durchzuführen oder unabhängigen internationalen Organisationen und Journalist*innen diese zu ermöglichen.
Außerdem gilt zu bedenken: Einige Aktivist*innen kritisieren die Art und Weise, wie westliche Medien und Politiker*innen die Situation vor Ort einschätzen. Entscheidend sei das Narrativ, das geprägt wird. Dieses könne weiter anti-asiatischen Rassismus fördern – vor allem gegenüber chinesischen Staatsbürger*innen.
Modelabels äußern sich gegen die Zwangsarbeit und werden in China boykottiert
Die internationale Gegenreaktion wegen Missbrauchsvorwürfen in der Baumwollanbauregion Xinjiang nimmt zu – und so zielt auch die chinesische Regierung immer öfter auf westliche Bekleidungseinzelhändler ab, die sich zu den Vorwürfen äußern.
H&M versprach zum Beispiel keine Baumwolle mehr aus Xinjiang zu beziehen. Die Regierung reagierte: Während die physischen Geschäfte von H&M in China bestehen bleiben, können Kund*innen nicht mehr online einkaufen. Auch Marken wie Nike, Adidas und Tommy Hilfiger wurden in den sozialen Medien ins Visier genommen, sogar mehrere chinesische Prominente haben die Verbindungen zu westlichen Marken abgebrochen.
Strafanzeige gegen deutsche Unternehmen
Mehreren deutschen Unternehmen wird nun vorgeworfen, Zwangsarbeit uigurischer Muslime in China begünstigt und von dieser profitiert zu haben. Der Vorwurf stammt von der Berliner NGO European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). In der Klage, die beim Generalbundesanwalt eingereicht wurde, werden namhafte Marken wie die Bekleidungsketten Hugo Boss und C&A sowie die Discounter Lidl, Aldi Nord und Aldi Süd genannt.
Das ECCHR berichtet, die Unternehmen seien „direkt oder indirekt” an der Zwangsarbeit von Angehörigen der muslimischen Minderheit der Uigur*innen in Xinjiang beteiligt gewesen. Einige listen explizit Zulieferer aus der Region, die im Verdacht stehen, Zwangsarbeit zu betreiben. Laut dem ECCHR, seien die Marken der „angeblichen Mittäterschaft bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit” schuldig. Die Konzerne haben die Ansprüche bestritten.
Lidl erklärt beispielsweise, nicht mehr mit Zulieferern aus Xinjiang zusammenzuarbeiten und würde „fortlaufend und systematisch potenzielle Risiken wie Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten“ prüfen. Auch C&A beteuert, seit Sommer 2020 keine Baumwolle aus der Region mehr zu beziehen.
Miriam Saage-Maaß, Leiterin des ECCHR-Programms Wirtschaft und Menschenrechte, erklärt: „Die Strafanzeige verdeutlicht die möglicherweise systematische Beteiligung europäischer und deutscher Unternehmen an mutmaßlicher, staatlich geförderter Zwangsarbeit in Xinjiang. Es ist inakzeptabel, dass europäische Regierungen China für Menschenrechtsverletzungen kritisieren, während die Unternehmen womöglich von der Ausbeutung der uigurischen Bevölkerung profitieren. Es ist höchste Zeit, dass die Verantwortlichen in den Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, falls sich der Verdacht der Zwangsarbeit bestätigen sollte.“
Fehlende Transparenz fördert menschenunwürdige Arbeit
Hugo Boss ist ein interessantes Beispiel. Nachdem das Unternehmen zuvor den Einsatz von Zwangsarbeit angeprangert hatte, nutzte es später die sozialen Medien, um begeistert seine Pläne zur weiteren Verwendung von Xinjiang-Baumwolle bekannt zu geben. Einige Tage später löschte der Konzern den Beitrag, nannte ihn „nicht autorisiert“ und gab eine Erklärung heraus, in der er Bedenken hinsichtlich der Vorwürfe der Zwangsarbeit in der Region einräumte.
Die Vermutung liegt nahe, dass Marken wie Hugo Boss hierbei lediglich versuchen Gesicht zu wahren – vor ihrer westlichen Kundschaft. Sobald sie eingeräumt haben, dass es innerhalb ihrer Lieferketten zu Menschenrechtsverletzungen kommt, ist es schwer zu rechtfertigen, Textilien weiterhin auf diesem Weg zu beziehen.
Wie viele Unternehmen Baumwolle aus uigurischer Zwangsarbeit beziehen ist derzeit unklar, denn nicht alle veröffentlichen ihrer Zulieferlisten, so wie es beispielsweise die Unternehmen tun, gegen die nun eine Strafanzeige vorliegt. Letztere „stünden stellvertretend für eine riesige Branche“, so Miriam Saage-Maaß vom ECCHR.
Möchtet ihr mehr über uigurische Zwangsarbeit wissen? Gerne halten wir euch auf dem Laufenden, wie es mit der Strafanzeige gegen die deutschen Unternehmen weitergeht.
Titelbild: Jules D via Unsplash