Der Journalismus hat ein Diversitätsproblem

Wo ist die Vielfalt im Journalismus? Wir haben mit den Neuen Deutschen Medienmacher*innen gesprochen und gefragt, wie wir das Diversitätsproblem lösen können.

Eine rosa Schreibmaschine auf hell blauem Hintergrund. Um die Schreibmaschine herum steht der Text "Wer schreibt? Wer spricht?"

„Guter Journalismus ist vielfältig.“ Dieser Satz erscheint, wenn wir die Homepage der Neuen Deutschen Medienmacher*innen aufrufen und lässt ahnen: Wenn mensch das schon extra so betonen muss, sieht die Realität wahrscheinlich anders aus – eher nicht vielfältig, und dementsprechend mit deutlich qualitativer Luft nach oben. 

Wo ist die Diversität im Journalismus?

Schauen wir uns die Redaktionsseiten größerer, aber auch kleinerer deutscher Medien an, sehen wir vor allem eines: sehr viele weiße Gesichter. Sehr viele Thomasse, Michaels und Stefans. „Insgesamt ist der Diversitätsanteil in deutschen Medien erschreckend niedrig“, schreiben die Neuen Deutschen Medienmacher*innen. „Schätzungen gehen von 5 bis 10 Prozent Journalist*innen mit Migrationsgeschichte aus.“ Dabei haben rund 26 Prozent der Menschen in Deutschland einen sogenannten „Migrationshintergrund“ – bei Kindern und Jugendlichen sind es bereits bis zu 40 Prozent. 

Mit Blick auf die Zukunft ist es allerdings auch aus wirtschaftlicher Perspektive eine gute Idee, die Redaktionen diverser aufzustellen. Denn wer sich nicht repräsentiert sieht, hat weniger gute Gründe, ein Medium zu konsumieren (und eventuell finanziell zu unterstützen) als jemand, dessen Lebensrealität und Interessen andauernd besprochen werden.

Eine Studie des WDR kommt zu folgendem nüchternem Fazit: „Instagram und YouTube bilden die Lebenswelt junger Migranten am besten ab und bieten Identifikationsfiguren. Aufgrund der Medienspezifik, die Social Media bieten – Nähe, Interaktion, direkte Kommunikation und Erlebniswelt, können die klassischen Medien in diesen Bereichen offenbar nicht mehr mithalten.“ 

Das haben die Medienhäuser mittlerweile begriffen. In der Studie der Neuen Deutschen Medienmacher*innen geben sie an, dass sie dies ändern wollen – aber nicht um jeden Preis.  Soweit bekannt, wurde in dieser Studie zum ersten Mal auch die Diversität innerhalb der Führungsebenen untersucht und Chefredakteur*innen selbst zu Wort kommen gelassen. Nur 6,4 Prozent von ihnen haben demnach einen „Migrationshintergrund“. Doch dabei sind nur wenige Personen, die als „fremd“ wahrgenommen werden und keine Person of Color (PoC). „Vertreten sind die Nationalitäten österreichisch, luxemburgisch, dänisch, niederländisch, irisch, italienisch, rumänisch und griechisch.“ 

Diese einflussreiche, relativ homogene Gruppe Journalist*innen bekundet nun ein großes Interesse daran, dass sich diese Zustände ändern – will aber ungerne konkrete Maßnahmen ergreifen. Die bestünden unter anderem darin, verpflichtende Quoten festzulegen und regelmäßig Daten über die Rassismuserfahrungen der Mitarbeitenden zu erheben. Bei letzterem werden jedoch häufig Datenschutzbedenken geäußert. 

Diversität im Modejournalismus?

Auch der Modejournalismus muss sich intensiv mit Diversität auseinandersetzen. Das ist nicht erst seit dem „Back to Black“-Desaster der ELLE offensichtlich, als Schwarze Menschen als eine Art Modetrend dargestellt wurden. Marginalisierte Menschen werden in Werbung und Zeitschriften oft entweder rassifiziert oder gar nicht erst dargestellt.

Das Ideal der schlanken, weißen Frau bleibt weitestgehend unangetastet, sodass überwiegend Models gebucht werden, die dieser Definition entsprechen. Über diese wird dann – von homogen weißen Redaktionen – überproportional häufig berichtet. Der Kreis schließt sich. 

Auch offene Formulierungen in Stellenausschreibungen stellen oft noch eine Hürde dar. In der Studie versucht ein Entscheider sich an einer Erklärung: „Haben wir nicht gemacht bis jetzt, weil, also weil die Stellen, die auszuschreiben waren, sind entweder solche gewesen, die in unserem Newsroom bestimmte journalistische Qualifikationen erforderten. Bei dem ich aber niemand hätte erklären können, warum ich jetzt einen Türken oder einen Schweizer oder einem Muslim oder wen auch immer irgendwie da für zweckmäßiger erachte.” Es klingt der Vorwurf einer unsachgemäßen Bevorzugung an. 

„Viel Wille, kein Weg“, titelt die Untersuchung der Neuen Deutschen Medienmacher*innen dementsprechend. Aber wer sind die überhaupt – und was wollen sie? 

Es ist wichtig, wer spricht

Wer sind die Neuen Deutschen Medienmacher*innen? Das frage ich Sophie und Julian an einem Montag im Video-Call. Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen, sagen sie, seien ein Zusammenschluss aus Journalist*innen mit und ohne Einwanderungsgeschichte, die sich für mehr Diversität in den Medien einsetzten. Das Netzwerk umfasst derzeit etwa 2000 Netzwerker*innen, der Verein wird von einem ehrenamtlichen Vorstand geleitet.

Ein Schwerpunkt der Neuen Deutschen Medienmacher*innen liegt auf der Vernetzung und dem Empowerment von Journalist*innen of Color und Medienschaffende mit Einwanderungsgeschichte. Das leite sich aus der Gründungsgeschichte und dem individuellen Hintergrund der Gründungsmitglieder her, erklärt Vorständin Sophie. Doch auch andere Diskriminierungsformen wie Klasse und Gender seien schon immer wichtig gewesen. 

„Wir arbeiten natürlich intersektional, weil man die unterschiedlichen Diskriminierungsformen nicht voneinander abgrenzen kann und sie sich überlagern, verstärken, und neue Formen der Diskriminierung hervorbringen wie bei Misogynoir oder Transmisogynie. Viele Menschen werden ja auch nicht ‚nur‘ aufgrund einer Zuschreibung diskriminiert, sondern vereinen unterschiedliche Intersektionen auf sich, die strukturell bedingt sind. Wenn wir von Intersektionalität sprechen, ist es wichtig, nicht nur auf getrennte Diskriminierungsformen zu gucken, die dann irgendwie zusammengerechnet werden“, meint Sophie.

„Es geht vielmehr um spezielle Diskriminierung, die nur diese Gruppe in dieser Form erfährt. Bestimmte Vorurteile, die zum Beispiel trans Frauen begegnen. Da steckt mehr dahinter als einerseits ‚nur‘ Transfeindlichkeit oder andererseits ‚nur‘ Sexismus. Wir sprechen da beispielsweise von Transmisogynie. Da hinein spielt auch die Frage, was Journalismus ist und wer eigentlich Journalist*in ist. Der Begriff ist nicht geschützt. Obwohl wir als Verein stark auf die klassischen Medien fokussiert sind, sehen wir natürlich auch die Entwicklungen auf Social Media und die neuen Formen von Medienarbeit und Journalismus, die dort entstehen. In unserem No Hate Speech Movement beschäftigen wir uns explizit mit den sozialen Netzwerken und haben vor, das weiter zu vertiefen.“

Begriff: Mit „Misogynoir“ wird die Verschränkung von Misogynie und anti-Schwarzem Rassismus beschrieben. Der Begriff macht auf die Mehrfachdiskriminierung Schwarzer Frauen aufmerksam.

Mehr Diversität in den Redaktionen

Die Arbeit der Neuen Deutschen Medienmacher*innen ist vielfältig. In erster Linie handelt es sich um ein Netzwerk, in dem reger Austausch untereinander, aber auch mit anderen ähnlich engagierten Gruppen, stattfindet. Der Verein arbeitet allerdings auch stark projektbasiert und organisiert unter anderem das von Sophie erwähnte Bündnis No Hate Speech Movement in Deutschland, das über Hass im Netz aufklärt. Das größte Projekt, das Handbook Germany, stellt mittlerweile die umfangreichste themenübergreifende Informationsplattform für Neuzuwander:innen in Deutschland dar und informiert und unterstützt zu Fragen der Integration und Teilhabe. 

Aber auch mit vereinzelten Kampagnen machen die Neuen Deutschen Medienmacher*innen auf sich aufmerksam. Mit der Aktion #wetterberichtigung Anfang des Jahres zum Beispiel verliehen sie den Hoch- und Tiefdruckgebieten zur Abwechslung migrantisch markierte Namen und verwirrten dabei sicherlich einige Menschen beim Schauen der Tagesthemen. Außerdem kommentieren sie von der Corona-Pandemie bis zur Kriminalitätsberichterstattung fortwährend rassistische Inhalte in den Medien und haben ein Glossar für sensible Berichterstattung veröffentlicht, das zeigt, wie es besser gemacht werden kann. 

Das Ziel der Neuen Deutschen Medienmacher*innen: mehr Diversität in den Redaktionen und eine ausgewogene Berichterstattung, die der Realität im Einwanderungsland Deutschland gerecht wird. Davon seien wir im Moment nämlich noch ziemlich weit entfernt, erklären Sophie und Julian. 

Sophie meint: „Die Redaktionen haben die Wichtigkeit des Themas erkannt, aber sie handeln nicht danach. Dabei ist es wichtig, wer spricht und wer Texte schreibt. Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen bringen ganz andere Perspektiven mit, die in der öffentlichen Debatte oft fehlen oder untergehen. Auch die Qualität der journalistischen Arbeit in der Redaktion wird dadurch insgesamt verbessert. Ich schaue öfter in die Vergangenheit und beschäftige mich mit der Berichterstattung von vor ein paar Jahrzehnten. Dabei bin ich immer wieder beeindruckt, wie sehr die Themen, die heute diskutiert werden, auch schon damals aktuell waren. Es hat sich leider nur sehr wenig geändert.“ 

Dabei ist eigentlich naheliegend: Wenn mehr Perspektiven vorhanden sind, ergibt sich ein genaueres Bild dessen, was wir gemeinhin „Wahrheit“ nennen, als wenn sich eine sehr homogene Gruppe über immer dieselben Themen austauscht – und sich bisweilen erschreckend einig ist. Denn mehr unterschiedliche Stimmen bedeutet auch: mehr Reibung, mehr Konflikt, mehr demokratische Debatte – und im besten Fall auch neue Lösungen, die alle weiterbringen. Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen meinen daher auch: Diversere Redaktionen sind gut für unsere Gesellschaft und die Demokratie. 

Menschen mit Migrationshintergrund?

„Sagt ihr ‚Menschen mit Migrationshintergrund?“, möchte ich von den beiden wissen. „Oder gibt es andere Begriffe, die ihr bevorzugt?“

„Wir sprechen ab und zu von Menschen mit Migrationshintergrund, weil die Statistik nur diese eine Kategorie kennt: Wenn ein Elternteil einen ausländischen Pass hat, bist du Mensch mit Migrationshintergrund. Dabei gehen aber unterschiedliche Schattierungen verloren. Zum Beispiel bei Menschen, die schon über Generationen in Deutschland leben, wie Schwarze Deutsche, aber trotzdem rassifiziert werden. Und denen, die zwar den Status ‚mit Migrationshintergrund‘ haben, deren Eltern aber aus einem europäischen Nachbarland kommen. Wir verwenden oft den Begriff ‚Menschen aus Einwandererfamilien‘, sprechen aber auch von ‚Menschen mit internationaler Geschichte‘. Viele Begriffe für sensible Berichterstattung haben wir in unserem Glossar auf der Website zusammengetragen.”

Tokenism ≠ Diversität

Dabei dürfe Diversität allerdings kein Selbstzweck werden, warnt Julian, der seit 2019 bei den Neuen Deutschen Medienmacher*innen Mitglied (und seit kurzem auch Mitarbeiter) ist.

„Diversität als Thema ist heute überall, was zunächst gut ist. Man kommt nicht mehr drum herum. Auch die Medienhäuser müssen sich damit beschäftigen, weil der Druck von außen immer größer wird. Das Problematische, was ich daran sehe, ist die neoliberale Definition, nach der Diversität oft gelebt wird: Demnach werden ein paar Leute eingestellt, die ‚divers‘ aussehen und mit denen man sich dann gut nach außen präsentieren kann – aber die eigentliche Arbeit der Weißen findet nicht statt. Das beinhaltet auch das Auseinandersetzen mit unterdrückerischen Strukturen und der eigenen Rolle darin. Außerdem schließt es die Frage ein, inwiefern das in der eigenen Redaktion reproduziert wird. Das sehen wir noch viel zu selten. Es ist jedoch der zweite große Teil, wenn wir von ‚mehr Diversität‘ reden.“ Diversität dürfe nicht nur als Grund herhalten, um bei einer breiteren Zielgruppe anzukommen und daher mehr Geld zu verdienen. 

Sophie stimmt zu und ergänzt: „Es braucht mehr Menschen, die sprechen dürfen. Dabei machen einige Personen noch immer die Erfahrung, dass sie als Token in die Redaktionen gerufen werden. Dabei interessiert sich dort niemand wirklich für ihre Perspektive. Sie werden benutzt, um sich nach außen hin als ‚divers‘ labeln zu können . Dabei gehen diese Menschen im Redaktionsalltag unter oder werden teilweise mit so vielen diskriminierenden Strukturen konfrontiert, dass sie sich nicht wohl fühlen. Das passiert noch viel zu oft. Dann sind die Leute irgendwann wieder weg, weil sie merken, dass sie keinen Raum haben, in dem sie und ihre Themen gehört werden. Sie merken, dass es keine anderen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen gibt, mit denen sie sich zusammenschließen können. Doch sogar dann kann sich die weiße Redaktion immer noch auf die Schulter klopfen und behaupten: ‚Aber wir haben es doch probiert!‘“ 

Trotzdem argumentieren auch die Neuen Deutschen Medienmacher*innen mit dem neoliberalen Argument, wenn sie auf ihrer Website schreiben, dass „Redaktionen brauchen Vielfalt zum Überleben“ brauchen. Ein Zwiespalt?

„Es gibt immer Menschen, die unsere Forderungen ignorieren oder Bestrebungen nach mehr Diversität nur halbherzig verfolgen. Tatsache ist aber, dass bald ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland eine Einwanderungsgeschichte hat. Wer das in der medialen Arbeit nicht berücksichtigt, wird nicht überleben. Diese Menschen wollen sich selbst und die Geschichten, die sie betreffen, repräsentiert sehen. Und wenn wir ehrlich sind, sind sogar die meisten Weißen heutzutage schon gelangweilt von immer denselben Plots, immer denselben Storylines und immer denselben weißen Akteur*innen. Die Medien schaffen das Bild der Gesellschaft von morgen und auch von heute überhaupt nicht ab. Wenn sie das nicht ändern, stehen sie vor einem Problem“, meint Sophie. 

Auf die Begriffe kommt es an

Wahrscheinlich würden ganze Debatten anders geführt werden, wenn Deutschlands Redaktionen vielfältiger aufgestellt wären. Mich persönlich, erzähle ich den beiden, nerve die Diskussion um das Gendern: Andauernd wird die Frage nach dem Gender-Sternchen wieder aus- und auf die Titelblätter gepackt. Dabei finde ich, haben wir diese Frage in den letzten Jahren doch schon zu Genüge besprochen und alle hatten die Gelegenheit sich dazu zu äußern. „Mir kommt der Verdacht, dass es bei diesem Wiederkäuen nicht darum geht, die Gesellschaft voranzubringen“, werfe ich in den digitalen Gesprächsraum. „Sondern dass es am Ende doch wieder nur um die Verwertbarkeit von Inhalten geht. Um möglichst viele Emotionen, die in der kurzlebigen Aufmerksamkeitsökonomie Reichweite – und damit auch Geld – zu generieren.“ 

Julian beschäftigt in dem Zusammenhang noch ein anderes Beispiel: „Was mir in den letzten Wochen und Monaten besonders aufgefallen ist, ist die ständige Debatte um Identitätspolitik, die überall hochgekocht wurde. Egal, um welches Thema es geht: Sobald Menschen aus einer marginalisierten Gruppe sprechen, wird eine Identitätspolitik-Debatte aufgemacht. In diesem Zusammenhang ist es dann egal, ob die Schwarze Autorin in ihrem Buch Identitätspolitik überhaupt thematisiert – allein die Tatsache, dass sie Schwarz ist, reicht schon aus, um eine Abhandlung zu dem Thema in den Rezensionen auftauchen zu lassen. Ich wünsche mir, dass gewisse Diskussionen – vor allem aus der Position derjenigen, die sich über Überhitzung und Polarisierung beschweren – nicht mehr so überhitzt und polarisierend geführt werden.“ 

Dabei geht es vor allem auch darum, mit der Bedienung hochemotionaler Themen und einer Sprache, beziehungsweise Berichterstattung, die nur scheinbar oder falsch neutral ist, keine Narrative aus dem rechten Spektrum zu bedienen, die am Ende vor allem dazu beitragen, die Gräben innerhalb der Gesellschaft zu vertiefen.

Wie sieht guter Journalismus aus?

Daran schließt sich direkt die Frage an, die wir zu Beginn des Gesprächs bereits angerissen haben: Was ist eigentlich guter Journalismus? 

Sophie versucht eine Definition: „Guter Journalismus schreibt nicht nur aus der eigenen Perspektive heraus, sondern schaut sich an, wie die Welt um die Redaktion herum aussieht. Idealerweise verstehen Menschen, die schreiben, welche Strukturen auch hinter ihrem Handeln wirksam werden können und idealerweise sind Redaktionen so besetzt, dass sie unterschiedliche Lebensrealitäten wahrnehmen und thematisieren können. Journalist*innen sollten nicht (über die aus ihrer Sicht wahrscheinlich nicht einmal existierenden) trans Frauen an der Supermarktkasse schreiben, ohne die trans Frau an der Supermarktkasse mal selbst zu Wort kommen zu lassen. Sie sollten die Gelegenheit bekommen ihre Perspektive zu erzählen.“ 

Das sind sehr klare, politische Positionen – und auch auf der Website beziehen die Neuen Deutschen Medienmacher*innen als Verein regelmäßig explizit Stellung zu verschiedensten Themen. Da liegt doch der Aktivismus-Vorwurf nahe: Ist das dann überhaupt noch „richtiger“ Journalismus, den die Neuen Deutschen Medienmacher*innen machen? Ist ihre Arbeit nicht viel zu parteiisch? Die beiden lachen, als ich diese Frage stelle – sie hören sie oft. 

„Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen finden getrennt von unserer eigentlichen Arbeit statt. Uns wird oft vorgeworfen, dass wir vom Staat unterstützt werden. Dabei ist es in Deutschland üblich, zivilgesellschaftliche Arbeit durch öffentliche Fördermittel zu finanzieren. Diese Förderung ist durchaus sinnvoll“, erklärt Sophie.

„Junge Nachwuchsjournalist*innen mit Einwanderungsgeschichte zu fördern, sollte nicht durch staatliche Stellen passieren. Darum gibt es Förderung für unabhängige gemeinnützige Initiativen wie uns. Im deutschen öffentlichen Förderwesen ist allerdings klar geregelt, dass öffentliche Stellen auf unsere Arbeit keinen Einfluss nehmen können. Kontrolliert wird nur, dass jeder Cent für projekt-notwendige Zwecke ausgegeben wird. Wir sind kein journalistisches Medium, sondern eine Initiative für mehr Vielfalt in den Medien. Neben finanzierten Projekten machen wir viel ehrenamtliche Arbeit.“

Julian ergänzt: „Das Problem, was ich damit zusammenhängend sehe, ist, dass mit dem Aktivismus-Vorwurf oft der Vorwurf von fehlender Objektivität in der journalistischen Arbeit einhergeht. Der deutsche Journalismus hat ein großes Problem damit, oft möglichst ‚beide Seiten darstellen zu wollen – auch, wenn das keinen Sinn ergibt oder sogar falsch ist. Wir müssen nicht eine Person, die Rassismus kritisiert, in eine Talkshow einladen – und dazu noch eine Person, die leugnet, dass es Rassismus gibt. Von dieser Vorstellung von Objektivität müssen wir dringend wegkommen.“ 

Er fährt fort: „Andersherum ist es bei rassifizierten Personen, die in deutsche Redaktionen geholt werden, oft so, dass sie es eigentlich nur falsch machen können und sich in einer Falle wiederfinden: Sie werden häufig als Expert*in für Rassismus angesehen und sollen dann nur über Rassismuserfahrungen schreiben. Wenn sie aber genau das tun, wird ihnen direkt der Vorwurf gemacht, nicht objektiv genug zu sein und von ihren Emotionen geleitet aktivistisch zu schreiben – also keinen ‚guten Journalismus‘ zu machen.“ 

Guter Journalismus öffnet neue Perspektiven – das schlüge sich nach Angaben der Neuen Deutschen Medienmacher*innen auch in der Qualität der Texte nieder. Wenn wir bei den Fashion Changers zum Beispiel über das Lieferkettengesetz oder andere globale Verflechtungen schreiben, ist es besonders wichtig, dass nicht nur weiße Augen den Rahmen dessen setzen, was und wie etwas erzählt wird. 

„Es ist wichtig, sich als weißer Mensch mit den Strukturen, die hinter der aktuellen Realität liegen, auseinanderzusetzen und sich damit zu beschäftigen, wie die Dinge historisch gewachsen sind“, beharrt Julian. „Es reicht nicht aus, irgendwo hinzugucken und über das Leid und das Elend zu berichten und dann eventuell auch noch White Saviorism zu betreiben. Wenn wir tief genug graben, landen wir am Ende oft beim Kolonialismus und der Etablierung des Kapitals als Ursprung (global-)gesellschaftlicher Ungerechtigkeit der Gegenwart. Dessen muss man sich in der eigenen Berichterstattung bewusst sein.“ 

Diversität: So geht es besser

Dabei gibt es durchaus Länder, von denen Deutschland lernen und sich eine genaue Anleitung abschauen kann, wie mehr diverse Menschen in die Redaktionen kommen. Dazu gehören zum Beispiel Großbritannien (Guardian) oder Kanada, aber auch die USA (New York Times). Dort haben es einige große Medien vor allem mit dem Einsatz von verpflichtenden Quoten geschafft, deutlich mehr Journalist*innen mit internationaler Erfahrung zu beschäftigen und die Qualität ihres Angebotes zu steigern. Diese Quoten werden auf einen zeitlichen Rahmen bestimmt festgelegt und müssen immer wieder nach oben korrigiert werden. 

Julian beschreibt, dass solche Umgestaltungen nicht knochentrocken und anstrengend ablaufen müssen: „Das kann sich firmenintern zu einem richtigen Wettbewerb entwickeln, sodass die Umsetzung gar nicht so lange dauern muss. Wenn man will, geht das sehr wohl. Die New York Times schreibt ‚Black‘ in ihren Artikeln mittlerweile konsequent groß. Das müssen wir uns mal vor Augen führen: Eine der renommiertesten Zeitungen der Welt hat es hinbekommen, die Selbstbezeichnung einer rassifizierten Gruppe zu übernehmen – und wir diskutieren hier in Deutschland immer noch über das Gender-Sternchen.“ 

Dabei dürfe es nicht nur bei Quoten bleiben, schreibt Miranda Wayland, Leiterin der Abteilung „Creative Diversity“ der BBC. In einem Gastbeitrag für den Verein erklärt sie, Quoten seien ein bewährtes Mittel, aber nicht das einzige. 

Auch die Neuen Deutschen Medienmacher*innen haben – unter anderem in ihrer Studie, aber auch in dem neu erschienenen Diversity Guide, den Redaktionen gegen ein einstündiges Aufklärungsgespräch erhalten können – einige Stichpunkte für mehr Diversität zusammengetragen. 

6 Werkzeuge für mehr Diversität
  1. Daten erheben und zur Verfügung stellen: Wer arbeitet überhaupt bei mir?
  2. Quoten festlegen: Sie sind verpflichtend und an einen bestimmten Zeitraum gebunden, werden engmaschig überwacht und immer wieder angepasst. Außerdem müssen sie im Team kommuniziert und gemeinschaftlich umgesetzt werden. Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen fordern eine Diversitäts-Quote von 30 Prozent in Deutschlands Medienhäusern.
  3. Unternehmenskultur inklusiv gestalten: Workshops für sensible Berichterstattung, Anti-Rassismus-Workshops, aktives Auseinandersetzen mit gesellschaftlichen, globalen und firmeninternen Strukturen.
  4. Output anpassen: inklusive Bildsprache, mehr Artikel über BIPoC, FLINTA+ und Menschen mit Behinderungen, et cetera.
  5. Anonyme Bewerbungen: Diese hebeln unbewusste Diskriminierung aufgrund der vermuteten Herkunft einer Person aus und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass nach Eignung entschieden wird.)
  6. Aktiv auf die Suche gehen: Neuen Menschen in den sozialen Netzwerken folgen, sich mit entsprechenden Vereinen und Organisationen vernetzen.

Das ist keine chronologische Liste, die es von oben nach unten abzuarbeiten gilt. Im Regelfall finden mehrere Prozesse gleichzeitig nebeneinander statt, wenn die Umstrukturierung einmal angestoßen ist. 

Doch bleiben wir kurz bei den Bewerbungen: Julian merkt außerdem an, dass eine Verkürzung der Stellenausschreibungen ebenfalls dazu führen könnte, dass sich mehr Menschen angesprochen fühlen. „Oft wird eine lange Liste an Dingen genannt, welche die Bewerber*innen können müssen. Diese sind jedoch nicht alle zwingend notwendig für den Job. Für viele Menschen ist es aber wahnsinnig abschreckend, wenn sie merken, dass sie beispielsweise nur ein Drittel davon erfüllen. Sie denken sich: ‚Den Job werde ich sowieso nicht kriegen.‘ Dann melden sich meistens nur die Leute mit einem sehr großen Selbstbewusstsein – und das sind in der Regel weiße Männer. Dabei geht es ja gerade darum, Leute zu bekommen, die nicht so sind wie alle anderen.“ 

Auch das Argument, dass es „da draußen ja keine guten diversen Leute gibt“, wollen die Neuen Deutschen Medienmacher*innen nicht gelten lassen. „Oft behaupten die Entscheider*innen, sie würden wahnsinnig gerne mehr Diversität reinbringen – aber es gäbe ja ‘keine guten diversen Leute für den Job.‘  Diese Menschen meinen das in dem Moment ernst – weil sie die Leute, die schon da sind, nicht sehen. Sie sind nicht in den entsprechenden Kreisen unterwegs, folgen vielleicht nicht den richtigen Leuten – und kommen dann auf die Idee, dass es sie sowieso nicht geben kann. Das ist Quatsch. Natürlich gibt es sie. Als Redaktion, die sich diversifizieren will, muss man sich anstrengen. Man kann nicht sagen: ‚Aber ich habe geschrieben, dass ich mehr Diversität will und es hat sich niemand gemeldet.‘ Man muss die ganzen eigenen Strukturen und den Blick, den man darauf hat, hinterfragen.“ 

Angefangen werden kann jederzeit – das ist gut für das eigene journalistische Produkt, die Menschen und die Gesellschaft. 

Illustration: Warapon / Rawpixel

Die Neuen Deutschen Medienmacher*innen sind geöffnet für alle, die ihre Werte teilen – ob mit oder ohne internationale Geschichte. „Wir sind explizit auch für weiße Journalist*innen und Medienschaffende offen, weil wir die Aufgabe, sich mit diskriminierenden Strukturen zu befassen und das Wissen weiterzutragen, ausdrücklich nicht nur bei den rassifizierten Menschen, sondern vor allem bei der weißen Gesellschaft sehen.“ Einmal pro Jahr gibt es die große Bundeskonferenz, auf der sich alle Mitglieder und der Vorstand treffen und über aktuelle Themen diskutieren. Es gibt Weiterbildungsmaterialien, ein eigenes soziales Netzwerk mit einem Forum, in dem nach Unterstützung für die eigene Arbeit gesucht werden kann und Stellengesuche sowie Aufträge und Veranstaltungshinweise gepostet werden. 

Sophie ist eine Vorständin bei den Neuen Deutschen Medienmacher*innen. Sie hat sowohl Erfahrung im journalistischen als auch im PR-Bereich und kann das Wissen aus beiden Bereichen für ihre Arbeit bei den Neuen Deutschen Medienmacher*innen gut verknüpfen.

Julian ist freier Kultur- und Gesellschaftsjournalist und schreibt für verschiedene Medien. Über Pop, aber auch und vor allem über soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückungssysteme.

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