„Die faire Mode braucht mehr Mut für Queer-Themen.”

Der Pride-Month Juni war in diesem Jahr merklich stiller als sonst. Während im Netz Medienschaffende und Aktivist*innen durchaus sehr laut und sichtbar waren, wurde die öffentliche Diskussion rund um die Rechte von LGBTQ (Lesbian, Gay, Bi, Trans, Queer) mitunter von vielen anderen Ereignissen weltweit, allen voran Black Lives Matter, teilweise überschattet. Dabei lässt sich die Rassismusdebatte nicht von der LGBTQ-Debatte trennen. Im Gegenteil, die erste Pride ging von der Schwarzen Trans- und Queer-Community in den USA aus.

Auch die (Fair)-Fashion-Branche entzieht sich gerne der Diskussion nach mehr Diversität in Sachen LGBTQ. Dabei ist die Frage nach Sichtbarkeit eine essentielle Gerechtigkeitsfrage, die auch vor der nachhaltigen Modebranche nicht Halt macht. Wir haben uns gefragt: Woran liegt es, dass wir im Großteil der Fair-Fashion-Branche wenig Repräsentation von queeren Themen sehen? Und vor allem, wie lässt sich das ändern?

Dafür haben wir mit Julia Gerner von dem Heidelberger Label fremdformat gesprochen. Das nachhaltige Schmucklabel ist stolzes queer-owned Business und damit eines der wenigen in der Branche. Julia stand uns Rede und Antwort für Fragen rund um Sichtbarkeit, Gender und echte Veränderung.

Das eco-faire Label fremdformat zeigt, dass Schmuck Vielfalt bedeuten kann. © Fotos: fremdformat

Fashion Changers: Wofür steht fremdformat und was ist eure Mission?

Julia Gerner: fremdformat steht für nachhaltigen Schmuck, der zum Teil aus Resten der Metallindustrie hergestellt wird. Für vergoldete oder silberne Elemente werden ausschließlich recycelte Materialien verwendet. Entworfen und produziert wird in Deutschland. Wir haben fremdformat 2014 gegründet und von Anfang an war für uns klar, dass wir Schmuck einfach „anders“ machen wollen.

Damals war das Thema Nachhaltigkeit in der Schmuckindustrie noch nicht wirklich bei vielen präsent. Inzwischen gibt es, gerade auch durch die mediale Aufmerksamkeit in anderen Branchen, ein anderes Bewusstsein. Bei Endverbraucher*innen ist es aber lange noch nicht so angekommen wie beispielsweise im Modebereich.

Euer Label untertitelt ihr mit dem Slogan „Fair. Sustainable. Unisex” – Warum sind euch diese drei Kriterien besonders wichtig?

Bei uns kommen faire Produktion und nachhaltige Materialien zusammen – immer. Wir produzieren die Schmuckstücke alle in Handarbeit in Deutschland, faire Löhne und Arbeitsbedingungen sind damit garantiert und bei der Auswahl unserer Zulieferer von Schmuckteilen sind wir sehr genau. In einer Zeit, in der leider auch in der Schmuckbranche das Thema Greenwashing Einzug hält, ist es wichtig sich hier zu positionieren und klar an die Kund*innen zu kommunizieren.

Von Anfang an haben wir Produkte nicht nur für Frauen entworfen. Das Wort „unisex” in unserer Subline verwenden wir aber erst seit diesem Jahr. Wir haben festgestellt, dass sich Männer oft nicht in unseren Laden „trauen“, um für sich selbst nach Schmuck zu schauen. Wir haben gespürt, wie sehr es noch in den Köpfen verankert ist, dass Schmuck vermeintlich nur „etwas für Mädchen” ist. Seitdem wir „unisex” mehr nach außen kommunizieren, merken wir, dass sich auch mehr Männer angesprochen fühlen.

Könnte eurer Meinung nach die faire Modebranche mehr Queerness vertragen?

Unserer Meinung nach könnte die ganze Welt mehr Queerness vertragen! Die faire Mode kommuniziert nicht anders als die konventionelle Mode. Wir würden uns in jeder Hinsicht, ob fair oder nicht, mehr Mut, oder auch mal Wut, wünschen. Anfangs haben wir hinsichtlich dieses Themas sehr mit uns gehadert, da man gerade als kleines Label, erstmal eine möglichst große Zielgruppe erreichen will und damit automatisch mit dem Strom schwimmt.

Wir haben aber recht schnell gemerkt, dass die Authentizität darunter leidet und wir damit unzufrieden waren. Seitdem kommunizieren wir sehr selbstbewusst, unterstützen queere Gruppen aus der Rhein-Neckar-Region und geben queere Themen auch über unsere Schaufenster-Dekoration einen sichtbaren Platz – wie aktuell zum Pride Month.

Mit eurer Bildsprache brecht ihr klassische Gender-Stereotypen auf, die gerade auch im Schmuckbereich oft sehr deutlich vorherrschen. Habt ihr Tipps für andere Labels, wie sich inklusiver kommunizieren lässt?

Wenn man queer als einen Teil der intersektionalen Kommunikation implizieren will, sollte man beispielsweise Menschen, die queer sind, in sein Team integrieren oder sie als Berater*innen hinzuziehen, wenn man eine neue Kampagne plant. Queer ist dabei nur ein Teil des diversen Spektrums, neben zum Beispiel Hautfarbe (BIPoC), Alter, Geschlecht, Behinderung/Beeinträchtigung und weiteren Merkmalen.

Das eigene Umfeld prägt natürlich den Blick auf andere Menschen. Doch auch, wenn der persönliche Bekanntenkreis weniger divers ist, sollte man versuchen auch mal über den eigenen Tellerrand hinweg zu schauen und aufgeschlossen zu sein.

Wir haben oft das Gefühl, dass ein intersektionaler Ansatz an Modethemen teilweise noch nicht „ankommt”. Wir haben z.B. mal ein Bild, auf dem ein Schwarzer, junger Mann mit Ohrring zu sehen war, gepostet als wir über Schmuck gesprochen haben. Das Bild hatte im Vergleich deutlich weniger Likes. Wie schaffen wir es, als Branche, mehrere Themen mitzudenken und stereotypisches Denken aufzulösen? 

Das können wir leider bestätigen. Wir erleben immer wieder, dass uns Leute entfolgen, wenn wir Bilder posten, die genau diese Stereotype durchbrechen. Das kann schon manchmal frustrierend sein. Andererseits polarisieren wir gerne und verzichten dann lieber auf intolerante oder engstirnige Follower*innen.

Wenn man sich die großen Marken der Fair-Fashion-Branche anschaut, ist da leider wenig mit „divers“ oder „anecken“ – bloß keine kontroversen politischen Themen ansprechen, um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Das finden wir schade, viel mehr Labels sollten den Anspruch und den Mut haben, ein viel breiteres Spektrum an Menschen zu erreichen – Representation Matters!

Bei den meisten kleineren Model-Agenturen findet man fast nur blonde, langhaarige, schlanke, weiße Frauen. Das ist sehr schade und bringt natürlich mit sich, dass viele Labels in der Schmuck- und Mode-Branche ständig den gleichen Typ Model reproduzieren. Aber man muss auch feststellen, dass genau dieser Typus gerade auf Social Media offensichtlich gesehen werden will, da dieser unseren Sehgewohnheiten entspricht. Diese Gewohnheiten gilt es durch mehr Sichtbarkeit diverser Menschen zu verändern.

Ist Nachhaltigkeit in der queeren Szene ein Thema?

Unserer Meinung nach leben queere Menschen genauso viel oder wenig nachhaltig wie andere.

Vielen Dank für das spannende und aufschlussreiche Gespräch.

Habt ihr schon mal über die Repräsentation der queeren Community nachgedacht? Kennt ihr noch weitere queer-owned Brands aus dem deutschsprachigen Raum?

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