„Ein existenzsichernder Lohn ist kein Luxus, sondern ein Menschenrecht.”

Fast täglich führen Unternehmen neue Nachhaltigkeitsinitiativen ein. Ihr Ziel: die (Um-)Welt zu verbessern. Es ist von recyceltem Polyester die Rede, von vermeintlicher Zirkularität und Resale-Plattformen. Von sozialen Komponenten hört mensch hingegen wenig. Anhand einer EU-weiten Kampagne soll dem nun ein Ende bereitet werden: Die Petition „Good Clothes, Fair Pay” ruft zu einem existenzsichernden Lohn in der Textil- und Bekleidungsindustrie auf – ein Punkt, der von der Gesetzgebung bis dato größtenteils ignoriert wird. Im Interview erklärt Carina Bischof von Fashion Revolution Germany, welche Rolle die Kampagne spielt und wie wir alle unseren Teil beitragen können.

Existenzsichernder Lohn: Die Kampagne Good Clothes, Fair Pay forder faire Löhne in der Textil- und Bekleidungsindustrie

Die europäische Bürger*inneninitiative „Good Clothes, Fair Pay” fordert Gesetze, die Modeunternehmen dazu zwingen, eine Due Diligence für einen existenzsichernden Lohn durchzuführen. Dies wäre die erste Gesetzgebung zum existenzsichernden Lohn auf EU-Ebene für Textilarbeiter*innen weltweit. Der einzige Haken: Die Kampagne muss eine  Million Unterschriften sammeln. Wir haben mit Carina Bischof von Fashion Revolution Germany gesprochen, die uns erklärt, was es mit der Kampagne auf sich hat, welches Potenzial zur Veränderung diese hat und wie wir alle unterstützen können.

Carina, du arbeitest bei Fashion Revolution Germany, die mit zahlreichen Partner*innen die Kampagne „Good Clothes, Fair Pay” unterstützt. Wie ist diese Kampagne entstanden und worum geht es konkret?


Carina Bischof: „Die „Good Clothes, Fair Pay”-Kampagne ist eine europäische Bürger*inneninitiative, die sich aus einem Interessenverband mehrerer Organisationen gebildet hat. Dazu gehören unter anderem Fashion Revolution, die Fair Wear Foundation, Fair Trade, Solidaridad, die Kampagne für Saubere Kleidung und die ASN – eine nachhaltige Bank. 

Die europäische Bürger*inneninitiative ist ein einzigartiges Instrument, mit dem Bürger*innen der Europäischen Kommission direkt Rechtsvorschriften vorschlagen können und das in einem Bereich, der in die EU-Zuständigkeit fällt. Die Initiative kann jedoch nur von Privatleuten eingereicht werden und nicht von Organisationen. So wurde die „Good Clothes, Fair Pay”-Petition von 15 Personen eingereicht. Sie fordert existenzsichernde Löhne in der Textil- und Bekleidungsindustrie – und das weltweit.

„Weltweit” ist ein gutes Stichwort, denn auch wenn „Good Pair, Fair Pay” eine europäische Bürger*inneninitiative ist, betreffen die Forderungen die Textil- und Bekleidungsindustrie weit über die EU-Grenzen hinaus.

„Genau – das ist das Besondere an dieser Kampagne. Sie geht über die EU und die Unternehmen, die in der EU herstellen, hinaus. Somit müssten sich alle Unternehmen, die im EU-Raum verkaufen, dafür einsetzen, dass entlang ihrer gesamten Lieferkette die Arbeitsbedingungen rechtmäßig sind.”

Wenn es um existenzsichernde Löhne geht, gibt es verschiedene Methoden, diese zu berechnen. Woran orientiert sich die Kampagne?

„Wir haben mit der Kampagne für Saubere Kleidung zusammengearbeitet, um die Kosten für ein einfaches und angemessenes Leben festzulegen. Hier werden verschiedene Standards und lokale Daten einbezogen. Der Fokus liegt besonders auf den Bereichen Wohnen, dem Zugang zu medizinischer Versorgung und Ernährung. Darüber hinaus muss es eine zusätzliche Absicherung für die Menschen geben – eine, die es den eigenen Kindern ermöglicht, zur Schule zu gehen. Das sind die Kernfaktoren. Die Kampagne plädiert vor allem dafür, dass ein existenzsichernder Lohn kein Luxus ist. Es ist ein grundlegendes Menschenrecht.

 

Die Petition benötigt eine Million Unterschriften, damit die darin enthaltenen Forderungen formell an die EU-Kommission weitergegeben werden können. Was würde passieren, wenn ausreichend  Unterschriften gesammelt werden?

„Wir könnten unsere Forderung direkt an die EU-Kommission adressieren und damit hoffentlich die Rechtslage beeinflussen. Dadurch würde ein grundlegender Schritt zum Aufbau eines gerechteren Modesystems gelegt werden, denn durch eine solche Gesetzgebung könnten Modeunternehmen viel besser, schneller und einfacher zur Rechenschaft gezogen werden. Wir glauben, dass diese Art der proaktiven Politik dem  Schutz von Millionen von Arbeiter*innen dient. 

Die EU kann dazu beitragen, einen positiven Wandel in der Modebranche voranzutreiben. Wir können nicht mehr darauf warten, dass Unternehmen auf freiwilliger Basis das Richtige tun. Es braucht rechtliche Grundlagen.

Was würde die Gesetzgebung, die von der Kampagne gefordert wird, für die Unternehmen bedeuten?

„Die Kampagne fordert Marken und Einzelhändler dazu auf, einen zeitlich begrenzten und zielgerichteten Plan zu erstellen. Dabei wird besonders viel Wert auf die Identifizierung von Risikogruppen gelegt, die sehr stark von Niedriglöhnen betroffen sind – Frauen und Wanderarbeiter*innen zum Beispiel.” 

Inwieweit unterscheidet sich die Forderung der Kampagne vom  deutschen Lieferkettengesetz?

„Die Kampagne spricht auch kleine und mittelständische Unternehmen an. Auf deutscher Ebene betrifft sie somit eine weitaus größere Anzahl an Unternehmen als das Lieferkettengesetz. Damit wäre eine viel größere Veränderung sichtbar, denn auch kleine und mittelständische Unternehmen haben einen relevanten Anteil an unserem Wirtschaftssystem.”

Was bedeutet die Kampagne für Konsumierende?

„Konsumierende können die EU dank der Initiative aktiv auffordern, Rechtsvorschriften zu existenzsichernden Löhnen in der globalen Textilindustrie aufzusetzen. Ungeachtet dessen, ob die Kampagne am Ende erfolgreich ist oder nicht, hat sie sehr viel Potenzial, öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema existenzsichernde Löhne zu lenken.” 

Aktuell habt ihr etwa 55.000 Unterschriften gesammelt. Wie geht es nun weiter?

„Bürger*inneninitiativen wie unsere haben genau ein Jahr Laufzeit. Es ist also gut, dass wir die 50.000 Unterschriften bereits geknackt haben. Die Zielrichtlinien werden allerdings nach der Einwohner*innenzahl der jeweiligen Länder berechnet. Für Deutschland bedeutet das also 50.000 Unterschriften  pro Monat. Davon sind wir leider noch weit entfernt. Aktuell geht es  vor allem darum, unser Netzwerk zu vergrößern. Dafür nutzen wir unterschiedliche Möglichkeiten und Kommunikationswege, um herauszufinden, wie  wir die meisten Menschen erfolgreich erreichen. Was uns zugutekommt, ist, dass die Kampagne gut online funktioniert. 

Dennoch habe ich das Gefühl, dass wir vor allem in Deutschland immer noch sehr viel offline versiert sind. Deshalb versuchen wir aktuell, den Kontakt zwischen unseren lokalen Städte-Ambassadoren, den lokalen Greenpeace-Gruppen und Fridays for Future-Gruppen zu stärken, denn diese Organisationen unterstützen uns ebenfalls. Wir wollen aktivistischer werden, auf die Straße gehen, eigene Demos organisieren.”

Danke für das spannende Gespräch, Carina.

So könnt ihr die „Good Clothes, Fair Pay“-Kampagne unterstützen

„Good Clothes, Fair Pay“ ist eine Kampagne, die Rechtsvorschriften für existenzsichernde Löhne in der Bekleidungs-, Textil- und Schuhbranche fordert. Um diese Forderung formell an die EU-Kommission zu adressieren, braucht es eine  Million Unterschriften von EU-Bürger*innen – 600.000 davon allein in Deutschland.

So kannst du die Kampagne unterstützen:

Mehr Informationen zur Kampagne findest du in den FAQs

Über Carina Bischof

Carina Bischof ist Vorsitzende und Geschäftsführerin des Fashion Revolution Germany e.V. Als überzeugte Aktivistin für eine zukunftsfähige Mode möchte sie mit ihrer Arbeit ihren Beitrag für einen positiven Wandel in der Modeindustrie leisten.

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