Welchen Impact hat Recommerce wirklich?

Recommerce gilt als besonders nachhaltig. Der Wiederverkaufsmarkt wächst stetig und somit launchen auch immer mehr Labels eigene Resale-Plattformen. Doch wie kann der Nachhaltigkeitsaspekt von Secondhand bemessen werden? Und ist Recommerce nun die ultimative Lösung, um einen umweltfreundlichen Kreislauf zu schaffen oder hält sich der reale Impact in Grenzen?

In diesem Deep Dive zum Thema Recommerce und ökologische Nachhaltigkeit gibt es Input von:

Take-Aways
  • Der globale Wiederverkaufsmarkt wird aktuell auf 100 bis 120 Milliarden US-Dollar geschätzt. 
  • Obwohl Recommerce an Beliebtheit gewinnt und immer mehr Unternehmen eigene Plattformen und Programme starten, fehlt es an Willen, strukturelle Probleme anzugehen. Kaum ein Resale-Programm enthält Strategien zu Themen wie Überproduktion, Ausbeutung und Degrowth.

Der Kauf und Verkauf von Secondhandmode ist kaum mehr wegzudenken: Untersuchungen von Business of Fashion zeigen, dass mehr als die Hälfte der Konsumierenden in westlichen Märkten wie Frankreich, Deutschland, den USA und Großbritannien schon einmal Secondhand gekauft haben. Und es gibt viel Raum für weiteres Wachstum: Business of Fashion prognostiziert, dass der Secondhandmodemarkt allein in den USA von geschätzten 27 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 auf 67 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025 steigen könnte. Eine aktuellere Studie vom US-amerikanischen Resale-Unternehmen ThredUp geht sogar davon aus, dass er sich bis 2026 auf 82 Milliarden US-Dollar (also rund 77 Milliarden Euro) verdoppelt.

Die Beratungsfirma KPMG hielt in der Studie Fashion 2030 – Trend-Guide für die Zukunft der Modebranche in Deutschland” vergangenes Jahr fest, dass Secondhand in Deutschland bis 2030 einen Marktanteil von 20 Prozent einnehmen könnte. Secondhand boomt und immer mehr Labels drängen auf den Markt. Schließlich ist Secondhand nicht nur beliebt, sondern hat auch den Ruf, besonders nachhaltig zu sein. Aber gebrauchte Hosen und Handtaschen online zu verkaufen – und damit Gewinne zu erzielen – ist immer noch eine große Herausforderung, vor allem angesichts der zahlreichen Krisen und der damit zusammenhängenden Inflation. Warum entscheiden sich trotzdem immer mehr Marken und Einzelhändler für den Markteintritt? Und wie wird der Impact von Resale wirklich gemessen?

Die Welt des Recommerce

Laut KPMG gilt Recommerce als Megatrend – also ein globaler Trend, der zu großen und langfristigen Veränderungen führt. In einer neuen Studie aus dem Jahr 2022 von der Resale-Plattform Vestiaire Collective in Zusammenarbeit mit Boston Consulting Group, einer US-amerikanischen Unternehmensberatung, geben 40 Prozent der Befragten an, Nachhaltigkeit sei die treibende Kraft hinter ihrem Kauf. Im Durchschnitt seien mittlerweile rund 25 Prozent der Garderobe Secondhand. Es wird prognostiziert, dass dieser Anteil bis 2023 auf 27 Prozent steigen wird. Mit einem geschätzten Wert von 100 bis 120 Milliarden US-Dollar weltweit hätte sich der Wiederverkaufsmarkt für Bekleidung, Schuhe und Accessoires seit 2020 damit fast verdreifacht und zeigt keine Anzeichen einer Verlangsamung.

Recommerce in Zahlen
  • Laut KPMG könnte Secondhand in Deutschland bis 2030 einen Marktanteil von 20 Prozent einnehmen.
  • Im Durchschnitt seien laut KMPG mittlerweile rund 25 Prozent der Garderobe der deutschen Konsument*innen Secondhand. Dieser Anteil könnte 2023 auf 27 Prozent steigen.
  • Mit einem geschätzten Wert von 100 bis 120 Milliarden US-Dollar weltweit hätte sich der Wiederverkaufsmarkt für Bekleidung, Schuhe und Accessoires seit 2020 damit fast verdreifacht und zeigt keine Anzeichen einer Verlangsamung.

 

Recommerce auf der Überholspur

Die Resale-Welt ist aufgeteilt in Plattformen, die gebrauchte Kleidung selbst lagern und verkaufen wie Momox Fashion und Vite en Vogue sowie Peer-to-Peer-Marktplätze von Privatverkäufer*innen und -käufer*innen wie Depop und Vinted und hybride Modelle à la Vestiaire Collective, Sellpy, About You Second Love und Zalando Zircle.

Mittlerweile springen aber auch immer mehr Modemarken auf den Zug des Recommerce auf und bieten Secondhand on- und offline an: von Luxushäusern wie Valentino und Gucci über (Ultra)-Fast-Fashion-Unternehmen wie H&M und Zara. Die in Großbritannien ansässige Ultra-Fast-Fashion-Marke PrettyLittleThing gab im September 2022 bekannt, dass sich in den ersten Wochen nach dem Resale-Start mehr als 100.000 Menschen angemeldet und ihre Secondhand-Marktplatz-App heruntergeladen haben.

Shein hat unterdessen in den USA einen In-App-Marktplatz gestartet, der es Kund*innen ermöglicht, ihre Shein-Kleidung weiterzuverkaufen. Für manche Artikel legt Shein einen Höchstpreis fest, den Verkäufer*innen nicht überschreiten können. Außerdem verlangt das Unternehmen fünf Prozent des Erlöses. Der chinesische Ultra-Fast-Fashion-Gigant, der online täglich knapp 6.000 neue Produkte hochlädt, erwartet sich von dem Pilotprogramm jedoch laut eigener Aussage keinen Gewinn. Der „zirkuläre“ Schritt solle ein tugendhaftes Konsumverhalten fördern und die Verschwendung von Kleidung reduzieren.

In der Zwischenzeit hat Zara eine eigene Online-Recommerce-Plattform in Großbritannien eröffnet und bietet gleichzeitig Reparatur- und Spendendienste an. Interessanterweise gilt Zara als eine der beliebtesten Secondhandmarken in ganz Europa, wie eine Umfrage des deutschen Rabattgutschein-Unternehmens Savoo ergab, welche die am häufigsten gelisteten Marken auf Wiederverkaufsplattformen sowie die führenden Länder für nachhaltige Einkaufspraktiken ermittelt. Zara (welches zu Index gehört) verzeichnet über 670.000 Angebote bei Depop, eBay, Vestiaire Collective und ASOS Marketplace und ist somit Europas beliebteste Secondhandmarke. Die Studie geht zwar nicht darauf ein, das Ergebnis deutet aber darauf hin, dass die Leute zu viele Zara-Produkte im Kleiderschrank haben und diese nun privat weiterverkaufen.

Fair-Fashion-Marken skalieren ihre Recommerce Plattformen

Auch Fair-Fashion-Marken rücken auf dem Secondhandmarkt nach. Nachdem größere Unternehmen wie Patagonia und Eileen Fischer schon seit mehreren Jahren Resale betreiben, wagen nun auch kleinere Labels den Schritt. So bieten mittlerweile auch Armedangels, Jan ‘n June und Dariadéh ihre eigenen Produkte secondhand an – alle drei über den Recommerce-Anbieter reverse.supply. In der Produktkategorie „Frauen” werden beispielsweise zwischen 80 und 200 Produkten angeboten, bei „Männern” sind es zwischen 30 und 60 Artikeln. 

Unser Secondhandshop wird sowohl von Bestands- als auch Neukund*innen genutzt”, so Armedangels. Die Verteilung sei dabei sehr ausgeglichen und das Feedback bisher positiv. Recommerce eröffnet einer weiteren Zielgruppe den Zugang zu unseren Produkten. Für uns ist es ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung einer zirkulären Zukunft, neben Repair-Angeboten und der Verwendung recycelter Fasern.”

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Warum Secondhand immer beliebter wird

Es gibt viele Gründe, warum sich so viele Unternehmen am Resale-Markt positionieren wollen. Zum einen wird, wie die anfangs zitierten Zahlen zeigen, die Nachfrage immer größer. Das Rebranding von Secondhandmode, die einst für bedürftige Menschen bestimmt war, läutete eine Phase der Entstigmatisierung ein und modebegeisterte Shopper*innen machten den Weiterverkauf zum Mainstream. Dabei gilt Secondhand als besonders nachhaltig, da es weniger ressourcenintensiv ist. Zum anderen helfen spezialisierte B2B-Unternehmen wie reverse.supply beim Aufbau eigener Wiederverkaufskanäle. Das Resultat: mehr Produkte zum Verkaufen, benutzer*innenfreundliche Funktionen, reibungsloser Verkauf. 

Der Umsatz steigt

Die Verarbeitung und Auflistung tausender einzigartiger Artikel erfordert eine komplizierte Logistik, die nicht einfach automatisiert werden kann. Jeder Artikel, der auf einem Secondhand-Marktplatz verkauft wird, muss sortiert, bewertet, fotografiert und beschrieben werden. Wiederverkäufer wie Momox, die hunderte verschiedene Marken anbieten, haben riesige Lager, in denen ein Teil dieser Arbeit automatisiert ist. Dabei wird auch viel in Marketing und die Verbesserung des Shopping-Erlebnisses investiert. Und das zahlt sich aus: Momox steigerte seinen Umsatz im Jahr 2021 auf 335 Millionen Euro. Die Fashion-Kategorie verzeichnete dabei einen Umsatz von 60 Millionen Euro, wobei die Kategorien Bücher und Medienartikel mit 275 Millionen Euro weiterhin die treibende Kraft des Umsatzes bleiben. Das ist nicht sonderlich überraschend, da Momox schließlich mit dieser Kategorie angefangen hat. Mode kam erst später dazu.

Mit unserem Geschäftsmodell haben wir bereits mehr als 350 Millionen Artikeln mindestens einen weiteren Lebenszyklus beschert”, erklärt Heiner Kroke, CEO und Vorstandsvorsitzender bei Momox. Bereits 84 Prozent der Secondhand-Shoppenden in Deutschland haben in unserem aktuellen Second Hand Fashion Report 2022 angegeben, dass der Kauf von Secondhandartikeln für sie den Neukauf eines Kleidungsstücks ersetzt hat.”

Von September 2021 bis November 2022 hat Momox mit der CO₂-Management-Software Planetly by OneTrust zusammengearbeitet, um den zirkulären Gebrauch von Kleidung zu verfolgen. „Auf Basis der Ergebnisse können wir unsere Maßnahmen zur CO₂-Reduktion weiter ausbauen. Dies ist ein wichtiger Aspekt in unserer Nachhaltigkeitsstrategie”, so Heiner Kroke. Die Auswertung für das Jahr 2022 ist jedoch noch nicht komplett, da Planetly aus finanziellen Gründen im November 2022 geschlossen wurde.

Versteckte Emissionen beim Mieten durch Reverse Logistics und Reinigung

Ein Geschäftsbereich von Recommerce ist unter anderem auch Rental. Vermietplattformen haben alle üblichen Herausforderungen eines Einzelhändlers: Lagerhaltung des richtigen Inventars zum richtigen Preis, Marketing und Kund*innenservice. Hinzu kommt, dass die sogenannte Reverse Logistics (also wenn Kund*innen Artikel an Verkäufer*innen zurücksenden) einen großen Teil des Geschäftes ausmacht. Und genau hier werden viele Emissionen verbraucht.

Eine in Finnland veröffentlichte Studie aus dem Jahr 2021 bewertete die Umweltauswirkungen von fünf verschiedenen Arten des Besitzens und Entsorgens von Kleidung, einschließlich Miete, Wiederverkauf und Recycling. Es stellte sich heraus, dass das Mieten von Kleidung die höchsten Klimaauswirkungen von allen hatte. Als versteckte Umweltkosten erwiesen sich Liefer- und Verpackungskosten: Das Mieten ist mit einem großen Transportaufwand verbunden, da die Kleidung zwischen dem Lager und dem Mieter hin und her gebracht wird. Chemische Reinigung ist auch schädlich für die Umwelt.

Liefermethoden ändern und Reinigung anpassen, um Emissionen zu reduzieren

Dabei kann es sich lohnen, in moderne Technologie zu investieren. Ein Großteil der Vertriebskapazität der US-amerikanischen Mietplattform Rent the Runway ist mittlerweile automatisiert: Maschinen, die automatisch erkennen, welche Art von Reinigung die zurückgegebenen Artikel benötigen, oder elektronische Etiketten, die den Standort und Status jedes Artikels in Echtzeit verfolgen. Um die Margen zu verbessern und Emissionen einzusparen, können Vermietdienste in Betracht ziehen, die Liefermethoden zu wechseln, sich auf leichter zu reinigende Produkte wie Handtaschen zu konzentrieren und zusätzlich den Wiederverkauf anzubieten.

Letzteres macht die Mietplattform Ward’robe Affaire. „Obwohl wir ursprünglich als reine Mietplattform gestartet sind, hat sich relativ schnell herausgestellt, dass unsere Kund*innen auch ein großes Interesse an dem Kauf der Secondhandprodukten haben und dem wollten wir absolut nicht im Wege stehen”, erklärt Gründerin Ivana Perbi-Ohlheiser. „Durch die Umstellung des Geschäftsmodells muss aber natürlich auch wieder die entsprechende Kommunikation an die Kund*innen stattfinden, damit sie sich all ihrer Optionen bewusst werden.” Außerdem sieht die Unternehmerin großes Potenzial im Ausbau von stationären Angeboten, vor allem beim Mietkonzept, „da viele Kund*innen die Produkte zuerst anprobieren möchten.” 

Welchen ökologischen Impact hat Recommerce wirklich?

Recommerce Bemühungen gehen einher mit den Behauptungen der Zirkularität und der geringeren Umweltbelastung. In der Pressemitteilung des Wiederverkaufsstarts von Hugo Boss hieß es beispielsweise, dass Secondhandkäufe im Durchschnitt 44 Prozent weniger CO₂-Emissionen verursachen als Neukäufe.

Doch die Berechnung der gesamten Nachhaltigkeitsauswirkungen von Recommerce in der Textilbranche ist nahezu unmöglich. Schließlich gibt es viele Variablen, die zum individuellen Fußabdruck eines Kleidungsstücks beitragen: die Länge und Art des Transports und der Reinigung; ob Konsumierende den Wiederverkauf als direkten Ersatz für den Kauf neuer Kleidung betrachten; inwieweit Marken eine Reduktion von neuen Produkten planen. Letzteres mag die größte Einzelkennzahl zur Bestimmung der Umweltvorteile des Weiterverkaufs sein, aber diese Variable wird kaum auf Branchenebene verfolgt.

Das Outdoor-Label Patagonia ist in diesem Zusammenhang eine mögliche Ausnahme und kündigte an, es sei ein Ziel, dass Recommerce in Form von Secondhandprodukten die zukünftige Produktion neuer Artikel ersetzen soll.

Der vermeintliche Impact der sogenannten Replacement Rate

Die meisten Marken betrachten den Wiederverkauf als eine Möglichkeit, die Langlebigkeit ihrer Produkte zu verlängern. Dieses Zirkularitätsmodell soll dazu beitragen, CO₂, Abfall und Wasser zu reduzieren und die Umweltauswirkungen insgesamt zu minimieren. Momox orientiert sich zum Beispiel an der sogenannten Replacement Rate, also jener Rate, zu welcher der Kauf eines Secondhandkleidungsstücks den Kauf eines neuen Kleidungsstücks ersetzt. In einer Momox-Umfrage aus dem Jahr 2020 gaben knapp 60 Prozent der 699 Teilnehmenden an, dass der Kauf eines Secondhandkleidungsstücks, den eines fabrikneuen Kleidungsstücks ersetzt habe. Um zu bemessen, wie viel CO₂ durch den Secondhandkauf eingespart wird, orientiert sich Momox an den durchschnittlichen CO₂-Werten, die bei der Herstellung eines Produktes entstehen, und berücksichtigt dabei die 60-Prozent-Replacement-Rate. So kommt Momox unter anderem zu folgenden Ergebnissen: Bei Jacken werden im Durchschnitt 10,3 Kilogramm CO₂ eingespart, bei Jeans sind es 5,5 Kilogramm und bei T-Shirts 1,3 Kilogramm.

Unterdessen möchte Zalando mit seinem Resale-Programm Zalando Zircle die Lebensdauer von mindestens 50 Millionen Modeprodukten verlängern – und das bis 2023. Ob dieses Ziel Realität geworden ist, konnte uns Zalando aus Kapazitätsgründen aktuell nicht beantworten. Laut der Webseite hat sich das Produktsortiment seit dem Launch im September 2020 von 20.000 auf über 500.000 Modeartikel vergrößert.

Forschende sind sich uneinig, wie sie die Replacement Rate deuten sollten, da sie zeitgleich auch den sogenannten Rebound-Effekt von Secondhandkleidung untersuchen. Als Rebound-Effekt wird die Konsumsteigerung an einer Stelle bezeichnet, die durch die Senkung technologischer, finanzieller, ökologischer oder gesellschaftlicher Barrieren an einer anderen Stelle verursacht wird. So kann der Konsum von Secondhand einen positiven Beitrag zur Umwelt leisten, indem er die Produktnutzung intensiviert und die Lebensdauer des Produkts verlängert, während er gleichzeitig Rebound-Effekte durch den Mehrverbrauch vieler kostengünstiger Kleidung erzeugt. Es gibt also Gründe zu der Annahme, dass Rebound-Effekte der CO2-Reduzierung entgegenwirken können, indem sie den Gesamtkonsum von Kleidung erhöhen und dadurch letztlich mehr CO2 verbrauchen.

Der nachweisliche Impact lässt (bisher) zu wünschen übrig

Alte Kleidungsstücke zu neuem Leben zu erwecken, ist zwar eine Möglichkeit, mit Textilmüll umzugehen, aber damit materielle Nachhaltigkeitsvorteile erzielt werden können, müssen Marken erklären, ob und wie sie erwarten, dass der Weiterverkauf ihren gesamten ökologischen Fußabdruck als Unternehmen verbessert und inwiefern Neuproduktion dadurch verringert wird. Und das tun aktuell nur wenige. Der Zusammenhang zwischen Secondhand und Neu- oder gar Überproduktion wird bei Wiederverkaufsstrategien selten erwähnt. Führt Recommerce letztlich zu einer Entschleunigung von Warenströmen? Wohl kaum, wenn man sich aktuelle Zahlen ansieht und miteinander vergleicht. Viele Marken, darunter Diesel und Armedangels bieten Kund*innen über ihre Wiederverkaufsplattformen Ladenkredite an, die gleichzeitig zu mehr Konsum anregen. Es ist schwierig in diesem Zusammenhang über Degrowth zu sprechen.

Eine im November 2022 veröffentlichte Studie des Hot or Cool Institute, einem gemeinnützigen Think-Tank, analysiert den Modekonsum in den G20-Ländern und kam zu dem Entschluss, dass die Reduzierung des Kaufs neuer Kleidung die effektivste Maßnahme sei, um den CO₂-Fußabdruck des Modekonsums zu verringern. Die Einsparungen wären mehr als viermal höher als bei der nächstbesten Lösung – nämlich der Verlängerung der Nutzungsdauer von Kleidungsstücken – etwa durch Recommerce. Zudem, so heißt es, entstehen im Durchschnitt etwa zehn Prozent der Emissionen, die in der Entsorgungsphase von Kleidungsstücken entstehen, durch Secondhandspenden und -Exporte. 

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Secondhandprogramme müssen holistischer gedacht werden

Während der Wiederverkauf einen Weg zur Verlängerung der Lebensdauer gebrauchter Kleidung bietet, berücksichtigt das Modell nicht unbedingt, was mit der Kleidung passiert, wenn sie weggeworfen wird, und garantiert vor allem nicht, dass Kleidung von Anfang an nachhaltiger hergestellt wird. Ob der Wiederverkauf die Gesamtauswirkungen der Textil- und Bekleidungsindustrie verringern wird, hängt also stark davon ab, ob und wann Marken ihn nutzen, um größere, strukturelle Probleme anzugehen, die in der Branche tief verwurzelt sind, wie etwa schädliche Herstellungspraktiken und die branchenweite Überproduktion und Ausbeutung. 

Geschäftsmodelle müssen insgesamt überdacht werden

Somit müssen die zahlreichen Pilotprogramme idealerweise Strategien hervorbringen, die bestehende Geschäftsmodelle neu denken und nicht nur ergänzen. Laut Expert*innen sei es besonders wichtig, dass Marken nach Möglichkeiten suchen, die End-of-Life-Phase für alle ihre Produkte zu verwalten und wie sie mit Kleidungsstücken umgehen, die nicht weiterverkauft werden (können).

Letztlich liegen bisher jedoch nur wenige Daten vor, um zu verstehen, wie sich Recommerce in Form von Second Hand wirklich auf das Konsumverhalten auswirkt. Aus dem Bericht des Hot or Cool Institute geht eines aber deutlich hervor: Um durch Modekonsum einen Beitrag zum 1,5 Grad-Ziel zu leisten, sind die folgenden drei Bemühungen erforderlich:

  • absolute Reduzierung des Konsums mit hoher Umweltbelastung (zum Beispiel die Reduzierung des Kaufs neuer Kleidung);
  • eine Verlagerung hin zu nachhaltigeren Optionen (zum Beispiel der Kauf von gebrauchter statt neuer Kleidung);
  • Effizienzverbesserungen (zum Beispiel durch den Wechsel zu weniger kohlenstoffintensiven Fasern).

Wo keine Qualität, da kein Wiederverwertungswert

Ende November 2022 verkündete die Resale-Plattform Vestiaire Collective, es biete keine Fast Fashion mehr an. Fast Fashion hätte keinen Wert, und noch weniger beim Wiederverkauf, erklärte Dounia Wone, Chief Impact Officer von Vestiaire Collective. So lehnt das Unternehmen die immerzu sinkende Qualität von Kleidung ab. 

Auch bei Momox steht die Qualität der Kleidung im Fokus. „Wir kaufen Secondhandkleidung von Privatpersonen an und verkaufen diese Stücke anschließend in unserem Onlineshop weiter”, berichtet Heiner Kroke. „Damit das funktioniert, ist die Qualität der eingesendeten Stücke natürlich entscheidend. Niemand will fleckige Blusen oder Hosen mit offenen Nähten kaufen und tragen. Daher suchen wir immer die Balance zwischen Anforderungen unserer Kund*innen und den Bedürfnissen der Verkäufer*innen. Wir haben gemerkt, dass unsere Kund*innen eher Kleidung in einem sehr guten oder guten Zustand kaufen. Daher können wir in Zukunft leider keine Kleidungsstücke mit selbst ,kleinen Schönheitsfehlern’ mehr ankaufen.”

Wie gehen andere Unternehmen mit der sinkenden Qualität von Kleidung um, beispielsweise Sammler und Sortierer?

Für Sammler und Sortierer ist die sinkende Qualität von Alttextilien eine Herausforderung, da sich ihr heutiges Geschäftsmodell durch den Verkauf möglichst hochwertiger Secondhandware trägt”, berichtet Amrei Becker, Wissenschaftlerin am Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen. „Der Anteil hochwertiger Alttextilien in der Sammlung sinkt aktuell, vor allem durch minderwertige Bekleidungstextilien – unter anderem durch Fast- und Ultra-Fast-Fashion.”

Ein mögliches neues Geschäftsfeld stellt jedoch der Verkauf von (noch) nicht wiederverwendbaren Textilien an Recyclingunternehmen dar. „Das gibt es teilweise schon heute, wie etwa bei Denim-Textilien, die mechanisch recycelt werden und für Isolierungen im Automobil Einsatz finden oder Wolltextilien, die zum einen nach der Art der Wolle, aber auch nach Farbe manuell und somit sehr aufwendig sortiert werden. Für den Verkauf an Recycler müssen solche Textilien nach Materialien oder Materialmischungen vorsortiert werden. Zur Vorbereitung zum Recycling werden zum Beispiel Reißverschlüsse oder Knöpfe abgetrennt. Sortierer könnten die material-basierte Sortierung sowie die Abtrennung von Kurzwaren in ihr Geschäftsmodell aufnehmen.” 

Beckers Schätzung nach, sei dieser Vorgang aber nicht kostendeckend, weil es zum einen keine industriellen Recycler gibt, die dieses Material kaufen würden und zum anderen die Kosten für die Sammlung und (manuelle) Sortierung so hoch seien, dass sie sogar bezweifle, dass Recycler diese Kosten alleine tragen würden. 

Was bedeutet das also für die Zukunft? „Wenn die Qualität von Alttextilien weiter sinkt, bräuchte es meiner Meinung nach entweder Subventionen, die die material-basierte Sortierung von Recycling-Qualitäten kostengünstig halten oder die Bereitschaft von Recyclern, die sortierten Textilien zu einem relativ hohen Preis zu kaufen, weil sie wissen, dass sie auch ihre Rezyklate zu einem hohen Preis weiterverkaufen können.”

Recommerce ohne Neuproduktion zu überdenken, ist nur ein kleiner Teil der Lösung

Recommerce hat sich vor allem in den letzten paar Jahren zu einem zentralen Bestandteil des Geschäftsmodells von Modeunternehmen entwickelt und ist somit gekommen, um zu bleiben. Der Wiederverkauf hat sich von einer Nische zu einem Teil des Mode-Mainstreams entwickelt. Und damit können wir den Wert des Recommerce nicht leugnen: Die Wiederverwendung und das Recycling von Kleidung ist ein wichtiger Teil der Lösung, um die negativen Auswirkungen der Textil- und Bekleidungsindustrie zu reduzieren.

Letztlich bleibt es aber nur ein Teil. Um die Industrie wirklich nachhaltig und langfristig zu verändern, gelingt es nur in Verbindung mit der viel unbequemeren Herausforderung – nämlich weniger neue Produkte herzustellen, diese dafür aber umso umweltbewusster zu produzieren. Vor allem aber bleibt es schwierig, an aussagekräftige Daten zu kommen, die zeigen, dass Recommerce nachweislich CO₂ einspart.

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