Am 16.11. fand der erste Fashion Changers Think Tank statt. In einem eintägigen Workshop beschäftigten wir uns mit der Frage: Wieso ist die (faire) Modebranche in Bezug auf Schönheitsbilder, Gender und Repräsentation von BIPoC so homogen? Was kann für mehr Diversität getan werden?
Die Motivation dahinter: Wieso macht Fashion Changers ein solches Event?
Drei weiße, priviligierte Frauen initiieren ein Event, das sich mit Diversität beschäftigt und man fragt sich zurecht: warum? Als wir mit Fashion Changers angefangen haben Events zu organisieren und Podiumsdiskussionen auf die Beine zu stellen, dämmerte uns mehr und mehr, wie weiß und female unsere „Bubble“ ist. Wir merkten, dass wir kaum BIPoC (Black/Indigenous/People of Color) in den eigenen Reihen haben, keine Menschen mit Behinderung sehen und größere Größen in der Fair Fashion-Szene Mangelware sind. Uns war klar, dass wir dieses Thema ansprechen müssen, da wir mit unseren Events eine Strahlkraft haben und damit auch eine Verantwortung tragen, verschiedene Perspektiven aufzuzeigen.
Für den Think Tank konnten wir tolle Speakerinnen gewinnen, die in ihren Vorträgen wichtige Anstöße gaben, die anschließend in zwei Workshopgruppen diskutiert wurden, um Herausforderungen zu besprechen und neue Lösungsansätze für mehr Diversität in der (fairen) Modebranche zu finden. In diesem Artikel fassen wir einige Inhalte der Vorträge zusammen. Die Ergebnisse der Workshopgruppen arbeiten wir in den nächsten Wochen auf, um sie gemeinsam mit den Ergebnissen unserer Umfrage (die aktuell auch noch läuft!) in einem E-Book verfügbar zu machen.
Mode, Gender und Feminismus
Sonja Eismann führte tief in die Modegeschichte ein und leitete für uns her, woher die extreme Aufteilung von Geschlechtern in der Mode überhaupt kommt. Im Bürgertum trugen Männer plötzlich Hosen, um sich vom Adel abzuwenden und lehnten Röcke ab, die in der Folge dann nur noch von Frauen getragen wurden. Sonja zeigte außerdem viele tolle Beispiele von Menschen, die Mode und Gender anders denken. Sie kam immer wieder darauf zurück, dass Mode vielmehr ist als nur Kleidung auf der Haut. Mode bedeutet zugehörig sein (oder eben auch ausgeschlossen werden) und besitzt ein utopisches Potenzial. Mode kann somit unsere Welt neu denken. Sie zeigte uns zum Beispiel den Revolution Suit, den eine Designerin kreiert hatte, um im Falle einer Revolution gut gekleidet zu sein.
Sonja sprach außerdem über die Kapitalisierung des Feminismus und wie Firmen feministische Slogans nutzen, um Profit zu schlagen und ihr Image aufzupolieren. Sie stelle die Frage in den Raum: Wo führt das hin? Bringt das der Bewegung wirklich was?
Sonja brachte weitere wichtige Fragen auf den Tisch:
Wer hat die Macht? Wer bestimmt die Mode?
Was macht eigentlich unser westlich geprägter Blick auf die Mode? Sonjas Prognose: das wird sich in den nächsten Jahren verschieben, da marginalisierte Märkte nun „kommen“.
Wie definieren wir uns über Mode? Warum ist Mode Status?
Sonja Eismann ist Mitgründerin und -herausgeberin sowie Redakteurin beim Missy Magazin, das Magazin für Pop, Politik und Feminismus. Die Journalistin und Kulturwissenschaftlerin schreibt, referiert, forscht und unterrichtet zu Themen rund um Feminismus und Popkultur. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Repräsentation von Geschlecht in der Populärkultur, Dritte-Welle-Feminismus, gendersensibles (pop)journalistisches Schreiben, Do-It-Yourself-Kulturen und Modetheorie. Zudem ist sie Autorin und Herausgeberin diverser Bücher, u.a. „absolute fashion“ (2012), „Ene Mene Missy. Die Superkräfte des Feminismus“ (2016) und „Wie siehst du denn aus? Warum es normal nicht gibt“ (2020).
Mode, Körper und Schönheit
Sema Gedik sprach zunächst über die Entstehung von Schönheitsidealen: Was bedeutet überhaupt Schönheit? Wer ist mitgemeint, wenn es um Schönheit geht?
Sie zitierte unter anderem Ninia la Grande, was sie unter Schönheit verstehe:
„Wann fühle ich mich schön? Wenn innerlich im Reinen und stressfrei bin – und nicht gerade meine Periode habe – dann fühle ich mich schön. Oft auch, wenn ich gute Musik höre oder einen erfolgreichen Auftritt hatte – das übertraägt sich dann auf die gefühlte Ausstrahlung“ – Ninia La Grande
Eine der zentralen Fragen von Sema Gedik ist: Warum denkt Schönheit nur in Konfektionen? Um diesen Normen entgegen zu wirken, arbeitet sie mit ihrem Label Auf Augenhöhe an der Entwicklung einer eigenen Konfektionierung für kleinwüchsige Menschen (1XS – XL, 2XS – XL, 3XS – XL – die Zahl steht jeweils für die Körpergröße)
Wir diskutierten außerdem über den Begriff „Sondergrößen“ und warum dieser eher ausschließt und diskriminierend ist und darüber, ob es Sinn macht, einfach ein neues Modelabel zu machen oder lieber bestehende Labels neue Konfektionierungen aufnehmen sollten. Auf Augenhöhe arbeitet dafür aktuell zum Beispiel mit Tommy Hilfiger zusammen. Generell sollte die Branche das Verständnis von Körpern generell neu denken.
Wer bekommt Zugang zur Modewelt (und wer nicht)?
Wie schaffen wir es, marginalisierte Gruppen zu inkludieren?
Was bedeutet Exklusion in der Inklusion?
Sema Gedik ist CEO und Gründerin von dem Label AUF AUGENHOEHE. 2013 war es ihre Idee, das erste Label für kleinwüchsige Menschen ins Leben zu rufen. Anstoß dafür war ein Gespräch mit ihrer kleinwüchsigen Cousine Funda, die ihr erzählte, welche Probleme sie beim Kleiderkauf hatte. Um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, hat sie unter anderem die weltersten Konfektionsgrößen für Menschen mit Achondroplasie entwickelt und forschte dafür mehrere Jahre bis zur Gründung des Labels 2017. Sie ist Geschäftsführerin und vertritt das Unternehmen in der Öffentlichkeit. Zusätzlich übernimmt sie das Design der Produktlinien. Durch ihre Arbeit mit AUF AUGENHOEHE will Sema nicht nur kleinwüchsigen Menschen die Partizipation an einer gleichberechtigten Modewelt ermöglichen, sondern auch auf soziale Ausgrenzung und Benachteiligung aufmerksam machen.
Repräsentation von BIPoC in den (Mode-)Medien
Kemi Fatoba berichtete zunächst, wie es zur Mitarbeit an der Vogue-Kampagne „Warum Sichtbarkeit das Wichtigste ist“ gekommen ist und warum sie erst skeptisch war. Sie bestand darauf, dass nicht nur vor der Kamera Diversität herrschen muss, sondern auch dahinter. Das Team selbst war dann tatsächlich auch sehr divers. Trotzdem sind ihnen sind „Fehler“ unterlaufen. Zum Beispiel hatten sie an einem Shooting-Tag nicht bedacht, dass sie mehrere Hijabi-Models da haben und nicht genug Outfits, um Modest Fashion gerecht zu werden.
Kemi sprach darüber, dass das große Problem ist, dass sich viele Firmen jetzt Diversität auf die Fahnen schreiben, diese aber nicht wirklich leben, weil die Chefetagen nach wie vor häufig weiß (und männlich) sind und es somit nie zu wahrer Vielfalt kommen kann.
Ein wichtiger Punkt: Es muss unbedingt vermieden werden, dass diverse Menschen nicht als Token fungieren und somit eigentlich nur Stereotype bedient werden. Eine Person kann nie für eine ganze Gruppe von Menschen sprechen oder exemplarisch dafür stehen. Oft geraten Diversitätskampagnen in Klischees, was es unbedingt zu vermeiden gilt. Das grundlegende Problem ist Rassismus. So lange sich dies nicht ändert, wird sich auch in der Darstellung nichts ändern.
Kemi Fatoba ist freie Journalistin und Content-Strategin. Sie ist die Mitgründerin von DADDY, ein Berliner Onlinemagazin, das sich auf Identitätspolitik, Diversität und Stereotype fokussiert. Kemi kommt ursprünglich aus Wien, wo sie Kommunikationswissenschaften studiert hat, lebte vorübergehend in London und jetzt in Berlin. Sie berät Unternehmen, wie diese besser mit ihren vielfältigen Kund*innen kommunizieren können. Sie schreibt u.a. für Vogue Deutschland, Zeit Online und i-D. Sie setze u.a. die Diversity-Kampagne bei Vogue um, die den Hashtag #representationmatters trug und Diversität in die Mitte der (Mode)Gesellschaft trug.
Vielen Dank außerdem an Sirplus, die uns gerettetes Essen und Inju, die uns die FLASH Limonade zur Verfügung gestellt haben.
Fotos: © Melanie Hauke
Mehr Fotos vom Think Tank findest du auf unserer Facebookseite.