Warum du Textilsiegel hinterfragen solltest

Nachhaltigkeit ist in aller Munde und es scheint, als würden nach und nach auch Großunternehmen und Konzerne nicht mehr am Thema vorbeikommen und nachhaltiger handeln. Aber stimmt das eigentlich? Wie du Greenwashing bei großen Unternehmen erkennen kannst.

Woran erkenne ich, ob die Nachhaltigkeitskampagne eines großen Unternehmens ernst zu nehmen oder nur Greenwashing ist?

Was ist Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir mit unseren Ressourcen so umgehen, dass die Bedürfnisse der zukünftigen Generation auch noch befriedigt werden können.

Wenn man diese Definition mehrfach liest, klingt es fast schon lächerlich, große Unternehmen und Nachhaltigkeitskampagnen unter einen glaubwürdigen Hut zu bringen. Ist es nachhaltig, Massenkonsum zu propagieren und parallel eine additive Linie herauszubringen, die ein paar konventionell gekaufte Textilsiegel aufweist und mit grünen Materialien und dem Gewissen spielt? Das schreibe ich deswegen so plakativ, weil ich so lange keine Siegel-Freundin bin, wie Textilsiegel staatlich subventioniert sind und das Unternehmen Geld kosten. Außerdem kann ich diese grüne Werbemanie nicht mehr sehen. Kein Mensch spricht bei Nachhaltigkeit von Konsumreduktion, sondern nur davon, weiter wie bisher, aber in „grün“, zu konsumieren. Moderner Ablasshandel ist das oder weniger drastisch ausgedrückt: das eigene Gewissen bereinigen.

Wieso wir kritisch sein sollten

Meist werden diese Kampagnen von einer immensen Flutwelle an tollen Siegeln unterstützt. Das finde ich, wie bereits angesprochen, kritisch.

Sind es eigene Siegel, wie beispielsweise bei H&M und ihrer Conscious Collection, dann kann man davon ausgehen, dass die Transparenz hinsichtlich dieser „nachhaltigen Siegel“ mangelhaft und unglaubwürdig ist. Warum? Ein Siegel, das von einer Brand selbst entwickelt wurde, wird von der Brand auch selbst auditiert – und da liegt der Hund begraben. Welches große Unternehmen, das auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, wird wirklich bei der „Selbst-Auditierung“ sagen: „Oh, da haben wir ein arbeitsrechtliches Problem, das uns zwar Geld kostet, wir aber dringend angehen müssen.“?

Auch anerkannte Textilsiegel sind zu hinterfragen

Man sollte aber auch bei bekannten Textilsiegeln vorsichtig sein. Ich nehme mal das allseits bekannte GOTS-Zertifikat als Beispiel: Ein GOTS-Standard, auditiert in Deutschland, ist nicht zu vergleichen mit einem GOTS-Standard, auditiert in Bangladesch. (Achtung, mit dieser Aussage verallgemeinere ich, um den Punkt deutlich zu machen). Natürlich ist auch hier zwischen Unternehmen zu differenzieren. Um allerdings ein allgemeines Beispiel anzuführen: GOTS zertifiziert zwar die Humanökologie, also beispielsweise die Garantie von Existenzlöhnen oder geregelten Arbeitszeiten. Hierbei wird sich aber an „nationalen Standards“ orientiert und der Abschnitt in den Richtlinien ist sehr schwammig definiert. Da liegt es letztendlich wieder am Unternehmen selbst, ob es einfach nur einen Stempel auf dem Zertifikat haben oder den Mitarbeiter*innen wirklich einen menschlich vertretbaren Lohn zahlen will. Kürzlich habe ich mit Vertreter*innen anderer Textilsiegel gesprochen und der Konsens war auch hier ähnlich. In Ländern mit schwammigeren Umweltschutzgesetzen wird auch ungenauer auditiert. Außerdem sollten wir auch nicht vergessen, dass das Gebäude aus Rana Plaza beispielsweise frisch TÜV Süd geprüft war, als es einstürzte.

Wo zieht man aber nun die Grenze beim Vertrauen in Textilsiegel?

Wie groß ist also das Unternehmen, das auditieren lassen hat? Ist es ein großer Konzern, der einmal im Jahr viel Geld für die Auditierung zahlt und sonst die Verantwortung an den Stempel und die Unterschrift auf dem Zertifikat abgibt? Wo wird beispielsweise ein Mindestlohn oder Existenzlohn auditiert? Gibt es Informationen darüber, in welchen Ländern die Unternehmen produzieren lassen? Legen sie ihre Wertschöpfungskette offen?

Diese ganze Siegel-Mania ist eine unglaublich einfache Art und Weise für große Unternehmen, sich ihr Gewissen grün zu kaufen, ohne sich weiter kümmern zu müssen.

Ich selbst habe mal bei einem Betrieb ein Praktikum absolviert, der damals für einen großen deutschen Discounter Garn verstrickt hat – in Deutschland. Das ist ja jetzt erst einmal lobenswert, aber zum einen war das von der Firma gelieferte Garn eine qualitative Katastrophe und hat Überstunden ohne Ende verursacht. Zum anderen hat dieser große Discounter damals so krass die Kosten gedrückt, dass der Betrieb am Ende vielleicht gerade auf null herausgekommen ist. Da hat jetzt also ein Discounter tonnenweise importiertes schlechtes Material zu ekelhaft niedrigen Kosten in Deutschland verstricken lassen, um es dann später für die Konfektion nochmal irgendwo anders hinzuverschiffen, aber es steht zumindest irgendwo „Made in Germany“ später auf der Verpackung drauf. Ist das nachhaltig?

Wie ehrlich ist die Textilindustrie?

Ist die Verarbeitung von tonnenweise schlechtem Material zu Wegwerfprodukten auf Discounter-Wühltischen mit „Made in Germany“- Zeichen ein guter Ansatz oder Verwässerung der Thematik? Wie viele Menschen kaufen diese Teile, weil sie sie wirklich brauchen oder weil sie einfach nur billig sind und eben ein grüner Kreis darauf ist? Wie ernst meint es das Unternehmen? Will es wirklich seine Produkte langfristig umstellen oder ist das ein bisschen Marketingkosmetik, um aus der ganzen Debatte fein raus zu sein? Ist Konsumniveau-Minimierung nur dadurch zu erreichen, dass man Konsum erst in „grün“ anbietet, um die Konsument*innen zu sensibilisieren?

Das sind Fragen, die man mit seinem eigenen Gewissen ausmachen muss.

Nur wenn der Gewinn am Ende stimmt

Ein wirklich erfahrener Textilunternehmer sagte zu mir kürzlich: „Die Textilindustrie ist eine der verlogensten Industrien der Welt”. Deswegen will ich euch noch einen weiteren Denkanstoß zum Thema Glaubwürdigkeit geben.

Die folgenden zwei Schlagzeilen sind im Zeitraum eines Jahres online gegangen. Mittlerweile ist Caparros aus seiner Position bei C&A aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten. Er hat es aber geschafft, in den letzten zwei Jahren mit seiner Unternehmensführung den Umsatz von C&A zu steigern – eine Brand, die massiv durch ihr Nachhaltigkeits-Marketing in den letzten Jahren aufgefallen ist.

Schlagzeile 1: Caparros hatte die Leitung von C&A erst im August 2017 übernommen. Damals kämpfte das Unternehmen mit rückläufigen Umsätzen. Mit neuen Eigenmarken im Niedrigpreissegment versuchte er, Billiganbietern wie Primark Paroli zu bieten. (Quelle)

Schlagzeile 2: Weltneuheit? C&A hat erstmals eine Jeans komplett und bis ins letzte Detail nach dem „Cradle to Cradle“-Goldstandard produziert. Die zertifizierte Denim soll noch in diesem Monat über den eigenen Online-Shop vertrieben werden. (Quelle)

Nach meinem Gefühl gehen Nachhaltigkeitskampagnen von großen Unternehmen nur so weit, wie sie damit den unternehmerischen Profit steigern können – eine wirkliche Veränderung ist oft Fehlanzeige. Ich werde solch eine Kampagne erst ernst nehmen können, wenn das Unternehmen sagt: „So und jetzt stagniert mein Gewinn dieses Jahr mal und ich investiere in Aufklärung und Transparenz entlang meiner Supply Chain“. Wir brauchen nicht noch mehr additive Produkte, wir brauchen Veränderung in Strukturen und Wertschöpfungsprozessen.

Was aber, wenn das Biobaumwollshirt vom Konzern das ist, was man sich vom Budget leisten kann?

Wer wirklich kein Budget für das teurere T-Shirt von der Marke hat, die sich wirklich Gedanken um ihre Wertschöpfungsprozesse macht, sollte sich beim Kleiderkauf Gedanken machen, ob das Teil wirklich gebraucht wird. Vielleicht gibt es schon genug andere Shirts in der Farbe im Schrank.

Abgesehen davon sind Menschen, die kein Geld für teurere Produkte haben, konsumtechnisch gesehen sowieso nicht das Problem, denn dieser Teil der Gesellschaft hat auch kein Geld für „ grün geredeten“  Massenkonsum [ 1 ]. Große Unternehmen bedienen sich mit ihren Nachhaltigkeitskampagnen an der Tatsache, dass der*die Konsument*in eine einfache Lösung haben will. Nicht weniger konsumieren, sondern einfach ein bisschen grüner. Wir haben in den letzten Jahren (vereinfacht gesagt) mehr gekauft, aber nicht mehr dafür bezahlt. Wir müssen weg von diesem Wahnsinn – und dieser Weg führt nicht über noch mehr Produkte.

So gilt also auch bei dieser Debatte: Das nachhaltigste Textil ist das Textil, welches nie gekauft wurde. Die beste Nachhaltigkeitskampagne ist die, die aufklärt und nicht nur ein Gewissen bereinigt.

Was denkt ihr über Textilsiegel?

  1. S. Kleinhückelkotten, H.-Peter Neitzke & Nora Schmidt, [ Online ] 2017

“Recycelte Polyesterfasern in der Bekleidungsindustrie”

Jetzt Newsletter abonnieren und E-Book kostenlos erhalten!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Eine Antwort auf „Warum du Textilsiegel hinterfragen solltest“

[…] Die deutschen Textil- und Bekleidungsunternehmen, deren Produktion in China stattfindet, versuchen die Nachhaltigkeit immer sichtbarer werden zu lassen. Dabei verwenden sie vor allem nachhaltige Zertifikate und Tests wie das Fairtrade- oder GOTS-Zertifikat. Diese geben entweder Auskunft über ökologische oder soziale Zustände. Teilweise vereinen sie auch beide Aspekte. Doch selbst bei der Gestaltung und Durchsetzung der Siegel-Anforderungen gibt es bis heute Optimierungsbedarf. […]