Nach der großen „Tencelrevolution“ hat die Firma Lenzing nun eine neue Innovation auf den Textilmarkt gebracht, die von verschiedenen Herstellern genutzt wird: TENCEL™ x REFIBRA™. Wofür steht REFIBRA™? Und kann das Material wirklich einen nachhaltigen Wandel in Sachen Kreislauffähigkeit einläuten? Unsere Autorin Frederike Bartzsch hat das Material genauer unter die Lupe genommen.
Was ist TENCEL™?
TENCEL™-Fasern entstehen aus Holzpartikeln. Durch ihre Herstellung und Materialkomposition sind sie biobasiert und kompostierbar. Sie werden gerne als Beispiel für die Wende hin zu einer „Bioeconomy“ verwendet, weil sie ohne den Einsatz fossiler Rohstoffe auskommen. Aufgrund ihrer Kompostierbarkeit bieten TENCEL™-Fasern die Möglichkeit, nach der Nutzungsphase der Natur zurückgeführt zu werden, sofern das Kleidungsstück nicht recycelt wird. Denn das wäre für die Natur beziehungsweise die genutzte Ressource noch besser. Dank der im Vergleich zu Wolle oder Baumwolle glatten Faseroberflächen sind Tencel-Fasern besonders geschmeidig und weich auf der Haut. Für verschiedene Anwendungsgebiete gibt es Faservarianten wie TENCEL™ Active, TENCEL™ Modal, TENCEL™ Denim oder TENCEL™ Lyocell. Durch ihren Herstellungsprozess und Materialbeschaffenheit gelten die Fasern als besonders nachhaltig. Einen ausführlichen Artikel im Magazin findest du hier.
Wofür steht REFIBRA™ ?
REFIBRA™ ist der Name der neu entwickelten Technologie und beschreibt den Prozess, der Baumwollstoffreste verarbeitet und zu neuen Fasern macht – kurz gesagt: Upcycling von Baumwolle. Mit REFIBRA™ unterstreicht die Firma Lenzing ihre Bemühungen, die Textilindustrie auf eine Kreislaufwirtschaft umzustellen. Erstmals wurde die Technologie im Dezember 2019 vorgestellt. Aus dem Hause Lenzing kommt eine große Produktpalette an nachhaltigen Textilfasern und ist besonders für TENCEL™ und Lyocell bekannt.
Hier schließt sich der Kreis: TENCEL™ x REFIBRA™
Für die REFIBRA™ -Technologie wird sowohl Pre-Consumer-Waste als auch Post-Consumer-Waste verwendet. Also sowohl Stoffreste, die in der Produktion anfallen, als auch Altkleider, die nach der Nutzungsphase entsorgt werden. Während des Recyclingprozesses werden die Kleider mit einer Masse aus geschreddertem Holz, sogenanntem wood pulp vermischt, um TENCEL™-Fasern zu generieren. Die Zusammensetzung der REFIBRA™-Stoffe setzt sich bislang zu einem Drittel Baumwolle und zwei Drittel wood pulp, also Zellstoff aus Holz, zusammen. Der Anteil des Holzes stammt hierbei laut Lenzing aus nachhaltiger Forstwirtschaft, die problematische Erträge wie beispielsweise die Rodung von Urwäldern ausschließt. Das Holz, das verarbeitet wird, ist dabei kein Abfall, sondern entstammt gezüchteten Kulturen. Die Lieferanten können hier eingesehen werden. Das Material wird in einem geschlossenen Kreislauf hergestellt und aktuell in Österreich produziert. (Anm.d.Red.: Informationen darüber, woher die Altkleider stammen, wie der genaue Sammel- und Sortierprozess erfolgen sowie zu der konkreten Holzbeschaffung und -verarbeitung haben wir bei Lenzig angefragt, erhielten bis zur Veröffentlichung des Artikels jedoch keine Rückmeldung).
Im Vergleich zu herkömmlich hergestellter Baumwolle verbraucht der Produktionsprozess von TENCEL™ x REFIBRA™ 95 Prozent weniger Wasser. Die Qualität der Fasern lässt nicht nach, die Faserstärke ist laut Hersteller sogar mit der von Tencel Lyocell vergleichbar. Die Fasern haben einen sehr weichen Griff, der an Seide erinnert. Zudem sind Textilien aus TENCEL™ x REFIBRA™ belastbar und weisen gute Eigenschaften in Bezug auf Feuchtigkeitsregulierung auf.
Das klingt alles sehr vielversprechend. Lenzing ist jedoch noch nicht fertig mit der Tüftelei an dieser neuen Technologie. Die Firma verfolgt eine Vision, denn bis 2024 soll die Technologie laufend verbessert und optimiert werden: Lenzing orientiert sich hierbei laut eigenen Angaben an SDG 12: nachhaltiger Konsum. Zudem ist eine CO2-neutrale Faser geplant.
Ist Baumwollrecycling neu?
Das jährliche Baumwollaufkommen lag 2018 bei „26 million metric tons“ und ist damit die Faser, die nach Polyester am häufigsten im Textilsektor verwendet wird. Der Marktanteil von Baumwolle betrug 2020 knapp 30 Prozent. Aufgrund des hohen Wasserverbrauchs und Pestizideinsatz im Produktionsprozess ist Baumwolle trotz ihrer guten Eigenschaften als Naturfaser für die Umwelt nicht optimal. Aus diesem Grund ist es nicht nur wichtig, auf Bio-Baumwolle umzustellen, sondern auch für die bestehenden Baumwollabfälle eine vernünftige Recyclinginfrastruktur aufzubauen und zu etablieren.
Denn allein in der Zeit von August 2018 bis Juli 2019 fielen in der weltweiten Baumwollproduktion 3,8 Millionen Tonnen Pre-Consumer-Waste an. Wir sprechen hier also von einer unvorstellbar hohen Anzahl an Baumwolle, die bei Konsumierenden überhaupt nicht ankommt und als wertvolle Ressource verfällt.
Zusätzlich besteht das Problem, dass Bekleidung schneller konsumiert und in kürzeren Lebenszyklen genutzt wird. Die Zahl der Altkleider ist also stark steigend und das ist ein Problem, denn wohin mit den Altkleidern? Recyceln? Verbrennen? Wiederverwenden und weiterverkaufen?
Bei einem thermischen Recycling, also dem Verbrennen der Ware, kann die entsorgte Baumwolle für Wärmegewinnung oder Energierückgewinnung genutzt werden. Ein Teil dieser Menge kann durch die Refibra-Technologie genutzt und zu neuen Fasern verarbeitet werden.
Für gut funktionierendes Recycling sollten die Eigenschaften der Fasern bekannt sein, denn je nach chemischer Behandlung und Materialzusammensetzung kommen verschiedene Recyclingverfahren infrage. Bei Pre-Consumer-Waste ist es leicht, diese Informationen zu erlangen, die für ein erfolgreiches Recycling notwendig sind. Bei Post-Consumer-Waste ist dies jedoch deutlich schwieriger, auch die Qualität ist durch die Nutzungsphase mitunter schlechter. Zudem müssen die Altkleider erst aufwendig gesammelt und sortiert werden.
Aus technischer Perspektive ist die REFIBRA™-Technologie also ein Gewinn, denn Baumwolle kann nun wiederverwendet werden und muss nicht zwingend thermisch recycelt werden. Laut Lenzing sind die TENCEL™ x REFIBRA™-Fasern „on a commercial scale“ bereits erhältlich. Das bedeutet, das neue Material kann in Masse produziert und geliefert werden. Bisher ist es dennoch eher ein Nischenprodukt. Neben Lenzing arbeiten auch andere Firmen an Lösungen, um Baumwolle zu recyceln. So auch das Start-up Eeden GerMan aus Mönchengladbach, das durch ein chemisches Verfahren Zellulose aus Altkleidern zurückgewinnt.
Wo ist der Einsatz von TENCEL™ x REFIBRA™ sinnvoll?
TENCEL™x REFIBRA™ kann sowohl im Bereich von Bekleidung als auch bei Heimtextilien eingesetzt werden. Zum Beispiel eignet sich das Material besonders für Bettwäsche, da es atmungsaktiv und absorbierend wirkt. Bisher arbeiten schon Unternehmen wie Patagonia, Tchibo, Thinking Mu oder Givn mit dem Material.
Nachhaltigkeitsbewertung von TENCEL™ x REFIBRA™: yay or nay?
TENCEL™ x REFIBRA™ ist eine Innovation, die für den Textilsektor ausgesprochen wichtig ist. Wir brauchen unbedingt Lösungen für die Flut an Altkleidern, aber auch die Menge an anfallendem Pre-Consumer-Waste. Bisher liegt der Fokus im Bereich Bekleidung oft auf Recyclingstrategien für erdölbasierte Fasern, also primär Polyester. Deswegen ist der Ausbau von Baumwollrecycling sehr wichtig, damit auch Konsumierende die Möglichkeit haben, im Naturfaser-Segment zwischen Baumwolle, Bio-Baumwolle und recycelter Baumwolle zu wählen. TENCEL™x REFIBRA™ ist laut Hersteller ein Material, das zur Kreislaufwirtschaft beitragen und somit recyclingfähig sein soll. Ein möglicher Nachteil könnte die Recyclingfähigkeit von TENCEL™x REFIBRA™ am Ende der Nutzungsphase jedoch dann sein sein, wenn ein Kleidungsstück auf einer Materialmischung aus TENCEL™x REFIBRA™ und einem anderen Material basiert. Hier muss konkret geprüft werden, inwiefern die Recyclingfähigkeit am Ende der Nutzungsphase aufgrund der Materialmischung möglich ist.
Durch die Kreislauffähigkeit leistet REFIBRA™ einen großen Beitrag zur EU-Textilstrategie und der geplanten novellierten Ökodesign-Verordnung. Gleichzeitig ist der Ansatz, biobasiert zu wirtschaften, für unsere Gegenwart und Zukunft unabdingbar, um den Einsatz von fossilen Rohstoffen drastisch zu senken.
Titelbild: hutomo-abrianto via Pexels
Der Bezug zu Textilien zieht sich wie ein roter Faden durch Frederikes Leben: aufgewachsen in einer Familie voller Seidenweber*innen studierte sie im Bachelor „Design-Ingenieur Textil“. In diesem Kontext kamen immer mehr Fragen nach Ethik, Nachhaltigkeit und Feminismus in der Textilindustrie auf, die durch verschiedene Auslandsaufenthalte in asiatischen Produktionsstätten immer dringlicher wurden.