Kennengelernt haben sich Ann-Kathrin Zotz und Caroline Foerster im Studium in Maastricht bei einem Auslandssemester in Paris. Verbunden durch ihre Liebe für Design und Mode haben sie sich gemeinsam auf Fashion Shows geschlichen und sind durch die großen Museen der französischen Hauptstadt getingelt. Nach dem Studium gehen sie unterschiedliche Wege, die sich später perfekt ergänzen sollen: Während Ann-Kathrin Zotz zehn Jahre lang für die Vereinten Nationen auf der ganzen Welt zu internationalem Handel arbeitet, berät Caroline Foerster Unternehmen und Startups als Markenstrategin für diverse internationale Designagenturen.
Trotz verschiedener Zeitzonen bleiben sie verbunden. Immer wieder tauschen sie sich auch über ihre beruflichen Erfahrungen aus, in denen sie eine gemeinsame Motivation entdecken: Die Einblicke in globale Industrien und den damit verbundenen Handel sind teilweise so frustrierend, dass sie anfangen sich zu fragen, wie ein ganzheitlich gedachtes, innovatives und empowerndes Handelsmodell aussehen könnte.
Für Ann-Kathrin ist nach einer Konferenz in London, bei der es um Shea Butter geht, ein Endpunkt erreicht. Wie eine ganze Industrie von großen Playern gelenkt wird, frustriert sie. Dass Gelder, die Bürger*innen über Steuern mitfinanzieren, oft dazu beitragen, dass kleine Produzent*innen in unnachhaltige Lieferketten eingegliedert werden, fühlt sich nicht richtig an. Wie in jeder guten Geschichte kommt nach dieser Erkenntnis ein Barbesuch. In der Bar wartet Caroline und Ann-Kathrin fragt sie kurzerhand, ob sie nicht zusammen etwas gründen wollten, ein soziales Unternehmen, ganzheitlich nachhaltig, das Frauen aus dem Globalen Süden wirklich durch Handel empowern kann. Gemeinsam entwickeln sie die Idee zu White Label Project.
Wie Ann-Kathrin und Caroline mit ihrem Unternehmen globalen Handel neu denken und dabei auf starkes Design setzen, erzählen sie uns im Interview.
Was ist die Idee hinter White Label Project?
Caroline: „Ein populäres Business Modell im internationalen Handel in der Modeindustrie ist White Labelling. Dabei wird ein No-Name-Produkt designt, produziert und ein anderes Unternehmen – oft im globalen Norden – kreiert die Marke drumherum und vertreibt das Produkt unter dem eigenen Namen. Das Problem daran ist, dass die Kreativen und Produzenten dieser White-Label-Produkte davon abhängig sind, was den Marken gefällt oder welches Design sie vorgeben. Manchmal bestellen diese nur einmal, meistens in großen Mengen und gehen dann zum nächsten Produzenten. Außerdem entsteht so eine Abtrennung von den Endkund*innen, obwohl bei diesem letzten Schritt in der Lieferkette der größte finanzielle Wert geschaffen wird. Unser Unternehmen haben wir als Antwort darauf White Label Project genannt. Es ist ein Projekt, das zeigt, dass es auch anders geht. Mit unserem digitalen Concept Store können kleine Unternehmen aus dem Globalen Süden eine Verbindung mit internationalen Design-Kund*innen aufbauen, ohne dabei ihre eigene Marke und Geschichte zu verlieren.“
Euch geht es also auch darum, ein alternatives Handelsmodell zu schaffen?
Ann-Kathrin: „Was uns stört ist das Überstülpen einer Marke oder eines Designs, damit reduzieren Marken aus dem globalen Norden alle anderen in der Lieferkette zu Produzenten. Manche Marken machen nicht mal eigene Designs, sondern kaufen einfach ein designtes Produkt, das dann nur noch den Namen der Marke im globalen Norden bekommt. Das ist eine vollständige Enteignung und Diskreditierung der Designer*innen. In jedem Design stecken aber viele Gedanken, oft auch traditionelle Gestaltungstechniken oder neue Interpretationen davon. All das geht verloren, wenn am Ende einfach ein anderer Name drauf steht. Leider wird diese Art zu handeln nicht hinterfragt, ich finde das sehr schade.“
Hast du ein Beispiel dafür?
Ann-Kathrin: „Einmal war ich auf einer nachhaltigen Handelsmesse für Alpakamode aus Peru. Niemand der anderen Einkäufer*innen, die ich dort getroffen habe, waren interessiert an den peruanischen Labels, die hinter den Produkten stecken. Alle wollten White-Label-Produkte. Als ich eine Gründerin auf ihr Label angesprochen habe, war sie so perplex, weil sich außerhalb von Peru noch nie jemand für ihre Marke interessiert hat. Ich habe dann erfahren, dass sie schon lange die großartige, nachhaltige Marke FRINGE in Peru führt, Modeschauen macht und in der peruanischen Modeszene engagiert ist. Keine der ‚nachhaltigen Händler und Einkäufer‘ hat sie in 40 Jahren Karriere danach gefragt! Heute arbeiten wir mit ihr bei White Label Project zusammen.“
Gründerin Lucy Barandiaran hat sich mit ihrem Label FRINGE auf hochwertigen, nachhaltigen Strick spezialisiert.
Das klingt nach einer Begegnung auf Augenhöhe. Wieso ist euch das so wichtig?
Caroline: „Wir können nicht als privilegierte Personen ankommen und vorgeben zu wissen, wie alles funktioniert und dann andere produzieren lassen. Deswegen wollten wir von Anfang an viel Respekt etablieren und eine Community gründen, die auf Augenhöhe miteinander kommuniziert. Wir arbeiten mit kleinen Unternehmen zusammen, mit denen wir gemeinsam wachsen wollen. Das Ziel ist nicht schnelles Wachstum, sondern dass beständige, gesunde Unternehmen entstehen, die für alle funktionieren.“
Und wie genau funktioniert euer nachhaltiges Handelskonzept?
Ann-Kathrin: „Es fängt immer mit der Frage an: mit wem handeln wir? . Bei 1-Personen-Unternehmen gibt es keine Zertifikate. Das ist ganz anders als bei großen Firmen, die mit großen Produzenten zusammenarbeiten, bei denen eine Zertifizierung natürlich sehr viel Sinn macht. Was sind also Nachhaltigkeitskriterien, die ein kleines Unternehmen managen kann? Uns ist wichtig, dass die Unternehmen ganzheiltich nachhaltig sind und agieren. Aus ökologischer Sicht, achten wir insbesondere auf die Materialien, mit denen gearbeitet wird. Bei uns sind das Naturfasern wie Rattan oder Upcycling- und Recyclingmaterialien wie Silber, das aus altem Fotofilm gewonnen wird. Alles ist außerdem manuell gefertigt. Es gibt natürlich auch Pain Points wie Färbeprozesse oder Gerbeprozesse, die selten nachhaltig sind. Viele der Brands auf White Label Project arbeiten aber sehr innovativ daran und versuchen zum Beispiel gleiche Farben mit natürlichen Prozessen zu erzielen.“
Hergestellt wird der Schmuck von Curado X in einem kleinen Studio. Die Gründerin Marina Hernandez benennt jedes Stück nach einer Frau, die sie bewundert.
Curado X
Das Label Curado X aus Mexico City arbeitet mit Upcycling- und Recycling-Materialien. Das recycelte Silber wird aus X-Ray-Platten und altem Fotofilm gewonnen.
Caroline: „Dann kommt der große soziale Teil: Werden Mitarbeiter*innen und kollaborierende Handwerkskünstler*innen fair vergütet? Werden sie in unternehmerische Prozesse und Designprozesse involviert? Wie gehen unsere Brands damit um, wenn sie mit anderen benachteiligten Gruppen arbeiten, wie partizipativ ist das? Wird hier ein Design aufgedrückt oder wird das Produkt gemeinsam entwickelt von Anfang bis Ende? Uns ist also wichtig, dass wir nur Produkte verkaufen, bei denen die Kunsthandwerker*innen Teil des Prozesses sind und vor allem natürlich gut vergütet werden. Ein gutes Beispiel dafür ist M.A aus Mexiko. Sie haben sich von Anfang an nicht nur als Design Studio aus Mexiko City verstanden, sondern auch als soziales und kollaboratives Design Project, das auch die Handwerkskünstler*innen in Oaxaca einbezieht. Dies ist vor allem durch ihre partizipativen Designprozesse sowie Kommunikation sehr deutlich geworden. Melissa Ávila, die Gründerin von M.A, spricht beispielsweise immer von ‚nosotras‘ (wir) – sich und den Handwerkskünstler*innen – das heißt, es wird auch verbal kein Unterschied gemacht.
M.A. arbeitet daran, feste Arbeitsplätze für 20 Kunsthandwerker*innen anzubieten. Gemeinsam arbeiten sie in Mexico mit traditionellen Techniken wie dem Brennen von Vasen aus rotem Ton am offenen Feuer.
Ann-Kathrin: „Das sind immer unsere Startpunkte, aber das macht Handel noch nicht nachhaltig. Kleine Unternehmen haben in der Regel wenig Cash Flow. Deswegen muss vorfinanziert werden, was viele größere Einzelhändler normalerweise nicht machen. 50-60 Prozent des Wholesale-Preises zahlen wir direkt bei Bestellung, vor der Produktion. Bevor das Produkt bei uns ankommt, ist es dann zu 100 Prozent bezahlt. Das ist natürlich ein Risiko für uns und basiert auf Vertrauen und guter Kommunikation. Da wir aber auf Augenhöhe miteinander kommunizieren, klappt das. Falls etwas ist, schreiben wir uns einfach gegenseitig auf Whatsapp, zum Beispiel auch, wenn etwas fehlerhaft ist. Bisher konnten wir solche Fälle immer gut lösen. Wir würden auch nie Produkte zurückgeben, weil wir sie nicht verkauft haben. Nur dann kann nachhaltiger Handel funktionieren.“
Eine Art der Zusammenarbeit, die in der Modebranche nicht gerade typisch ist. Viele Marken, mit denen ihr arbeitet, sind von Frauen gegründet. Wieso ist euch insbesondere Women Empowerment wichtig?
Ann-Kathrin: „In vielen Ländern, in denen wir handeln, sind Frauen wenig in der Wirtschaft vertreten. Wir möchten Frauen deshalb fördern und als Unternehmerinnen hervorbringen. Wenn Frauen ein Einkommen haben, ändern sich auch die Strukturen und Machtdynamiken zu Hause, durch finanzielle Unabhängigkeit und mehr Anerkennung. Gerade in Gesellschaften, in denen Frauen noch mehr unterdrückt sind, macht das einen riesigen Unterschied, wenn sie plötzlich als Einkommensquelle zelebriert werden. Auf einer Metaebene ist außerdem interessant, dass Frauen ihr Geld überdurchschnittlich gut ausgeben: für die Bildung ihrer Kinder, für das Wohlergehen ihrer Familie und langfristige, nachhaltige Investments – im Gegensatz zu Männern, die ihr Geld eher kurzfristig ausgeben. Es ist also einfach ganz rational gesehen besser, Frauen mehr Geld zu geben.“
Abgesehen von einer gleichberechtigeren Zusammenarbeit, was fasziniert euch an internationalen Marken?
Caroline: „Ich war schon immer designinteressiert, aber gerade wenn Tradition und Handwerk auf einen modernen Ansatz stößt, fasziniert es mich. Wenn das auch noch von Frauen gemacht wird und mit tollen Geschichten verbunden ist, wie kann man das nicht lieben! Design kann Kulturen verbinden und hat auch immer viel mit Geschichte und verschiedenen Generationen zu tun. In Schweden, wo ich herkomme, ist die Design-Szene erst im letzten Jahrhundert entstanden und dadurch sehr geformt. Als ich in Istanbul gelebt und mit lokalen Produktdesigner*innen gearbeitet habe, war ich begeistert davon, wie dort traditionelles Design und Kunsthandwerk neu interpretiert wird – aufgrund der langen Design-Geschichte überhaupt erst möglich.
Wir sind außerdem beide auch familiär verbunden mit Ländern, in denen Tradition und Handwerk eine große Rolle spielen, Ann-Kathrin mit Chile, ich mit Indien. Ich liebe es, wenn ich nach Mumbai komme, dort nach Designer*innen zu suchen und ihre Geschichten zu hören.“
Entdeckt ihr auch hauptsächlich auf Reisen die tollen Marken?
Ann-Kathrin: „Pandemiebedingt haben wir eher angefangen auf Instagram zu scouten. Oft sind wir auch auf den Webseiten von Regierungen oder Awards auf Marken aufmerksam geworden, die dort herausgestellt wurden. Inzwischen bekommen wir aber auch oft Anfragen. Und dann entsteht irgendwann ein kleines Öko-System. Die Gründerin von A.A.K.S. aus Ghana war zuvor Mentee von Pichulik aus Südafrika oder die Gründerin von Aketekete war mal Praktikantin bei A.A.K.S.“
A.A.K.S
A.A.K.S kreiert in Ghana Handtaschen mit der Lieblingswebtechnik der Gründerin Akosua Afriyie-Kumi.
Aketekete
Aketekete stellt ebenfalls in Ghana in einem Team aus 4 Personen Taschen aus natürlichen Materialien her und weitere Accessoires – wie zum Beispiel Schmuck aus recyceltem Glas.
Und zu letzt noch: Was wünscht ihr euch für die Zukunft der Branche? Was würde eure Arbeit leichter machen?
Caroline: „Wir wünschen uns mehr Zusammenarbeit in der nachhaltigen Szene, die oft noch sehr geteilt ist. Wir brauchen aber eigentlich die gemeinsame Kraft, um unsere Geschichten zu erzählen und dann brauchen wir auch die Medien, die das aufgreifen.“
Vielen Dank für das schöne Gespräch, Ann-Kathrin und Caroline!
Titelbild: Christine Leuhusen, weitere Bilder: White Label Project