Von Direct-to-Consumer über Einzelhandel bis hin zu Pop-ups: Wie Brands sich im Handel aufstellen

Direct-to-Consumer, (Concept-) Stores, Pop-ups. Wie stellen sich KMUs und größere Brands im Handel auf? Und worauf kommt es an? Wir haben unter anderem mit den Gründer*innen der Labels Jan ‘n June, Ellima und Haderlump gesprochen, die uns erklären, wie der Sprung in den Einzelhandel gelingt, warum sie auf Pop-ups setzen und warum es bei DTC vor allem auf Professionalität ankommt.

Pastellfarbene Jacken hängen nebeneinander in einem Schaufenster

In diesem Deep Dive zu den verschiedenen Geschäftsmodellen und Möglichkeiten des Auftretens in der Modebranche gibt es Input von:

Take-Aways
  • Der Direct-to-Consumer-Vertrieb verlangt einen hohen Grad an Professionalität: Nicht nur das Produkt selbst muss gut sein, auch der Social-Media-Auftritt, das Packaging und Storytelling. 
  • Der Aufbau von Beziehungen zu Einzelhändlern ist nicht immer einfach und kann manchmal sogar Jahre dauern. Gefragt sind hier: Geduld, Ausdauer, Recherche und Networking.
  • Der richtige Handelspartner kann einen großen Unterschied bei der Verbreitung der Markenbekanntheit und der Steigerung der Verkaufserlöse machen.
  • Made-to-Order-Geschäftsmodelle können das finanzielle Risiko für Gründer*innen möglicherweise reduzieren, da Kund*innen das Produkt vorfinanzieren und der Stoff in vielen Fällen erst nach dem Kauf erworben wird.

Die Pandemie hat den Handel auf den Kopf gestellt. Nun fragen sich viele Brands, wie es weitergehen soll: Welche Vertriebsströme werfen noch Gewinn ab? Und worauf kommt es bei den verschiedenen Handelsmöglichkeiten an? Sollte man direkt mit Einzelhändlern kooperieren oder doch erst einmal den Markt via Pop-up-Shop testen? Allem voran steht dabei letztlich die Frage: Wie gelingt eine authentische, langlebige Kund*innenbindung?

Direct-to-Consumer verlangt hohen Grad an Professionalität

Viele Brands versuchen es zunächst mit dem Prinzip Direct-to-Consumer (DTC), auch Business-to-Consumer (B2C) genannt, wobei Produkte direkt an Kund*innen verkauft werden – ohne Zwischenhändler. Direktverkäufe werden in der Regel online abgewickelt, können aber durch physische Einzelhandelsflächen ergänzt werden.

Aber worauf kommt es letztlich an? „Ehrlich gesagt braucht es einen ziemlich hohen Grad an Professionalität”, meint Juliana Holtzheimer vom Fair-Fashion-Label Jan ‘n June. „Die Endkonsument*innen sind mittlerweile an so viele (Instagram-) Brands gewöhnt, bei denen einfach der ganze Auftritt passtvom Packaging, über die Philosophie und die Story bis hin zum Produkt.” Käufer*innen haben demnach zunehmend größere Erwartungen, was den Service und Komfort einer Brand betrifft. Tools wie Chatbots und Nachrichten des Social-Media-Teams am nächsten Tag reichen da längst nicht mehr aus.

„Viele Kund*innen lernen eine Marke erst mal digital kennen – über den Onlineshop”, erzählt auch Pauline Treis, Gründerin der Schweizer Eco-Fashion-Brand Jungle Folk. „Dieser ist oft schön kuratiert und visuell ansprechend. Es ist aber wichtig, dass die Bilder und der Text auch wirklich der Realität entsprechen, sonst verliert man als Marke schnell die Glaubwürdigkeit. Das Endprodukt muss mit dem übereinstimmen, was online versprochen wirdsei es in Bezug auf die Qualität, die Passform oder den Schnitt.” Wesentlich sei auch, dass man die eigenen Kund*innen zu verstehen versucht. „Eine Retoure wird bei uns beispielsweise nicht nur über ein Formular angemeldet. Ich stelle Rückfragen, um genau zu erfassen, was nicht gepasst hat und warum. Nur so kann ich es in Zukunft besser machen und Rückgaben reduzieren.”

Onlineshop starten, aber wie?

Es gibt mittlerweile viele verschiedene E-Commerce-Plattformen, mit denen Brands ihren Onlineshop selbst konzipieren können. Mit der riesigen Auswahl an Plattformen und Gestaltungsmöglichkeiten kommt allerdings auch die Qual der Wahl. „Wir sind damals eher durch Zufall mit WooCommerce gestartet”, berichtet Juliana Holtzheimer. 

„Im Nachhinein wünschte ich, uns hätte damals schon jemand von Shopify erzählt. In Vergleichen der beiden Systeme liest man häufig, dass sie sich sehr ähneln, WooCommerce aber mehr Freiheiten lässt, da veränderbarer. Shopify gilt hingegen als stabiler und hat den Vorteil, dass viele weitere Fashion Tools, wie Lookbook-Apps und Apps für Passform und Größenbestimmung, über dieselbe Plattform laufen und die Auswertungen genauer sind. Aus unserer Erfahrung ist Shopify deutlich stabiler und ehrlicherweise – wir haben kein IT-Team – kann man weniger ,kaputt’ machen. Die riesige Auswahl an Plug-ins bei Woocommerce hat nämlich den Nachteil, dass man sich den Shop zu leicht mit Funktionen ,zubauen’ kann, wodurch man am Ende mehr Schwierigkeiten als Freiheiten hat. Wir hatten sogar das Problem, dass die Webseite abstürzte, wenn 30 Personen gleichzeitig darauf unterwegs waren.” All das ist kontraproduktiv, wenn man gerade dabei ist, sich als Brand zu etablieren. 

Grundsätzlich gilt: Während theoretisch jede*r ein Shopify-Konto einrichten kann, erfordert der Aufbau eines nachhaltigen Online-Geschäfts Zeit, Strategie, kreatives Know-how und natürlich Kapital. 

Potenzielle Einzelhandelspartner sollten vorher gründlich recherchiert werden

Wer physische Produkte herstellt, kann diese auch über Drittanbieter verkaufen. Über die potenziellen Umsatzvorteile hinaus erhalten Labels so Zugang zu einem ganz neuen (und häufig größeren) Kund*innenstamm – was die Markenbekanntheit und das Image steigern kann. Den passenden Einzelhändler zu finden, ist jedoch nicht einfach. Denn am Ende müssen die Bedingungen für beide Parteien stimmen, sei es der Preis, die Lieferzeiten, die Zahlungsbedingungen oder die Produktmengen. Hier sind Geduld und Ausdauer gefragt, denn manchmal dauert es Jahre, bis ein Einzelhändler bereit ist, die Brand im Sortiment aufzunehmen. Hier gilt: Immerzu den Kontakt und Austausch zu potenziellen Handelspartnern suchen.

„Vor allem Events wie Fashion Weeks und Modemessen sind relevant, denn man trifft immer wieder die gleichen Leute, die regelmäßig mitbekommen, wie sich die Marke entwickelt”, berichtet Pauline Treis von Jungle Folk. „Wenn das Produkt stimmt und die Qualität gleich bleibt, oder sich gar verbessert, baut man schnell Vertrauen zu B2B-Kunden auf. Auch wenn Einkäufer*innen anfangs nicht ordern wollten, tun sie dies nach ein paar Saisons.”

Sara Tavakoli, Junior Marketing Managerin beim Concept-Store Kauf Dich Glücklich, erzählt, dass sie ihre neuen Brands über Social Media und Brand-Anfragen, teilweise aber auch auf Messen finden. „Manchmal sind es aber auch Brands, die bei uns im Team sehr beliebt sind. Außerdem ist uns wichtig, dass ein breiteres Kund*innenpublikum mit verschiedenen Modestilen angesprochen wird und sich jede*r etwas bei uns leisten kann.

Auf Messen sei es wichtig, einen Eindruck der Markenaussage und Designsprache zu bekommen. „Auch der Hintergrund und die Geschichte der Brand sind interessant für uns. Darüber hinaus tauschen wir erste Informationen zu Konditionen aus und besprechen, wie sich beide Seiten das partnerschaftliche Zusammenarbeiten vorstellen. Ware bestellen wir meist erst im Nachgang, um in Ruhe und in interner Absprache unsere Auswahl verfeinern und finalisieren zu können.” 

Bevor es in den Einzelhandel geht, sollten Marken gründlich recherchieren und sich gegebenenfalls die Erfahrungen anderer Labels einholen. Wir empfehlen eine Liste mit potenziellen Einzelhändlern zu gestalten und verschiedene Aspekte zu berücksichtigen und miteinander zu vergleichen: Zielgruppe, Online-Präsenz, Marketingleistung, Unternehmenswerte, Produktkategorien, Ladenlayout, Preisklassen und Reichweite des Händlers. Letztlich ist es wichtig, zu wissen, was sich eine Marke euch vom Drittanbieter erwartet und was dieser zu bieten hat.

Über Verhandlungen und Bestellungen – so gelingt der Weg in den Einzelhandel

Verkaufsbedingungen werden von Fall zu Fall ausgehandelt, dennoch gibt es bestimmte Dinge zu beachten, bevor Marken mit einem Drittanbieter sprechen. Dazu gehören beispielsweise die Exklusivitätsrichtlinie (was, wenn ein Geschäft möchte, dass die Marke nur bei ihm verkauft), die Zahlungsbedingungen (zahlt der Händler erst, wenn das Produkt verkauft ist), und das Rückgaberecht der Kund*innen, das eventuell den eigenen Geschäftsbedingungen widerspricht. Zudem wollen Läden oftmals frühzeitig bestellen und wissen, wie viel Volumen die Marke produzieren kann (einige Einzelhändler haben möglicherweise eine Mindestbestellmenge).

Pauline Treis von Jungle Folk erklärt zum Beispiel, dass sie ihre Orders später macht: Anfang September, statt Anfang Juli, wie es branchenüblich ist. „Die Tatsache, dass Einzelhändler so früh schon bestellen wollen, baut Druck auf – nicht nur bei der Marke selbst, sondern auch entlang der Lieferkette, bei den Produzenten.” September sei vielen bereits zu spät, um Bestellungen abzugeben, und es benötige immer noch viel Zeit und Geduld, um zu erklären, dass „slow” auch wirklich „slow” bedeutet. „Sogar Concept-Stores, die auf nachhaltige Mode spezialisiert sind, haben gewisse Erwartungen und halten weiterhin an diesen Zyklen fest.” Das hätte zur Folge, dass auch Slow Fashion Brands sich schnell übernehmen und mehr produzieren, als anfangs geplant – aus Angst, B2B-Kunden zu verlieren.

Um wichtige Bestellungen zu erhalten, empfehlen wir ein Line Sheet (auch bekannt als Katalog) zu erstellen, um das Unternehmen in einem leicht verständlichen Format, sowohl digital als auch analog, zusammenzufassen. Dies sollte wichtige Informationen zu den Marken-, Produkt- und Herstellungspreisanforderungen sowie Produktfotos enthalten. Es ist ein Verkaufsinstrument und muss daher auffallen und die Ware im bestmöglichen Licht präsentieren. Es gibt viele Vorlagen online, wie diese von der Großhandelsplattform Brandboom. 

Der Einzelhandel rechtfertigt den Preis

„In Concept Stores zu verkaufen, ist für uns der wichtigste nächste Schritt”, erklärt Julius Weißenborn vom Label Haderlump. Die Leute wollen die Klamotten sehen und anfassen, bevor sie sie kaufen. Durch den Schritt in den Handel läuft unser Onlineshop auch viel besser.” 

Ein wichtiger Punkt bei der Kaufentscheidung sei für viele Kund*innen die Stoffhaptik, meint auch Juliana Holtzheimer von Jan ‘n June. „Häufig rechtfertigt der Griff in den Stoff den Preis. Während die Läden diesbezüglich keinerlei Probleme haben, ist es online viel schwieriger, die Produktqualität zu veranschaulichen.” 

Mehrgleisig fahren lohnt sich

Während die einen von Anfang an auf DTC und Einzelhandel setzen, können andere von diesem Modell nur träumen. Schließlich bedeutet das anfangs mehr Arbeit und mehr finanzielle Risiken. Das können sich nicht immer alle leisten. Alisa Menkhaus vom Label Susumu Ai erklärt, dass aber genau diese Art des Wirtschaftens vorteilhaft sei „Es ist wichtig, mehrgleisig zu fahren und verschiedene Vertriebsmöglichkeiten miteinander zu kombinieren. Sprich: DTC, Kollaborationen mit anderen Brands und Einzelhandel. Das funktioniert am besten. Andernfalls riskiert man, zu wenig Absatz zu machen, um das Unternehmen wachsen zu lassen.”

„Wir sind ja fast von Anfang an zweigleisig gefahren”, berichtet Juliana Holtzheimer von Jan ‘n June. „Also haben wir gleich in den sauren Apfel gebissen – unsere eigene Marge war sehr klein. So haben wir schnell die Händler für uns gewinnen können. Sauber kalkuliert war das am Anfang jedoch auf keinen Fall. Ansonsten ist die Empfehlung leider wirklich: Klinken putzen, Kaltakquise, auf Messen ausstellen – da führt kaum ein Weg dran vorbei. Aber es lohnt sich, denn viele Händler bleiben einem treu oder wachsen sogar mit einem.”

Ist phygital Retail die Zukunft?

Ganz gleich, ob es sich um große Einzelhändler handelt, die ihre physischen Standorte mit digitalen Technologien ausstatten, oder um Digital-First-Marken, die sich in den stationären Handel wagen, die Kombination von physischen und digitalen Elementen im Einzelhandel ist das, was Expert*innen als phygitalen Handel bezeichnen.

Dazu gehören zum Beispiel Augmented-Reality- und Virtual-Reality-Technologien, mit denen Kund*innen Kleidung digital anprobieren können, während sie im Geschäft sind. Auch sogenannte digitale Spiegel werden im Einzelhandel immer beliebter. Bei der „Zauberspiegel“-Technologie können Kund*innen mit einem Klick auf das gesamte Inventar des Händlers zugreifen. Mithilfe von VR und AR können Artikel auch dann anprobiert werden, wenn sie nicht auf Lager sind. Spannende Konzepte, die jedoch von in der DACH-Region ansässigen Fair-Fashion-Brands und -Einzelhändler aktuell eher wenig oder gar nicht umgesetzt werden.

Marktplätze für mehr Visibilität 

Neben dem Einzelhandel gibt es auch die Möglichkeit, die eigenen Produkte über einen Online-Marktplatz anzubieten. Verkäufer haben so einen Ort, an dem sie Sichtbarkeit erlangen und ihre Produkte verkaufen können; der Marktplatz bekommt dafür eine Provision. Im Gegensatz zu Onlineshops verfügen Marktplätze jedoch nicht über das Inventar, das via ihre Plattform verkauft wird. Die operative Seite des Geschäfts wird den Verkäufern selbst überlassen, während sich der Marktplatz hauptsächlich darauf konzentriert, die eigene Plattform zu bewerben, um Seitenaufrufe in Verkäufe umzuwandeln.

„Als Marktplatz wollen wir eine große Vielfalt zeigen”, erklärt Mimi Sewalski, Geschäftsführerin von Avocadostore, einem deutschen Online-Marktplatz für nachhaltige Mode und Lifestyle-Produkte. Viele neue Brands kommen auf uns zu, um bei uns gelistet zu werden und wir prüfen dann, ob sie unseren Nachhaltigkeitskriterien entsprechen.” Ladengeschäfte seien für sie besonders spannende Anbieter, weil diese oft viele verschiedene Brands mitbringen und – durch den persönlichen Kontakt mit Konsumierenden – auch über Passformen und Kund*innenwünschen Bescheid wissen. Avocadostore bekommt 17 Prozent vom Bruttoverkaufspreis, die Brands erhalten dafür Sichtbarkeit, Markenaufbau, PR und Zugang zur nachhaltigen Zielgruppe.

Pop-ups werden immer beliebter

Immer mehr Brands machen bei Pop-up-Aktionen mit oder organisieren eigene Pop-up-Stores und Events. Ein physisches Geschäft, das nur für eine begrenzte Zeit erscheint, ermöglicht einer Marke, zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort, ein einzigartiges Erlebnis für ihre Kund*innen zu schaffen und noch mehr Menschen auf sich aufmerksam zu machen. Dafür gibt es einige zentrale Orte: ein Pop-up-Veranstaltungsraum, der auf temporäre Aufenthalte zugeschnitten ist; leerstehende Einzelhandelsflächen auf Straßenebene; Kioske und Stände in Einkaufszentren sowie Verkaufsflächen in Läden. Manche Labels wandeln auch das eigene Atelier oder Büro in einen Pop-up-Shop um.

In Hinblick auf die Kund*innenbindung haben uns unser Instagram-Account und unsere Pop-up-Shops sehr geholfen”, berichtet Juliana Holtzheimer von Jan ‘n June. „So kann man die Tatsache, dass es sonst keinen physischen Shop gibt – und die dadurch nicht vorhandene Nähe zu den Leuten – ein bisschen wettmachen. Die physischen Läden leben von Beratung – umso wichtiger ist es, die Firmenphilosophie gut weiterzutransportieren.” Juliana Holtzheimer und ihr Team suchten zu Beginn ihrer Labelgründung nach Locations, die bereits für das Pop-up-Konzept bekannt waren und dadurch schon eine bestehende Community anziehen würden. Aber auch das Zusammentun mit einer anderen Brand hat sich bis heute ausgezahlt.

„Für uns waren Pop-ups über einen kurzen Zeitraum von etwa drei bis fünf Tagen immer erfolgreicher als solche, die über mehrere Wochen hinweg liefen. Da war einfach mehr Momentum drauf”, so Holtzheimer. „Mittlerweile machen wir ein- bis zweimal im Jahr einen Pop-up bei uns im Büro. Häufig liegt der Fokus auf Sample-Sales, denn die ganze Kollektion können wir platztechnisch gar nicht bei uns aufhängen. Es macht aber bis heute sehr viel Spaß, Kund*innen persönlich zu treffen und direktes Feedback zu bekommen.”

Made-to-Order reduziert das Finanzrisiko

Design und Produktion sind in der Regel ein langwieriger und umständlicher Prozess, der Monate oder gar Jahre in Anspruch nimmt. Oftmals müssen Gründer*innen diesen Prozess selbst vorfinanzieren – sei es vorerst für die Fertigung von Samples oder für Produktionsutensilien wie die Nähmaschine. Das muss aber nicht unbedingt sein, denn es gibt Geschäftsmodelle, die Gründer*innen finanziell entlasten.

Da das Label komplett eigen finanziert ist, bedeutet ein Made-to-Order-Modell momentan das geringste finanzielle Risiko”, erklärt Katharina Hogenkamp, Gründerin des Made-to-Order-Labels Ellima. „Ich fertige zwei Samples vor und kaufe den Stoff für Bestellungen in der Regel erst dann, wenn bestellt wird. Auf diese Weise vermeide ich auch Überproduktion. Wenn kleinere Stoffmengen übrig bleiben, verwende ich diese für etwas anderes. Made-to-Order gibt jedem Piece außerdem etwas Besonderes und Einzigartiges – kein Teil ist genau wie das andere, eben genauso wie die Menschen, die Ellima tragen.”

Natürlich müsse sie bei diesem Modell darauf achten, wie viel von einem bestimmten Stoff vorhanden ist und ob dieser nachbestellt werden kann. Andernfalls läuft die Designerin Gefahr, dass ein Stoff plötzlich ausverkauft ist.

„Ich muss oft erklären, dass ich allein und ohne eine externe Fabrik arbeite. Viele meiner Kund*innen sind überrascht und beeindruckt, verstehen aber auch erst dann, woher der Preis kommt und wieso es ein bis zwei Wochen dauert, bis ein Teil fertig ist. Die Wartezeit nehmen sie dank der Erklärung gern in Kauf, weil sie wissen, dass es sich um etwas Besonderes handelt.”

Katharina Hogenkamp hat zudem die Beobachtung gemacht, dass ihre Kund*innen überwiegend aus Frankreich und Italien kommen – jedoch fast gar nicht aus Deutschland. Dabei sei das Thema Nachhaltigkeit im Hinblick auf Kaufentscheidung weniger entscheidend. „Ich denke, mein Look spricht andere Kund*innen an. Das Modebewusstsein in Deutschland ist im Gegensatz zu Frankreich oder Italien ein ganz anderes”, meint die Gründerin. Trotzdem sehe sie großes Potenzial, da den deutschen Kund*innen gute Qualität wichtig ist. „Dass ich meine Pieces bislang alle allein und von Hand in meinem Atelier fertige, muss deshalb noch sichtbarer werden.”

Alisa Menkhaus, Gründerin von Susumu Ai, hat anders angefangen. Ihr Label hat sich erst zu einem maßgeschneiderten Geschäftsmodell entwickelt, Schritt für Schritt. Sie leitet das Unternehmen gemeinsam mit ihrer Familie und hat sich anfangs viele Fragen rund um die Themen Business und Nachhaltigkeit gestellt. Wie kann man eine Marke führen und genug Umsatz machen, ohne dabei Überproduktion und Textilmüll zu fördern? Letztlich gab es für Menkhaus nur eine Option: Produziert wird erst, wenn bestellt wird. 

Und das zahlt sich aus. „Im Gegensatz zu konventionellen Modeunternehmen, haben wir nur circa zwei Prozent Retouren”, erklärt die Designerin. „Die Kund*innen sind sich bewusst, dass das Kleidungsstück speziell für sie hergestellt wurde – nach ihren Maßen und aus dem Stoff, den sie sich selbst herausgesucht haben. Das schätzen sie sehr.” Die Sachen, die doch zurückgeschickt werden, werden über DTC-Messen verkauft.

Krisenbedingt ging es dem Modehandel nie schlechter

Auf der Fashion Changers Konferenz im vergangenen Jahr erklärte Prof. Gerrit Heinemann, Wirtschaftswissenschaftler, der sich vor allem mit E-Commerce beschäftigt, dass es dem Modehandel noch nie zuvor so schlecht gegangen wäre wie zu Pandemiezeiten. Das spürten natürlich auch die Fair-Fashion-Brands: Umsätze brachen ein, Teammitglieder wurden entlassen, Partnerschaften gingen in die Brüche. 

Doch nicht nur die Pandemie ist Grund für den finanziellen Einbruch der Modebranche. Der Handelsverband Deutschland (HDE) berichtete Anfang August zudem von einem starken Kaufrückgang angesichts des Ukraine-Kriegs, der Inflation und der Angst vor explodierenden Heizkosten und anderen Ungewissheiten. 

„Da wir Handelspartner haben, platzieren wir unsere Bestellungen bei den Produzenten schon Monate im Voraus”, erklärt Juliana Holtzheimer von Jan ‘n June. „Entsprechend können wir zeitlich gar nicht so schnell reagieren wie bei Online-only-Teilen. Als die Pandemie kam, mussten wir die Bestellungen massiv kürzen. Daran sieht man: Es ist Fluch und Segen zugleich, mit dem Handel zu arbeiten. Weniger Flexibilität, dafür aber schnelleres Wachstum, schnellere Bekanntheit, stabilere Verkaufsmengen.” Durch die Pandemie und die nun bevorstehende Energiekrise muss das Label seine Planzahlen anpassen. „Aktuell performt auch das B2C-Geschäft nicht so gut und wir merken die sinkende Kaufkraft.” 

Alisa Menkhaus, Gründerin des Labels Susumu Ai berichtet Ähnliches. „Wir haben vor Corona mit zwei Läden zusammen gearbeitet: Der eine Laden hat unsere Produkte während der Pandemie nicht mehr gekauft, weil es sich für ihn finanziell nicht mehr gelohnt hat; der andere hat die Bestellung am Ende einfach verweigert. Also mussten wir die Ware wieder zurücknehmen und haben mit unseren Kund*innen einen Sample-Sale gemacht – das hat zum Glück gut funktioniert.” Viele Läden würden sich nicht mehr die Zeit für kleine Brands nehmen und hätten auch das Budget gar nicht mehr dafür, diese im Handel aufzunehmen. „Wir haben schon gemerkt, dass es den Leuten ein wenig egal ist, was mit kleinen Brands passiert.”

Kund*innen wünschen sich ein reibungsloses Einkaufserlebnis

Kund*en erwarten zunehmende Bequemlichkeit und schnelle Lieferung –ein reibungsloses Einkaufserlebnis. Egal, ob sie online oder im Geschäft einkaufen, die Erwartungen sind höher als je zuvor. Der Modeeinzelhandel steht zweifellos vor einer aufregenden Zukunft, in der Elemente der realen und der virtuellen Welt zusammenfließen werden, um uns neue und aufregende Einkaufserlebnisse zu bieten. Und dennoch ist es eine herausfordernde Zeit für die (Einzelhandels-) Branche, die krisenbedingt umdisponieren muss. Es ist wichtiger denn je, sowohl für Brands als auch für Einzelhändler, auf Omni-Channel umzustellen und nach langfristigen Partnerschaften zu suchen.

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4 Antworten auf „Von Direct-to-Consumer über Einzelhandel bis hin zu Pop-ups: Wie Brands sich im Handel aufstellen“

Ihr Lieben! Vielen Dank für diesen realistischen aber auch zugleich ermutigenden Beitrag. Da wir ein kleines Startkapital haben, das nun aufgebraucht ist haben wir letzte Woche mit Sammelbestellungen gestartet – dies war sehr ernüchternd. Allerdings ziehen wir gerade auch wichtige Schlüsse für uns daraus. Diese spiegeln sich teilweise in dem Beitrag wieder.

Alles Liebe,
Regina von ONAY

Hallo Regina,

ich teile deine Erfahrung mit den eher mäßig laufenden Vorbestellungen. Ich hatte von April bis Mai auch eine Pre-Order-Phase um meine erste Kollektion zu finanzieren und um eine bessere Einschätzung bzgl. der benötigten Größen zu erhalten. Schlußendlich wurde bei weitem nicht so viel vorbestellt, wie ich gehofft hatte, sodass ich, um auf die Mindestbestellmengen meiner Produktionspartnerin zu kommen, einen großen Teil selber vorfinanzieren musste.
Das Gute an meinem gut bestückten Lager ist, dass ich nun genug verfügbare Teile habe, um bei drei Popup-Stores mitzumachen.
Ich bin sehr gespannt, wie mein Ausflug in das Offline-Geschäft laufen wird und erzähle euch gerne beim nächsten Networking Event in drei Wochen, wie es war 🙂 🙂

Liebe Grüße
Bina von Call me Bina

Hi Bina, bin seeeehr gespannt auf deine Offline-Erfahrungen und was du zu berichten hast. Das Feedback, das du dort sammeln wirst, wird mit Sicherheit qualitativ wertvoll für deine weitere Arbeit sein. Liebe Grüße sendet Nina von Fashion Changers