Laut dem Bericht der Deutschen Umwelthilfe beziehen Adidas und Nike für viele ihrer Sneaker und Sportschuhe Leder beziehungsweise Lederschuhe von Unternehmen, die mit Abholzung und Landraub – und somit auch Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen – in Verbindung stehen. Wie die Situation in Brasilien aussieht, was wir gegen die Abholzung tun und wie wir die Unternehmen in die Verantwortung nehmen können, das erzählt uns Peer Cyriacks, Leiter Naturschutz & Biodiversität bei der Deutschen Umwelthilfe.
Peer, ihr habt eine Protestmailaktion für transparente Lederlieferketten gestartet, die Unternehmen wie Adidas und Nike in den Fokus stellt. Wie kam es zu der Kampagne?
Peer Cyriacks: „Brasilien war zu weiten Teilen bewaldet, nicht unbedingt nur mit dem bekannten Amazonas-Regenwald, sondern auch mit Trockenwäldern, Savannen und Feuchtgebieten. Die Entwaldung an sich ist kein neues Phänomen. Wälder wurden schon vor 300 Jahren gerodet, um Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Auch wir in Europa hatten einst riesige Wälder, von denen nichts mehr übrig ist. Ähnlich ist es in Brasilien.
Wir arbeiten schon seit einiger Zeit am Thema Entwaldung in Südamerika und haben uns zuerst mit dem Thema Soja beschäftigt, das unter anderem bei uns in Deutschland in der Massentierhaltung landet – als Futter. Soja ist neben dem Rind der größte Entwaldungstreiber. Das hängt aber von Region zu Region ab und wechselt auch immer wieder, abhängig vom Preis und anderen Faktoren. Circa 80 Prozent des Rindfleisches bleibt in Südamerika.
Was aber passiert mit dem Leder, das kein Abfallprodukt ist, wie viele behaupten, sondern eine Industrie, mit der viel Geld verdient wird?
Vor zwei Jahren haben wir eine sehr erfolgreiche Kampagne zum Thema Leder in Autositzen gemacht. Hersteller können überhaupt nicht wissen, wo das Leder in ihren Produkten herkommt, denn oftmals wissen nicht einmal Gerbereien und Schachthöfe, wo es herkommt. So auch in der Modeindustrie. Wenn Adidas und Nike behaupten, sie wüssten, woher ihr Leder kommt, stimmt das nicht. Sicherlich kommt nicht alles aus dem Amazonas und sicherlich hat nicht alles mit Entwaldung zu tun, aber es handelt sich hier um milliardenschwere globale Unternehmen. Von denen kann man ruhig etwas mehr Transparenz erwarten.”
Schreibe jetzt eine E-Mail an Adidas und Nike und fordere sie auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, ihre Lieferketten transparent zu gestalten und damit unsere Sneaker entwaldungsfrei zu machen!
Du hast zuvor gesagt, dass Adidas und Nike aktuell nicht wissen können, wo das Leder in ihren Produkten herkommt. Was macht es so schwierig, die Herkunft des Leders zurückzuverfolgen?
„Adidas und Nike könnten das Leder durchaus rückverfolgen. Dazu müssten sie aber auch das entsprechende System aufstellen, das Zeit, Geld und Personal kostet. Sie müssten enger mit den Lederlieferanten kooperieren und ihnen klar machen, dass sie ernsthaft sicherstellen wollen, woher das Leder in ihren Schuhen kommt.
Die meisten Schuhe kommen fertig produziert aus China. In Europa beziehungsweise den USA wird quasi nichts mehr an den Schuhen gemacht. Adidas und Nike müssten also ein System aufsetzen, mit dem sie über die Schuhproduktionsfirma in China das Leder bis zur Gerberei rückverfolgen. Die Gerberei müsste wissen, von welchem Schlachthof in Brasilien das Leder stammt, und der Schlachthof müsste wissen, von welcher Rinderfarm es stammt. Die Rückverfolgbarkeit von Leder ist also möglich.”
Wer verdient am Leder?
„Wir haben uns auf JBS (Anm. der Redaktion: JBS steht für José Batista Sobrinho) konzentriert – ein brasilianisches Unternehmen, das gleichzeitig auch der größte Fleischproduzent weltweit ist. JBS hat weltweit 230 eigene Schlachthöfe und Höfe, mit denen es zusammenarbeitet, um 75.000 Rinder pro Tag zu schlachten. Von den Schlachthöfen gehen die Häute, etwa 60.000 Lederteile pro Tag, in die Gerbereien, die über das ganze Land verteilt sind. Hier wird eine erste Vorproduktion gemacht, das sogenannte wet blue Leder – also feuchtes chromgegerbtes Leder. Dieser Produktionsschritt ist wichtig, sonst würde das Leder verwesen.”
JBS, der größte Fleischproduzent, ist also hauptverantwortlich für die Abholzung und den Landraub in Brasilien. Warum richtet sich die Kampagne trotzdem gegen Adidas und Nike?
„Das hat mehrere Gründe. Gehen wir zum Beispiel in eine Fußgänger*innenzone und fragen die Leute, wer JBS ist. Das Unternehmen kennen die meisten Menschen nicht oder verwechseln es mit einem bekannten Lautsprecherhersteller.
JBS ist ein südamerikanisches Unternehmen: 80 Prozent der produzierten Fleischprodukte bleiben daher in Südamerika. Der größte Hebel, um Entwaldung und Landraub effektiv entgegenzuwirken, wäre also, den Fleischkonsum in Südamerika zu reduzieren. Das ist aber nicht unsere Aufgabe. Wir kümmern uns um die Lieferketten, die im Zusammenhang mit der Abholzung stehen und die bei den deutschen Unternehmen und Konsumierenden enden. Unsere Aufgabe ist es, den Konsum in Deutschland nachhaltiger zu gestalten.
Und deshalb nehmen wir für die Kampagne Adidas und Nike in den Fokus. Hier haben wir es hier mit zwei Unternehmen zu tun, die in Deutschland sehr beliebt sind. Als die weltweit größten Hersteller von Millionen Paaren von Schuhen pro Jahr tragen sie eine unternehmerische Verantwortung und eine große Möglichkeit zur Veränderung der Branche. Sie schöpfen dabei nicht ihr volles Potenzial zur Abschaffung von Entwaldung in ihren eigenen Wertschöpfungsketten aus und das wollen wir ändern. Wir verlangen, dass diese Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden und das tun, was sie tun können und somit eine Vorbildfunktion zur Verbesserung der Branche darstellen.”
Puma war anfangs auch Teil der Kampagne. Warum wurde das Unternehmen wieder aus der Kampagne genommen?
„Wir haben Puma kontaktiert und das Unternehmen hat sehr schnell reagiert. Es hat uns transparent erzählt, was es aktuell tut und was es tun wird. Es nimmt beispielsweise Abstand von Leder, das im Verdacht mit Entwaldung steht oder bei dem es keine Garantie dafür gibt, dass es nicht so ist. Deshalb haben wir entschieden, Puma aus der Kampagne zu nehmen. Genau diese Art von Transparenz verlangen wir auch von Adidas und Nike.
Wir fordern also nichts Unmögliches oder dass alle Lederschuhe aus den Regalen genommen und nie wieder welche produziert werden. Das, was andere Konzerne bereits machen, können Adidas und Nike auch – nämlich auf Leder verzichten, wo sie Abholzung nicht vollständig ausschließen können.”
Puma hat also Verantwortung übernommen. Kam von Adidas und Nike auch eine Antwort?
„Adidas hat in der Rückmeldung die Verantwortung für Transparenz auf die Lederzertifizierenden – Leather Working Group – geschoben. Diese schaffen es aber nach wie vor nicht, Entwaldung sicher ausschließen zu können. Auch bei konkreten und messbaren Transparenzmaßnahmen und dem Vorgehen zum Schutz von Menschenrechten bei der Produktion hat sich Adidas gewunden. Da kamen verwässerte Aussagen, aus denen wir keine echte Bemühung erkennen können. Was machen sie konkret? Das konnten wir nicht herausfinden und sie uns auch nicht sagen. Von Nike gab es keine Antwort.”
Neben NGO-Kampagnen wie diesen, verfolgt mittlerweile auch die Politik das Problem der illegalen Abholzung. Die EU-Kommission, das EU-Parlament und der EU-Rat diskutieren beispielsweise aktuell die Verordnung gegen Entwaldung. Inwiefern ist eine solche Verordnung längst überfällig?
„Die EU-Verordnung gegen Entwaldung ist produktspezifisch. Das heißt, es gibt Listen mit Produkten, die nur importiert werden dürfen, wenn sichergestellt werden kann, dass sie nicht mit Abholzung im Zusammenhang stehen. Es gibt eine Liste mit High-Risk-Ländern – Brasilien ist eins davon. Dort wird legal und illegal abgeholzt. Wenn ein bestimmtes Produkt gegen die Verordnung und Gesetze im eigenen Produktionsland verstößt, darf es nicht in die EU importiert werden. Leder ist aktuell noch drin, aber wir rechnen damit, dass manche Rohstoffe noch herausgenommen werden. Besonders der EU-Rat ist da eher konservativ und wirtschaftsorientiert.
Der Finanzsektor wird derzeit auch visiert, also Banken und Kredite von Banken für Unternehmen wie JBS. Wenn diese einen neuen Schlachthof bauen, zahlen sie das in der Regel nicht aus der Portokasse, sondern leihen sich das Geld von der Bank. Solche Investitionen zu visieren, ist sehr wichtig, denn ohne das nötige Geld läuft bei diesen Konzernen nichts – sprich: sie können ihr Unternehmen nicht oder schwieriger ausbauen und keine oder weniger Schlachthöfe bauen. Das bedeutet weniger Fleisch und weniger Leder.”
Du warst erst kürzlich mit deinem Team in Brasilien, um dir das Problem der Abholzung vor Ort anzusehen und mit Betroffenen zu sprechen. Wie akut ist die Situation?
„Wir haben während unseres Aufenthalts sowohl intakte als auch gerodete Wälder besucht und uns ein Bild von der Situation, den Problemen und Herausforderungen gemacht. In den Schutzgebieten müssen sich die Menschen in der Regel selbst organisieren, um die Gebiete aktiv zu bewachen und zu schützen, da sie wenig Unterstützung von zum Beispiel der Polizei bekommen. Dafür arbeiten sie mit NGOs zusammen und leben außerdem vom Tourismus. Der noch intakte Regenwald ist wirklich beeindruckend. Es gibt also noch Hoffnung und es lohnt sich durchaus zu kämpfen.
Außerhalb dieser Schutzgebiete haben wir ein ganz anderes Bild gesehen. Nur wenige Fahrminuten entfernt fuhren Traktoren, die verkohlte Baumstümpfe zusammenschoben – das ist auch auf Satellitenbildern zu sehen. Für diese Art der Abholzungung gibt es selten Genehmigungen. Und wenn die Menschen ihr Land nicht freiwillig räumen, werden sie bedroht.”
Was sagen die Menschen vor Ort?
„Wir haben vor Ort mit einer sogenannten communidad gesprochen. Das sind typischerweise kleine Dörfer, in denen einige Familien leben. Die Familien haben uns von einem Landwirt erzählt, der ihr Land kaufen wollte und ihnen einen Job auf seiner Farm versprochen hatte. Sie willigten ein, erhielten das Geld für ihr Land und räumten es, damit es in Sojafelder umgewandelt werden konnte. Mit dem Geld sind sie zwei Jahre zurechtgekommen. Die Jobs, die ihnen versprochen wurden, haben sie allerdings nie bekommen. Diese Community hat ein neues Zuhause gefunden, aber viele andere haben nicht so viel Glück.”
„Sie können erst einmal weniger Sneaker konsumieren. Ganz einfach. Und sie können unsere Protestaktion unterschreiben. Wenn viele mitmachen, entsteht eine Bewegung. Wir haben schon bei vielen Unternehmen gesehen, was passiert, wenn ihre Kund*innen Druck machen. Wenn erst einmal ein großes Unternehmen mit gutem Beispiel vorangeht, sehen die anderen im Vergleich plötzlich ganz schlecht aus – so entsteht eine Transformationswelle. Jeder Euro, der bei Adidas und Nike übrig bleibt, sollte nicht in Werbeagenturen oder neue Kampagnen gesteckt werden, sondern muss in Nachhaltigkeit investiert werden.”
Eigentlich träumte Medina immer davon, mit ein paar Hunden irgendwo im Nirgendwo zu leben. The simple life. Nach ihrem Studium des Völkerrechts tauchte sie dann als Juristin in die Welt der Menschenrechte ein und fand bei Fashion Changers Gleichgesinnte. Ob soziale Ungerechtigkeit, nachhaltige Geschäftsmodelle oder Arbeitsrechte – Medina schreibt bei Fashion Changers über verschiedene Themen, um Lesende zu einer Diskussion anzuregen.