Recommerce-Plattformen großer Modeunternehmen: Green Flag oder Greenwashing?

Zahlreiche (Ultra-)Fast-Fashion-Unternehmen führen derzeit Recommerce-Plattformen ein. Was steckt dahinter? Wollen sich die Retailer wirklich für die Kreislaufwirtschaft einsetzen? Unsere Gastautorin Hannah Ernst hat sich die Plattformen genauer angesehen.

Recommerce-Plattformen, eine Frau im Wasser.

Shein, Pretty Little Thing und H&M sind nur einige der (Ultra-)Fast-Fashion-Giganten, die im letzten Jahr ihre eigenen Recommerce-Plattformen eröffnet haben. Einem aktuellen Bericht der Resale-Plattform ThredUp zufolge ist die Zahl der Marken mit Resale-Plattformen seit 2020 um 275 Prozent gestiegen. Wie diese Maßnahmen zu bewerten sind und aus welchen Gründen (Ultra-)Fast-Fashion-Unternehmen nun auf Secondhand setzen, beleuchtet unsere Gastautorin in diesem Text.

Woher kommt der Hype um Recommerce?

Der Wert des Secondhandmarkts hat sich seit 2020 laut Angaben der Boston Consulting Group mit geschätzten 120 Milliarden Dollar bereits verdreifacht. Da überrascht es nicht weiter, dass auch die großen Retailer Potenzial im wachsenden Markt sehen. Daten des Resale-Report der Plattform ThredUp zeigen, dass dieses beträchtliche Wachstum vor allem finanzielle Ursachen hat: 40 Prozent der Käufer*innen geben ihr Umweltbewusstsein als wichtigstes Kaufmotiv an, wohingegen sich 63 Prozent der Konsumierenden für Resale entscheiden, um Schnäppchen zu shoppen oder sich Luxusmarken leisten zu können. Das Motiv, günstige Angebote zu shoppen, haben Käufer*innen von Secondhand-Plattformen also mit denen von Fast Fashion gemeinsam.

Verhindern die Recommerce-Plattformen den Kauf von Neuware? 

Obwohl die Recommerce-Plattformen bereits produzierte Kleidung länger im Kreislauf behalten, sollten wir nicht vergessen, dass die Marken, die hinter diesen Plattformen stehen, weiterhin Massen an billiger Ware neu produzieren und verkaufen. Die Resale-Plattformen gehen das eigentliche Problem der Überproduktion und des verschwenderischen Konsums also nicht an: Wenn eine Marke eine Resale-Plattform auf ihrer Website einrichtet, während sie uns immer noch die Vorstellung von ständiger Neuheit verkauft, dann ist das keine positive Veränderung., findet Autorin und Beraterin Aja Barber (Übers.d.Red.).

Die Kleidung bleibt durch Recommerce-Programme zwar länger im Umlauf anstatt direkt entsorgt zu werden, aber wenn wir einen Schritt weiterdenken, könnten diese Plattformen die Überproduktion neuer Ware sogar noch befeuern: Wenn Käufer*innen wissen, dass sie ein Kleidungsstück nach nur wenigen Malen Tragen im selben Shop wieder verkaufen können, sinkt möglicherweise die Hürde für Käufe neu produzierter Ware. Für verkaufte Secondhandstücke erhalten sie oft eine Gutschrift oder einen Rabatt für den Firsthandshop, sodass bereits der Anreiz für den nächsten Kauf neuer Ware entsteht: Bei H&M Rewear (dem Secondhand-Marktplatz von H&M) etwa erhalten Verkäufer*innen 20 Prozent mehr Umsatz, wenn sie sich für eine Auszahlung als Gutschrift für den Firsthandshop entscheiden.

Bei dem Fashion-Rental-Markt, der 2021 auf einen globalen Wert von 2,1 Milliarden Dollar geschätzt wurde, sieht es ähnlich aus wie beim Secondhandmarkt: Apps und Plattformen, auf denen Konsumierende Mode mieten können, boomen seit einigen Jahren, sodass auch große Player mitspielen wollen. So hat H&M beispielsweise ein Konzept zur Miete exklusiv für ihren Store in Berlin-Mitte entworfen, bei dem Kund*innen Kleidung mit einer Mietdauer von fünf Tagen bis drei Wochen mieten können – für circa fünf bis neun Euro pro Tag. Um davon profitieren zu können, müssen Kund*innen sogenannte H&M Member sein. Direkt bei der Anmeldung bekommen sie dafür 10 Prozent Rabatt auf den ersten Einkauf versprochen – für den regulären Shop, nicht für den Mietservice. Auch diese Initiative lässt vermuten, dass Marken vor allem Kund*innen an sich binden wollen, die ohne diese zirkulären Angebote vermutlich zu konkurrierenden Anbietern wechseln würden.

Sind Recommerce-Plattformen in erster Linie gute PR?

Natürlich ist es auch – oder besonders – für (Ultra-)Fast-Fashion-Unternehmen wichtig, Maßnahmen zu initiieren und zu kommunizieren, die zeigen, dass sie sich mit aktuellen Debatten rund um zirkulären und bewussten Konsum auseinandersetzen. Die PR für diese Maßnahmen eignet sich allerdings auch dafür, andere akute Probleme von der Nachrichtenagenda zu verdrängen. Retailer Shein und Pretty Little Thing zum Beispiel haben ihre Recommerce-Programme jeweils lanciert, kurz nachdem öffentlich wurde, dass sie massiv gegen Arbeitsrechte verstoßen und ihren Näher*innen im Fall von Shein etwa drei Cent pro genähtem Kleidungsstück zahlen

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Zufall oder gutes Timing? Ist die Einführung dieser Plattformen nichts anderes als ein Versuch, von mangelnden Bemühungen im Hinblick auf Umwelt, Arbeitsrecht und faire Produktion abzulenken? So wie die Kleidung anhand der Resale-Plattformen im Ökosystem derselben Marke bleibt, verbleibt auch der Umsatz im selben Unternehmen. Dabei schadet es nicht, sich die Frage zu stellen, welche Art der Produktion und Arbeitsbedingungen damit indirekt weiterhin finanziert werden.

Eignet sich Fast-Fashion-Qualität überhaupt für Recommerce?

Aus einem neuen Bericht von BoF Insights geht hervor, dass derzeit nur fünf bis sieben Prozent der geeigneten Kleidung im Resale-Sektor landen. Das führt dazu, dass Mode im geschätzten Wert von 2,1 Billionen Dollar ungenutzt in unseren Schränken liegt. Fraglich ist allerdings, ob sich die Qualität von Fast-Fashion-Kleidung prinzipiell für Recommerce eignet.

Im November 2022 hat die Resale-Plattform Vestiaire Collective angekündigt, dass sie alle Kleidungsstücke von Fast-Fashion-Marken von ihrer Plattform entfernen wird. “Wir wollten den Müll in den Kleiderschränken der Menschen reduzieren, und diese Abfälle stammen vor allem aus Fast Fashion“, so Fanny Moizant, Präsidentin und Mitbegründerin von Vestiaire Collective (Übers.d.Red.). Nach dem Statement wurden zwar einige Stimmen laut, dass die Kleidung so nur noch schneller auf Mülldeponien landet – trotzdem macht die Entscheidung deutlich, dass sogar Resale-Expert*innen Fast-Fashion-Kleidung aufgrund mangelnder Qualität für ungeeignet für Recommerce halten. Fast Fashion ist in erster Linie für den schnellen Konsum, schnelle Umsätze und wenige Male Tragen konzipiert, bevor sie entsorgt wird. Wenn Fast-Fashion-Unternehmen also führende Kräfte im Resale-Markt werden wollen, sollten sie zuerst die Qualität ihrer Ware verbessern.

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Der neue Reparatur-Service von Zara für UK-Kund*innen könnte zunächst vielversprechender sein als die hauseigenen Recommerce-Plattformen von (Ultra-)Fast-Fashion-Unternehmen, schließlich können Reparaturen den Lebenszyklus von Textilprodukten verlängern. Allerdings erwecken die Preise für die Reparaturen von Säumen (15 Pfund) und Löchern (10 Pfund) den Eindruck, dass bei dieser Initiative Profit vor Purpose kommt. Die Sorge wächst, dass dieses Angebot kaum eine Änderung herbeiführen wird, weil Zaras Neuware im Sale ähnlich teuer ist und sich Kund*innen vielleicht doch lieber das neue Produkt kaufen, statt das schon getragene reparieren zu lassen. Ein gelungener Vergleich mit Fokus auf die Kund*innenzufriedenheit und die Qualitätsbesserung der Kleidung wäre zum Beispiel die Partnerschaft des dänischen Labels Ganni mit dem UK-Reparatur-Service Sojo. Hier werden den Kund*innen Reparaturen von Ganni-Kleidungsstücken kostenlos angeboten und mit dem Fahrrad abgeholt (bisher nur in London).

Recommerce ist nur eine Lösung, wenn dadurch Neuproduktion verhindert wird

Recommerce ist vor allem dann wirklich sinnvoll, wenn ein Secondhandkauf einen Firsthandkauf verhindert und so langfristig die Produktion neuer Ware reduziert. Angaben von Vestiaire Collective zeigen zum Beispiel, dass der Kauf eines Secondhandartikels auf ihrer Plattform in 70 Prozent der Fälle einen Firsthandkauf verhindert. Während diese hohe Zahl durchaus positiv ist, wird sich zeigen, ob die Quote bei den Resale-Plattformen der (Ultra-)Fast-Fashion-Unternehmen genauso hoch ist oder ob die Plattformen nicht sogar weiteren Konsum anregen (erinnern wir uns an die Rabatte und Gutscheine für den Firsthandshop). So bilden Retailer und Verbraucher*innen mit ihren zirkulären Plattformen im Grunde eine Symbiose, die beide besser aussehen lässt, während sie eigentlich wenig verändern.

Diese Plattformen haben also vor allem ein gemeinsames Ziel: Sie sind der Versuch einer Marke, die Kund*innentreue zu verbessern, indem sie die Kund*innen an die eigene Website oder App binden, anstatt sie bei konkurrierenden C2C-Resale- oder Rental-Plattformen wie Vinted oder Hurr einkaufen zu lassen. Und diese Bemühungen scheinen sich auszuzahlen: Fast zwei Drittel der Führungskräfte im Einzelhandel geben an, dass sich Resale-Programme positiv auf den Einzelhandel ausgewirkt haben. Vermutlich spielt Gen Z hier eine wichtige Rolle, denn 45 Prozent der Gen-Z-Käufer*innen sagen, sie würden eher bei einer Marke einkaufen, die neben neuer Ware auch Secondhandkleidung anbietet.

Schlussendlich wird vor allem eines klar: Recommerce sollte nicht als Mittel benutzt werden, um verschwenderischen Konsum zu rechtfertigen oder sogar den Konsum weiterer Neuware anzuregen. Und obwohl der Kauf von Secondhandartikeln natürlich ein wichtiger Teil der Lösung ist, kann er nur dann eine wertvolle Antwort sein, wenn dadurch Neukäufe verhindert werden und so das eigentliche Problem der Überproduktion angegangen wird.

 

Titelbild: cottonbro-studio via Pexels

Über die Autorin

Dieser Beitrag wurde von unserer Gastautorin Hannah Ernst verfasst. Hannah ist freie Autorin und lebt in München, Deutschland. Während ihres Studiums der Kommunikationswissenschaft und Psychologie gründete sie ihr eigenes Upcycling-Label, was ihr eine besondere Perspektive auf die Modeindustrie ermöglicht. Sie schreibt an den Schnittstellen von Mode, Nachhaltigkeit, Kultur und Konsumverhalten und hat eine besondere Leidenschaft für Circular Fashion.

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