Wie Kunsthandwerk dabei helfen kann, Machtstrukturen in der Modebranche zu hinterfragen

Kooperation statt Konkurrenz: Mit einer Limited Edition schließen sich Wildling und Folkdays zusammen, um traditionelles Kunsthandwerk von Frauen in Kirgistan zu fördern und Wertschöpfung neu zu denken.

Für einen echten Systemwandel brauchen wir mehr Kooperationen. Wenn die Modebranche gemeinsame Sache macht, widersetzt sie sich nicht nur dem kapitalistischen Konkurrenz-Narrativ, sondern vergrößert auch den positiven Impact innerhalb der Wertschöpfungskette. Mit einer gemeinsamen Limited Edition fördern die Minimalschuhmarke Wildling und die Contemporary Fair-Trade-Designmarke Folkdays Craftswomanship und lokale Wertschöpfung in Kirgistan.

Entstanden sind ein Sommerschuh-Modell, Gürtel und eine Tasche aus handgewebter und handgefärbter Bio-Baumwolle im sommerlichen gelb-weißen Muster. Im Gespräch mit den Gründerinnen Anna Yona (Wildling) und Lisa Jaspers (Folkdays) reden wir über die Zusammenarbeit und Bedeutung von Kunsthandwerk.

–  Hier geht es zur Kollektion.

Das Obermaterial des Minimalschuhs „Aigu“ besteht zu 100% aus handgesponnener und natürlich mit Kurkuma gefärbter Bio-Baumwolle aus Kirgistan.
Fotos (c) Vreni Jäckle

Mit eurer Kollaboration wollt ihr den Wert von Kunsthandwerk, oder Craftswomanship wie ihr es nennt, in einer industrialisierten Branche neu beleben. Was versteht ihr darunter?

Anna Yona: „Mit Craftswomanship meinen wir die Förderung und das Ausüben eines Handwerks von Frauen. So können wir ein Produkt schaffen, das bereits mit der Produktion Frauen und ihre Handwerkskunst und Selbstständigkeit stärkt. Dafür haben wir ein Frauenkollektiv in Kirgistan für die Produktion beauftragt, das die Kollektion nach traditioneller Weise verarbeitet hat.“

Lisa Jaspers: „Eine Sache, die mich in der Modebranche immens stört, ist, dass die Wertschöpfungsketten so aufgebaut sind, dass im Grunde das ganze Geld im Globalen Norden erwirtschaftet wird, während eigentlich der meiste Wert im Globalen Süden geschaffen wird. Das passiert in fast allen Fashion-Kontexten, außer vielleicht bei nachhaltigen Unternehmen. Aber ich finde, dass selbst da noch sehr viel Luft nach oben ist. Anstatt nur das Rohmaterial zu exportieren, war es uns wichtig, mehr Wertschöpfung vor Ort zu kreieren. Und letztendlich sind wir gemeinsam sogar noch einen Schritt weitergegangen als ursprünglich geplant, denn die Baumwolle wurde nicht nur vor Ort von Hand gewebt, sondern schließlich auch von Hand gesponnen.“

Wilding x Folkdays

Wildling ist ein Minimalschuh-Label für Kinder und Erwachsene. Was 2015 mit der Gründung eines Minimalschuh-Labels für Kinder begann, ist inzwischen zu einer unverwechselbaren Marke mit einer großen und loyalen Community und mehr als 200 Mitarbeitenden herangewachsen. Gründerin Anna Yona hat mit Wildling Shoes eine Unternehmenskultur aufgebaut, die auf Transparenz, Offenheit und Verantwortung fußt. So treibt Wildling maßgeblich Themen wie regenerative Landwirtschaft, textile Kreislaufwirtschaft und New Work voran – oder um es mit den Worten von Forbes zu sagen: „Wildling Shoes ist the entire modern package“.

Folkdays vertreibt Contemporary Fair-Trade-Designs. Das 2013 von Lisa Jaspers gegründete Unternehmen bietet fair produzierte, handgefertigte Schmuckstücke, Accessoires, Interior-Produkte sowie Kleidung von unabhängigen Kunsthandwerker*innen, Familienbetrieben und lokalen Fair-Trade-Organisationen aus Lateinamerika und afrikanischen und asiatischen Ländern. Die Sozialunternehmerin initiierte 2018 die Petition #fairbylaw, die ein Gesetz zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht in Deutschland forderte und von mehr als 175.000 Menschen unterzeichnet wurde. Gemeinsam mit Naomi Ryland, Gründerin von *tbd, hat Lisa das Business-Buch „Starting A Revolution“ geschrieben.

Ein Grund, warum so wenige Modemarken auf Kunsthandwerk setzen, ist mit Sicherheit, dass es eine sehr aufwändige Arbeit im Vergleich zur maschinellen Arbeit ist und mehr Zeit in Anspruch nimmt. Wie habt Ihr das erlebt?

Anna Yona: „Es ist auf jeden Fall ein aufwändiger Prozess. Allein die Materialentwicklung hat circa ein Jahr gedauert, bis der Oberstoff den Ansprüchen für Schuhe entsprach. Die Bio-Baumwolle für den gelb-weißen Stoff stammt aus Kirgistan, die Fasern wurden dann vor Ort durch das traditionelle Ikat-Verfahren handverwebt und anschließend wurden die Baumwollfäden auf natürliche Art mit Kurkuma gefärbt. Neben der Entwicklung des Materials gab es Verzögerungen in der Produktion, weil ein Kälteeinbruch in den Bergen die Arbeit über Wochen unmöglich gemacht hat.

Und auch die Kommunikation und Logistik sind deutlich aufwendiger, als das meistens mit industriellen Partner*innen der Fall ist. Aber alles sind handgefertigte, also wirklich handgemachte Stoffe. Das ist ein Stück Kunsthandwerk. Etwas, was handgemacht ist, hat erst mal nie die Einheitlichkeit eines maschinengefertigten Stoffes. Ich glaube, es ist total wichtig das zu verstehen, aber auch zu schätzen. Hinter jedem Teil des Schuhs stehen Geschichten und Menschen, die das wirklich mit ihren Händen gemacht haben.“

Craftswomanship in Kirgistan

Die Unternehmerin Nasyikat Ysmaiylova führt den Laden Nomad Store für regionales Kunsthandwerk in Osh City, Kirgistan. Für die Limited Collection von Wildling und Folkdays hat sie mit Begaiym Mamatova, Koordinatorin für Kunsthandwerk bei Helvetas Swiss, mit insgesamt 80 Frauen in den Bergdörfern der Regionen Batken und Osh zusammengearbeitet. Vor Ort wurde die Baumwolle gewebt, gesponnen und gefärbt. 

Lisa Jaspers: „Mit Folkdays arbeiten wir ausschließlich mit Kunsthandwerker*innen und viele Leute fragen uns, warum wir von Hand gewebte Textilien verkaufen statt mit Maschinen zu arbeiten. Uns ist es wichtig, einen besonderen Wert zu schaffen. Denn jedes Produkt ist dadurch unterschiedlich, menschlich und es ist irgendwie perfekt unperfekt. Dass alles gleich aussieht und jedes Produkt auswechselbar ist, ist etwas, das durch maschinelle Prozesse entstanden ist und das natürlich auch Vorteile für Unternehmen hat. Aber ich glaube, es ist etwas Besonderes, wenn man mal daraus ausbrechen und sich wirklich jedes Produkt unterscheiden darf.“

Anna Yona: „Ich glaube, je kreativer man sich in die Arbeit einbringen kann, desto mehr unterscheidet sich das Kunsthandwerk von der Arbeit, wie sie zum Beispiel in Fabriken stattfindet. Kunsthandwerk bietet eine spannende Perspektive auf das Thema ,Produktion‘. Im Gegensatz zur industriellen Fertigung, steckt im Kunsthandwerk ein oft hohes Maß an Selbstbestimmung und Individualität. Die Künstler*innen können sich selbst in die Arbeit einbringen und verwirklichen – eine der Grundvoraussetzungen für eine sinnstiftende, menschenwürdige Arbeit.“

Lisa Jaspers: „Genau dieser auf den Menschen zentrierte Ansatz ist etwas, was das Kunsthandwerk so besonders macht und was auch unsere Unternehmen ausmacht. Dabei steht der Mensch im Mittelpunkt und ist nicht Mittel zum Zweck, sondern vielleicht auch einfach der Zweck selbst. Darin sehe ich eine sehr große Überschneidung zum Kunsthandwerk.“

Inwiefern kann die Zusammenarbeit mit Kunsthandwerker*innen im Vergleich zur industriellen Fertigung mit den ungleichen Machtverhältnissen in der Modebranche brechen?

Anna Yona: „Neben Selbstbestimmung und Individualität sind eine faire Bezahlung und das Recht auf das erarbeitete Design weitere Grundpfeiler in der Zusammenarbeit, sonst kommt es auch hier schnell zu ähnlichen Strukturen wie in der Fabrikarbeit. Eine Kollaboration mit Kunsthandwerker*innen kann also eine Antwort auf problematische Macht- und Ungerechtigkeitsstrukturen in der Lieferkette und gleichzeitig Geschäftsmodell sein, wie Lisa mit Folkdays beweist, aber es ist natürlich nicht die einzige Antwort, die wir brauchen. Auch in traditionelleren Fertigungsstrukturen – und gerade da – müssen wir die Frage nach Selbstbestimmung, Sinnhaftigkeit und individuellen Stärken stellen, sowie nach einer gerechten Umverteilung von Kapital.“

Hast du eine Idee, wie so ein Wertschöpfungssystem in der Zukunft aussehen könnte und auch eine gewisse Skalierbarkeit zulässt?

Anna Yona: „Laut nachgedacht vielleicht eine Art Genossenschaft mit Mitarbeiter*innenbeteiligung, in der bestimmte Teile der Fertigung vollautomatisiert sind, andere dafür auf Handwerkskunst und individueller Gestaltung beruhen? Vielleicht könnte man so die Brücke zwischen den großen Nachteilen der industriellen Fertigung – vor allem für die Beschäftigten – aber auch den Nachteilen des Kunsthandwerks hinsichtlich der Skalierbarkeit schlagen.

Wie weit eine super effiziente Skalierung aber überhaupt notwendig sein wird, hängt auch davon ab, mit welchen Erwartungen wir als Konsument*innen auftreten. Wollen wir alles sofort und in immer gleicher Ausführung haben? Oder sind wir glücklich mit limitierten Stückzahlen, längeren Lieferzeiten und einem ,lebendigen‘ Produkt, von dem nie eins genau dem anderen gleicht und das sich über die Zeit verändert? Auch für uns ist die Rezeption der limitierten Kollektion ein Experiment, das uns tiefe Einblicke in unsere Kundschaft und deren Umgang mit solchen Fragen geben wird.“

Welche Chancen seht ihr darin, wenn die Wirtschaft kollaborativer denkt und agiert?

Lisa Jaspers: „Ich glaube, wenn wir über planetare Grenzen nachdenken, ist Kollaboration der einzige Weg, wie wir ernsthaft an einen Punkt kommen können, wo wir wieder im Einklang mit der Natur und uns selbst kommen können. Es wird Systemwandel erzeugen, wenn wir einfach alle miteinander wirtschaftlich kollaborieren und diesen Systemwandel brauchen wir dringend.“

Anna Yona: „Das Spannende ist auch, dass im Miteinander eine neue Sicherheit und Resilienz liegt. Wenn wir etwas miteinander tun, dann haben wir auch eine Sicherheit in diesem Miteinander. Wir können uns gegenseitig stabilisieren, helfen und unterstützen. Statt wie bislang hauptsächlich auf Wettbewerb und Wachstum zu setzen, finde ich das einen viel schöneren Ausblick für eine Wirtschaftswelt.“ 

Vielen Dank für das spannende Gespräch, Anna und Lisa!

– Die Kollektion findet ihr jetzt im Onlineshop. –

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