„Es braucht Konferenzen wie diese, um die Modebranche positiv zu transformieren.” Dies sagte Miguel Máximo bereits im ersten Panel des Hauptprogramms und wir ahnten, dass dies der Auftakt für einen guten Tag sein würde. Aber spulen wir zunächst ein paar Stunden zurück.
Der Eröffnungsabend – ein kollektives Miteinander
Am Vorabend trafen wir uns mit Konferenzteilnehmer*innen und Branchen Professionals in der Platte Berlin, um gemeinsam über Kooperation statt Konkurrenz nachzudenken und unsere Netzwerke zu erweitern. Dabei waren sowohl Modedesigner*innen, Labelgründer*innen, Content Creator als auch Vertreter*innen von NGOs und Initiativen. Eine Mischung, die für uns den ganz besonderen #FashionChangersVibe kreiert. Genau unter diesem Motto sollte der Abend verlaufen. Es wurden Erfahrungen geteilt, leckere Drinks zu sich genommen (danke Kolonne Null und Knärzje!), vegan gespeist (mmhhh, Wild&Raw), sich zu guten Beats bewegt (Best DJ & Mitarbeiterin: DJ Nora Wolkenstein), Petitionen unterzeichnet, Kampagnen unterstütz und vor allem sich richtig viel ausgetauscht. Ein wirklich gelungener Start für die nächsten beiden digitalen Konferenztage.
„In fighting for a living wage we need everyone of you on board.“
Am zweiten Tag ergründeten wir im Hauptprogramm die verschiedenen Dimensionen von Fairness – sozial und ökologisch. Den Fokus in diesem Jahr genau darauf zu setzen, erschien uns in den aktuellen Krisenzeiten besonders wichtig. Und: In den letzten Jahren wurde mit viel Hingabe über Nachhaltigkeit gesprochen (und gestritten). Bis zu dem Punkt, an dem die Frage nach der Fairness schon fast in Vergessenheit geraten ist. Doch gerade hier sollten wir uns als Branche immer wieder selbst herausfordern und sicherstellen, dass Fairness nicht auch zu einer Worthülse verkommt.
- Fairness bedeutet, den eigenen Job mit Würde ausführen zu können
- Arbeiter*innen im globalen Süden stehen noch immer unter der Bedrohung, nicht frei in Gewerkschaften einzutreten
- Es braucht ein starkes EU-Lieferkettengesetz (inkl. der Haftung von Unternehmen!), aber auch…
- … stärkere Gesetzgebungen in den Produktionsländern
- Die Veränderung wäre sehr einfach: Es braucht einzig und allein einen existenzsichernden Lohn
- in Bangladesch gibt es, laut Kalpona, keine Produktionsstätte, die wirklich fair produziert (weil keine einen existenzsichernden Lohn zahlt)
- Zertifizierungen machen global gesehen für die Arbeiter*innen keinen Unterschied, da diese weiterhin auf freiwilliger Basis sind
- Es braucht bessere Beschwerdemechanismen für die Arbeiter*innen
- Kalpona plädiert dafür, das Produktionsvolumen zurückzufahren
- Nachhaltigkeit zeichnet sich nicht durch ein bestimmtes Material oder Produktionsweise aus. Es ist genauso nachhaltig, nur eine Winterjacke für lange Zeit zu tragen. Nachhaltigkeit bedeutet, die Arbeiter*innen fair zu bezahlen.
- Auch kleine Label und Produktionsstätten haben Macht zu Veränderung, wenn Aufträge für längere Zeit vergeben werden (Stichwort: Jahresverträge).
Was außerdem wichtig war
Besonders gefreut hat uns, dass wir in diesem Jahr wieder die gesellschaftliche Dimension von Mode betrachten konnten. Norah Joskowitz vom Label Valle o Valle sprach darüber, wieso bedarfsgerechte Produktentwicklung auf ein breiteres Größenspektrum setzt und wie Designer*innen in die Umsetzung kommen. Der Vortrag erzeugte ein großes Echo und wir sind gespannt, was es bei dem*der ein oder anderen in Gang setzen wird. Modedesignerin Anna Flemmer präsentierte Ideen, wie alle Mode barrierefreier und inklusiver designen können. Beatrace Angut Lorika Oola von Fashion Africa Now zeigte eindrücklich, wie die Branche anstatt die Ideen und das Handwerk anderer auszubeuten, dieses wertschätzen und empowern kann.
Und was ist jetzt mit der Nachhaltigkeit?
Keine Sorge! Nur weil Fairness im Fokus stand, ist die Nachhaltigkeit nicht vergessen worden. Im Gegenteil: Es wurde groß zusammen gedacht und wieder einmal mehr deutlich, dass Nachhaltigkeit ohne Fairness nicht existieren kann. Yayra Agbofarah von The Revival stellte die Dringlichkeit dar, dass sich der Secondhandmarkt drastisch ändern muss. Er erzählte von Überflutungen in Ghana, die aufgrund der immensen Textilmüllberge zustande kämen. Wenn es regnet, könne das Wasser aufgrund der vielen herumliegenden Kleidung nicht mehr abfließen. Erschreckend! Auch deswegen betonten sowohl Ivana Perbi-Ohlheiser von Wardrobe Affaire als auch Janis Künkler von reverse.supply, dass nicht nur gute Recommerce-Konzepte entstehen müssen, sondern sich auch die Produktentwicklung ändern muss. Textilien müssten so designt werden, dass sie von Vornherein kreislauffähig sind. Das Problem: Noch gäbe es, laut dem Wissenschaftler Kai Nebel, keine Strukturen, wirklich sinnvolles Textilrecycling ermöglichen. Im Streitgespräch mit Johann Bödecker von Pentatonic setzt dieser aber entgegen: „Es ist leichter Recyclingprozesse zu etablieren, als den Mensch und sein Konsumverhalten zu ändern.“
Gegen Ende des Tages sind wir noch einmal sehr tief in die wissenschaftliche Perspektive von Klimaschutz eingestiegen. Beim „Reality Check – Was wir jetzt tun müssen, um ganzheitlich nachhaltig zu sein“ stellten die Wissenschaftlerinnen Dorothee Baumann-Pauly und Maike Gossen heraus, dass wir bessere Wirkmittel brauchen, um die Branche zu regulieren. So kam zum Beispiel die Polyester-Steuer ins Spiel, die auch im Chat bei den Teilnehmenden auf reges Interesse stieß. Außerdem die Forderung: Die Politik müsse viel schneller handeln!
„Eine Leerstelle in der Branche zu füllen, erfordert Mut und gute Partner*innen.“
… das sagte Max Weiland, Gründer der Talentagentur uns*, die sich auf die Repräsentation der LGBTQIA+-Community spezialisiert hat. Im Gründer*innen-Community-Talk stellten drei Mode-Professionals heraus, welchen Herausforderungen, aber auch Erfolgen sie in ihrer Gründungszeit begegnet sind. Learnings, die für anwesende Neugründer*innen wertvoller Input waren und die Teilnehmenden motivierten.
Praxisnahes Wissen in Workshops und Mentorings
Am dritten Konferenztag ging es in die gelebte Praxis. So konnten Teilnehmer*innen gemeinsam mit Markenstrategin Doris Schoger den Prozess einer fiktiven Markenentwicklung durchspielen. Nachhaltigkeitsexpertin Lavinia Muth zeigte in ihrem Workshop, wie Modemarken Greenwashing vermeiden können und wie sich die rechtliche Situation rund um Verbraucher*innentäuschung gestaltet. Der von Julia Kline und Janka Eckert entwickelte “Regenerative Compass” hat den nachhaltigen und regenerativen Status Quo anhand eines realen Business-Cases analysiert.
Um Mode-Start-ups gezielte Unterstützung anzubieten und praxisnahes Wissen zu teilen, haben wir auch dieses Jahr ein umfassendes Mentoring-Programm gemeinsam mit Wildling Shoes entwickelt. In Gruppen-Sessions konnten Gründer*innen Branchenexpert*innen zu Themen rund um Sourcing, Kreislauffähiges Design, Finanzierung, Diversität, Vertrieb, Finanzierung, Entwicklung von nachhaltigen Geschäftsmodellen und Nachhaltigkeitskommunikation befragen. „Inspiration und fühlbare Ideen, die ich umsetzen und wirklich anwenden kann. Der Austausch im Rahmen der Mentoring Sessions der Fashion Changers Konferenz war für mich sehr wertvoll und kann ich nur von ganzen Herzen empfehlen,” resümiert Teilnehmerin Marie Ebert.
Wie geht es nach der Konferenz weiter?
Lasst uns in der Fashion Changers Membership in Kontakt bleiben.
Die Fashion Changers Membership ist unser Weg, nicht „nur“ einmal jährlich in Verbindung zu sein, sondern jeden Monat in den Austausch zu treten. Du erhältst dort nicht nur exklusive Fashion Changers Inhalte, die es nirgendwo sonst gibt (Recherchen, Artikel, Podcastepisoden), sondern hast auch Zugriff auf ein monatliches, digitales Networking-Event.
Im November beschäftigen wir uns mit Blockchain-Technologien und Transparenz. Was können Blockchain-basierte Plattformen und sind sie wirklich der Schlüssel zu mehr Transparenz in der Modebranche?
Als Member hast du außerdem Zugriff auf vielfältige Inhalte aus vergangenen Monaten, zum Beispiel zu den Themen Degrowth, Communitybuilding und Kreislaufwirtschaft. Über die monatlichen Networking-Events sind in den letzten Monaten schon ganz tolle, neue Kontakte unter unseren Membern entstanden. Bist du auch dabei?
Ohne euch geht es nicht
Am Ende bleibt uns nur ein großes Danke – an alle, die so aktiv dabei waren, die Fragen gestellt haben, selbstkritisch waren, ihre eigenen Learnings geteilt haben. Danke an unsere fantastischen Speaker*innen, die ihr geballtes Wissen weitergegeben haben. Danke an unsere Helfer*innen, die im Hintergrund dafür gesorgt haben, dass die Tage so smooth und reibungslos für alle ablaufen konnten.
Ein besonders großer Dank geht außerdem an Wildling Shoes, Mela, reverse.supply und Lebenskleidung. Der Eröffnungsabend der Konferenz wurde gefördert durch die Berliner Senatsverwaltung für Energie, Wirtschaft und Betriebe. Wir bedanken uns außerdem für den Support bei: Dawn Denim, Voelkel, i+m Naturkosmetik Berlin, Veggienale, Nuuwai, Sonnentor, Knärzje, Kolonne Null, Wild&Raw, JnC Magazine, Green Knowledge und Platte Berlin.
Eine Antwort auf „„Without community we cannot win!“ – So war die Fashion Changers Konferenz 2022“
Liebe Fashion Changers, vielen Dank für diese Zusammenfassung und Herausstellen der Kernaussagen und Gesprächs- /Diskussions-Schwerpunkte. Auch wenn ich fast alle Talks live mitverfolgt und viele Notizen gemacht habe, ist das sehr gut, hier komprimiert nachlesen zu können 🙂