Wir haben vermutlich alle schon einmal gelesen oder gehört, dass Modeunternehmen Kleidung zerstören oder verbrennen, statt die Überschüsse zu verkaufen, zu spenden oder zu recyceln. In den letzten Jahren haben Aktivist*innen auf rechtlicher Ebene versucht, diese umweltschädlichen Aktivitäten zu verhindern. Doch warum vernichten Unternehmen ihre Ware überhaupt und wie viel Kleidung wird am Ende wirklich verbrannt?
Warum Unternehmen ihre Kleidung zerstören hat viele Gründe
Es gibt viele Gründe dafür, weshalb Kleidung vernichtet oder verbrannt wird, einer davon ist ganz klar Überproduktion. Überproduktion bedeutet, dass Unternehmen mehr produzieren, als sie verkaufen können. Doch wie kommt es dazu? Grobe Überschätzung oder Fehleinschätzung? Sagen wir so, es ist etwas komplexer…
Paradoxerweise ist es für Modemarken sowohl günstiger als auch logistisch einfacher, zu viel zu bestellen und sich später um den Überschuss zu kümmern. Es ist also eine Frage des Komforts und des finanziellen Gewinns. Darüber hinaus haben viele Hersteller eine Mindestschwelle bezüglich ihrer Bestellungen. Daher sind einige Marken indirekt dazu gezwungen, mehr zu bestellen, wenn sie überhaupt produzieren wollen.
Luxuslabels wollen den Markenwert erhalten
Auch Luxusunternehmen zerstören gelegentlich nicht verkaufte Ware. Ihnen geht es häufig darum zu verhindern, dass diese auf gefälschten Marktplätzen und inoffiziellen Vertriebsplattformen verkauft wird. Sie erhoffen sich durch die Vernichtung, die Exklusivität ihrer Marke zu erhalten. Im Jahr 2018 geriet Burberry unter Beschuss, weil es im Vorjahr angeblich 32 Millionen Euro seines eigenen Inventars verbrannt hatte. Das Unternehmen reagierte mit der Begründung, es habe lediglich Artikel zerstört, die sein Markenzeichen – das klassische Karomuster – trugen.
Erst vor einigen Monaten ging zudem ein Video viral, in dem eine Kundin berichtet, sie hätte mehrere zerstörte Coach-Handtaschen in einem Container gefunden. Die amerikanische Lederwarenmarke erklärte daraufhin, sie habe die Praxis der Vernichtung beschädigter und unverkäuflicher Waren im Geschäft eingestellt. Es ist in der Tat besorgniserregend (und an Dreistigkeit kaum zu übertreffen), dass Unternehmen sich nur dann dazu verpflichten, keine Kleidung mehr zu zerstören, wenn ihre Praktiken auffliegen und sie in einen Skandal verwickelt werden.
Der in Genf ansässige Luxusgüterkonzern Richemont hat zwischen 2016 und 2018 fast 500 Millionen Euro seiner Designeruhren vernichtet. Zu dem Konzern gehören unter anderem Cartier und Montblanc. Das Unternehmen bestätigte, dass es 2017 unverkaufte Uhren im Wert von 203 Millionen Euro von Schmuckhändlern zurückgekauft hat, um zu verhindern, dass sie zu Schleuderpreisen angeboten werden. Das kam zu den 278 Millionen Euro an Cartier-Uhren hinzu, die ebenfalls 2017 von Juwelieren zurückgefordert wurden.
Qualitätsmangel als angegebener Grund
Überproduktion ist aber nicht der einzige Grund, weshalb Unternehmen (überschüssige) Kleidung zerstören. Manchmal werden Waren auch zerstört, weil sie nicht den nötigen Sicherheits- oder Qualitätsstandards entsprechen. 2017 veröffentlichte ein dänischer Fernsehsender eine Reportage über H&M: Darin hieß es, das Unternehmen verbrenne tonnenweise ungetragene Kleidung. Der Konzern reagierte auf die Vorwürfe mit der Begründung, es würde ausschließlich Kleidung mit Qualitätsmängeln verbrennen.
Der Sender zeigte sich jedoch wenig verständnisvoll und widerlegte diese Behauptungen. Im Rahmen seiner Recherche hatte die Redaktion einige der Kleidungsstücke, die H&M zur Verbrennung ins dänische Roskilde geschickt hatte, testen lassen. Das Ergebnis: Man konnte keine Sicherheitsmängel, wie etwa ein Bakterienbefall, Bleigehalt oder ähnliches feststellen.
Retouren sind weiterhin ein Problem
Das Problem der Ressourcenvernichtung wird durch den Anstieg der Online-Verkäufe und die vielen Retouren zusätzlich verschärft. In manchen Fällen ist es schwierig, zurückgegebene Artikel weiterzuverkaufen, da viele Unternehmen nicht mit der erforderlichen Infrastruktur oder technologischen Kapazität ausgestattet sind (denn das kostet wieder Geld!) – zurückgegebene Kleidung kann also leicht als Ausschussware enden.
Nehmen wir an, eine Person aus Bochum schickt zwei Kleider und eine Bluse zurück. Das Paket kommt im Berliner Lagerraum an und muss vor Ort registriert werden. Die Ware wird ausgepackt, begutachtet und muss eventuell sogar noch gebügelt werden. Vielleicht ist unterwegs das Etikett abgefallen oder ein Knopf, der wieder angenäht werden muss. Danach wird die Kleidung sortiert und muss wieder im Onlineshop aufgelistet werden. Das kostet nicht nur viel Zeit, sondern auch Geld: Personal muss eingestellt und geschult werden, Lagerräume gemietet oder gekauft werden. All das sind Kosten, die sich für viele Unternehmen nicht lohnen. Kleidung zerstören oder verbrennen ist da einfacher.
Es gibt keine eindeutigen Zahlen, die belegen, wie viel Kleidung zerstört wird, nachdem sie zurückgesendet wird. Laut des Retourentachos der Universität Bamberg werden circa vier Prozent aller Retouren vernichtet. Der Retourentacho analysiert jedoch nicht nur retournierte Kleidung, sondern alle Pakete deutschlandweit. Das sind in etwa 280 Millionen Pakete, die jährlich zurückgesendet werden. Bei vier Prozent davon landen immer noch knapp elf Millionen Online-Retouren im Müll.
Besonders frappant: Im November 2021 berichtete die Tagesschau, Nike würde Neuware „unter dem Deckmantel eines Recyclingprogramms” zerstören. Dies fand das Recherche-Start-up Flip mithilfe von GPS-Trackern heraus. Nachdem sie ein neues Paar Sneaker von Nike gekauft hatten, fügten sie den makellosen Turnschuhen einen GPS-Tracker hinzu und schickten ihn an das Unternehmen zurück.
Die Tracker zeigten deutlich, dass die Turnschuhe nicht zurück ins Lager, sondern an ein Recyclingzentrum in Herenthout, Belgien, geschickt wurden, wo Waren geschreddert und zu anderen Produkten recycelt werden. Dieses Verhalten widerspricht der Behauptung Nikes, dass ungetragene und makellose Artikel zum Wiederverkauf zurück in die Regale gestellt werden. Wir haben es hier mit einer Straftat zu tun. Gebrauchstüchtige Ware zu vernichten verstößt nämlich gegen das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz.
In anderen Ländern wie den USA ist es hingegen nach wie vor legal, überschüssige Produkte zu vernichten, anstatt Ressourcen dafür aufzuwenden und Wege zu finden, sie wiederzuverwenden oder zu recyceln. Das US-Gesetz verlangt von Marken nicht offenzulegen, ob Waren absichtlich oder versehentlich zerstört wurden.
Warum wird die Kleidung nicht gespendet oder recycelt?
Die überschüssige Ware später wieder loszuwerden ist nicht immer einfach. Sogar mit absurden Rabatten leeren nur die wenigsten Unternehmen ihre Lagerbestände. Was also tun?
Spenden ist eine Möglichkeit, – wenn da nicht das deutsche Steuerrecht wäre. Dieses erhebt 19 Prozent Umsatzsteuer auf Sachspenden. Das ist nicht gerade wenig. Für viele Unternehmen lohnt sich dieser Weg finanziell daher nicht. Juliane Kronen, Gründerin der Spendenplattform Innatura, erklärt im Interview mit der Tagesschau, dass zwei von drei Unternehmen sich am Ende gegen die Spende entscheiden, mit der Begründung, die Spendenprozedur sei ihnen schlichtweg zu kompliziert und/ oder zu teuer. Klar, wenn man es mit den Kosten für die Verbrennung vergleicht, mag das stimmen. Laut Tagesschau kostet das Verbrennen einer Tonne Kleidung weniger als 100 Euro.
Recycling wäre eine andere Option. Aber das erfordert natürlich das Sortieren und Trennen der Kleidungsstücke, was mehr Arbeit und – wie sollte es anders sein, – mehr Geld erfordert. Hinzu kommt, dass viele Produkte nicht recycelt werden können, da sie aus verschiedenen Materialien bestehen.
Keine eindeutigen Zahlen
Es gibt keine EU-weiten Schätzungen über die Menge der jährlich zerstörten Konsumgüter. Vor allem in der Modeindustrie gibt es keine eindeutigen Zahlen. Manche Unternehmen haben zugegeben, dass sie Kleidung verbrennen, nachdem die Presse oder eine NGO Licht hinter die Kulissen geworfen hatte. Die meisten Labels schweigen gänzlich über ihr Vorgehen. Wie viel und welche Kleidung sie am Ende verbrennen oder anderweitig vernichten, geben sie in ihren jährlichen (Nachhaltigkeits-) Berichten nicht an.
Deshalb ist es äußerst schwierig, an aufschlussreiche Daten zu kommen. Textilbranchenexperte Michael Hauf schätzt im Welt-Artikel von 2019, dass bis zu zehn Prozent der Kleidungsstücke (also etwa 230 Millionen), die auf dem deutschen Markt angeboten werden, unverkauft bleiben. Andere Expert*innen, so der Artikel, würden „von doppelt so viel Überschuss“ ausgehen. Jener Überschuss würde geschreddert, verbrannt oder ins Ausland exportiert werden. Es bleiben jedoch weiterhin grobe Schätzungen – keine konkreten Zahlen. Es ist nicht klar, wie viel Tonnen an übriggebliebener Ware letztlich zerstört werden.
Fashion Revolution hat für ihren Transparency Index 2021 250 Unternehmen untersucht, darunter zahlreiche deutsche Marken wie Adidas, C&A, Kaufland, Otto und Deichmann. Dabei hat die NGO eine mangelnde Transparenz über das jährliche Produktionsvolumen der Unternehmen festgestellt: Gerade einmal 14 Prozent der untersuchten Marken geben die Menge der Produkte an, die sie jedes Jahr herstellen. Entweder verfolgen sie diese Produktionsdaten nicht oder – und das ist deutlich wahrscheinlicher – sie möchten diese Informationen nicht öffentlich weitergeben.
Daten zum jährlichen Produktionsvolumen würden uns detailliertere Einblicke in das Ausmaß der weltweiten Überproduktion geben – ein wichtiges Thema, das in der Textil- und Bekleidungsindustrie noch weitgehend ignoriert und wahrscheinlich absichtlich verheimlicht wird. Ein Betriebsgeheimnis also.
Laut dem Transparency Index ist die Transparenz bei der Verbrennung unverkaufter Ware noch geringer: Nur sechs Prozent der untersuchten Marken geben die Menge der jährlich zerstörten Artikel an. Und die, die es machen, so Fashion Revolution, machen dies eher unfreiwillig, darunter Burberry, H&M und Nike, die die Zerstörung von Produkten erst offenlegten, nachdem die Presse und NGOs darüber berichtet hatten.
Kleidung zerstören ist ein Problem. Was also tun?
Das Problem ist vielschichtig. In Wahrheit müssen sich die meisten Marken mit unverkäuflichen Produkten auseinandersetzen, egal ob es sich um unverkaufte Bestände, beschädigte Waren oder Retouren handelt – und die Branche hat bislang nur wenige Lösungen entwickelt, um effektiv damit umzugehen.
Frankreich hat eine Vorreiterrolle bei der Ausweitung der Anti-Abfall-Gesetzgebung übernommen, um Importeuren, Händlern und Herstellern zu verbieten, neue unverkaufte Non-Food-Produkte zu vernichten. Dieses weitreichende Gesetz wird das Verbot schrittweise in den Jahren 2022 und 2023 einführen und ist das erste seiner Art. Diese Änderung hat einige französische Non-Food-Unternehmen bereits stark dazu ermutigt, mit Secondhandunternehmen zusammenzuarbeiten oder ihre Produktionssysteme zu überdenken.
Während die Europäische Kommission einen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft vorschlägt, hat sie aber noch keine konkreten Regeln vorgeschlagen, um die Massenvernichtung von Konsumgütern zu stoppen.
Derzeit folgt die überwiegende Mehrheit der Bekleidungsproduktion einem linearen Modell, bei dem hauptsächlich nicht erneuerbare Materialien extrahiert, zu Produkten verarbeitet und letztlich entweder auf Deponien entsorgt oder verbrannt werden, wenn sie nicht mehr verwendet werden. Dieses lineare Modell hat weltweit eine noch nie da gewesene Menge an Textilabfällen verursacht, was schwerwiegende negative soziale und ökologische Auswirkungen hat.
Viele Expert*innen sind der Meinung, es sei unmöglich, das Problem zu beheben, ohne die Grundursache der Überproduktion anzugehen. Sprich: Wir müssen den Erfolg von Unternehmen anders messen und uns von dem Bedürfnis nach kontinuierlichem Umsatzwachstum verabschieden.
Hättest du gedacht, dass die oben genannten Marken Kleidung zerstören?
Titelbild: Charlotte Harrison via Unsplash
Eine Antwort auf „Lieber verbrannt als gespendet – wieso Modeunternehmen ihre Kleidung zerstören“
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