Unterstütze jetzt die Kampagne #yesEUcan und Justice is Everybody’s Business für ein stärkeres EU-Lieferkettengesetz.
Erst vor wenigen Wochen hat die deutsche Regierung Unterstützung für ein strengeres EU-Lieferkettengesetz angekündigt. Unterdessen fordert die FDP, dass das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nicht wie geplant im Januar 2023 in Kraft tritt, sondern – krisenbedingt – erst 2024. Wäre eine solche Verlegung überhaupt nötig oder kann das Gesetz (gerade wegen der zahlreichen Krisen) gar nicht schnell genug in Kraft treten?
Im Interview erklärt die Juristin Diana Sanabria, die unter anderem auch Mitglied des Vorstandes der Kampagne für Saubere Kleidung ist, warum das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz so wichtig ist, wie sich die Unternehmen aktuell darauf vorbereiten und welche Tools sie dabei unterstützen sollen.
Diana, warum brauchen wir das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz? Und warum ist es für die deutsche Textilindustrie so wichtig?
Diana Sanabria: „Im Bereich der Bekleidungsindustrie sitzen viele große Player in Deutschland. ,Made in Germany’ ist eine Aushängeschild für Qualität geworden, aber so wie die Arbeitsbedingungen entlang der Lieferkette sind, kann man aktuell in den meisten Fällen eher von ,Ausbeutung made in Germany’ sprechen. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist also auch deshalb wichtig, damit dieses Label nicht nur weiterhin mit Qualität gleichgesetzt wird, sondern auch bedeutet, dass Menschenrechte und Umweltstandards entlang der Lieferketten tatsächlich gewahrt werden.”
Wie viele Bekleidungsunternehmen fallen aktuell in den Anwendungsbereich des Gesetzes?
„Ab Januar 2023 gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz für Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitenden – das wären knapp 900 Unternehmen. Ab Januar 2024 würde das Gesetz dann für Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden gelten – also etwa 4800 Unternehmen. Die Kampagne für Saubere Kleidung hat ermittelt, dass aktuell 46 Textilunternehmen in den Anwendungsbereich fallen, davon 26 schon ab Januar 2023.”
Inwiefern fallen kleine und mittlere Unternehmen (kurz: KMUs) in den Anwendungsbereich?
„Große Unternehmen müssen sich mit dem eigenen Geschäftsbereich auseinandersetzen, das heißt mit den direkten oder unmittelbaren Zulieferern. Wenn KMUs also direkte Zulieferer sind, dann liegen sie im Einflussbereich der sorgfaltspflichtigen Unternehmen und müssen sich ebenfalls schnell anpassen.”
Wie bereiten sich Unternehmen denn aktuell auf das Gesetz vor?
„Bei der Kampagne für Saubere Kleidung haben wir eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beschäftigt und dessen Umsetzung begleitet. Aktuell haben wir nicht viele Einblicke, denn es handelt sich in erster Linie um interne Prozesse.
Das Risikomanagementsystem muss bis Januar 2023 eingerichtet sein, das heißt, dass Unternehmen Risikoanalysen durchführen, Maßnahmen ergreifen und Berichte veröffentlichen müssen. Unternehmen beschäftigen sich zudem gerade mit der Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens. Die Arbeiter*innen in der Lieferkette müssen Bescheid wissen, dass es bei den Unternehmen, für die sie produzieren, ein Beschwerdeverfahren gibt. Die Informationen über das Verfahren müssen zugänglich sein, das fängt mit der Sprache an und geht weiter mit dem Schutz der Beschwerdeführer*innen vor Repressalien.
Ein Beschwerdemechanismus ist relevant, weil es nicht nur Betroffenen in Deutschland ermöglicht, sich direkt beim Unternehmen zu melden, sondern auch Betroffenen entlang der Lieferkette. Das gilt zum Beispiel für Menschen, die in einer Fabrik in Bangladesch entlassen werden, weil sie sich gewerkschaftlich organisieren wollten. Sobald das Unternehmen von solchen Vorfällen erfährt, muss es tätig werden. Es ist verpflichtet, eine Risikoanalyse durchzuführen und herauszufinden, was es bewirken kann, damit diese Missstände – diese Risiken – beendet oder minimiert werden können.
Die deutschen Gewerkschaften unterstützen Betriebsräte bei der Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfalt, denn diese haben zum Beispiel bei der Gestaltung des Beschwerdeverfahrens ein Mitbestimmunsgrecht und können mit ihrer Perspektive zur Gestaltung eines zugänglichen Beschwerdeverfahrens beitragen. ”
Gibt es Hilfestellungen von der Regierung?
„Ja, die Regierung hat zum Beispiel FAQs über das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und das BAFA (die zuständige Behörde für die Durchsetzung des Gesetzes) hat eine Handreichung zur Umsetzung von Risikoanalysen veröffentlicht. Zudem gibt es die Agentur für Wirtschaft und Menschenrechte, die verschiedene Tools konzipiert hat, unter anderem einen CSR-Risikocheck. Anhand dieses Tools können Unternehmen Unterstützung für eine Risikoanalyse erhalten. Sie geben hier beispielsweise ihre Branche an und das Land, in dem sie tätig sind, und bekommen die Risiken, die schon bekannt sind, sowie Empfehlungen, wie diese behoben werden können. Die meisten dieser Risiken in der Textilbranche basieren auf den Berichten der Clean Clothes Campaign. Dann gibt es noch den KMU-Kompass, der kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen soll, sich zu orientieren und weiterzubilden.”
Was würdest du dir bei diesen Vorbereitungen auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wünschen?
„Es geht um mehr als nur um Compliance und die Risiko-Checkliste. Unternehmen haben hier die Chance, Verantwortung zu übernehmen, das Leben der Menschen entlang der Lieferkette zu verbessern. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sieht leider keine partizipative Rolle der Stakeholder*innen vor. Ich wünschte dennoch, Unternehmen würden sich mit den Betroffenen austauschen, aber auch mit den NGOs und den Agenturen, die Berichte schreiben und die Tools entwickelt haben. Gerade das deutsche Netzwerk der Kampagne für Saubere Kleidung und das internationale Netzwerk der Clean Clothes Campagne verfügen über eine enorme Expertise.
Es geht auch um Zusammenarbeit innerhalb der Branche. Ich wünsche mir, Unternehmen würden sich zusammenschließen, um die Produktionsbedingungen zu verbessern.”
Wie arbeitet das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA)?
„Das BAFA hat drei Handlungsfelder: 1. Die Prüfung der Berichte der Unternehmen, 2. es kann selbst mit einer risikobasierten Kontrolle tätig werden und 3. es muss tätig werden, wenn ein Antrag gestellt wird. Ein Antrag kann durch eine Person gestellt werden, die über Rechte verfügt. Nehmen wir an, eine Person in Pakistan wurde entlassen, weil sie sich gewerkschaftlich organisieren wollte. NGOs wie die Kampagne für Saubere Kleidung und die Clean Clothes Campaign sind gut vernetzt und können diesen Menschen helfen, ihren Antrag beim BAFA zu stellen.
Das BAFA kann alle Maßnahmen ergreifen, um zu ermitteln, ob es eine Pflichtverletzung seitens der Unternehmen gab. Wenn das BAFA feststellt, dass das Unternehmen Bescheid wusste, oder die Entlassung gar unterstützt hat, dann drohen dem Unternehmen Bußgelder von bis zu acht Millionen Euro oder zwei Prozent des jährlichen Umsatzes des Unternehmens.
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist natürlich verbesserungsbedürftig, aber diese Bußgelder sind eine gute Sache. Neben dem Idealismus, Menschenrechte und Umweltstandards zu schützen, sind diese Sanktionen eine praktische Motivation, gesetzeskonform zu handeln.”
Was erhoffst du dir vom Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz für Konsumierende?
„In Deutschland werden Konsumierende Zugang zu den Berichten haben, die Unternehmen veröffentlichen müssen. Diese Berichte gehen über Greenwashing und Marketing hinaus, denn sie werden von Behörden und NGOs überprüft. Ich hoffe, dass dies vielen Menschen einen besseren Überblick darüber verschaffen wird, was Unternehmen wirklich machen beziehungsweise nicht machen.”
Danke für deine Expertise, Diana.
Diana Sanabria, LL.M., ist Juristin und arbeitet als Referentin für Weltwirtschaft beim Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit. Im Rahmen ihrer Arbeit engagiert sie sich als Mitglied des Bundesvorstandes der Kampagne für Saubere Kleidung für verbindliche unternehmerische Sorgfaltspflichten. Dabei unterstützt die Arbeit der Clean Clothes Campaign und der Initiative Lieferkettengesetz. Außerdem ist sie als Dozentin für Wirtschaft und Menschenrechte an Universitäten tätig.
Mit Diana haben wir zudem über das EU-Lieferkettengesetz gesprochen. Sie erklärt, wie der aktuelle Stand aussieht, inwiefern sich das EU Due Diligence Law vom deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz unterscheiden würde und warum Frauen und Whistleblower*innen stärker geschützt werden müssen.