Abnahmemengen, Partnerschaften, Technologien: Worauf Unternehmen beim nachhaltigen Fabric Sourcing achten sollten

Für ambitionierte Marken stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit schon bei der Stoffbeschaffung. Welche Stoffe gelten als eine wirklich nachhaltigere Alternative? Wo kann man diese bestellen oder lohnt es sich gar, eigene Stoffe zu entwickeln? Und worauf achten Stoffhändler und Produktionsagenturen?

Für ambitionierte Marken stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit schon bei der Stoffbeschaffung. Welche Stoffe gelten als eine wirklich nachhaltigere Alternative? Wo kann man diese bestellen oder lohnt es sich gar, eigene Stoffe zu entwickeln? Und worauf achten Stoffhändler und Produktionsagenturen?

Take-Aways
  • Die richtige Stoffauswahl: Marken müssen nicht nur auf die Haptik und das Aussehen achten, sondern auch darauf, wie sich ein Material im Laufe der Zeit verändert – ob es schrumpft, Farbe verliert oder andere Qualitätsprobleme aufweist. Dies beeinflusst das Endprodukt und die Zufriedenheit der Kund*innen.
  • Kollaboration und Partnerschaft: Bei einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Marken und Stoffherstellern geht es darum, gemeinsam Herausforderungen zu meistern und Innovationen voranzutreiben. Dies erfordert gegenseitiges Vertrauen und die Bereitschaft, Wissen zu teilen.
  • Technologischer Fortschritt: Die Einführung von 3-D-Modellierungstools revolutioniert aktuell die Design-Phase. Anstatt physische Prototypen zu erstellen, können Designer*innen jetzt digitale Modelle verwenden, was sowohl Zeit als auch Ressourcen spart und den ökologischen Fußabdruck des Unternehmens verringert.
  • Nachhaltigkeit und Kosten: Obwohl ökologisch verantwortliche Stoffe oft teurer in der Anschaffung sind, bieten sie langfristige Vorteile wie Langlebigkeit und verbesserte Markenwahrnehmung. Dies kann als Verkaufsargument genutzt werden und einen höheren Preis für Endverbraucher*innen rechtfertigen.
  • Trend vs. Ethik: Marken müssen sich fragen, ob das Verfolgen eines Trends mit ihren Kernwerten vereinbar ist. 
  • Herausforderungen in der Lieferkette: Das Sourcing von nachhaltigen Materialien kann komplexer sein, da diese Lieferketten oft weniger entwickelt sind. Dies kann zu längeren Vorlaufzeiten und potenziellen Qualitätsproblemen führen.

In diesem Deep Dive zum Thema nachhaltiges Fabric Sourcing gibt es Input von:

  • Clara Rings, Gründerin des Materialsourcing-Collective bei Fashion Changers und zuständig für Strategisches Lieferantenmanagement bei Wildling Shoes 
  • Heike Hess, Leitung der Berliner Geschäftsstelle beim Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN)
  • Christin Fuchs, Projektleiterin bei der Produktionsagentur Good Garment Collective
  • Benjamin Itter, Co-Gründer und Head of Marketing, und Jeanette Jungbluth, Sourcing-Verantwortliche beim Stoffhändler Lebenskleidung
  • Lena Hoffmann, Verantwortliche für Textildesign und Produktmanagement bei der Outdoor-Brand Bleed

Welche Materialien gelten als nachhaltigere Alternative – und warum?

Die Suche nach nachhaltigeren Materialien hat in vielen Industrien an Bedeutung gewonnen, insbesondere in der Modebranche. Nachhaltigere Stoffe versprechen nicht nur geringere Umweltauswirkungen, sondern oft auch soziale und wirtschaftliche Vorteile. Aber was macht ein Material eigentlich nachhaltiger und welche Alternativen stehen im Fokus der aktuellen Diskussion? 

Fokus auf natürliche statt auf synthetische Fasern 

Clara Rings ist Zuständige für Strategisches Lieferantenmanagement beim Schuhlabel Wildling Shoes – sie findet: Unternehmen sollten beim Fabric Sourcing vermehrt auf Regionalität und Ressourcenschonung achten. „Wolle, Hanf und Leinen sind beispielsweise sehr gut in Europa erhältlich und es gibt erste Projekte, die Baumwolle in Griechenland oder Spanien anbauen.” Zusätzlich zu der räumlichen Nähe, so Rings, müsse ein besonderes Augenmerk auf die Region gerichtet werden: Wie wird wo mit welchem Standard angebaut? Das gilt besonders, wenn es um das Wassermanagement geht.

Das Konzept Deadstockunverkaufte und ungetragene Stoffe, die in Lagerbeständen verbleiben –sieht die Expertin ebenfalls kritisch, „da dieses aus einem konsumgetriebenen kaputten System stammt und dieses streng genommen unterstützt.” Doch solange es kein Umdenken in der Branche gibt, bei dem weniger Masse produziert wird, sollte Deadstock ihrer Meinung nach weiterhin von geeigneten Quellen genutzt werden, um dem bereits produzierten Material ein (neues) Leben zu geben. 

Rings hat das Materialsourcing-Collective bei Fashion Changers ins Leben gerufen. Das Kollektiv bündelt Bedarfe und ermöglicht auch kleineren Unternehmen, nachhaltigere Materialien in kleineren Mengen zu erwerben. „Insbesondere für Branchen-Neulinge oder Start-ups kann der Markt verwirrend sein, da es viel Greenwashing gibt und die Zertifizierungslandschaft komplex ist. Externe Beratung kann hier sehr helfen”, so Rings.

„Insbesondere für Branchen-Neulinge oder Start-ups kann der Markt verwirrend sein.“

Als Leiterin der IVN-Geschäftsstelle bevorzugt Heike Hess kontrolliert-biologisch produzierte Naturfasern. „Sie punkten mit ihrer Umweltfreundlichkeit, sind arm an Schadstoffen, natürlich und zudem biologisch abbaubar. Bei der Herstellung dieser Fasern setzen Betriebe, die durch GOTS- oder BEST-zertifiziert sind, auf soziale und ökologische Standards und verzichten in jedem Produktionsschritt auf Schadstoffe.” Der IVN setzt sich für ökologische und soziale Standards in der Textilproduktion ein. Durch Zertifizierungen wie „Naturtextil IVN zertifiziert BEST” gewährleistet er, dass Textilien umweltfreundlich und sozialverträglich hergestellt werden.

Laut Hess können auch Regeneratfasern, gewonnen aus nachhaltigen Quellen wie Bio oder PEFC, im Hinblick auf Nachhaltigkeit punkten, sofern sie umweltbewusst verarbeitet werden. PEFC steht für „Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes”, übersetzt „Programm zur Anerkennung von Forstzertifizierungssystemen”. Es handelt sich um eine internationale Organisation, die sich für nachhaltige Waldbewirtschaftung durch unabhängige Zertifizierung einsetzt. Kunstfasern seien Hess zufolge inakzeptabel, denn „sie basieren auf nicht erneuerbaren Ressourcen, verbrauchen viele Chemikalien und Wasser, sind nicht biologisch abbaubar und produzieren zudem Mikroplastik.” 

Kritisch sieht die Expertin auch den Higg-Index, obwohl dieser von vielen Unternehmen als Leitfaden herangezogen wird, wenn es um Entscheidungen im Fabric Sourcing geht. Er soll ihnen einen Überblick darüber geben, welche Materialien im Vergleich einen nachhaltigeren Lebenszyklus aufweisen. Jedoch ist es essenziell, die zugrunde liegenden Daten und Methoden kritisch zu hinterfragen, um zu wirklich nachhaltigen Entscheidungen zu gelangen. „Instrumente für Lebenszyklus-Analysen, insbesondere der Higg-Index, geben oft ein verzerrtes Bild von den Umweltauswirkungen verschiedener Produkte. Statt individueller Bewertungen beruhen sie auf allgemeinen Durchschnittswerten. So kann es paradoxerweise passieren, dass Polyester-Produkte besser bewertet werden als solche aus Bio-Baumwolle.” Der Higg-Index begünstige dadurch Greenwashing-Methoden, bei denen konventionelle Unternehmen ihre Produkte umweltfreundlicher darstellen, als sie tatsächlich sind.

Bleed: eigene Stoffe als (Outdoor-) Brand entwickeln 

Um nachhaltigere Stoffe zu finden und auf dem Laufenden zu bleiben, setzt die deutsche Outdoor-Brand Bleed auf Online-Recherchen. Lena Hoffmann, verantwortlich für Textildesign und Produktmanagement bei Bleed, erzählt, dass das Team neben der Recherche regelmäßig Messen besucht, wie etwa die Munich Fabric Start, die Performance Days oder die ISPO.

Oft hat das Team klare Vorstellungen von einem Stoff und dessen Eigenschaften, doch es sei teilweise schwierig, genau diesen Stoff zu finden. „In solchen Fällen entwickeln wir zusammen mit Stoffherstellern neue Materialien, was jedoch zeitaufwendig ist. Ein Hauptproblem sind die hohen Mindestbestellmengen, besonders bei Neuentwicklungen”, berichtet Hoffmann. „Daher benötigen wir viel Überzeugungskraft und müssen die Hersteller überreden, trotz geringer Bestellmengen zu liefern. Oder – zweite Option, um das Problem der Mindestbestellmengen zu umgehen – wir lagern größere Mengen eines neuen Stoffes, dessen Akzeptanz bei den Kund*innen dieses Stoffes ist jedoch noch ungewiss ist.”

In der Materialauswahl unterscheidet Bleed zwischen zwei Hauptkategorien: synthetische Stoffe, die sortenrein und aus schadstofffreien, recycelten Quellen stammen und wieder recycelbar sind sowie pflanzliche Fasern, die komplett biologisch abbaubar sind und keine Schadstoffe zurücklassen. „Wir legen Wert darauf, diese beiden Kategorien – also synthetische und pflanzliche Fasern – nicht zu vermengen, um Produkte zu schaffen, die sich ideal in den Kreislauf einfügen. Dabei ist uns auch eine umweltfreundliche Veredelung wichtig, die zum jeweiligen Produkt passt”, so Hoffmann.

Zudem arbeitet Bleed schon seit vielen Jahren mit dem Textilhersteller Sympatex zusammen, dem Macher der gleichnamigen porenlosen Nässesperr-Membran aus Polyetherester. „Sympatex war damals das erste Unternehmen, das eine vollständig sortenreine, recycelte und recyclingfähige Membran ohne den Einsatz von PFCs oder PTFEs produziert hat und zudem auf eine umweltfreundliche Imprägnierung setzt”, erzählt Lena Hoffmann. „Durch unsere intensive Partnerschaft hatten wir die Möglichkeit, innovative Stoffe in kleinen Mengen als eine der ersten Brands zu nutzen. Aus meiner Erfahrung ist eine enge Kollaboration zwischen Marken und denen, die die Stoffe entwickeln, der Schlüssel zu funktionalen und innovativen Produkten.”

Tatsächlich dominieren in der Outdoor-Branche oft die großen Akteure den Markt und setzen Trends, denen kleinere Unternehmen folgen. Häufig liegt der Schwerpunkt bei diesen großen Marken auf Materialien wie Polyester, recyceltem PET oder chemieintensiven Stoffen wie Teddy-Fleece. Durch seine besonders aufgeraute Oberfläche trägt das Material erheblich zur Mikroplastikbelastung bei. „Viele Unternehmen springen auf diesen Trend auf, in der Hoffnung auf hohe Gewinne. Doch das steht im Widerspruch zu unseren Grundsätzen. Anstatt Trends zu folgen, fokussieren wir uns darauf, nachhaltige Alternativen zu entwickeln und unsere Kund*innen darüber zu informieren.”

„Instrumente für Lebenszyklus-Analysen, insbesondere der Higg-Index, geben oft ein verzerrtes Bild von den Umweltauswirkungen verschiedener Produkte.“

Lebenskleidung: So sieht Fabric Sourcing als Stoffhändler aus

Der Berliner Stoffhändler Lebenskleidung hat seine Wurzeln in den Bio-Baumwollfeldern Indiens. Gegründet wurde die Brand 2008, als Benjamin Itter, Co-Gründer und Head of Marketing, in Indien lebte, wo er lernte, aus Bio-Baumwollanbau pflanzlich gefärbte Satin-Stoffe zu beziehen. „Unsere Aktivitäten erstrecken sich mittlerweile von der Türkei über Portugal bis Deutschland, wobei Fair-Trade-Projekte in Uganda und Kirgistan, Digitaldruck in Griechenland und Bio-Wolle aus dem Wendland und Sachsen hinzukommen”, so Itter. „Unsere Zusammenarbeit basiert auf Augenhöhe und langfristigen, fairen Beziehungen. Jenseits der Nachhaltigkeit setzen wir auf gleichbleibende Stoffeigenschaften, was Echtheitswerte wie Wasch-, Reib-, Farb- oder Lichtechtheit angeht. Neue Partnerschaften erfordern intensive Kennenlernphasen und Qualitätskontrollen.”

Den Fokus legt Lebenskleidung auf Naturmaterialien wie Bio-Baumwolle, Bio-Wolle und Bio-Leinen. Ebenfalls verwendet der Stoffhändler spezielle Zellulosefasern wie Tencel, Lyocell oder REFIBRA mit recycelter Baumwolle. Bio-Baumwolle ist laut Lebenskleidung dann nachhaltiger, wenn sie ohne Pestizide, Fungizide und Herbizide angebaut wird und als Mischkulturen die Böden nährt. „Wir befassen uns intensiv mit dem Thema Recyclingfasern und wählen Stoffe sorgfältig nach unseren Nachhaltigkeitskriterien aus”, erklärt Itters Kollegin und Sourcing-Verantwortliche Jeanette Jungbluth. „Obwohl wir gelegentlich recyceltes Elasthan verwenden, meiden wir Polyester, da es unserer Ansicht nach grundsätzlich nicht als nachhaltig betrachtet werden kann. Das Gleiche gilt für recyceltes Polyester, da dort neben der Mikroplastikproblematik auch halbwegs zirkulär funktionierende Kreisläufe wie beim PET-Flaschen-Recycling durchbrochen und linear werden, wenn die Kleidung aus diesen Fasern dann auf der Müllhalde landet.” 

In Sachen Färbung und Druck setzt Lebenskleidung auf den Global Organic Textile Standard (GOTS) und orientiert sich an der sogenannten Positivliste, die sichere und schadstofffrei Methoden für Farb- und Veredlungsstoffe vorgibt. 

Die Berliner Produktionsagentur Good Garment Collective setzt seit Gründung auf europäische Lieferketten. „Über die Jahre haben wir ein umfangreiches Netzwerk an nachhaltigen Stoff- und Zutatenlieferanten aufgebaut und viele Muster gesammelt, die wir unseren Kund*innen vorschlagen können”, berichtet die Projektleiterin Christin Fuchs. Wenn Modelabels mit Ideen zu uns kommen, prüfen wir die Anforderungen an die Stoffe, wie etwa Funktion, Menge und Preis. Anschließend präsentieren wir eine Auswahl an Stoffen aus unserem Netzwerk mit den jeweiligen Preisen und Bedingungen.”

Textilsiegel: So entscheidend sind sie beim Fabric Sourcing

Zertifizierungen und Standards können entscheidende Wegweiser in der Stoffbeschaffung sein. Sie gewährleisten, dass Textilien nach bestimmten ökologischen und sozialen Kriterien hergestellt werden und bieten Marken sowie Kund*innen Vertrauen in die Nachhaltigkeit und Qualität der Produkte.

Zertifizierungen als Qualitäts- und Nachhaltigkeitssiegel 

Laut Heike Hess vom IVN sind die richtigen Standards entscheidend für die Erfüllung von Nachhaltigkeitskriterien. Nur solche, die unabhängig geprüft, ökologisch, sozial, gesund und transparent sind und dabei hohe Anforderungen stellen, können die Qualität und Nachhaltigkeit eines Produktes oder Unternehmens sicherstellen. 

Sourcing-Expertin Clara Rings sieht dies ähnlich. Für Marken seien Zertifikate ein wertvoller Richtungsgeber zur Qualitätssicherung. „Es ist jedoch wichtig, die Kriterien jedes Zertifikats genau zu kennen, besonders da soziale Aspekte im Anbau oft vernachlässigt werden. Eine vollständige Abdeckung der Wertschöpfungskette erfordert oftmals eine Kombination verschiedener Zertifikate.” Größere Unternehmen sollten zudem, wenn möglich, ihre Partner vor Ort besuchen und mit ihnen zusammenarbeiten, um nachhaltigere Materialien aus regenerativen Projekten zu beziehen.

Die Outdoor-Brand Bleed verwendet ausschließlich GOTS-zertifizierte Baumwolle und GRS-zertifiziertes recyceltes Polyester. „Zertifizierungen sind für uns essenziell, insbesondere, wenn es um Rohstoffanbau oder Recycling geht – also Prozesse, bei denen wir nicht ständig präsent sind”, so Produktmanagerin Lena Hoffmann.

Good Garment Collective arbeitet allem mit Stoffproduzenten zusammen, die nicht nur ökologisch agieren, sondern auch ihre gesamte Produktionsweise nachhaltiger gestalten und soziale Verantwortung übernehmen, wie der deutsche Baumwollhersteller Elmer und Zweifel, der durch „Fair-Trade-PrämienBio-Aufschläge direkt an die Baumwolllandwirt*innen weitergibt.

Für Lebenskleidung steht der GOTS besonders bei der Färbung und Veredelung von Stoffen im Mittelpunkt. Der Fair-for-Life-Standard garantiert zusätzlich eine faire Produktion bei der Bio-Baumwolle. „Generell möchten wir uns aber selbst davon überzeugen, wie und wo unsere Stoffe hergestellt werden. Dennoch bleiben Transaktionszertifikate des GOTS essenziell, insbesondere bei der Kontrolle von Mengen und Materialflüssen. Zukunftsweisende Entwicklungen wie Blockchain sollen zudem mehr Transparenz und Sicherheit in der Lieferkette bieten. Es ist uns wichtig, uns proaktiv mit diesen Themen auseinanderzusetzen und in direktem Austausch mit Zertifizierungsstellen und Auditor*innen zu stehen”, so Benjamin Itter. 

So beeinflusst der Trend zur Nachhaltigkeit die Stofflieferketten und -märkte

Aus Gesprächen beobachtet Heike Hess vom IVN, dass insbesondere Baumwolle und Wolle in kontrolliert biologischer Qualität (kbA/kbT) immer seltener verwendet werden. Große Akteure sichern sich bedeutende Mengen und haben oft Priorität gegenüber kleineren Unternehmen. Dies habe zu steigenden Preisen geführt. Hinzu komme, dass Lieferanten ihre zugesagten Lieferzeiten nicht immer einhalten oder in manchen Fällen gar nicht liefern können. Parallel dazu beobachtet der IVN eine verstärkte Hinwendung zu alternativen Fasern wie Recycling-Ppolyester, SeaCell, ECONYL®, SEAQUAL®, QMILK®, Biopolymere und Mais-Viskose.

Auch Lebenskleidung bestätigt, dass es vor allem während der Pandemie Lieferengpässe bei Bio-Baumwolle gab, teilweise durch den erhöhten Bedarf großer Textilketten. „Große Unternehmen wenden sich nun vermehrt der sogenannten regenerativen Baumwolle zu, die nachhaltiger als die konventionelle, aber nicht so streng wie die Bio-Baumwolle ist”, erzählt Jeanette Jungbluth. „Es ist erfreulich, diesen Wandel zu sehen, doch es besteht die Gefahr, dass Nachhaltigkeitsstandards so verwässert werden. Um aktuelle Trends zu verfolgen, nutzen wir Berichte wie den Organic Cotton Market Report von Textile Exchange. Aktuell sind besonders Innovationen im Bereich recycelter Fasern wie INFINNA™ von Infinited Fiber oder SaXcell spannend.” 

„Ein beständiges Stoffportfolio ist ein Zeichen für konstante Qualität.“

Christin Fuchs von Good Garment Collective berichtet zudem, dass recycelte Garne wie ECONYL® oder biologisch abbaubare Garne wie Roica V550, die einst in vier bis sechs Wochen geliefert wurden, zuletzt Lieferzeiten von bis zu acht Monaten hatten. „Um dem entgegenzuwirken, bestellen wir inzwischen in größeren Mengen und planen längere Vorlaufzeiten, damit wir auch bei Nachproduktionen stets Ware vorrätig haben.” In Bezug auf die Qualität bedeutet die Verwendung innovativer (Trend-)Fasern nicht zwangsläufig, dass die Stoffe auch qualitativ hochwertig sind. „Erst wenn Hersteller wiederholt und erfahrungsbasiert mit einer neuen Faser arbeiten, verbessert sich beispielsweise der Färbeprozess. Ein beständiges Stoffportfolio ist ein Zeichen für konstante Qualität.”

Leitfaden für nachhaltiges Fabric Sourcing
  • Ist-Zustand analysieren: Unternehmen sollten zunächst eine detaillierte Bestandsaufnahme ihrer aktuellen Materialien und deren Herkunft durchführen, um potenzielle Verbesserungsbereiche zu identifizieren.
  • Fachmessen nutzen: Durch den Besuch von Fachmessen können Unternehmen direkte Kontakte zu Produzenten knüpfen, nachhaltigere Materialien entdecken und sich von den neuesten Innovationen inspirieren lassen.
  • Langfristige Partnerschaften: Unternehmen profitieren von der Pflege langjähriger, vertrauensvoller Beziehungen zu Stoffherstellern und Lieferanten. Dies ermöglicht Zugang zu exklusiven Materialien und besseren Konditionen.
  • Expertise von Agenturen nutzen: Es gibt mittlerweile viele Agenturen, die sich auf nachhaltiges Sourcing spezialisiert haben. Ihre Beratung kann wertvolle Einblicke bieten und den Sourcing-Prozess vereinfachen.
  • Stetige Weiterbildung: Da sich die Branche ständig weiterentwickelt, ist es für Unternehmen essenziell, sich regelmäßig fortzubilden und über neueste Trends im Bereich Nachhaltigkeit informiert zu sein.
  • Digitalisierung einsetzen: Unternehmen können von 3-D-Software-Technologien profitieren, die den Materialverbrauch in der Musterphase reduzieren, Entscheidungsprozesse beschleunigen und Ressourcen sparen.
  • Volle Transparenz anstreben: Eine lückenlose Nachverfolgung der Lieferkette sichert nicht nur die Nachhaltigkeit, sondern stärkt auch das Vertrauen von Kunden und Partnern.
  • Feedbackprozesse implementieren: Durch regelmäßige Gespräche mit Kund*innen und anderen Stakeholdern können Unternehmen ihre Sourcing-Strategien besser an Marktbedürfnisse anpassen.
  • Adaptive Strategien entwickeln: Angesichts der rasanten Veränderungen im Bereich Nachhaltigkeit sollten Unternehmen flexibel bleiben und ihre Sourcing-Strategien bei Bedarf anpassen.
  • Aufklärung und Bildung vorantreiben: Unternehmen haben die Chance, ihre Plattformen zur Aufklärung über nachhaltiges Stoffsourcing zu nutzen, um Bewusstsein zu schaffen und das Konsumverhalten positiv zu beeinflussen.

Abnahmemengen und Qualitätsstandards: weitere Herausforderungen beim nachhaltigeren Fabric Sourcing

Laut Clara Rings sei es für kleine Unternehmen generell schwierig, an Materialien zu gelangen, die nachhaltiger sind, den ästhetischen und funktionalen Ansprüchen genau entsprechen und trotzdem kleine Abnahmemengen haben. Andererseits haben auch große Unternehmen ihre eigenen Herausforderungen. „Sie müssen ihre Bedarfe weit im Voraus abschätzen, um ihre Kollektionen zu planen und die benötigten Materialien zu beschaffen”, erklärt Rings. Wenn die prognostizierten Verkaufszahlen nach Markteinführung nicht erreicht werden, führt dies zu einer Reduzierung der Produktion, was wiederum Deadstock-Material und bereits produzierte Lagerware zur Folge hat.

Auch Good Garment Collective bündelt gelegentlich Stoffbestellungen. „Wir sind mit den Mindestbestellmengen der verschiedenen Stoffhersteller vertraut und empfehlen unseren Kund*innen nur die Stoffe, die ihren Mengenanforderungen entsprechen”, so Christin Fuchs. „Falls ein Modelabel mit innovativen Fasern arbeiten möchte, die höhere Abnahmemengen verlangen als benötigt, suchen wir nach weiteren Brands, die sich an der Bestellung beteiligen könnten.” Bei der Arbeit mit innovativen und nachhaltigeren Fasern sei mehr Zeit und Geduld erforderlich, da ihre Lieferketten oft nicht so entwickelt sind wie bei konventionellen Materialien

Gleichbleibende Qualität zu liefern ist nicht immer einfach

Laut Lebenskleidung sei es komplex, gute Qualität gleichbleibend zu liefern, da viele Produktionsschritte von der Faser bis zur Veredelung beachtet werden müssen. „Wir lösen diese Herausforderungen unter anderem durch Labortests und interne Prüfungen bezüglich Haptik, Farben und Muster. Wir können somit unseren Kund*innen die Herausforderungen des Sourcings abnehmen”, erklärt Benjamin Itter. „Günstig erscheinende Bio-Baumwolle kann nach einem Waschgang ihre Farbe verlieren oder einlaufen – ein hoher Preis für niedrige Kosten.”

Geringe Abnahmemengen versucht der Berliner Stoffhändler mit einem Lagerprogramm zu und einem „Custom Color Service“ zu erfüllen, bei dem Kund*innen individuelle Stoffproduktionen in Auftrag geben können

Wie können Innovation und Technologie nachhaltigeres Fabric Sourcing voranbringen?

Durch den Einsatz von 3D-Software-Technologien im Modedesign und in der -entwicklung, wie Browzwear, kann Lebenskleidung mittlerweile Musterteile am Computer mit digitalisierten Materialien erstellen, ohne physisch in die Produktion einsteigen zu müssen. „Dies stellt in den kommenden fünf Jahren eine signifikante Innovation dar, insbesondere hinsichtlich der Reduzierung des Materialverbrauchs beim Sampling”, so Benjamin Itter. „Zudem ermöglichen moderne Technologien heute die Modellierung von Stoffkonstruktionen auf Garnebene direkt am Computer.”

Good Garment Collective arbeitet seit zwei Jahren mit der 3-D-Visualisierungssoftware VStitcher in der Schnittentwicklung. „Wir können damit das Modell digital mit den Parametern des Originalstoffs an einem Avatar simulieren und gemeinsam mit unseren Kund*innen fitten”, so Christin Fuchs. „So müssen wir nicht bei jeder Schnittmodifikation einen Prototyp nähen. Das spart Ressourcen und Kosten.”

Andere nennenswerte Tools in diesem Bereich könnten CLO3D oder Optitex sein. CLO3D bietet ebenfalls fortschrittliche 3-D-Modellierungsfunktionen, während Optitex eine End-to-End-Lösung für Design, Entwicklung und Produktion in der Modeindustrie bietet. Auch Yoona‘s Plattform analysiert umfangreiche Daten und wandelt diese in Produkt-, Farb- und Grafikempfehlungen um. In Sekundenschnelle können über 20.000 digitale Designs in 3D-Objekte transformiert werden, wodurch ein reibungsloser Übergang zu Produktion, Marketing oder digitalen Showrooms ermöglicht wird.

Auf langfristige Partnerschaften setzen

Die Beschaffung nachhaltigerer Textilien bringt sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich. Kleinere Marken und Unternehmen sehen sich mit Mindestabnahmemengen und Lieferkettenherausforderungen konfrontiert, während größere Player in der Industrie Trends vorgeben. Technologische Fortschritte wie die Nutzung von 3D-Software und innovative Stoffentwicklungen bieten neue Möglichkeiten, den Materialverbrauch zu reduzieren und die Produktionseffizienz zu steigern. Dennoch liegt der wahre Wert nachhaltigerer Materialien in der Qualität – in Produkten, die langlebiger, weniger schädlich für den Planeten und letztlich wertvoller für Kund*innen sind. 

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