1930 trug Marlene Dietrich in Marokko von Josef von Sternberg zum ersten Mal die von ihr adaptierte weite Männerhose. Damals ein Skandal, heute ein Klassiker. Die Marlene-Hose statuiert ein gutes Exempel, wie Film und Mode aufeinander Einfluss nehmen. Seit geraumer Zeit aber haben Serien die stilprägende Rolle des Films übernommen.
Aktuell sind es Serien wie And just like that, der Reboot von Gossip Girl und allen voran Euphoria, deren zweite Staffel im Februar 2022 herausgekommen ist. Bereits die im Juni 2019 gestreamte erste Staffel sorgte für Aufsehen, zunächst inhaltlich – Highschool-Teenager, Sex und Drogen sind immer eine explosive Mischung – und schnell darauf modisch. Eigentlich ist es fast schon irrsinnig, dass die Serie zum großen Teil auf Fashion und Beauty heruntergebrochen wird, wenn man bedenkt, dass es inhaltlich oft an Grenzen geht, die beim Zuschauen schmerzen. Dennoch hat Euphoria einen wesentlichen Anteil an dem sich etablierenden Y2K-Trend, der sich ohnehin angedeutet hat, aber dessen Euphoria-Kostümdesign von Heidi Bivens wie ein Brandbeschleuniger gewirkt zu haben scheint.
Von Sex and the City zu Euphoria – So geht Trendsetting
Inspiriert von den Outfits der Euphoria-Protagonist*innen Rue, Jules, Kat, Lexi, Cassie und Maddie wurden vor allem auf TikTok, Instagram und YouTube Outfit-Recreations gepostet, Edits und Aesthetics zusammengestellt. Dabei spielte im Kontext der ersten Staffel vor allem Vintage eine große Rolle. Die Protagonist*innen wurden so angezogen, dass es einigermaßen dem finanziellen Rahmen der Figuren entsprach.
Der ultimative Fashion Hype setzte für Euphoria aber erst mit der zweiten Staffel ein. Der entscheidende Faktor dafür: Heidi Bivens hat das Konzept geändert und mit jeder Menge Styles und Fashion Pieces von High Fashion Brands gearbeitet. Die Neuausrichtung im Kostümdesign bedeutet für Bivens nahezu mit Patricia Field gleichzuziehen.
Field hat 1998 mit Sex and the City ein Styling-Manifest gesetzt – so wurde die Serie zum Gamechanger. Wer kannte Manolo Blahnik, bevor Carrie Bradshaw den Schuhdesigner zum Must-know machte? Wer verspürte vor Sex and the City das zwingende Bedürfnis, vierstellige Beträge für eine It-Bag auszugeben? Eine Damenhandtasche ernsthaft als gute Investition zu deklarieren? Nicht zu vergessen, die aufpoppenden Online-Verleihkonzepte für Luxushandtaschen.
So viel ist sicher: Sex and the City hat die Rezeption von Mode und Lifestyle verändert und vor allem High Fashion aus der exklusiven Nische ins Rampenlicht der Begierden des Mainstreams gerückt. Outlets und Plattformen wie Yoox ließen Designer*innen-Ware in finanziell erreichbare Nähe rücken und, kombiniert mit günstigen Designkopien von Zara, H&M oder anderen Fast Fashion Brands, versuchten Menschen – allen voran junge Frauen – Carrie und Co. nachzueifern. Rückblickend erscheint die widerspruchslose Art, wie der Lifestyle von Carrie, Miranda, Charlotte und Samantha angenommen wurde, geprägt von Sorglosigkeit und Naivität.
Zwischen Selbstverwirklichung und Überkonsum
Rue, gespielt von Zendaya, trägt gleich in der ersten Folge der zweiten Staffel eine Jacke von Peels, dem Label des US-Designers Jerome Peels. Dies löste einen ungeheuren Hype aus und brachte eine entsprechende Nachfrage mit sich. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass das Unternehmen durch die Corona-Pandemie starke Einbußen hatte.
Zwar können junge, aufstrebende Designer*innen davon profitieren, wenn sie in einer Serie wie Euphoria zu sehen sind. Doch lässt es sich nicht leugnen, dass solche Serien auch der Inspiration zu mehr Konsum dienen. Heidi Bivens mag den Fokus auf exquisite Designer*innen wie Mimi Wade, Jerome Peels und Aidan Euan gesetzt haben und Luxusmarken wie Miu Miu. Die Looks und Styles werden dennoch in erster Linie über Ultra Fast Fashion wie Shein und Boohoo ihren Weg zu den Fans der Gen-Z finden. Auf TikTok sind zum Beispiel reichlich “How to dress like Euphoria with Shein items”-Reels zu finden.
Es bleibt aber nicht bei Mode, hinzukommen Beauty-Produkte. Man muss nicht lange suchen, um zu erfahren, wer für Haare, Make-up und Nail Design zuständig war: Kim Kimble, Donny Davey und Natalie Minerva. Die schimmernden Glitter-Looks, diversen Cat-Eye Varianten und kräftigen Augenmake-up Farben – man kann ihnen auf Social Media nicht entkommen. Fast Fashion Online-Retailer wie Asos haben den Beauty-Markt längst besetzt und reagieren dementsprechend prompt.
Der durch Euphoria verstärkte Y2K-Trend demonstriert recht anschaulich ein Dilemma: Die Lust auf Neues, die man niemandem absprechen möchte sowie das Vergnügen, sich als Generation modisch abzugrenzen und zu definieren, treffen auf eine vollkommen entfesselte Modeindustrie, die nicht nur drei oder viermal im Jahr neue Kollektionen auf den Markt bringt, sondern im Extremfall – wie bei Shein – mit täglichen Neuheiten aufwartet. Täglich! Bei Shein werden zum Beispiel unter Neuheiten sieben Tage mit Datum eingeblendet. Was vor acht Tagen neu war, ist somit Schnee von gestern. Das bedeutet im Klartext: Das Trendkarussell hat nicht nur an Fahrt aufgenommen, es hält nie an.
Titelbild: Kevin Laminto via Unsplash
Dieser Beitrag wurde von unserer Gastautorin Cynthia Blasberg verfasst. Sie arbeitet seit 2016 für die Fachmagazine TextilMitteilungen und J’N’C als Redakteurin und ist Chefredakteurin von Green Knowledge. Sie ist seit fast 30 Jahren für verschiedene Publikationen als Redakteurin und Autorin tätig und hat auch Erfahrung auf der anderen Seite der Medaille im Bereich PR und Event gemacht. Während ihrer Zeit als Mode- und Bildredakteurin für das Musikmagazin Intro in den Nullerjahren wurde sie auf die ersten Brands aufmerksam, die Nachhaltigkeit thematisieren wie zum Beispiel Howies und Komodo. Im Lauf der Jahre hat sie Nachhaltigkeit in der Mode- und Textilindustrie zu ihrem Fokusthema gemacht.