- Immer mehr Akteur*innen plädieren für eine branchenweite und branchenübergreifende Zusammenarbeit, um den Wandel und Fortschritt hin zu einer nachhaltigeren Industrie zu beschleunigen.
- Bei jeder Partnerschaft sollte es einen gründlichen und wohlüberlegten Denkprozess geben, der in die Design-, Liefer- und Produktionsentscheidungen einfließt.
- Bevor Gründer*innen und Unternehmen Partnerschaften eingehen, sollten sie sich Referenzen von Kooperationspartnern einholen und sich fragen, ob das Geschäftsgebaren der potenziellen Partner mit den eigenen Werten übereinstimmt.
- Risiken und Kosten sollten von Anfang an gerecht verteilt sein. Alle Partner müssen nachvollziehen können, welche Kosten, wo und warum auftreten und wie diese gerecht verteilt werden können.
- Partnerschaft bedeutet auch: ständiger Austausch und Brainstorming-Sessions, Multiplikationseffekt, bessere Wahrnehmung von Außen und Stärkung der eigenen Kompetenz.
In diesem Deep Dive zum Thema Zusammenarbeit in der (Fair-) Fashion-Branche gibt es Input von:
- Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin des BNW (Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft)
- Clara Rings, Zuständige für Strategisches Lieferantenmanagement bei Wildling Shoes
- Lisa Jaspers, Sozialunternehmerin und Gründerin von Folkdays
- Scott Lipinski, CEO beim Fashion Council Germany
- Sabinna Rachimova, Dozentin und Gründerin von Sabinna
- Sandra Volz, Dozentin, Beraterin und Gründerin der FCC Karrierefabrik
- Stephanie Rugel, Presse- und PR-Zuständige bei der Austrian Fashion Association
- Ann-Kathrin Zotz, Mitgründerin von White Label Project
„Real progress will come from brands collaborating with their competitors and meeting solutions providers, sharing successful case studies for others to learn from and replicate”, meint Moin Roberts-Islam, Technology Development Manager bei Fashion Innovation Agency im Interview mit Vogue Business. Auf Deutsch übersetzt heißt das so viel wie: „Echte Fortschritte werden von Marken erzielt, die mit ihren Konkurrenten zusammenarbeiten, Lösungsanbieter treffen und erfolgreiche Fallstudien teilen, von denen andere lernen und die sie wiederholen können.”
Es vergeht wohl keine Woche, in der die Modeindustrie nicht eine Zusammenarbeit zwischen großen Marken ankündigt. Sei es Nike x Jacquemus, Gucci x Balenciaga oder Ganni x New Balance – die Branche lebt quasi von Kooperationen. Es sind vor allem die sogenannten High-Low-Collabs, die den Massen einen Hauch von Luxus näher bringen sowie strategische Partnerschaften zwischen Nischenmarken und Einzelhandelsgiganten, die Aufsehen erregen und Umsätze zu generieren.
Markenkooperationen sind kein neues Konzept, sondern ein bewährtes Mittel, um die Bekanntheit zu steigern, mit innovativen Produktreihen zu experimentieren und neue Kund*innen zu erreichen. Sie können aber auch nachhaltigere Praktiken beschleunigen. So investieren Brands immer wieder in Tech-Start-ups, setzen sich mit Bildungsinstitutionen zusammen oder kooperieren mit NGOs.
All das passiert aktuell vor allem außerhalb der DACH-Region. Angesichts der zahlreichen Gesetze (wie etwa das deutsche Lieferkettengesetz, das EU Due Diligence Law und der EU Green Deal), die bald in Kraft treten oder gerade ausgearbeitet und verhandelt werden, ist Zusammenschluss die Antwort, um diese Art von Regularien umzusetzen und die Modewelt nachhaltiger zu gestalten.
Allianzen für eine neue Ära
Zirkularität, CO₂-Emissionen, Community und Zusammenarbeit. Laut des diesjährigen Global Fashion Summit in Kopenhagen unter dem Motto „Allianzen für eine neue Ära“ stellen diese vier Komponenten die wichtigsten Faktoren beim Thema Nachhaltigkeit dar. Denn die dringend benötigten Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit und Klimaverpflichtungen hängen von der Zusammenarbeit der Industrie ab, vor allem angesichts der zunehmenden Prüfung durch globale Regulierungsbehörden.
So hat sich auch in Europa Ende Juni eine bedeutungsvolle neue Allianz gebildet: die European Fashion Alliance (EFA). Diese besteht aus 25 Organisationen und wird den Bekleidungssektor auf politischer Ebene vertreten. Das Gremium (dem unter anderem auch der Moderat Fashion Council Germany sowie die französische Fédération de la Haute Couture et de la Mode und die italienische Camera Nazionale Della Moda angehören) zielt darauf ab, Nachhaltigkeit, Innovation und Inklusivität in Europa zu fördern. Es wird dabei unter anderem versucht, den Informationsaustausch innerhalb der Branche zu verbessern, um unternehmerische Kreativität und Innovationsfähigkeiten zu unterstützen. Zudem wird die EFA die länderübergreifende Zusammenarbeit und Verbindungen sowie die Unterstützung der Mobilität zwischen kreativen Akteur*innen und der Industrie fördern.
In den kommenden Monaten werden die Mitglieder gemeinsam eine Strategie entwickeln, um die Branche im Einklang mit umfassenderen Bemühungen zur Etablierung von umwelt- und sozialverträglicheren Geschäftspraktiken umzugestalten. Dieser Prozess soll unter anderem durch eine Plattform für professionelles Networking vereinfacht werden.
„Das große Netzwerk an Modeinstititutionen und -organisationen in ganz Europa stellt eine Gelegenheit dar, sich mit Akteur*innen, die ähnlich arbeiten, auszutauschen, voneinander zu lernen, einander zu unterstützen und gemeinsame Projekte zu realisieren”, erklärt Stephanie Rugel, die bei der Austrian Fashion Association für Presse und PR zuständig ist. „Durch die branchenübergreifende Zusammenarbeit zur Unterstützung eines ganzheitlichen Bildungsansatzes und kritischen Denkens erhoffen wir uns auch, dass Nachhaltigkeit sowohl auf Seite der Modeproduzent*innen als auch der -konsument*innen zu einer Selbstverständlichkeit wird.”
Für den Wandel braucht es jedes einzelne Unternehmen
Buzz-Konzepte wie regenerative Landwirtschaft, recycelte Materialien und Degrowth stehen im Vordergrund. Sie alle haben eines gemeinsam: Langfristige Veränderung in diesen Kontexten kann nur gemeinsam angegangen werden, durch viele verschiedene Akteur*innen. Vor allem jetzt, angesichts zahlreicher Greenwashing-Skandale, die auch die Fair-Fashion-Branche hart treffen.
„Was wir im Fair-Fashion-Sektor anstreben müssen, ist ein Systemwandel. Und der kann nur dann gelingen, wenn wir eine Bewegung werden. Dafür braucht es jedes einzelne Unternehmen, egal wie klein”, meint Lisa Jaspers, Gründerin von Folkdays, einer in Berlin ansässigen Marke für Fairtrade-Design und Mode.
Zusammenarbeit = Wissensaustausch
Es scheint, als wären Kooperationen eine Möglichkeit für Marken, den Markt auf neue Innovationen zu testen und Erkenntnisse zu teilen. Viele soziale und ökologische Innovationen in der Modebranche sind noch im Entstehen oder im Maßstab noch nicht erprobt, aber die Kombination des Fachwissens kleinerer Brands mit der Größe und Plattform größerer Unternehmen kann bessere Praktiken hervorbringen. Dies wiederum kann dann die breitere Akzeptanz von Innovationen und Praktiken beschleunigen, die die Umweltauswirkungen der Branche verringern könnten.
Allbirds und Adidas haben sich beispielsweise schon 2020 zusammengetan, um Möglichkeiten zur Reduzierung des CO₂-Fußabdrucks von Turnschuhen zu untersuchen und im Mai 2021 einen Prototyp auf den Markt gebracht, dessen Herstellung 2,94 Kilogramm CO₂-Emissionen erforderte. Das sind etwa 63 Prozent Emissionen weniger als bei konventionellen Adidas-Sneakern. Pangaia, das Unternehmen, das mit seiner Loungewear aus Materialien wie Algenfasern und Brennnesseln für Aufsehen sorgte, setzt auf ein Business-to-Business-Modell, um den Zugang zu Materialinnovationen für andere Brands einfacher zu gestalten. Sharing is caring, oder?
Gemeinsam positive Impulse setzen
Die Lieferkettentransparenz- und Rückverfolgbarkeitsplattform TrusTrace hat in Zusammenarbeit mit der Kampagnenorganisation Fashion Revolution und der Amsterdamer Agentur Fashion for Good, zu deren Partnern Kering und PVH gehören, ein Playbook zur Rückverfolgbarkeit entwickelt. Hier wurde zusammengearbeitet, um eine größere Verantwortlichkeit für die Herkunft von Materialien und Produkten zu schaffen und positive Impulse für einen Wandel in der Modebranche zu setzen. Darüber hinaus zeigt dieses Beispiel, welche Wirkung wir erzielen können, wenn wir branchenübergreifend zusammenarbeiten, um gemeinsame Lösungen zu finden. Die Kombination aus Technologien und branchenübergreifenden Datenbanken kann dazu beitragen, die Rückverfolgbarkeit der Lieferkette zu verbessern.
Ein anderes Beispiel: Die Schmuckdesignerin Maria Black hat mit ihrem Team und der Fairtrade-Organisation ein Gold-Beschaffungstool entwickelt, das Marken ermöglicht, so viel oder so wenig Fairtrade-Gold in ihrem Unternehmen zu verwenden, wie es ihr Geschäftsmodell erlaubt. Hier wurden gemeinsam wichtige Herausforderungen und reale Probleme in der Beschaffung von (Fairtrade-) Gold erkannt und praktisch gelöst.
Impact erzielen durch wertvolle Kollaborationen
In unserem Artikel zum Thema (De-)Growth erklären einige Brands, wirtschaftliches Wachstum sei wichtig, um mehr Impact zu erzielen. „We gotta grow to matter“, meint Kristin Heckmann, Chief Corporate Sustainability Officer bei Hessnatur. Und Sarah Grohé und Benjamin Sadler, Gründer*innen von erlich textil erklären, dass sie Impact nur erreichen können, wenn mehr Menschen bei ihnen einkaufen würden. „An oberster Stelle steht also, dass wir unseren Impact in der Industrie vergrößern und eine wirklich faire und nachhaltige Alternative zu Fast Fashion bieten.”
Doch lässt sich Impact auch anders erzielen – wie etwa durch Kollaborationen und Zusammenschlüsse, sowohl innerhalb der Branche als auch branchenübergreifend? „Bei der Definition von Impact ist es ähnlich wie bei der Definition von Erfolg: Wir brauchen dringend eine ganz neue Herangehensweise”, so Sabinna Rachimova, Gründerin des Labels Sabinna.
Zusammenarbeit fängt bei der Bildung an
Wie kann ein Zusammenschluss über die Fair-Fashion-Branche hinaus aussehen? Und wo fängt die Zusammenarbeit bestenfalls an? Expert*innen sind der Ansicht, dass Kollaboration bereits auf Hochschulen und an Universitäten festen Bestandteil haben soll. Die Collaborative Challenge an der University of Arts London bietet Studierenden die Möglichkeit, interdisziplinär zusammenzuarbeiten, um Herausforderungen und neue Konzepte anzugehen. Dabei können sie sich unter anderem mit Forschungsteams und Industriepartnern auseinandersetzen.
„Bildungsinstitutionen wie Universitäten und Hochschulen könnten viel mehr mit existierenden Unternehmen zusammenarbeiten”, meint Sabinna Rachimova, die selbst Dozentin an der University of der Arts London ist. „Das würde einerseits mehr Realität in den beruflichen Alltag bringen und die Auszubildenden besser auf die Zukunft vorbereiten. Andererseits kann es auch die Innovation vorantreiben, weil man so im ständigen Austausch zwischen den Generationen wäre. Vor allem in der DACH-Region hinken wir da noch etwas nach”, findet die Designerin.
So könnte diese Art der Zusammenarbeit jedoch praktisch aussehen: Flip, ein in Hamburg ansässiges Medien-Start-up, das für investigativen Wirtschaftsjournalismus steht, versucht aktuell sogar einen eigenen Sneaker zu entwickeln. Und das mithilfe der Fakultät Textil und Design der Hochschule Reutlingen, dem Schuhhersteller Monaco Ducks aus München und dem Africa Collect Textiles aus Nairobi. Ziel ist es, „Lösungen, aber auch Probleme auf dem Weg zu einer nachhaltigen Textilindustrie aufklären”, erklären die Gründer auf Instagram.
Sandra Volz, die ebenfalls Dozentin ist, hat in Sachen Innovations- und Forschungshubs noch ein paar Anlaufstellen. Ihr könnt euch deren Projekte mal anschauen oder die Zentren gegebenenfalls auch kontaktieren. Da wäre zum Beispiel das Zentrum für interaktive Materialien, das zu der Hochschule Reutlingen Fakultät Textil & Design gehört. Die Forschungsschwerpunkte liegen hier unter anderem bei innovativen Materialien und Textilveredlung. Zudem gibt es die Zürcher Stiftung für Textilforschung, deren Schwerpunkte insbesondere in Sachen Nachhaltigkeit und Digitalisierung liegen, und das Deutsche Institut für Textil- & Faserforschung, das sich vor allem mit produkt- und technologieorientierten Innovationen sowie modernen Managementkonzepten beschäftigt.
Kollaboration und Netzwerke fördern, aber richtig
Das White Label Project ist eine Social Enterprise, welche durch seinen Marktplatz und Community-Plattform nachhaltigen Fashion- und Designbrands aus dem Global Süden die Möglichkeit bietet, ihre Produkte auf dem internationalen Markt zu verkaufen und sich als Brand zu positionieren. „In den letzten Jahren ist klar geworden, dass sich viele Gründer*innen aus dem Globalen Süden gegenseitig inspirieren und sich als Vorbilder sehen. Sie möchten ihr Wissen untereinander teilen und suchen den kreativen Austausch mit Gleichgesinnten, welche ähnliche Herausforderungen überwinden müssen um international zu wachsen”, erklärt Ann-Kathrin Zotz, Mitgründerin von White Label Project.
So kam schließlich auch die Idee zum Brand Lab, einer eigenen kostenlosen Community-Plattform. „Wir wollten die Unternehmer*innen vernetzen, wussten anfangs aber nicht richtig wie.” Nach einer globalen Umfrage mit Brands aus dem Globalen Süden wurde schnell klar, wie das künftige Netzwerk, das Brand Lab, aussehen soll.
Es sollte user-friendly sein und Kommunikation zwischen den Brands vereinfachen, anhand eines Forums. Dabei sollte es auch fachlich und unternehmerisch ausgerichtet sein. „Es geht jetzt erst mal um den praktischen Austausch und die gemeinsame Zusammenarbeit von den Brands, beziehungsweise Menschen, die ein Unternehmen haben oder führen. Im nächsten Schritt sollen dann auch punktuell Expert*innen dazukommen, die nicht unbedingt Unternehmer*innen sind, und ihre Expertise mit den Brands durch verschiedene Formate teilen möchten”, so Zotz.
Dieses Beispiel zeigt: Kollaboration, ja, aber bitte richtig. In einer Umfrage haben sich Zotz und ihr Team über die Bedürfnisse und Wünsche der Brands, die sie über White Label Project verkaufen, informiert. Nach der Auswertung wurde die Plattform konzipiert – und zwar so, dass es für alle passt. Denn das scheinbar beste Netzwerk-Tool ist nicht gut genug, wenn es für die potenziellen Partner am Ende keinen Mehrwert bietet.
Bald können Impact Brands und Branchenexpert*innen aus aller Welt im Brand Lab zusammenkommen, um voneinander zu lernen, Best Practices, Tools und Erfahrungen zu teilen und gemeinsam den Wandel hin zu einer nachhaltigeren Modewelt zu beschleunigen. Die Unternehmen können sich hier kostenlos bewerben.
Bei Kooperationen muss es nicht immer um Produkte gehen
Zusammenschlüsse zwischen Marken können mehr als nur Produkt-Drops beinhalten – sie können auch in Form von Veranstaltungen, Netzwerken oder anderen Projekten stattfinden, die über nachhaltigere Praktiken aufklären und diese vorantreiben. Unternehmen können sich beispielsweise Messestände teilen – so ist in gleicher Zeit mehr umsetzbar, die Kosten werden geteilt, Synergien geschaffen, und neue Zielgruppen angesprochen.
Um die Schaffung von Synergien geht es auch beim Materialsourcing-Collective, das Clara Rings, Zuständige für Strategisches Lieferantenmanagement bei Wildling Shoes, gegründet hat. „Mindestabnahmemengen sind oft ein Problem für kleine Unternehmen und Start-ups”, berichtet sie. Das Problem in der Branche sei aber oft auch, dass Brands ihre Produktionsstätten und Rohstofflieferanten nicht preisgeben wollen. Sie sähen darin die Gefahr, ihren eigenen Betriebsvorteil zu verlieren – denn Kapazitäten und Verfügbarkeiten werden knapp und der Meistbietende bekommt oftmals den Zuschlag.”
„Manche Rohstoffe, wie das GOTS zertifizierte EU-Leinen, sind so knapp, dass viele Brands fürchten, die Konkurrenz kaufe die Rohstoffe schneller auf. Auch die Preise werden wegen der hohen Nachfrage immer teurer”, erklärt Rings. „Aus diesem Grund habe ich mit den Fashion Changers das Einkaufskollektiv für Rohstoffe gegründet. So ist es einfacher Bedarfe zu bündeln.”
Zusammenkommen und Kräfte bündeln
„Insgesamt tauschen wir uns viel mit anderen Brands zu unterschiedlichen Themen aus und helfen einander. Sei es in Form unserer Pop-up-Shop-Reihe Folkdays & Friends oder eines neuen Konzepts, dem Social Business Club, an dem wir aktuell mit anderen nachhaltigen Unternehmen arbeiten”, berichtet Lisa Jaspers. „Auch für #fairbylaw haben wir mit vielen Akteur*innen wie Influencer*innen, Politiker*innen und NGOs zusammengearbeitet, um Menschen zu mobilisieren, sich für ein deutsches Lieferkettengesetz einzusetzen.” Lisa startete die Petition im Jahr 2018. Innerhalb kürzester Zeit unterschrieben über 150.000 Menschen. Am 27. November 2019 überreichte das Team von Folkdays gemeinsam mit Fashion Changers und anderen Unterstützer*innen die Petition offiziell an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Und siehe da – die Aktion hat tatsächlich etwas bewirkt: Im Januar 2023 wird das deutsche Lieferkettengesetz in Kraft treten.
Interessenvertretungen als Mittel, um politische Ziele voranzutreiben
Apropos Politik. Interessenvertretungen wie der BNW (Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft) können ein kraftvolles Mittel sein, um politische Ziele voranzutreiben. Als Netzwerk bietet der BNW Unternehmen, die die ökologische und soziale Transformation der Wirtschaft vorantreiben, nicht nur Inspiration, sondern auch Austausch und Zusammenhalt sowie eine starke und respektierte politische Stimme nach außen. „Angesichts der finanziellen und personellen Dominanz der Lobbyisten des fossilen Wirtschaftssystems ist es wichtig, die Stimme der progressiven Unternehmen lauter zu machen. Genau dafür steht ja auch der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft”, erklärt Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin des BNW.
Es sei kein Wunder, dass sich unter den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen auch das SDG 17 „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele” befinde. Denn Kooperation und Kollaboration seien wichtige Zutaten, wenn wir Wirtschaft nicht nur anders denken, sondern auch anders machen wollen. „Meistens sind es doch ähnliche Herausforderungen, vor denen die Unternehmen und Start-ups der Fair-Fashion-Branche stehen und da macht Zusammenarbeit doppelt Sinn – für den Wandel der Branche insgesamt und für das eigene Unternehmen.”
Scott Lipinski, CEO des Fashion Council Germany, sieht das ähnlich. „Mit der European Fashion Alliance möchte der Fashion Council Germany den kreativen Teil der Branche vereinen, indem er den Austausch mit verschiedenen Interessengruppen innerhalb der Industrie, aber auch auf politischer Ebene, ermöglicht”, erklärt er. Der Fokus läge momentan auf europäischer Ebene, aber es wäre notwendig, sich mit anderen Koalitionen und internationalen Initiativen zu verbinden, um am globalen Wandel zu arbeiten. „Die EFA möchte erstmal ihre Kontakte auf EU-Politikebene stärken, um Entscheidungsträger*innen bei Vorschriften und Programmen zu unterstützen.”
Worauf sollten Unternehmen achten?
Der Schlüssel zu jeder erfolgreichen Partnerschaft ist gründliche Recherche und Verhandlung, um sicherzustellen, dass die wichtigsten Markenwerte geschützt werden. Wie kann die Partnerschaft eine dauerhafte Wirkung erzielen? Kann sie das Geschäftsmodell zum Positiven verändern? Sind die Partner offen für den Informationsaustausch? Fragen wie diese müssen vorab geklärt werden.
„Ich hatte zwei Kunden, die mit einem nachhaltigen Kooperationspartner nicht so glücklich waren, da das Geschäftsgebaren letztlich gar nicht nachhaltig war”, berichtet Sandra Volz, die nicht nur als Dozentin arbeitet, sondern auch als Beraterin professionelle Unterstützung für Kreativ- und Modeschaffende anbietet. „Daher empfehle ich Brands, hinter die Fassade zu schauen und Referenzen von Kooperationspartnern einzuholen. Es ist wichtig, von Anfang an gemeinsame Ziele zu definieren. Kurze vertragliche Kooperationsgrundlagen, die zeitlich limitiert sind, können helfen, sich an die Zusammenarbeit erst mal heranzutasten, bevor eine längerfristige Kooperation in Betracht gezogen werden kann. Auch das Thema Geheimhaltung sollte nicht unterschätzt werden.”
Risiken und Kosten sollen gerecht verteilt werden
Bei der Sozialunternehmerin Lisa Jaspers ist der Kooperationsgedanke fest im Geschäftsmodell verankert. Es geht darum, Kräfte zu bündeln, um einen wahren Mehrwert für Umwelt und Gesellschaft zu schaffen und nachhaltigen Fortschritt zu beschleunigen. Aber das allein reicht nicht aus.
„Wir empfinden es als wichtig, dass im Kern einer Kooperation nie der Gedanke der Selbstoptimierung steht. Natürlich sollen alle was von einer Kooperation haben, aber auch die Risiken und Kosten sollten von Anfang an gerecht verteilt sein. Dafür sind Transparenz und Ehrlichkeit essenziell”, so Jaspers. „Die eigenen Interessen transparent darzulegen und offen zu kommunizieren ist genauso wichtig, wie nachvollziehbar zu machen, welche Kosten, wo und warum auftreten und wie diese zwischen allen Partner verteilt werden können.”
Partnerschaften schaffen Potenzial
Es sollte einen gründlichen und wohlüberlegten Denkprozess geben, der in die Design-, Liefer- und Produktionsentscheidungen einfließt. Und obwohl die sogenannte Selbstoptimierung nicht im Fokus stehen sollte, können Partnerschaften trotzdem dabei helfen, das Potenzial eines Unternehmens oder einer Idee auszuschöpfen.
„Wir suchen unsere Kollaborationspartner sehr sorgfältig aus und hatten wahrscheinlich deshalb bis jetzt noch keine schlechten Erfahrungen”, erklärt Sabinna Rachimova. „Als Gründerin ist man oft etwas einsam und hat nicht immer die Möglichkeit, die eigenen Ideen mit der Außenwelt zu besprechen. Kollaborationen finde ich deshalb besonders toll – dieser ständige Austausch und die vielen Brainstorming-Sessions sind super. Man lernt auch viel über sich selbst – was es bedeutet, im Team zu arbeiten, Leadership-Skills anzuwenden und Arbeitsteilung nicht zu vernachlässigen.”
Auch Sandra Volz spricht von einer Stärkung der eigenen Kompetenz, besserer Wahrnehmung von Außen und einem größeren Multiplikationseffekt.
Eine nachhaltige Branche ist eine kollaborative Branche
Es gibt ein altes Sprichwort: „Wenn du schnell gehen willst, dann geh alleine. Wenn du weit gehen willst, dann musst du mit anderen zusammen gehen.“ Herrscht ein Umdenken? Weg vom Wettbewerbsdenken, wenn es um CSR-Strategien geht?
„Heute denken wir oft noch an Unternehmen als Silos, als abgeschlossene Einheiten. Entweder man ist Teil davon oder man gehört zur Konkurrenz”, meint Lisa Jaspers. „Aus unserer Sicht stehen wir nachhaltigen Unternehmen aber alle auf der gleichen Seite und unsere Konkurrenz ist der Fast-Fashion-Sektor. Um ein echtes Gegengewicht zu sein, müssen wir uns in Netzwerken organisieren und gegenseitig stärken, indem wir uns helfen, Ressourcen gemeinsam nutzen, von und miteinander lernen.”
Sandra Volz stimmt ihr zu. „Meiner Meinung nach ist die Zeit für Einzelkämpfer*innen vorbei, die Zukunft ist das Netzwerk”, erklärt sie. „Ob die Kooperation branchenspezifisch angegangen werden sollte oder auf einer anderen Ebene, z. B. lokal oder regional, hängt von den Zielen ab. Die Größe des Unternehmens ist dabei nicht ausschlaggebend, sondern die Qualität des eigenen Vorhabens.” Unterstützt werden diese Zusammenschlüsse auch häufig über Accelerator-Programme.
Nehmt gemeinsam Teil an Accelerator-Programmen
In diesem Zusammenhang, empfiehlt Sandra Volz Accelerator-Programme wie Stoff im Kopf in Reutlingen für alle Textil- und Mode-Start-ups. Hier werden Gründer*innen unter anderem mit Institutionen, Coaches und Mentor*innen vernetzt. Auch das Programm Sandbox an der Hochschule der Medien in Stuttgart kann interessant sein, da es Unterstützung in Sachen Marketings während des Gründungsprozesses bietet.
In Berlin gibt es zudem die Berlin Startup School – ein sechsmonatiges Vollzeit-Programm, das Gründer*innen vom Prototypen bis zur Investor-Readiness begleitet und unterstützt. (FYI: Investor-Readiness oder Investitionsbereitschaft ist die Fähigkeit eines Start-ups, die spezifischen Bedürfnisse und Erwartungen von Investoren zu verstehen und zu erfüllen und dies spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung, ob ein Unternehmen Investorenfinanzierung erhält oder nicht.)
Ein weiteres Accelerator-Programm: Tex Started, mit dem der Gesamtverband textil+mode Start-ups in der Textil- und Modeindustrie ein branchenspezifisches Netzwerk anbietet, um Kooperationen zu fördern und innovative Gründungen zu unterstützen.
Kollaboration = Investition in die Zukunft
Viele Modeschaffende sind sich einig: Ohne Zusammenarbeit kann und wird sich die Branche nicht grundlegend und langfristig verändern. Dazu gehört der konstante Austausch von Kontakten und Erfahrungen, aber auch die gemeinsame Nutzung von Ressourcen. Scott Lipinski, CEO des Fashion Council Germany, ist überzeugt: „Ohne internationale Zusammenarbeit wird die Transformation der Branche niemals möglich sein. Wir brauchen konkretere Maßnahmen und eine makroökonomische Perspektive in der Modebranche, um die Klimaherausforderung, Netto-Null-CO2-Auswirkungen’ bis 2050 zu erreichen.” Dabei hätte die deutsche Modebranche als größter Verbraucher*innenmarkt in der EU eine wichtige Rolle.
Titebild: Youssef Naddam via Unsplash