Wer Tina Steinke trifft, kann ihre Liebe zu Farben, vielen kleinen Details und der Lust am Ausprobieren kaum übersehen. Als wir Tina zum Interview treffen, trägt sie mühelos vier verschiedene Muster. Eigentlich kommt Tina aus dem Verlagswesen, wo Kolleg*innen sie immer wieder auf ihren individuellen Stil hinwiesen. Also fasste sie den Mut, sich als Personal Stylistin weiterzubilden und selbstständig zu machen. Heute stylt sie unterschiedliche Persönlichkeiten, für Auftritte auf Bühnen bis hin zu mehr Selbstbewusstsein im Alltag. Wichtig ist ihr dabei vor allem der authentische Ausdruck, auffallend oder zurückhaltend und abseits von Geschlechternormen, steht das Hervorheben der Persönlichkeit im Vordergrund. Schon als Teenagerin hatte Tina einen eigenen, etwas eigenwilligen Stil, der sich abseits des Mainstreams bewegte. „In meinem Schrank hingen damals schon viele Secondhand- und Flohmarkt-Fundstücke, häufig von mir auf eine Weise zusammengestellt, die nicht unbedingt erwartbar war.“ Nicht anderes hätten wir erwartet. Wir haben sie zum Gespräch über Stil und Nachhaltigkeit getroffen und wieso Kleidung vor allem ein guter Begleiter sein sollte.
Nimm uns doch ein bisschen mit in deine Arbeit. Welche Persönlichkeiten stylst du und für welche Anlässe?
„Ich arbeite mit Menschen aller Geschlechter – mal geht es um ein spezifisches Outfit für eine Feierlichkeit, wichtige Präsentation, einen neuen Job, eine Vernissage oder sogar den ersten Panel-Talk. Am häufigsten jedoch haben meine Kund*innen das Bedürfnis, aus den bereits vorhandenen Kleidungsstücken mehr herauszuholen, den eigenen Stil klarer zu definieren oder eine Capsule Wardrobe zu entwickeln. Mein Fokus liegt darauf, gemeinsam den Stil zu entdecken, der sich authentisch anfühlt, basierend auf dem, was schon im Kleiderschrank vorhanden ist. Meine Erfahrung zeigt, dass die persönlichen Lieblingsstücke eine perfekte Blaupause für das ist, was die Person ausmacht und ihr entspricht.“

Wie läuft so ein Stylingprozess ab?
„Mein Ansatz basiert auf dem Prinzip, mit dem zu arbeiten, was bereits im Kleiderschrank vorhanden ist. Das bedeutet, dass ich mit meinen Kund:innen nicht nur über das Styling von Outfits rede, sondern dass wir gemeinsam einen Kleiderschrank Deep-Dive machen. Dabei geht es darum, das volle Potenzial des Vorhandenen zu nutzen und einen Stil zu entwickeln, der authentisch und langfristig tragbar ist. Vorab besprechen wir in einem ausführlichen Vorgespräch, was die genauen Wünsche und Herausforderungen sind. Ich lasse mir auch Fotos vom geöffneten Schrank, Lieblingsstücken und Problemstücken zuschicken. So können wir gezielt an den richtigen Stellen ansetzen und schauen, wie sich ein Look durch geschickte Kombinationen und kleine Ergänzungen optimieren lässt. Accessoires spielen dabei übrigens eine entscheidende Rolle – die sind wahre Game Changer, um sehr persönliche Akzente zu setzten. Auf diese Weise kann ich auch einen echten Signature Look entstehen lassen – ein wiederkehrendes Element, was mich ausmacht und sozusagen mein Erkennungsmerkmal ist.“
Du bist Teil der Sustainable Stylists, arbeitest viel mit Vintage- und Secondhandmode. Wieso ist dir das wichtig?
„Mir ist Nachhaltigkeit im Styling sehr wichtig, weil sie sich direkt mit der Idee verbindet, die Lebensdauer von Kleidung zu verlängern und Ressourcen zu schonen. Besonders in einer Welt, in der Fast Fashion so viel Raum einnimmt, ist es für mich ein zentraler Punkt, die Schönheit und Einzigartigkeit von Vintage- und Secondhandmode zu schätzen. Diese Kleidungsstücke erzählen Geschichten und haben oft eine höhere Qualität in der Verarbeitung und Materialmix als moderne Massenware. Zudem ist der Wunsch nach Individualität ein immer größer werdender Trend – und das ist genau das, was man in Vintage- und Secondhandteilen findet: einzigartige Stücke, die einem persönlichen Stil mehr Ausdruck verleihen.“
Wie hängen Stil und Nachhaltigkeit zusammen?
„Für mich hängt nachhaltiger Stil nicht davon ab, ob alles perfekt kuratiert ist. Sondern davon, wie wir uns mit unserer Kleidung verbinden. Ein fair produzierter Mantel darf gut überlegt sein – weil er im besten Fall viele Jahre an unserer Seite bleibt. Ein Fundstück vom Flohmarkt darf spontan ins Herz treffen. Beides hat seine Berechtigung und es darf auch mal ein Fehlkauf dabei sein, denn Mode ist häufig emotional und der Spaß am Ausprobieren soll bitte bleiben! Nachhaltigkeit beginnt für mich dort, wo Kleidung mehr ist als bloß Besitz. Wenn wir unsere Garderobe als wertvolle Begleiter verstehen – voll Erinnerungen, Überraschungen und Lieblingsstücken (meine Glitzersöckchen eingeschlossen) – entsteht ein Stil, der nicht austauschbar ist. Und genau dadurch automatisch nachhaltiger.“

Und wie entsteht ein guter, nachhaltiger Stil?
„Guter Stil entsteht oft nicht durch das bloße Nachahmen von Trends, sondern durch ein tiefes Verständnis für sich selbst, die eigene Persönlichkeit und die Möglichkeiten, die der eigene Kleiderschrank bietet. Es kann schwierig sein, den eigenen Stil alleine zu entwickeln, weil oft die Klarheit über den eigenen Geschmack fehlt – eine Vision von uns, wer wir sein können und dem Potential der kreativen Möglichkeiten in unserem Schrank. Externe Unterstützung von einer Stylistin hilft, diese Blockaden zu überwinden und gezielt ein harmonisches Bild zu schaffen. Manchmal fehlt es einfach an einem frischen Blick, um zu erkennen, wie gut sich bestimmte Stücke in neuen Kombinationen tragen lassen.“
Stil als Verständnis für uns selbst – schön gesagt. Dann bleibt nur noch eine Frage: Was wünschst du dir für die Zukunft?
„Ich wünsche mir, dass wir Kleidung wieder mehr als etwas Begleitendes sehen – nicht nur als Konsumprodukt, sondern als Ausdruck, als Geschichte, als Möglichkeit. Nachhaltiger Stil heißt für mich nicht: die ‚richtigen‘ Labels tragen. Sondern: neugierig bleiben, gestalten mit dem, was da ist – und dabei entdecken, wie viel Freiheit, Charakter und Leichtigkeit darin liegen kann.
Ich glaube, wir unterschätzen, was Mode gesellschaftlich bewegen kann. Wer wird gesehen? Wem wird Stil zugeschrieben? Wie inklusiv ist unser Bild von Schönheit und ‚gut angezogen‘ überhaupt? Wenn wir von Veränderung sprechen, geht es für mich auch um Teilhabe, um neue Narrative – und um Räume, in denen sich alle zeigen dürfen. Egal mit welchem Budget, welcher Konfektionsgröße, welchem Geschlecht.
Ich wünsche mir, dass wir Bestehendes wieder wertschätzen – und gleichzeitig offen bleiben: für neue Materialien, für mutige Ideen, für Designer*innen, die aus Alltagsstücken etwas Besonderes machen. Es gibt so viele Wege, Kleidung weiterzudenken – jenseits von Trends, aber mit Haltung und Innovationsfreude. Nachhaltiger Stil ist für mich eine Einladung: zum Hinschauen, zum Umdenken – aber auch zum Spielen.“