Achtsamkeit und bewusster Konsum sind die Schlagwörter der Stunde. Immer mehr Menschen scheinen das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen. Und doch tritt oftmals eines der folgenden Phänomene auf:
Du liest über die ökologischen Vorteile einer pflanzlichen Ernährung, willst aber nicht auf Milch und Käse verzichten. Du weißt, dass Fliegen ein Klimakiller ist, doch der nächste Thailand-Urlaub ist bereits geplant (auch wenn er Covid-19-bedingt auf nächstes Jahr verschoben wurde). Fast Fashion belastet die Umwelt, sorgt für menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und basiert noch dazu auf einem ausbeuterischen, rassistischen System, der Greenwashing-Eco-Green-Bikini von C&A landet dennoch im Einkaufskorb. Kommt dir das bekannt vor? Ein klassischer Fall von Intentions-Verhaltenslücke.
Was ist kognitive Dissonanz?
Auch wenn wir versuchen, uns diese Widersprüche schönzureden, entsteht oft ein ungutes Gefühl: die kognitive Dissonanz. Dies bedeutet, dass unser Denken von verschiedenen, sich widersprechenden Zielen, Wünschen, Erwartungen, Meinungen und Absichten erfüllt ist (Quelle). Meist werden diese Widersprüche nicht aufgelöst, sondern wir versuchen, sie zu rechtfertigen oder irgendwie logisch zu erklären. Ja, wir sind ununterbrochen online, aber zumindest nutzen wir Ökostrom. Ja, der Flug war jetzt nicht lebensnotwendig, aber wir kompensieren ihn ja. Eine Zugfahrt wäre zwar nachhaltiger gewesen, aber mit dem Auto ist es einfach so viel praktischer.
Die Wissenschaft beschreibt dieses Phänomen als die Intentions-Verhaltenslücke. Dies bedeutet, dass es trotz einer wohl gemeinten Intention nicht zu einem entsprechenden Verhalten, oder einer Verhaltsänderung, kommt. Es gibt oft keinen starken Zusammenhang zwischen guter Absicht und einer dazu passenden Handlung. Auf psychologistsforfuture.de wird die wissenschaftliche Grundlage der Entstehung dieser Lücke gut erklärt.
Wie können wir die Intentions-Verhaltenslücke schließen?
Um Antworten auf die Frage nach einer Lösung zu finden, habe ich mich mit der Umweltpsychologin Dr. Sonja Geiger von der Technischen Universität Berlin unterhalten. Um Antworten auf die Frage nach einer Lösung zu finden, habe ich mich mit der Umweltpsychologin Dr. Sonja Geiger von der Technischen Universität Berlin unterhalten. Ihre Forschung beschäftigt sich mit umweltpsychologischen Fragestellungen, genauer gesagt mit psychologischen Handlungsmodellen, die nachhaltiges Konsumverhalten, speziell auch Fair Fashion, erklären und fördern sollen. In ihrer Forschungsarbeit geht sie unter anderem der Hypothese nach, dass Meditation und Achtsamkeit nachhaltiges Konsumverhalten fördern und so die Intentions-Verhaltenslücke reduzieren sollen. “Mindfulness” soll nicht nur das Bewusstsein für körperliche Empfindungen verstärken, sondern auch einen positiven Effekt auf altruistisches und nachhaltiges Verhalten haben (Quelle).
Achtsamkeitstraining und Konsumverhalten
Dr. Geigers Forschungsergebnisse zeigten, dass ein zweimonatiges Achtsamkeitstraining keine signifikanten, direkten Auswirkungen auf die Intentions-Verhaltenslücke hatte. Jedoch führte das Achtsamkeitstraining bei den Proband*innen zu einem gesteigerten subjektiven Wohlbefinden und zur Verringerung von materialistischen Werten, sodass beispielsweise Besitztümer weniger wichtig werden. Mit diesen positiven Effekten kann ein langfristiger Umdenkprozess generell im Bereich Nachhaltigkeit angestoßen und auf lange Sicht das Konsumverhalten verändert werden. Dr. Geigers Analysen zeigen auf, dass das Schließen der Intentions-Verhaltenslücke ein langwieriger Prozess ist, den man nicht durch ein paar Wochen Achtsamkeitstraining durchlaufen kann.
Mitgefühl und Verhaltensänderung
Meditieren für mehr Achtsamkeit führt also nicht direkt dazu, dass wir plötzlich von Fast Fashion auf Fair Fashion setzen. Mindfulness kann diesen Prozess aber anstoßen und verstärken (Quelle 1, Quelle 2). In ihren Forschungsergebnissen zeigt Dr. Geiger außerdem, dass speziell Mitgefühl, also die Sensibilität für das Leiden anderer Menschen, einen positiven Effekt auf das Konsumverhalten haben kann. So kann Mitgefühl ganz allgemein, und nicht einmal konkret nur für die Beschäftigten in der Textilindustrie, langfristig zu der Bereitschaft führen, mehr Geld für Fair Fashion zu zahlen (Quelle).
Um die Zusammenhänge zwischen Mitgefühl, Achtsamkeit, nachhaltigem Konsumverhalten und der Intentions-Verhaltenslücke noch genauer zu verstehen, habe ich Dr. Sonja Geiger noch ein paar Fragen gestellt.
Mia Marjanovic: Ist Mitgefühl angeboren, also haben alle Menschen von Geburt an Mitgefühl oder ist es etwas, das man lernt? Wenn man es lernen kann, wie bringt man es mehr Menschen bei?
Dr. Sonja Geiger: Inwiefern Persönlichkeitseigenschaften angeboren sind, darüber diskutieren Wissenschaftler*innen, unter anderem auch Psycholog*innen, schon seit jeher. Das ist die sogenannte Nature-(Gene) versus Nuture-(Lerneffekte)Debatte. Menschen unterscheiden sich in ihrem Ausmaß an Mitgefühl. Es ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das natürlicherweise variiert. Manche sind weniger mitfühlend, andere mehr. Ungeachtet dessen, wie groß der erbliche Anteil von Mitgefühl genau ist, kann man Mitgefühl lernen beziehungsweise trainieren. Zum einen übernehmen wir in unserer Kultur verankerte Werte, wie zum Beispiel Hilfsbereitschaft oder Gerechtigkeit, wenn sie uns vorgelebt werden. Zum anderen lassen sich aber auch ganz individuell Hilfsbereitschaft und Kooperation durch speziell auf Mitgefühl ausgelegte Meditationstrainings steigern, wie zum Beispiel die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Tania Singer in ihrer Forschung gezeigt hat. Eine Form dieser Meditation ist zum Beispiel die Metta-Meditation, im Deutschen auch Meditation liebender Güte genannt, die explizit auf das Wohlergehen anderer Menschen und Lebewesen und unserer Verbundenheit mit ihnen fokussiert ist.
Einige wissen über Fast Fashion Bescheid, kaufen die ungerecht produzierte und umweltschädliche Mode trotzdem. Welche Ansätze aus den Forschungsergebnissen gibt es, die Lücke zwischen Wissen, Intention und Verhalten zu schließen?
Dass diese Lücke zwischen Wissen und Verhalten überhaupt als dissonant erlebt wird, dafür ist schon eine gewisse Portion an Verantwortungsübernahme und Mitgefühl für die Zustände in der Bekleidungsindustrie notwendig. Das heißt, vielen Menschen sind die Zustände durchaus bewusst, sie erleben sie aber außerhalb ihrer Zuständigkeit und sind damit auch nicht verantwortlich, etwas zu ändern. In unserer eigenen Forschungsarbeit sprechen wir daher auch eher von einer Einstellung oder Intentions-Verhaltenslücke. Das heißt, wir betrachten Fälle, in denen Menschen zu nachhaltigem Verhalten positiv eingestellt und motiviert sind, aber das Verhalten aus unterschiedlichsten Gründen dennoch nicht zeigen. Achtsamkeitsmeditation hat in unserer Studie zu nachhaltigem Konsum diese Lücke nicht direkt geschlossen. Wir konnten vielmehr zeigen, dass ein Achtsamkeitstraining dazu führt, dass man seine grundlegenden Werte im Leben noch mal überdenkt und revidiert, in der Tendenz weg von materiellen Werten, wie Besitz und Einfluss, und hin zu immateriellen Werten, wie Zugehörigkeit und Sinn. Beides trägt übrigens zu einem gesteigerten Wohlbefinden im Leben bei.
Verhilft uns mehr Achtsamkeit zu Mitgefühl und kann Mitgefühl nachhaltigen Konsum unterstützen?
Zum ersten Teil der Frage gibt es eindeutiges „Ja“. Entsprechende Methoden, Offenheit und eine langjährige Praxis vorausgesetzt, führt Achtsamkeitstraining zu einem gesteigerten Mitgefühl mit sich und der Umwelt. Dies wiederum trägt dazu bei, dass Menschen eher geneigt sind, auf Nachhaltigkeitsaspekte beim Kleiderkauf zu achten, und auch mehr Geld für fair produzierte Kleidung auszugeben, wie wir in einem Laborexperiment zeigen konnten. Das sind allerdings sehr kleine Effekte, das heißt ein Meditationstraining wird nicht die Fashion-Industrie über Nacht revolutionieren, aber es könnte einen positiven, wenn auch langwierigen Umdenkprozess anstoßen.
Wenn diese Einstellungs-Verhaltens-Lücke bei jemandem vorliegt, diese Person aber über ein hohes Level an Mitgefühl verfügt, heißt das dann, dass die Person eher ihr Verhalten ändert?
Hier wird es kompliziert. Betrachtet man nur Mitgefühl, würde man das erwarten. In Bezug auf Effekte von Achtsamkeit konnten neuere Arbeiten von den Sozialpsychologen Pfattheicher und Schindler allerdings zeigen, dass Menschen nach einem, wenn auch sehr kurzen, Achtsamkeitstraining mit ihrem eigenen schlechten Gewissen besser klar kommen, und dazu neigen, ihre Skrupel eher zu unterdrücken. Also es gibt keinen Automatismus: Achtsamkeit – Mitgefühl – ethischeres Verhalten. Deshalb ist es so wichtig, Achtsamkeit in seiner buddhistischen Tradition, die explizit eine ethische Grundhaltung des Mitgefühls und der Verbundenheit aller Lebewesen voraussetzt, zu lehren und zu lernen.
Vielen Dank für die spannenden Antworten, liebe Sonja!
Achtsamkeit allein ändert nicht unseren Konsum
Kurz gefasst können wir uns also nicht den Planeten grün meditieren. Meditation und Achtsamkeit können nicht über Nacht unser Konsumverhalten ändern. Dafür leben wir in einem zu kapitalistisch geprägten System. Achtsamkeit kann aber einen Umdenkprozess anstoßen und dabei helfen, die Intentions-Verhaltenslücke über einen längeren Zeitraum hinweg zu schließen. Hierbei ist es jedoch wichtig, dass sich Achtsamkeit nicht nur um das eigene Ich dreht, sondern auf der buddhistischen Tradition basiert, die nicht nur die Fürsorge für sich selbst umfasst, sondern auch für unsere Mitmenschen und die Welt um uns herum.
Eine Auswahl von Dr. Sonja Geigers Forschungsarbeiten:
Mindfully Green and Healthy: An Indirect Path from Mindfulness to Ecological Behavior
2 Antworten auf „Intentions-Verhaltenslücke: Verändert Achtsamkeit unser Konsumverhalten?“
Ein sehr interessanter Beitrag.
Ich bin zum Thema Achtsamkeit damals durch meine Therapie gekommen. Da es Inhalt bzw. ein Teilaspekt dessen war.
Wenn man Achtsamkeit praktiziert kommt es auch darauf an aus welcher Intention. Die meisten praktizieren Achtsamkeit aus persönlichen Aspekten. Weil sie einen Burnout erlitten haben. oder weil sie unter Stress leiden oder körperliche Folgeerscheinungen haben, die durch psychische Belange herrühren.
So wie im Buddhismus gelehrt, wird Achtsamkeit in unserer Kultur also nicht praktiziert.
Was nicht minder bedeutet, dass es positive Effekte hat.
Doch es lehrt beispielsweise Dinge aus mehreren Perspektiven zu betrachten. Vor allem der erste Absatz klingt derart vorwurfsvoll. Und wird lediglich auf kognitive Dissonanz runtergebrochen. Wer nicht perfekt handelt, fühlt sich nicht angesprochen, übernimmt keine Verantwortung etc.
Es gibt so viele Möglichkeiten und Wege und nicht nur den einen. Verzichte auf den Flug, kaufe nur noch Fair Fashion, lebe zerowste und ernähre dich vegan.
Wenn jemand Vegetarier ist, dann reicht das nach dieser Auffassung nicht. Oder wenn jemand einen Teil, aber nicht alles seconhand bezieht, auch nicht genug.
Also beides Beispiele für kognitive Dissonanz und Verhaltenslücke.
Das ist meiner Ansicht nach zu einseitig betrachtet.
Ich mache das was im Bereich meiner Möglichkeiten steht, Ja, ich bin nur Vegetarier und kein Veganer. Wie oft Veganer mich da schon mit Schimpfworten betitelt haben und mir ein schlechtes Gewissen einreden wollten. Keine gute Werbung. Auf diese Vorwurfsvolle Weise fühle ich mich zum Veganismus kein bisschen verbunden. Es entspricht eher einer Klischee-Erfüllung. So wie der erste Absatz. Ein Mensch mit verschränkten Armen und vorwurfsvoller Miene, der mir ein schlechtes Gewissen machen möchte, weil ich ein mal in drei Jahren in den Urlaub geflogen bin.
Wenn man Menschen, die schon etwas tun, mit dieser vorwurfsvollen Brille begegnet, dann sollte man selbst etwas an seinem Mitgefühl arbeiten finde ich.
Tong Len, eine Buddhistische Praxis, schult explizit das Mitgefühl für seine Mitmenschen.
Unter psychologischer Betrachtung, da ich selbst Psychologie studiere, Achtsamkeit hilft dabei mit uns selbst und anderen liebevoller umzugehen. Es hilft uns auch weniger zu bewerten und Aspekte aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. Es ist aber kein Mittel zum Zweck um explizit das Kaufverhalten zu ändern. Praktiziert man jedoch Achtsamkeit und Meditation in Sinne der buddhistischen Lehre, so geht dies oft mit einem bewussteren Lebensstil einher. Sehr interessant hierbei u.a. die Lehren von Thich Nhat Hanh.
Insgesamt müssen andere Lösungen gefunden um nachhaltige Mode zu fördern. Eines wären zum Beispiel Aspekte der Erschwinglichkeit. Denn viele nachhaltige Produkte sind heute noch immer um einiges teurer als die sonstigen. Nun kann man sagen man könne in einem Bereich zurückstecken, dann könne man sich in einem anderen mehr leisten. Ja, aber nicht jeder wird so denken. Und nicht jeder, hartz 4 Empfänger z.B., werden sich fair Fashion Labels, die 3 Mal so teuer sind wie Mode von C&A leisten können.
Danke für deinen ausführlichen Kommentar.
Hier mein Feedback dazu:
Achtsamkeit hat auf jeden Fall auch positive Effekte (auch wenn es nicht direkt wie im Buddhismus gelehrt wird), wie im Artikel beschrieben: zu einem gesteigerten subjektiven Wohlbefinden und zur Verringerung von materialistischen Werten führen. Und das kann wie beschrieben wiederum einen langfristigen Umdenkprozess im Bereich Nachhaltigkeit anstoßen. Das hast du ja auch geschrieben in deinem Kommentar.
Der erste Absatz sollte kein Vorwurf sein, sondern zum Nachdenken anregen. Ich zum Beispiel nehme mich da nicht raus. Ich denke, wir alle erleben diese Intention-Verhaltens-Lücke und ich finde es einfach spannend, sich zu überlegen, woher das kommen kann, wie wir damit umgehen und wie wir mit dem Wissen über die Intention-Verhaltens-Lücke besseren Aktivismus gestalten können. Das “Du” sollte einfach die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass alle angesprochen sind, du, ich, wir.
“Wenn jemand Vegetarier ist, dann reicht das nach dieser Auffassung nicht.“ – bin mir hier nicht ganz sicher, wo du das raus liest.
Zum Thema Erschwinglichkeit: Faire Mode ist nicht zu teuer, Fast Fashion ist einfach zu billig. Irgendjemand zahlt den billigen Preis, Umwelt, Textilarbeiter*innen oder Tiere. Ich stimme zu, dass sich nicht jede*r eine 90 Euro Bluse leisten kann. Aber das “Problem” sind nicht Personen, die nicht die finanziellen Mittel für Fair Fashion haben. Das Problem sind die Mehrzahl der Shopper, die mehrmals im Monat billige Fast Fashion Kleidung kaufen, die dann wieder schnell im Müll landet, anstatt einmal eine Jeans, die lange hält, sowie Unternehmen, die mit Ausbeutung Milliarden im Bereich Fast Fashion verdienen und die Politik, die es nicht schafft, ein Gesetz für eine transparente und faire Lieferkette zu verabschieden. Hartz 4 Empfänger haben in der Fast Fashion Problematik kein “Gewicht”, wenn du verstehst was ich meine. Sie haben gar nicht die Kaufkraft, um die Fast Fashion Industrie anzuheizen. Shopaholics, die mehrmals im Monat bei C&A & Co regelmäßig shoppen gehen und laut Greenpeace 20% davon gar nicht ragen (https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20151123_greenpeace_modekonsum_flyer.pdf).schon. Danke noch einmal für deinen Kommentar und die spannenden Ergänzungen oder Hinweise.